Kapitel XVII.
De musica
oder
Von der Musik

[80] Derowegen müssen wir von der Musik reden, von welcher aus den griechischen Skribenten der Aristoxenus weitläuftig geschrieben und gesagt hat, die Musik wäre die Seele, und dessen Lehrsprüche hernach von Boëthio auf die Lateiner gekommen. Ich rede aber letzt von der Musik, welche in der Stimme und Klange, nicht aber von derselben so in Rhythmen und Versen bestehet, welche man die Poesie oder Erdichterkunst nennet, und die nach Ausspruch des Alpharabii nicht in dem Nachsinnen und in der Vernunft, sondern in lauter Raserei bestehet, wovon wir gedacht haben. Aber die, welche in Modulationen bestehet, weiss die Wörter auf feine Art und nach den Ohren zusammenzusetzen, denn sie handelt vom Klang, vom Takt und gewissen Weisen oder Melodien. Diese haben die Alten geteilet in enharmonicam, chromaticam und diatonicam. Die erste Art haben sie wegen verborgener Schwierigkeit recht zu erfinden für unmöglich gehalten, und sie derowegen verlassen. Die andere haben sie wegen ihrer Leichtfertigkeit verachtet und sich davon losgesaget; die letzte aber, als welche sie den Weltweisen nicht[80] zuwider zu sein erachtet, haben sie in ihrem Wert gelassen. Es sind ihrer auch vor alters gewesen, welche ihre musikalischen Arten mit der Stämme Namen unterschieden und geteilet haben, als in Phrygium, Lydium, Dorium, und hat die Sappho Lesbia die vierte Art hinzugesetzet; nämlich Mixolydum, dessen Erfinder meinen andere sei der Thersandrus, andere der Pfeifer Pythoclides gewesen; der Lysias aber hat den Lamproclem, einen Athenienser, für den Erfinder gehalten; und solche Arten hat die Autorität der Alten für die berühmtesten angemerket, und ihr Tun ein Corpus aller freien Künste, die gleichsam als ein Umfang der Wissenschaften alle Disziplinen unter sich begreifet, genennet. Dahero sagt Plato, die Musik kann ohne Gesamtwissenschaft nicht traktiert werden. Unter diesen vier Arten aber wollen sie die phrygische, weil solche die Gemüter gar zu sehr zu sich gezogen und verwirrt gemachet habe, nicht billigen, sondern sie wird von dem Porphyrio für barbarisch gehalten, weil sie sonderlich zur Erweckung Streites und Raserei geschickt ist. Dahero nennen andere diese Art Bacchicum, nämlich eine tolle, unsinnige und ungestüme Art. Wir lesen, dass diese die Lazedämonier und Cretenser zum Krieg angereizet habe. Durch diese hat Thimotheus den König Alexander zum Waffen gebracht.

Durch diese, nämlich die phrygische Musik, ist ein Jüngling Taurominitanus, wie Boëthius erzählt, ein Haus, darinnen eine Hure verborgen gewesen, abzubrennen bewegen worden. Die lydische billiget auch der Plato nicht, als welche mit einem Geschrei von der dorischen Bescheidenheit und Ehrbarheit etwas abweicht, jedoch, wie andere sagen, wäre auch dieses angenehm denjenigen, welche von Natur lustig sind. Dahero haben sich mit dieser die lustigen lydischen Völker sehr delektieret, welche die Tusci, als lydische Abkommen, mit ihren musikalischen Sprüngen auch gebrauchet haben. Die dorische aber, als die gravitätische[81] und ehrbarste, und welche zu Erweckung guter Affekten und Bewegungen des Leibes am besten geschicket und dem menschlichen Leben am meisten nützlich ist, haben sie allen andern vorgezogen. Derowegen ist diese bei den Cretensern, Lazedämoniern und Arcaden in grossen Ehren gehalten worden. Auch der Feldherr Agamemnon, als er nach dem trojanischen Kriege gereist, hat er einen dorischen Musicum zu Hause gelassen, welcher mit einem spondäischen Rhythmus die Klytaemnestram bei der Keuschheit erhalten, daher von dem Aegystho nicht eher hat können geschändet werden, bis dieser den Musicum leichtfertigerweise hat ums Leben gebracht. Die myxolidische aber, sagt man, solle geschickt sein zu Tragödien und Trauerspielen, und soll eine Kraft einer gählingen Veränderung und Traurigkeit mit sich führen.

