Kapitel LXXVII.
De venatica et aucupio
oder
Vom Jagen und Vogelstellen

[15] Gleichwie nun die Fischerei, also erfordert auch das Jagen und Vogelstellen einen Verstand; bei diesen muss man Stärke des Leibes haben und dabei gebrauchen Jägernetze, Fallen, Sprenkel, Stricke, Schlingen und andere listige Stückchen und Betrügereien. Bei dem Vogelstellen muss man sich des Vogelleims, wie auch der Adler, Habichte, Hunde, Luchsen und anderer Tiere, die zum Raub und Jagen geschickt sind, gebrauchen. Aber fürwahr eine verfluchte Kunst, eine eitle Beschäftigung, und ein unglückseliger und nichtswürdiger Kampf, mit solchen Bestien von Nacht zu Tage zu streiten und mit solcher Arbeit und vielen Nachtwachen in das unvernünftige Vieh hinein zu wüten; eine grausame und ganz traurige Kunst, welcher Blutvergiessen und Totschlag, davor die Menschlichkeit einen Abscheu haben soll, eine Lust ist. Diese Kunst haben von Anfang der Zeiten die ärgesten Missetäter und grössten Sünder exerzieret. Denn wir lesen in der Heiligen Schrift, dass Kain, Lamech, Nimrod, Ismaël und Esau mächtige Jäger gewesen, und dass im Alten Testament niemand die Jägerkunst exerzieret[15] habe, als die Ismaëliten und Idumäer und diejenigen Völker, die Gott nicht erkennet haben. Die Tyrannei hat von der Jägerei ihren Anfang, denn sie hat keine besseren Erfinder haben können, als welche mit Marter und Totschlag der wilden Tiere, und mit Blutpfützen Gott und die Natur verachten gelernet haben. Doch haben die Könige in Persien die Jägerei, als ein scharfes Nachsinnen oder Vorübung zum Kriege zu gebrauchen, in Ehren gehalten; denn die jägerischen Streite und Kriege nahen was Grausames an sich, indem die Jäger an den räuberischen Hunden, an den preisgegebenen wilden Tieren, am Blutvergiessen und am Zerreissen der Kaldaunen ihre Lust büssen, und oftermals so einen schändlichen und harten Tod mit höchster Lust, als wann es nur ein Scherz wäre, anschauen. Der greuliche Weidmann lachet dazu und nimmet mit seinem Hundeheer und Jägernetzen den unglückseligen Raub, wie einen wahren Triumph, als wann er den grössten Teil der Welt überwunden hätte, mit nach Hause; und da gehet erst das rechte Schinden an, und da muss nun das arme wilde Tier mit sonderlichen Handgriffen, mit gewissen Weidsprüchen und mit vorgeschriebenen Worten (denn so und nicht anders muss man hier reden) ausgeweidet und geschunden werden. Fürwahr eine schöne jägerische Torheit, und ein schöner Krieg; wer sich darinnen berühmt machet, und in demselbigen sich fleissig exerzieret, der kann die menschliche, angeborene Humanität leicht abziehen, und durch diese grausamen leichtfertigen Jägersitten, wie der Actäon, die Natur eines wilden Tieres an sich nehmen. Ja die Unsinnigkeit und die Raserei hat die Jäger oft so eingenommen, dass sie Feinde der Natur sind worden, wie von denn Dardano gewisse Fabeln erzählet werden.

Die Erfinder dieser unglückseligen Kunst, saget man, sollen die Thebaner gewesen sein, ein Volk, wegen Diebstahls, Betruges und aller Gottlosigkeit berühmet, und wegen Vatermordes und Blutschande von andern Völkern verfluchet; welche Kunst hernach auch auf[16] die Phrygier kommen, ein Volk ebendieses Gelichters, närrisch und leichtfertig dabei, weswegen sie von den Atheniensern und Lazedämoniern, als ernsthaftigen und gravitätischen Völkern, sind verachtet gewesen.

Hernach aber, als die Athenienser das Verbot wegen der Jägerei aufgehoben hatten, als sie diese Kunst auch zugelassen, und bei ihrer Republik gleicher Gestalt eingeführet hatten, da wurde die Stadt bald erobert. Daher wundere ich mich über die Massen, dass von dem Platone, von dem Fürnehmsten der Akademie, diese Kunst ist so gelobet und rekommandieret worden; vielleicht aber hat er solches nicht der Lust wegen, sondern aus einem ehrlichen Vorsatz und wegen der Notwendigkeit getan, gleichwie Meleager das wilde Schwein zu Calydonien nicht zu seiner Lust, sondern zum Nutzen des ganzen gemeinen Wesens und zur Erhaltung des Vaterlandes ermordet, und das Volk von diesem wilden verwüsterischen Tier errettet hat. Romulus jagte Hirsche, nicht aber aus Wollust, sondern sich und die Seinigen zu erhalten.

Es ist noch eine andere Übung der Jägerei, welche sie das Vogelstellen oder die Falknerei nennen, nicht von solcher Grausamkeit, aber wohl von solcher Vanität und Eitelkeit; dahero sind diese Vogelsteller und Falkner genennet worden, welche entweder die Vögel fangen oder, welche (wie Baruch saget) durch Vögel mit den Vögeln des Himmels spielen. Man saget, Ulysses sei dieser Kunst Erfinder gewesen, welcher am ersten nach Eroberung der Stadt Troja die Vögel zur Jagd abgerichtet und nach Griechenland geführet hat, nur bloss zu dem Ende, damit diejenigen, welche ihre Eltern in dem trojanischen Kriege eingebüsset, wiederum eine Ergötzung hätten; doch hat er seinem Sohne Telemachus verboten, diese Kunst zu lernen.

