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Von Zucht und Akklimatisation

[192] Als ich in der Mitte der sechziger Jahre meine erste Reise nach England unternahm, sah ich in einer Tierschau, deren Eigentümer Day hieß, einen großen Schimpansen mitten im Winter im Freien sich umhertummeln. Das Tier wälzte sich im Schnee auf dem Dache der Leinwandbude. War es ihm schließlich zu kalt geworden, dann zog es sich in die Bude zurück und suchte einen Platz in der Nähe des Ofens. Der Schimpanse handelte nicht anders als ein Mensch, der die Wärme sucht, nachdem er sich freiwillig und mit Lust ordentlich hat durchfrieren lassen, und zwar in dem Gefühle, daß dies seiner Gesundheit zuträglich sei. Diese kleine Episode gab mir zu denken.

Später beobachtete ich in Münster (Westfalen), wie die Insassen des Affenhauses auch im Winter ins Freie hinausgelassen wurden. Die Außenkäfige waren mit den Innenkäfigen durch Klappen verbunden, welche die Tiere selbst aufhoben, um nach Belieben den Raum zu wechseln. Im inneren Raum herrschte stets eine Temperatur von zehn bis fünfzehn Grad Reaumur Wärme; die Tiere scheuten sich aber nicht, das Freie aufzusuchen, wenn draußen, wie es einmal vorgekommen ist, zwanzig Grad Kälte herrschte.

Zum Nachdenken über die Frage, ob die Tiere wärmerer Länder zu ihrem Vorteil auch unserer winterlichen Temperatur ausgesetzt werden dürften, bin ich seit Beginn meiner Laufbahn angeregt worden. Der Gedanke war schon lange in mir geformt, zum Entschluß aber, zur Ausführung verhalf mir wieder die liebevolle Beobachtung meiner Tiere und der Zufall. Es war noch in den Anfängen meines Instituts am Neuen Pferdemarkt, als ich eines Tages im September einen Saruskranich aus Indien bekam, diesen schönen, großen, blaugraugefiederten Vogel, mit seinen lebhaft gefärbten, roten Backen. Das Tier war im offenen Gehege, am sogenannten[193] Seehundeteich, untergebracht und blieb auch dort bis zum Anfang des Winters. Eines Tages mußte ich, wie so oft in meinem Leben, unvorbereitet verreisen. Als ich nach etwa einer Woche zurückkehrte, hatte der Winter begonnen. Es war aber schon spät in der Nacht, ich, müde von der Reise, sehnte mich nach dem Bett und versäumte es einmal, meiner sonstigen Gewohnheit zuwider, die abendliche Revision unter meinem Tierbestande zu halten. Morgens früh weckte mich der unverkennbare charakteristische Schrei meines Kranichs. Ich fuhr aus dem Bett und sah durch die mit Eisblumen bedeckten Fenster zu meinem Schreck in einen kalten Wintermorgen hinaus. Das Thermometer am Fenster zeigte sechs Grad Reaumur unter Null. Mein armer Kranich, dachte ich, er wird zu einem Eisklumpen erstarrt und mit abgefrorenen Beinen auf dem harten Boden liegen. Ich stürzte notdürftig bekleidet hinaus, und man denke sich meine freudige Verwunderung, mein Erstaunen über den Pfiffikus von Kranich, der mich wegen meiner Sorge und meines Mitleids gewissermaßen auszulachen schien. Froh herumspringend und tanzend, seine lauten Kriegsrufe in die klare Winterluft schmetternd und mit den Flügeln flatternd, begrüßte er mich. Siehe da, dachte ich mir, mein lieber Kranich, wenn dir's bei sechs Grad Kälte so gut geht, wollen wir nicht so törichtes Mitleid haben, dich wegen unseres Winters deiner schönen Freiheit zu berauben, und dir nicht die stärkende Kur frischer Winterluft entziehen! Ich richtete ihm in seinem Gehege eine windgeschützte, aber nach der Südseite offene Ecke zum Lager ein, die mit Stroh beschüttet wurde. Der Winter blieb andauernd kalt und streng, meinem Kranich fiel es aber nicht einmal ein, die Windschutzecke zum Quartier zu nehmen. Ob Wind und Sturm, ob Schnee, Regen oder Hagel, mein Kranich blieb draußen und gedieh dabei ganz prachtvoll. Diesem Kranich verdanke ich den ersten Anstoß zu meinem jetzt systematisch ausgebauten System der Freiheit.