Dieses sind die Arten, welchen andere noch mehr, die sie erfunden haben wollen, an die Seite setzen, nämlich Hypodorium, Hypolydium und Hypophrygium, dass sie gleichsam an Zahl mit den Planeten übereinkommen sollen.

Und ob man gleich bekennen muss, dass diese Kunst nicht wenig Lieblichkeit in sich begreifet, so ist doch die allgemeinste Meinung und gilt es bei allen die Erfahrenheit, dass es ein Exertitium sei geringer Leute, die von schlechtem Gehirne sind und nicht hoch zu steigen gedenken, und die weder im Anfangen noch im Aufhören keine Masse halten. Wie von dem Pfeifer Archabio gelesen wird, welchem man mehr geben musste, dass er aufhören als dass er fortpfeifen sollte. Von dergleichen importunen Musikanten schreibet Horatius auf solche Art:


Omnibus hoc vitium est cantoribus, inter amicos

Ut nunquam inducant animum cantare rogati,

Injussi, nunquam desistant.


Das ist: Alle Sänger haben dies Laster an sich; wenn sie von einem guten Freunde zu singen ersuchet werden, wollen sie es nicht tun, wenn man es aber nicht begehret, blöcken sie einem mehr vor als ihm lieb ist[82] oder als er gerne höret. Dahero hat die Musik nur bloss ums Lohn und gewissen Sold allezeit in der Welt berumvagieret, und ist ein Schützling der Hurenherberg, welcher sich niemals ein rechtschaffener Mann beflissen hat. Derowegen die Griechen diejenigen, so solcher nachgegangen, insgemein Meister des Gottes Bacchi, oder, wie Aristoteles saget, Schmaussekünstler genennet haben, welche meistenteils übel gezogen sind, und ihr Leben zubringen teils unmässig und unzüchtig, teils auch armselig und elend, aus welcher Kunst diese Laster geboren und vermehret werden. Die Könige der Perser und Meder haben die Musicos unter die Schmarutzer und Gaukler gezählet, und haben von ihren Werken sich zwar Lust erwecket, alleine sie selbst sind von ihnen verachtet gewesen.

Der weise Antisthenes, als er gehöret hat, dass einer ein trefflicher Pfeifer sei, hat er gesaget: das mag wohl ein böser Bube sein, denn wenn er fromm wäre, so wäre er kein Pfeifer, und ist diese Kunst nicht für nüchterne und fromme, sondern für Müssiggänger, Possenreisser und volle Leute. Diese hat der Scipio Aemilianus und Cato als eine, so den römischen guten Sitten ganz zuwider, verachtet. Dahero haben sie es dem Augusto und Neroni für eine Schande ausgedeutet, dass sie der Musik etwas zu sehr sind ergeben gewesen. Wiewohl Augustus, als er sich deswegen gestraft befunden, davon abgelassen; der Nero aber, welcher derselben immer mehr und mehr nachgefolget, ist von dem Volke verachtet und verspottet worden. Der König Philippus, als er einstmals gehöret, dass sein Sohn an einem gewissen Orte schön gesungen, hat er ihn gescholten und gesaget: »Schämest du dich nicht, dass du so wohl singen kannst; denn einem Fürsten ist schon genug und mehr als zuviel, wenn er nur soviel müssige Zeit hat, dass er andere kann singen hören.«

