Südafrikanische Wanderheuschrecke (Gryllus devastator)

[549] Ein Bericht aus neuester Zeit bezieht sich auf die südafrikanische Wanderheuschrecke (Gryllus devastator Lichtensteins), welcher um so interessanter erscheint, weil er Aufschluß über die Lebensverhältnisse dieser in gewissen Zwischenräumen stets wiederkehrenden Landplage gibt. Fritsch sagt: »Die Eier der Wanderheuschrecken werden, etwa zu je dreißig bis sechzig an Zahl, eingehüllt in einen braunen, maschigen Ueberzug, von dem Weibchen in kleine runde Erdlöcher versenkt. Diese Röhrchen finden sich stets in großer Anzahl vereinigt an dem Abhange eines unbedeutenden Hügels oder auf einer sanften Bodenerhebung, wahrscheinlich um die Eier vor dem schädlichen Einflusse plötzlicher Regengüsse zu schützen, und geben dem Platze ein siebartiges Ansehen. Die Löcher werden wieder zugescharrt, verwehen auch, und der Boden schließt sich dicht über den länglichen Eiklumpen, welche so mehrere Jahre liegen können, ohne die Entwickelungsfähigkeit zu verlieren. Sie liefern aber auch schon in der nächsten Regenzeit, also, da das Land deren zwei hat, bereits nach einigen Monaten die Jungen, so daß die Gegend, welche sich kaum von den Zerstörungen dieser gefräßigen Insekten erholt hat, aufs neue überflutet wird. Die Feuchtigkeit scheint bei ihrer Entwickelung von wesentlicher Bedeutung zu sein; denn in einer Reihe von trockenen Jahren, in denen die frühe Regenzeit im August gar nicht, die Hauptregenzeit im November und December nur schwach eintritt, hört man nichts von den Wanderheuschrecken. Der Schafzüchter, welcher durch Wassermangel vielleicht den größten Theil seiner Herden verloren hat, begrüßt alsdann das Wiedererscheinen der Heuschrecken mit einer gewissen Freude, als ein Zeichen besserer Zeiten, in denen die periodische Trockenheit vorüber ist, und opfert lieber den geflügelten Plünderern seinen kleinen, mühsam gepflegten Garten, wenn nur die Herden gedeihen und die versiegten Quellen der Farm wieder hervorbrechen.

Im Jahre 1863 endigte eine mehrjährige Periode von Trockenheit in Südafrika, während welcher sich nirgends Heuschrecken gezeigt hatten. Von 1862 bis 1863 drohte der furchtbarste Wassermangel alles Leben zu vernichten, und weit und breit war kein Insekt auf dem tennenartigen Boden zu entdecken; trotz dem brachen am Ende des Jahres 1863, als die Regen in ungewöhnlicher Stärke einsetzen, die Heuschrecken in so zahllosen Massen hervor, wie sie kaum je vorher beobachtet worden waren, und bedeckten als Larven große Länderstrecken. Diese haben im Jugendzustande schwarze Zeichnungen auf braunrothem Grunde, erscheinen daher bunt und werden vom Bör ›Rooi Batjes‹, das heißt Rothröcke oder ›Vötganger‹, Fußgänger, genannt, weil sich bei ihnen schon in der Jugend der Wandertrieb unverkennbar ausspricht. Die erste Benennung enthält zugleich eine feine Anspielung auf die roth uniformirten englischen Soldaten, ein dem afrikanischen Bör besonders verhaßtes Geschlecht, und die Vergleichung wird um so treffender, als die jungen Heuschrecken sich ebenfalls zu Zügen ordnen und geschlossen über die Gegend marschiren. In ihnen günstigen Jahren sieht man ganze Armeen derselben auf dem Marsche, die meist eine bestimmte Richtung einhalten und dieselbe nicht gern aufgeben. Kommen die Thiere anstehendes Wasser, so pflegen sie hindurchzugehen, indem die Nachgänger ihren Weg über die Leichen der Vorgänger fortsetzen, fließendes Wasser dagegen scheuen sie. Am Abend machen die Reisenden Halt, lassen sich auf den Gesträuchen der Nachbarschaft nieder und vertilgen alles Grün. Sieht der Farmer, daß die heranrückenden Scharen eine Richtung verfolgen, welche seinem Garten gefährlich werden könnte, so sucht er dieselben von ihrem Laufe abzulenken, indem er zu Pferde von hinten her in dieselben hineinsprengt und dabei nach rechts und links ein großes Tuch schwenkt. Bei jedem Durchreiten dreht eine Anzahl der Feinde um, und jenes läßt sich so oft wiederholen, bis der ganze Schwarm abgelenkt ist. Reitet man von vorn her in den Zug hinein, so springen sie wohl zur Seite, aber die Nachfolgenden drängen die Vordermänner und es schließt sich der Strom hinter dem Reiter von neuem.