Nach diesen Beobachtungen begann ich meine eigenen Akklimatisationsversuche, die inzwischen einen großen Umfang angenommen haben und bei der Gründung des Tierparks in Stellingen erst[194] mit Erfolg zur Ausführung kamen. Die Kunst des Akklimatisierens fremdländischer Tiere ist als eine Grundbedingung des Tiergeschäfts schon vom ersten Import wilder Tiere an geübt worden, wenn auch zuerst nur tastend und ohne bestimmte Systeme. Die praktische Tierpflege mußte darauf bedacht sein, Mittel und Wege zu finden, die in eine fremde Umgebung versetzten Geschöpfe an die neuen Lebensverhältnisse, an das veränderte Klima und an das künstlich bereitete Futter zu gewöhnen. Es ist sehr schwer, sich die ungeheure Umwälzung zu veranschaulichen, die mit der Gefangensetzung und Verpflanzung wilder Tiere aus Urwald und Steppe einhergeht. Draußen schweift das Raubtier frei durch den Raum, und in seinem Wesen entfalten sich Mut, Verschlagenheit und Kraft, denn täglich oder nächtlich muß es die Beute aufspüren und anschleichen und sie im Kampfe überwinden. Für die Betätigung seiner hauptsächlichsten Wesenseigenheiten ist plötzlich kein Raum mehr, selbst die Bewegungsfreiheit, die es für seine Gesundheit am dringendsten braucht, ist eingeschränkt. Der Pflanzenfresser der Steppe oder des Waldes, die Giraffe, der Elefant, die leichte Gazelle, gewohnt, in Rudeln zu leben und weite Strecken zurückzulegen, sieht sich plötzlich von der freien Natur getrennt und zur Einzelhaft verurteilt. Alle Lebensgewohnheiten erleiden eine Störung, die Willensfreiheit wird gehemmt. Es ist klar, daß durch diesen Wechsel von natürlichen Verhältnissen sich leicht Körperschwäche, Krankheiten und Lebensunfähigkeit einstellen. Häufig macht sich bei frischgefangenen Tieren eine durch die ungewohnte Umgebung hervorgerufene seelische Depression bemerkbar, die der Gegenmittel bedarf. Hochentwickelte Tiere, besonders die Gorillas, gehen ja ersichtlich zuweilen direkt an Heimweh zugrunde.

Allen diesen feindlichen Kräften hat die Akklimatisation entgegenzuarbeiten. Die Akklimatisationsfähigkeiten der einzelnen Tierarten sind grundverschieden, und in jeder Art reagieren wieder die einzelnen Individuen verschieden auf die mit ihnen gemachten Versuche, wenn sich auch allgemeine Grundzüge nicht verkennen lassen. Am leichtesten gewöhnen sich die Tiere großer kontinentaler[195] Flächen an ein anderes Klima, da sie von vornherein durch die Differenz in der Temperatur von Tag und Nacht abgehärtet sind. Je nachdem es sich um Kontinentaltiere, Hochgebirgstiere, Bewohner der Steppen oder Meerestiere handelt, ist der Grad der Anpassungsfähigkeit an neue Verhältnisse anders.

Schon in den siebziger Jahren begann ich in meinem Tierpark auf dem Neuen Pferdemarkt mit Akklimatisationsversuchen an Giraffen und Elefanten. Schon damals machte ich die Erfahrung, daß niedrige Temperaturgrade den Tieren keinen Schaden zufügen. Der Winter war damals so hart, daß trotz angestrengten Heizens die Temperatur im Giraffenstall eine Wärme von vier Grad Reaumur nicht überschreiten wollte. Während der Nacht ging die Temperatur auf drei Grad zurück. Die Giraffen litten aber durchaus nicht.

