Vierfleckiger Plattbauch (Libellula quadrimaculata)

[518] Der gemeine Plattbauch (Libellula depressa), gelbbraun von Farbe, an den Rändern gelb gefleckt oder am Hinterleibe des reifen Männchens schön himmelblau bereift, tritt uns hier im Bilde entgegen. Ein großer länglicher und dunkler Fleck an der Wurzel der vorderen, ein dreieckiger an der der hinteren Flügel, eine rothbraune, zwischen der Wurzel der dritten und vierten Längsader gelegene Zelle (Basalzelle) auf allen vier Flügeln, und wenigstens zehn Queradern am [518] Vorderrande von deren Wurzel bis zu der etwas eingekniffenen, durch dickere Queradern markirten Stelle in ihrer Mitte, das Knötchen genannt, unterscheiden diese Art von den zahlreichen Gattungsgenossen. – Genau dieselbe Gestalt, Größe und Körperfarbe, nur kein blau angelaufenes Männchen hat der etwas früher, schon im Mai erscheinende vierfleckige Plattbauch (Libellula quadrimaculata), von den dunklen Flecken an den Knötchen aller Flügel so genannt, welche überdies noch eine safrangelbe Wurzel auszeichnet.

Beide Arten haben dann und wann durch die ungeheueren Mengen, in denen sie auftreten und weite Züge vornehmen, die allgemeine Aufmerksamkeit auf sich gelenkt. Es wurden deren seit 1673 mehr als vierzig aufgezeichnet, die meist aus Libellula quadrimaculata, dann aus Libellula depressa und auch einmal aus einem Agrion bestanden.


1 Larvenhülse einer Schmaljungfer. 2 Larve einer solchen mit vorgestreckter Maske. 3 Gemeiner Plattbauch (Libellula depressa). 4 Lebende Larve einer Libellula mit vorgestreckter Maske. 5 Dieselbe als zurückgelassene Haut nach dem Ausschlüpfen. Natürliche Größe.
1 Larvenhülse einer Schmaljungfer. 2 Larve einer solchen mit vorgestreckter Maske. 3 Gemeiner Plattbauch (Libellula depressa). 4 Lebende Larve einer Libellula mit vorgestreckter Maske. 5 Dieselbe als zurückgelassene Haut nach dem Ausschlüpfen. Natürliche Größe.