Unter mehrfachen Häutungen wachsen die ›Rothröcke‹ schnell heran, bis sie endlich bei der letzten Häutung ihre bekannte grauröthliche Färbung und die Flügel bekommen, durch welche sie [549] ihrer Reiselust in noch viel befriedigenderer Weise Rechnung tragen können. Im vollkommenen Zustande nennt sie der Bauer ›Springhaaner‹ und schaut ängstlich nach ihnen aus, falls ihm irgend sein Garten lieb ist; denn er weiß, daß ihr Erscheinen Verderben über den Schmuck der Felder bringt. Sieht er die düsteren Wolken der Springhaaner am Horizonte auftauchen, so greift er zum letzten, verzweifelten Hülfsmittel: er zündet um seinen Garten möglichst viele Feuer an, um durch den Rauch die Heuschrecken davon abzuhalten; doch ist auch dieses Mittel häufig nur von geringem Erfolge. Weht der Wind frisch, so ziehen sie hoch und frei und können sicher bedeutende Strecken zurücklegen; denn sie lassen sich dann vollständig treiben, während sie bei mäßiger Luftströmung mehr oder weniger dagegen steuern. Bei Windstille ist ihr Flug nur ein langsames Schwärmen ohne bedeutende Erhebung vom Boden, indem sich aus den vorderen Gliedern stets ein Theil niederläßt und sich hinten wieder anschließt. Das ewige Auf- und Niedersteigen, das Schwirren der Tausende von Flügeln und das Knirschen der gefräßigen Kinnbacken am Boden verursacht ein eigenthümliches, schwer zu beschreibendes Geräusch, welches sich mit dem Rauschen eines starken Hagelschauers noch am besten vergleichen läßt. Auch die Folgen ihres Auftretens gleichen den furchtbaren Wirkungen der eben erwähnten Naturerscheinung«.

Um diesen kolossalen Verlust an pflanzlichen Stoffen wieder etwas auszugleichen, bewahrheitet man an den Zerstörern den biblischen Ausspruch: »Speise ging aus von dem Fresser«, indem Menschen und Thiere dieselben als Nahrungsmittel verwerthen. Die Eingeborenen rösten die Heuschrecken schwach am Feuer und verspeisen sie in unglaublichen Mengen, Hinterbeine und Flügel oder gar nichts übrig lassend. Der Geschmack ist widerlich und die ernährende Kraft sehr gering. Bei Pferden schlagen sie jedoch besser an; denn diese werden fett davon und fressen sie auch gern; merkwürdigerweise ist der Bör ganz allgemein der Ansicht, daß der Genuß von denjenigen Weibchen, welche ihre Eier abgelegt haben, für die Pferde giftige Wirkungen hervorbringe. Schon dem Diodorus Siculus (zu Zeiten des Julius Cäsar) war diese Verwendung der Heuschrecken bekannt; denn er erzählt (3, 28): »Die Heuschreckenesser sind ein afrikanischer Negerstamm an den Grenzen der Wüste, kleine, magere, außerordentlich schwarze Leute. Im Frühlinge führen ihnen die starken West- und Südwestwinde zahllose Heuschreckenschwärme aus der Wüste zu. Diese Thiere sind außerordentlich groß und ihre Flügel haben eine schmutzige Farbe. Sie geben den Eingeborenen das ganze Jahr hindurch reichliche Nahrung und werden auf folgende Art gefangen: Ein großes Thal wird mit wildem Holze, woran im Lande großer Vorrath, bedeckt. Sobald nun die Heuschreckenschwärme kommen, wird es in Brand gesetzt, wodurch ein so gewaltiger Rauch entsteht, daß die über das Thal hinfliegenden Heuschrecken zu Boden fallen. So fährt man mehrere Tage lang fort, bis sich große Haufen von Heuschrecken am Boden gesammelt haben. Diese werden nun eingesalzen und hierdurch vor Fäulnis geschützt; das Land ist nämlich sehr salzreich. Die genannten Leute besitzen weder Vieh, noch andere Nahrungsmittel als Heuschrecken«.