Die Erfahrungen und Beobachtungen, die ich im Laufe der Jahre sammelte, und die Gedanken und Ideen, die sich aus ihnen entwickelten, in die Praxis umzusetzen, blieb aber jener Zeit vorbehalten, in welcher ich an die Gründung meines Tierparadieses gehen konnte. Ja, einer der Hauptzwecke meines ganzen Stellinger Unternehmens war die Ausführung von Akklimatisationsversuchen sowie die Schöpfung von Neueinrichtungen für zoologische Gärten. Ich ließ mich dabei von dem Grundsatz leiten, daß vor allem das Tier in den Vordergrund treten müsse, während den zur Beherbergung und zum Schutze nötigen Aufenthaltsräumen und Gehegen nur eine Nebenrolle zuzufallen brauche. Der Hauptnachdruck wurde auf die Herstellung solcher Parkanlagen gelegt, die den Tieren die Ausübung ihrer Lebensgewohnheiten, soweit es nur zu erreichen war, ermöglichte.

Vor drei Jahren langte im Herbst, Anfang Oktober, ein Import junger Strauße aus Afrika in Stellingen an. Diese Tiere wurden aber nicht, wie sonst wohl um diese Jahreszeit üblich, in geschlossene und geheizte Räume gebracht, sondern direkt ins Freie gesetzt. In einem großen Laufraum stand ihnen zum Schutz eine Holzhütte zur Verfügung, in die sich die Strauße des Nachts zurückziehen konnten. Die Vögel wurden während des ganzen Winters auf diese[196] Weise gehalten und überstanden Temperaturen, die einige Male unter zehn Grad Reaumur sanken, sehr gut. Am 1. Januar 1906 gelangten die Strauße bei einer Kälte von vierzehn Grad Reaumur ins Freie, wo sie von zehn Uhr vormittags bis drei Uhr nachmittags verweilten, zwölf Exemplare, und mit Staunen beobachtete ich, wie einige dieser afrikanischen Vögel in dem zwanzig Zentimeter tiefen Schnee ein Bad nahmen.

Selbstverständlich ist es notwendig, daß die Tiere Gelegenheit haben, sich in jedem Augenblick ganz nach Belieben in ihr Schutzhaus zurückziehen zu können. In diesem Schutzraum wurde eine zehn Zentimeter dicke Schicht von Torfmull gestreut und darüber reichlich Stroh. Zum Zwecke der Luftzufuhr waren die Fenster der Holzhütte Tag und Nacht offen, so daß es auch während der Nacht darin empfindlich kalt blieb. Während des ganzen Winters mußten die Tiere nur acht Tage lang im Stall bleiben, und zwar des Glatteises halber, das die Gefahr des Ausgleitens und Stürzens der Tiere mit sich brachte. Während dieser Zeit ging ein Exemplar zugrunde, nachdem es sich in der Hütte beim Umherspringen ein Bein gebrochen hatte.

Um alle Akklimatisationsversuche mit Aussicht auf Erfolg durchführen zu können, wurden die Anlagen in meinem Tierpark von vornherein zweckentsprechend durchgeführt. Akklimatisationsstallungen wurden geschaffen, die mit mancherlei Schutzvorrichtungen ausgestattet sind. Hierher gehören freistehende Dächer, unter denen die Tiere draußen in der Luft auf trockenem Lager liegen können, ohne durch Regen und Schnee belästigt zu werden; einige Häuser besitzen winkelig angelegte Zugänge, in denen sich der Wind fängt, um auf diese Weise die direkte Zugluft von den im Stalle ruhenden Tieren abzuhalten. Die Türen liegen seitwärts, führen erst in einen Gang und von hier aus in den eigentlichen Stallraum. Diese Stallungen sind nicht heizbar, die Türen bleiben Sommer und Winter, Tag und Nacht offen, und es ist den Tieren selbst überlassen, nach eigenem Bedürfnis ins Freie zu treten oder im Stalle zu bleiben. Eine natürliche Wärmevorrichtung ist aber dennoch[197] vorhanden. In diesen Akklimatisationskammern läßt man den Mist der Tiere etwa einen Fuß hoch liegen und bedeckt ihn täglich mit trockener Streu. Die durch die Zersetzung des Mistes entstehende Wärme gewährt den Tieren ein warmes Lager, und die frische Luft, welche durch den Stall streicht, hält die obere Streuschicht stets trocken.