Endlich sind diese Exerzitia, welche doch an sich selbsten recht knechtisch und körperlich sind, so hoch erhoben worden, dass man die andern freien Künste alle auf die Seite gesetzet hat; und werden noch heutiges[17] Tages die Jägerkünste für die vornehmsten Wissenschaften gehalten, sonderlich unter den Edelleuten, dadurch man zu grossen Dignitäten kommen könnte. Heutiges Tages ist das ganze Leben der Könige und Fürsten, ja, welches zu bejammern ist, der Äbte, Bischöfe und anderen Geistlichen nichts als Jägerei; hierinnen beweisen sie ihr Heil, und lassen ihre tapferen Tugenden sehen:

Spumantemque dari pecora inter inertia votis Optat aprum aut fulvum descendere monte leonem. Das ist: Sie wünschen, dass ihnen etwa ein wildes Schwein oder ein grimmiger Löwe möge zu nahe kommen.

Diejenigen, welche uns Exempel der Geduld geben sollten, die suchen in diesem Stück Überwinder und Jäger zu sein. Ja, welche Tiere von Natur frei, und nach dem Rechte demjenigen, welcher sie in Besitz nimmt, eigen sein sollten, derer massen sich anjetzo die Grossen und Mächtigen durch öffentliche, unbesonnene Verbote allein zu eigen. Die Bauern müssen von ihren Brachäckern weg, und die Hirten von ihren Wäldern und Wiesen, und dürfen das ihrige nicht brauchen wie sie wollen, nur damit die Edelleute, welchen alleine es vergönnet ist, das Wild in der Mastung erhalten und ihre Lust damit haben können. Hat aber ein Bauersmann oder ein Hintersasse nur etwas davon genossen, so ist es, als wann er ein Crimen laesae Majestatis begangen hätte, und wird nebenst dem wilden Tiere zum Raub und Rappuse gegeben.

Sehen wir die Heilige Schrift, auch wohl die Historien der Heiden an, so werden wir nicht finden, dass ein Heiliger oder ein Weiser oder ein Philosophus ein Jäger gewest sei; Hirten aber gar viel, und etliche auch Fischer; und Augustinus spricht: diese Kunst[18] sei die allernichtswürdigste. Und das Concilium Aurelianense und Elibitanum hat den Clericis solche zu exerzieren verboten; das päpstliche Recht verbeut den Jägern auch, dass sie zu keinem Orden kommen können, sagt auch, dass Priester noch überdies ihrer geistlichen Dignität sollen beraubet werden, wann sie der Jägerei obliegen.

Esau war ein Jäger, weil er ein Sünder war. In der Heiligen Schrift wird des Wortes Jäger niemals im Guten gedacht, derowegen wird niemand daran zweifeln, dass die Jägerei böse sei, weil sie von allen Heiligen und Weisen für böse ist ausgerufen worden. Für Alters, als die Menschen im Stande der Unschuld lebeten, da flohen die wilden Tiere nicht vor ihnen, taten ihnen auch keinen Schaden, sondern waren ihnen alle untertan und gehorsam. Dessen Exempel haben wir auch in nachkommenden Zeiten erfahren, bei denen Leuten, die ein heilig und fromm Leben geführet haben. Danielen widerfuhr kein Leid in der Löwengrube, die Schlange konnte dem Apostel Paulo keinen Schaden tun, Heliam den Propheten, Paulum und Antonium den Eremiten, hat ein Rabe, und Aegidium eine Hindin ernähret. Helenus der Abt hat dem Wald-Esel geboten, und dieser ist gehorsam gewesen und hat ihm seine Last getragen; er hat dem Krokodil geboten, und ist von ihm über den Fluss getragen worden; viel Einsiedler haben in der Wüste gewohnet, und sich in Höhlen und Gruben der wilden Tiere aufgehalten, und haben sich weder für Löwen, noch für Bären, noch für Schlangen gefürchtet. Dann mit den Sünden ist auch zugleich die Schädlichkeit und Verfolgung der Tiere eingetreten, und sind die Jägerkünste erdacht worden. Denn, wie Augustinus spricht, so sind die Tiere anfänglich nicht giftig, noch dem menschlichen Geschlecht schädlich erschaffen, sondern erst nach der Sünde also worden, welches aus göttlichem Ratschluss zu Strafe des Ungehorsams unserer ersten Eltern geschehen ist. Es ist der Schlangen ein Gesetz gegeben, wann Gott spricht: Ponam[19] inimicitas inter te et mulierem, et inter semen tuum et semen illius. Das ist: Ich will Feindschaft setzen zwischen dir und dem Weibe, und zwischen deinem Samen und ihrem Samen. Aus diesem Satze ist der Jägerkrieg entstanden, nämlich der Krieg zwischen den Menschen und den andern Tieren.[20]

Quelle:
Agrippa von Nettesheim: Die Eitelkeit und Unsicherheit der Wissenschaften und die Verteidigungsschrift. München 1913, Band 2, S. 15-21.
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