Der bereits oben erwähnte, nicht nur um die in Rede stehenden Kerfe hoch verdiente Forscher Hagen (vormals in Königsberg, jetzt in Nordamerika) berichtet von einem Zuge der erstgenannten Art, den er von seinem Ursprunge an und eine Strecke hin zu beobachten Gelegenheit fand, wie folgt: »Im Juni 1852, an einem schönen, warmen Tage, erfuhr ich schon des Morgens um neun Uhr, daß über das Königsthor ein ungeheuerer Libellenschwarm in die Stadt zöge. Um die Mittagszeit verfügte ich mich dahin und sah noch immerfort Libellen in dicht gedrängten Massen in die Stadt ziehen. Um das interessante Schauspiel genauer zu betrachten, ging ich zum Thore hinaus und konnte hier auf einem freien Platze den Zug genau beobachten. Denkt man sich von der Höhe des Thores aus nach Dewan (etwa eine Viertelmeile) hin – denn dort nahm, wie ich später entdeckte, der Zug seinen Anfang – eine gerade Linie gezogen, so gibt sie die Richtung genau an; am Thore war er etwa dreißig Fuß über dem Boden erhaben, da die Krone des dort befindlichen Walles den Zug zum Theile am Hinüberfliegen hinderte. Gegen Dewan zu senkte er sich allmählich, wie man an nahe stehenden Bäumen schätzen konnte, und wo er bei Dewan den Weg kreuzte, war er der Erde so nahe, daß ich, auf einem Wagen sitzend, hindurchfuhr. Auffällig und sonst nicht beobachtet war mir die große Regelmäßigkeit des Zuges. Die Libellen flogen dicht gedrängt hinter- und übereinander, ohne von der vorgeschriebenen Richtung abzuweichen. Sie bildeten so ein etwa sechzig Fuß breites und zehn Fuß hohes lebendes Band, das sich um so deutlicher markirte, als rechts und links davon die Luft rein, von Insekten leer erschien. Die Schnelligkeit des Zuges war ungefähr die eines kurzen Pferdetrabes, also unbedeutend im Vergleiche zu dem reißenden Fluge, der sonst diesen Thieren eigenthümlich [519] ist. Bei näherer Betrachtung fiel es mir auf, daß alle Wasserjungfern frisch ausgeschlüpft zu sein schienen. Der eigenthümliche Glanz der Flügel der Libellen, die noch nicht lange die Nymphenhaut abgestreift haben, läßt dies nicht schwer erkennen. Je weiter ich dem Zuge entgegenfuhr, desto jünger waren offenbar die Thiere, bis ich nach Dewan kam und in dem dortigen Teiche die Quelle des Stromes entdeckte. Die Färbung des Körpers und die Konsistenz der Flügel bewiesen, daß sie erst an demselben Morgen ihre Verwandlung überstanden haben konnten. Auf dem Teiche oder am jenseitigen Ufer war keine Libelle zu sehen. Der Zug nahm zweifellos aus dem Teiche selbst und zwar am diesseitigen Ufer seinen Ursprung. Der Zug dauerte in derselben Weise ununterbrochen bis zum Abend fort; eine Schätzung der Zahl der Thiere mag ich mir nicht erlauben. Merkwürdig genug übernachtete ein Theil desselben, da die Libellen mit Sonnenuntergang zu fliegen aufhören, in dem dem Thore zunächst gelegenen Stadttheile, bedeckte dort die Häuser und Bäume der Gärten und zog am folgenden Morgen in der ursprünglichen Richtung weiter. Auf eine Anfrage, die ich in den Zeitungen ergehen ließ, erfolgte die Antwort, daß er am folgenden Tage in der Richtung über Karschau weggezogen und etwa drei Meilen von Königsberg gesehen worden sei; sein weiteres Schicksal blieb mir unbekannt. – Halten wir die beobachteten Thatsachen zusammen, so liegt hier unzweifelhaft der instinktartige Trieb einer Ortsveränderung vor, da die Thiere gegen ihre Gewohnheit und bevor an ihrer Geburtsstätte Mangel an Nahrung ihnen fühlbar gewesen sein konnte, in geregeltem Zuge, gleichfalls sehr gegen ihre Gewohnheit, dieselbe verließen. Wohl davon zu unterscheiden sind die ungeheueren Schwärme von Libellen, die wir in manchen Jahren an den Gewässern beobachten, besonders wenn ein kaltes Frühjahr ihre Entwickelung verzögert hat und einige warme Tage plötzlich die verspätete Entwickelung zu Wege bringen. – Der von mir beobachtete Zug folgte der Richtung des Windes; doch scheint dies mehr zufällig gewesen zu sein, da bei den vierzig verschiedenen Beobachtungen ein großer Theil nicht die herrschende Windrichtung einhielt. Die Ursache dieser Züge ist noch nicht aufgeklärt. Die Regelmäßigkeit derselben, die dem Naturell jener rastlos umherschweifenden Thiere widerspricht, bedingt allerdings einen bestimmten Zweck. Im vorliegenden Falle läßt sich nur annehmen, daß für die künftige Brut einer solchen Anzahl die dortigen Gewässer, die übrigens im Sommer nicht austrocknen, nicht ausgereicht haben dürften .... Abbé Chappe, der 1761 den Durchgang der Venus in Sibirien beobachten sollte, sah einen ähnlichen Zug derselben Art, fünfhundert Ellen breit und fünf Stunden lang in Tobolsk, und Herr Uhler aus Baltimore berichtet mir, daß im nördlichen Amerika, namentlich in Wisconsin, derartige Züge nicht ungewöhnlich seien. Die übersendeten Thiere stellen es außer Zweifel, daß jene Art mit der unseren genau übereinstimmt; auch in Südamerika wurden diese Erscheinungen beobachtet. Wie kräftig übrigens das Flugvermögen dieser Thiere ist, geht aus der verbürgten Thatsache hervor, daß Schiffe Libellen auf hoher See sechshundert englische Meilen vom Lande fliegend angetroffen haben .....«

Die meisten Plattbäuche haben gelb oder dunkel gefärbte Flügelwurzeln, die wenigsten aber die platte Form des Hinterleibes, welche die beiden genannten auszeichnet, kein einziger erscheint in metallischer Körperfarbe. Als Erkennungsmerkmale gelten: die in einem Punkte oben auf dem Kopfe zusammenstoßenden Netzaugen, der in beiden Geschlechtern gleich gebildete Hinterrand des Hinterflügels und das in diesem anders als im Vorderflügel gestaltete Dreieck. Die Larven haben eine Helmmaske und die gedrungene Form der Figuren 4 und 5; im übrigen weichen die verschiedenen Arten mannigfach von einan der ab. Man hat sich veranlaßt gefunden, diese Gattung nebst ihren Verwandten (Epitheca, Cordulia, Polyneura, Palpopleura und andere) als dritte Sippe (Libellulidae) von den Aeschniden abzuscheiden, weil die vereinten, aber vorn eingekerbten inneren Lappen der Unterlippe viel kürzer sind als die mit den Tastern verwachsenen äußeren, während sie dort fast gleiche Länge damit und keine Einkerbung zeigen, weil ferner die Dreiecke des Vorder- und Hinterflügels verschieden und endlich die Larven mit Helmmasken ausgestattet sind.

Quelle:
Brehms Thierleben. Allgemeine Kunde des Thierreichs, Neunter Band, Vierte Abtheilung: Wirbellose Thiere, Erster Band: Die Insekten, Tausendfüßler und Spinnen. Leipzig: Verlag des Bibliographischen Instituts, 1884., S. 518-520.
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