Auch mit Raubtieren wurden die gleichen Versuche angestellt. Dabei zeigte es sich, daß die Löwen und indischen Königstiger die Kälte in freier Umgebung, wie sie ihnen durch die Raubtierschlucht des Tierparkes geboten wurde, vortrefflich ertrugen. Es befindet sich allerdings in dem hinter der Schlucht gelegenen Raubtierhaus eine Heizvorrichtung, die aber nur an den kältesten Tagen dazu benutzt wurde, den Raum zu erwärmen, das heißt frostfrei zu halten; die Tiere gingen täglich ins Freie und liefen bei Schnee und Regen im Freien umher. Ein indischer Leopard hatte sich derart an die Kälte gewöhnt, daß er nur selten seinen Schutzraum aufsuchte, sondern die größte Zeit des Tages im Winter auf einem Baumast im Freien liegend zubrachte. Auffallend war der Einfluß des Aufenthalts im Freien bei zwei jungen Löwen, die zuerst im geschlossenen Raum untergebracht waren, hier aber andauernd kränkelten und nicht gedeihen wollten. Sie wurden in einen geräumigen Kasten gebracht und ins Freie gestellt; eine einfache Kiste diente ihnen als Schutzraum. Von Stund an erholten sich die Tiere und haben sich jetzt prachtvoll entwickelt. Es ist meine Absicht, mit den Jahren auch Schluchten für Leoparden, Panther, Pumas und Tiger in meinem Tierpark anzulegen.

Diese Versuche werden sich auf ein hochinteressantes Gebiet begeben, wenn der Bau mehrerer großer, zweckentsprechender Affenhäuser fertiggestellt ist. Bisher liegen hier noch keine nennenswerten Resultate vor, mit Ausnahme von Versuchen an zwei Orangs, die bereits in hohem Grade akklimatisiert sind. Als diese Tiere, die von der Westküste Borneos stammen und bereits drüben sechs Jahre lang in der Gefangenschaft gehalten wurden, nach Stellingen gelangten, wurden sie ohne weiteres in einem großen, nach Süden[198] offenen Wagenkäfig untergebracht, in welchem ihnen nur ein Kasten als Schutzraum zur Verfügung stand. Täglich gingen die Affen mit ihrem Wärter im Park spazieren und blieben bei ungetrübter Gesundheit.

Die Reihe der Tiere, welche sich unseren Gewöhnungsversuchen geneigt zeigen, ist mit diesen Beispielen noch lange nicht erschöpft. Der Winter in meinem Tierpark zeigte eine fast ebenso lebhafte Bewegung wie der Sommer. Saruskraniche, Kronenkraniche, numidische Kraniche, viele ausländische Fasanen, australische Trauerschwäne laufen während des ganzen Winters im Freien umher. Marabus und Ibisse halten Temperaturen von fünf Grad Kälte aus. Australische Gangakakadus und Araras halten es noch nicht für nötig, sich in ihre Innenkäfige zurückzuziehen, wenn die Temperatur auf acht Grad Kälte sinkt. Selbstredend wird es nicht möglich sein, viele kleine aus den Tropen stammende Säuger und Vögel, namentlich aber Reptilien und Amphibien, zu akklimatisieren, dennoch wird bei fortgesetzten Versuchen noch manche Überraschung zu gewärtigen sein.