Auch Amerika, besonders das südliche, ist nicht frei von jener Landplage. »Gegen Abend«, erzählt Temple in seiner peruanischen Reise, »hatten wir in einiger Entfernung von uns auf der Fläche des Landes einen ungewöhnlichen Anblick: statt der grünen Farbe des Grases und der Baumblätter in allen Schattirungen bemerkten wir eine gleichförmige rothbraune Masse, so daß einige von uns glaubten, es sei Heide, auf welche die Sonne scheine; in der Wirklichkeit waren es aber – Heuschrecken. Dieselben bedeckten buchstäblich Erde, Bäume und Sträucher so weit das Auge reichte. Die Zweige der Bäume bogen sich unter ihrer Menge wie bei starkem Schneefalle, oder wenn sie mit Früchten überladen sind. Wir passirten mitten durch den von ihnen eingenommenen Raum und brauchten eine volle Stunde, ehe wir an das Ende kamen, während wir mit unserer gewöhnlichen Schnelligkeit reisten –.« Ein Engländer besaß zu Conohos in Südamerika beträchtliche Tabakpflanzungen. Da er bei seiner Niederlassung in jener Gegend gehört hatte, daß sich dann und wann verheerende Heuschreckenschwärme in derselben gezeigt hatten, so vereinigte er alle Tabakpflanzen, vierzigtausend Stück an der Zahl, bei seinem Hause, um sie besser schützen zu [550] können. Hier wuchsen und grünten sie vortrefflich und hatten etwa die Höhe von dreißig Centimeter erreicht, als eines Mittags der Ruf erscholl: »Die Heuschrecken kommen!« Der Pflanzer eilte vor das Haus und sah sie in eine dichte Wolke rund um dasselbe geschart. Der Schwarm verdichtete sich unmittelbar über dem Tabakfelde, fiel plötzlich in dasselbe und bedeckte es so, als wenn ein brauner Mantel darüber gebreitet worden wäre. In etwa zwanzig Sekunden, also nach keiner halben Minute, erhob sich der Schwarm ebenso plötzlich wie er gekommen war und setzte seinen Flug fort. Von den vierzigtausend Tabakpflanzen sah man aber keine Spur mehr. Bei Doob (Kalkutta) bemerkte Playfair auf einem Spazierritte in der Nähe eines Sumpfes eine ungeheuere Menge kleiner schwarzer Insekten, die den Boden weithin bedeckten. Bei näherer Untersuchung erwiesen sie sich als junge Heuschrecken. Es war am 18. Juli 1812, als diese Entdeckung gemacht wurde, und man erinnerte sich sehr wohl, daß vier Wochen früher (20. Juni) daselbst große Heuschreckenschwärme niedergefallen waren. Nach wenigen Tagen rückten diese jungen, ungeflügelten Thiere gegen die Stadt Etaweh vor, zerstörten die Fluren und wurden bald eine so furchtbare Plage, daß keine Anstrengungen der Landleute, selbst Feuer nicht, im Stande waren, sie zu vernichten; denn immer neue Züge kamen angerückt. Noch ungeflügelt hatten sie alle Hecken, alle Mangobäume schon kahl gefressen. Ende Juli entfalteten sie mit dem ersten Regen ihre Flügel, die Köpfe färbten sich dunkelroth, und sie begannen in Schwärmen umherzufliegen, als Winde sie am 31. Juli plötzlich verschwinden ließen. Keine Schilderung von der Erscheinung und den Verwüstungen dieser schrecklichen Kerfe ist so treffend und erhaben als die, welche der Prophet Joel (2, 2-10) gibt, und die dort nachzulesen einem jeden überlassen bleibt.

Quelle:
Brehms Thierleben. Allgemeine Kunde des Thierreichs, Neunter Band, Vierte Abtheilung: Wirbellose Thiere, Erster Band: Die Insekten, Tausendfüßler und Spinnen. Leipzig: Verlag des Bibliographischen Instituts, 1884., S. 549-551.
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