Bei den griechischen Poeten hat der Gott Jupiter niemals gesungen, noch die Zither geschlagen; Pallas[83] hat die Flöte verfluchet. Bei dem Homero hat ein Zitherschläger auf der Zither geschlagen und haben die Alcyones und Ulysses zugehöret; bei dem Virgilio hat Jopas gesungen, Dido und Aeneas aber zugehöret. Als Antigonus, der Hofmeister des jungen Alexandri Magni, den Alexandrum Magnum hat singen hören, hat er seine Zither zerbrochen und von sich geworfen und gesaget: dir kommt zu, zu regieren, und nicht zu singen. Die Ägyptier, wie Diodorus bezeuget, haben die Musik als ein weibisch Werk, welches rechtschaffenen Männern nicht anstehet, ihrer Jugend zu lernen verboten; und Ephorus, wie Polybius schreibet, hat dafürgehalten, dass diese Kunst zu keinem andern Ende, als die Leute auszulachen und zu betrügen, erfunden wäre. Aber, die rechte Wahrheit zu sagen, was ist doch unnützlicher, verächtlicher und mehr zu meiden als die Pfeifer, die Sänger und andere dergleichen Art Musici, welche mit allen ihren schwierigen Gesangskünsten das Zwitschern aller Vögel übertreffen, auch gleichsam durch eine vergiftete Süssigkeit, wie die Sirenen mit ihrem leichtfertigen Singen, Scheingebärden und Klang der Menschen Gemüter zu bezaubern und einzunehmen trachten? Dahero haben der tapfern Thrakier Weiber den Orpheum verfolget, weil er mit seinen Gesängen die Männer ganz weibisch gemachet.

Ist was Sonderliches den Fabeln zuzuschreiben, so soll der Argus einen Kopf, mit hundert Lichtern oder Augen umgeben, gehabt haben, welche alle doch durch Klang einer Pfeifen sind ausgelöschet und verdunkelt worden. Aber gleichwohl rühmen sich die Musici, dass sie die Gewalt über die Redner selber hätten und stärker die Affekten der Menschen movieren könnten; ja, diese hat die Unsinnigkeit so hoch getrieben, dass sie sagen, die Himmel pflegten selbsten zu singen, jedoch mit einer solchen Stimme, die von keinem Menschen jemals wäre gehöret worden, nur aber was ihnen, den Musicis durch ihre Evoe taumelnd und gleichsam im Schlaf wäre kund gemachet worden. Inzwischen[84] aber ist keiner von den Musicis vom Himmel kommen, der so perfekt gewesen wäre. Sie sagen, diese Kunst sei unter allen die vollkommenste, und welche alle die andern Disziplinen unter sich habe und die ohne alle andern nicht könnte traktieret werden. Sie schreiben ihr eine Kraft zu zu weissagen, durch welche man des Menschen Art, Affekten und Sitten leicht judizieren könne, ja sie sagen auch, dass solche unendlich sei, und könnte durch keines Menschen Nachsinnen erschöpfet werden, sondern es kämen täglich neue Weisen und Arten zu singen am Tag. Dahero hat vielleicht der Anaxilas nicht übel geredet, wenn er gesaget hat: Musica per Deos perinde atque Lybia semper quotannis novam feram parit. Das ist: Die Musik bringt jährlich durch die Götter was Neues, gleich wie Lybien jährlich ein neu wild Tier hervor.

Die Kunst hat der Athanasius wegen ihrer Vanität in Kirchen verboten. Der Ambrosius aber, der auf die Pracht und Zeremonien etwas mehr gehalten, hat solche wieder eingesetzet. Der Augustinus, welcher das Mittlere ergriffen, hat bekannt, dass bei ihm dieser Sache wegen nicht wenig Zweifel entstanden. Heutiges Tages aber ist in den Kirchen der Musik wegen so eine Lizenz und Freiheit, dass auch bei dem Sang der Messe garstige Lieder auf der Orgel geschlagen werden, und also, das sie das Gebet und heilige Amt nicht in Ehren halten, sondern mit ihren leichtfertigen und ums Geld gekauften Musikanten nicht zur Aufmerkung und Andacht, sondern zur Hurerei, nicht mit Menschenstimmen, sondern bestialischem Geschrei Anlass geben. Wenn sie rechtschaffen singen sollen, so quieken die Knaben den Diskant, teils brüllen den Tenor, teils bellen wider den Takt, teils mauen wie ein Ochse den Alt, teils knirschen mit den Zähnen den Bass und machen, dass zwar ein gross Geschrei und Getöne gehört wird, aber von dem Text verstehet niemand nichts, also wird zugleich den Ohren und dem menschlichen Nachsinnen ihre natürliche Art benommen.[85]

Quelle:
Agrippa von Nettesheim: Die Eitelkeit und Unsicherheit der Wissenschaften und die Verteidigungsschrift. München 1913, Band 1, S. 80-86.
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