Als Grundgesetz der Akklimatisation hat mir stets die Forderung zu gelten, daß den Tieren große, geräumige Gehege und Zwinger geboten werden, in denen sie sich Bewegung verschaffen können. In Stellingen habe ich versucht, den einzelnen Tiergattungen Aufenthaltsplätze zu schaffen, die den Lebensgewohnheiten und der Herkunft der Tiere entsprechen und ihnen die Freiheit vortäuschen. Hierbei ist auf die seelische Stimmung der gefangenen Geschöpfe Rücksicht genommen. Tiere, welche mit ihresgleichen zusammen oder mit andersgearteten Geschöpfen in großen Gehegen gehalten werden, bleiben munter und gewöhnen sich an unser Klima weit schneller und besser, als wenn man sie in Einzelhaft hält. Die Langeweile ist auch bei gefangenen Tieren der schlimmste Feind der Gesundheit. Die Necklust und Spiellust wird angeregt, durch Bewegung wird der Appetit gefördert, und der Körper behält seine Elastizität. Neben großen Laufplätzen, welche den flüchtigen Tieren des Waldes und der Steppe Raum bieten sich auszutoben, sieht[199] man deshalb in Stellingen auf wellig erhöhtem Gelände Wiesenanlagen, auf denen zahlreiche Tiere verschiedener Art vereinigt sind, obschon alle bei ungünstiger Witterung ihre Schlupfwinkel vorfinden; daneben steigen Felsenanlagen in die Luft empor, belebt von Gebirgstieren des Südens und Nordens; auf einem Felsplateau sieht man ein Rudel von Rentieren stehen, von ihrer Heimat her daran gewöhnt, sich dem Winde auszusetzen; Eisbären klettern auf einem Gestein umher, das dem Eisgeschiebe nachgebildet ist, und große Teichanlagen mit zahlreichen Unterschlupforten bieten den Stelz- und Schwimmvögeln, den Robben und Pinguinen Gelegenheit, sich zu akklimatisieren.

Nach den praktischen Erfahrungen der neuen Zeit läßt sich ein zoologischer Garten heute viel billiger herstellen, als dies früher der Fall war. Die großen, kostspieligen massiven Häuser und die ebenso kostspieligen Heizungsanlagen sind überflüssig geworden. Viel einfacher und, was die Hauptsache ist, viel praktischer lassen sich die Bauten bei unvergleichlich geringeren Kosten anlegen. Ich hoffe, daß es gar nicht mehr lange dauern wird, bis man in allen Städten, die etwa eine Einwohnerzahl von hunderttausend Menschen haben, auch einen zoologischen Garten im Verhältnis zur Einwohnerzahl errichtet, da dies bei praktischer Anlage ohne jedes Risiko unternommen werden kann.

Bei den Schilderungen der Akklimatisationsversuche bin ich zu einem Gebiet gelangt, welches mit jenem in engster Verbindung steht, dem der Zucht und Rassenkreuzung, das in meinem Unternehmen einen großen Raum einnimmt und in Zukunft noch einen größeren beanspruchen wird. Außerordentlich hat sich in den letzten Jahren als besonderer Zweig unseres Unternehmens der Handel mit jagdbarem Wild zur Blutauffrischung für unsere Forsten sowie der Import und Export von Haus- und Nutztieren entwickelt. Neben Fragen der Akklimatisation spielen demgemäß Fragen der Zucht eine erste Rolle. Die an wilden Tieren in der Gefangenschaft gemachten Erfahrungen in Pflege, Zucht und Akklimatisation kommen auch den Haustierrassen zugute. Der Blick für die Auswahl[200] der Rassen schärft sich, wenn über das Wesen der Akklimatisation durch Versuche an wilden Tieren Erfahrung eingesammelt ist. Neben der Heranziehung wildlebender Tiere, die sich unseren Haustierrassen zugesellen lassen, sollte man in hohem Maße auf das einheimische Vieh der Eingeborenen unzivilisierter Länder achten. Diese trotz der Zucht der Menschen mehr oder minder im Naturzustand befindlichen Tiere sind, weil sie lange nicht in dem Maße wie unser einheimisches Vieh aus dem Zusammenhang mit der Natur gerissen wurden, weit widerstandsfähiger dem Klima gegenüber. Das Studium ihrer Produktionsfähigkeiten und eine richtige, den gewünschten landwirtschaftlichen Zwecken entsprechende Auswahl einheimischer Haustierrassen wird durch Kreuzung sicherlich ein brauchbares Viehmaterial liefern. So wird unter anderem in Stellingen der Einfuhr von indischen Zebus für Kreuzungszwecke nach Argentinien und Brasilien besondere Aufmerksamkeit geschenkt. Durch die Kreuzung mit Zebublut wird die Zugtüchtigkeit vermehrt und werden gute Arbeitstiere erzeugt. Alle diese Fragen sind für die Landwirtschaft von großem Interesse.

Seit Jahren werden Versuche von mir gemacht, die riesigen Wildschafe, welche in Innerasien vorkommen, zum Zwecke der Kreuzung mit unseren Hausschafen in Europa einzuführen. Wiederholt war es mir gelungen, große Wildschafe, von denen einzelne ein Gewicht von fünfhundert Pfund erreichten, sowie auch Schafe kleinerer Rassen zu importieren, doch sind die Versuche leider nur mit den kleinen Arten geglückt. Die Vertreter der großen Arten gingen stets bald ein, weil sie sich unserm Klima und den veränderten Verhältnissen nicht mehr anzupassen vermochten. Diese Überzeugung brachte mich vor fünf Jahren zu dem Entschluß, ebenso wie die Wildpferde auch diese Wildschafe in ganz jugendlichem Alter einfangen zu lassen. Zu diesem Zwecke sandte ich Expeditionen nach Innerasien; unter ungeheuren Schwierigkeiten wurden auch junge Tiere erbeutet, aber alle gingen auf dem Transport zugrunde.

Die Erfahrung ist freilich nicht neu, sie hat sich vielmehr bei allen Importen von Wild aus Innerasien wiederholt. Aber ebenso,[201] wie es schließlich gelang, Wildpferde, Hirsche, Rehe, Steinböcke und so weiter einzuführen, so wird es auch gelingen, das Wildschaf lebend und gesund zu importieren. Die ersten Rehe, welche von meinen Reisenden aus Sibirien geholt wurden, waren ausgewachsene Exemplare, die man während des Winters im Schnee gefangen hatte. Sie kamen freilich lebend in Norddeutschland an, ebenso die großen sibirischen Maralhirsche, große, herrliche Tiere, aber innerhalb eines Jahres gingen diese Tiere größtenteils zugrunde. Nach diesen Erfahrungen lasse ich jetzt Hirsche sowohl als Rehe nur noch in jungen Exemplaren bringen und zu meiner Freude mit so gutem Erfolg, daß unsere Jagdliebhaber in nicht allzu ferner Zeit eines großen Vorteils gewärtig sein dürfen.

Sehr gut vorwärts kommen auch die sibirischen Rehe, die nur noch in jungen Exemplaren eingeführt werden, sich gut halten und auch fortpflanzen. Verschiedentlich sind diese Tiere auch mit Erfolg mit unserem einheimischen Rehwild gekreuzt worden.

Als enorm fruchtbringend hat sich bereits der Import der Mongolfasanen erwiesen. Durch die Kreuzung von Mongolfasanen mit den gewöhnlichen Jagdfasanen hat man ganz wunderbare Erfolge erzielt, denn die Bastarde sind um reichlich dreißig Prozent schwerer an Gewicht als die bisher gezüchteten Jagdfasanen. Wenn man zu Rate zieht, daß in England alljährlich Hunderttausende von Fasanen geschossen werden, so kann man es sich beinahe ausrechnen, welchen enormen Vorteil diese Kreuzung der Jagdfasanenzucht gebracht hat und fortwährend bringt.

An dieser Stelle wäre noch der Kreuzungsprodukte zwischen Zebra und Pferd, sowie Pferd und Esel, der Zebroiden und Maultiere, Erwähnung zu tun, die weit mehr Aufmerksamkeit verdienen, als ihnen in Deutschland gewidmet wird. Die Zebroiden sind sehr leistungsfähig und ebenso ausdauernd wie Maultiere, die sich in Deutschland auch mehr einbürgern sollten. Die Amerikaner verstehen die Maultierzucht besser zu würdigen, denn nach statistischen Angaben, die mir zu Gesicht kamen, werden alljährlich über eine Viertelmillion dieser Tiere in den Vereinigten Staaten gezüchtet.

Quelle:
Hagenbeck, Carl: Von Tieren und Menschen. Leipzig 1967, S. 192-202.
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