Im Verlauf eines eingehenderen Studiums der Atharva-Samhitā drängte sich mir das Bedürfniss auf, eine grössere Anzahl von Liedern metrisch in's Deutsche zu übertragen, theils um vermittelst dieser gebundenen Form der Wiedergabe das Poetische oder doch das Alterthümliche und orientalisch Naive des Inhalts besser nachempfinden und richtiger bemessen zu können, theils um überhaupt an der Uebersetzung die Schwierigkeiten, die auch dieser Theil des Veda darbietet, mir noch nachdrücklicher im Einzelnen zum Bewusstsein zu bringen und mir über Art und Umfang derselben ein sichereres Urtheil zu bilden. Auf solche Weise ist die Sammlung von 100 Liedern entstanden, die ich hiemit vor die Oeffentlichkeit treten lasse.
Die Gesichtspunkte, die mich bei der Auswahl hauptsächlich leiteten, waren einmal das Bestreben, dem Leser einen etwas umfassenden Einblick in den manchfaltigen Inhalt des Atharvan zu ermöglichen, sodann aber auch die negative Rücksicht der Beiseitsetzung solcher Stücke, die sei es wegen ihres Inhaltes, sei es wegen unlösbarer sprachlicher Schwierigkeiten oder allzuverdorbener Textgestalt für eine Wiedergabe zumal an diesem Ort sich nicht eignen. Was in erstrer Beziehung geboten ist, wird der Leser rasch aus den Ueberschriften ersehen. Dass es sich um eine materielle Vollständigkeit nicht handeln konnte, braucht im Uebrigen kaum bemerkt zu werden. Ich habe namentlich von einer Aufnahme solcher Lieder Umgang genommen, die sich in abstruser Speculation über das geheimnissvolle Wesen des Cultus, seiner Organe und ihrer einzelnen Verrichtungen, oder über metaphysische und kosmogonische Fragen ergehen, obwohl dieselben einen nicht unbeträchtlichen Theil der Samhitā ausmachen. Es erklärt sich unter andrem daraus, dass mehreren Büchern der Sammlung nichts, oder nur weniges entnommen wurde. Ebenso begründet dürfte es auch sein, dass Stücke, die mehr oder weniger gleichlautend und vollständig in einer andern vedischen Samhitā sich finden, im Allgemeinen nicht berücksichtigt wurden, da eben das Eigenthümliche des Atharvan zur Anschauung gebracht werden sollte. Damit war z.B. von vornherein das grosse 20. Buch ausgeschlossen, dessen einziger eigenthümlicher Bestandtheil (die sog. Kuntāpalieder 127-136) aus andern Gründen ebenfalls sich als ungeeignet erwies. Vollends klar lagen die Dinge bei Liedern oder Sprüchen mit mehrfachen Wertformen, deren Sinn in keiner Weise sicher zu bestimmen ist, – ein Fall, vor dem der Uebersetzer und Erklärer des Atharvaveda nur zu oft steht, und der häufig mit jenem andern Uebelstand deutlich genug zusammentrifft, dass der Text[3] der Samhitā in mehr oder weniger entstellter und für jetzt nicht wiederherzustellender Form vorliegt.
Je zahlreicher auch abgesehen hievon die Schwierigkeiten des Textes sind, desto mehr schien mir für eine Uebersetzung auch hier der Kanon des Meng-Tsö Geltung zu haben: Shue shi tshè, pŭ ἳ wen hai ts'ö, pŭ ἳ ts'ö hai tshi, ἳ i nĭ tshi, shi wei tĕ tshi d.i. »Willst du ein Lied erklären, so thue nicht um eines Worts willen dem Satz, noch um eines Satzes willen dem Sinn des Ganzen Gewalt an; komme dem Gedanken des Dichters ahnend entgegen, so wirst du ihn verstehen lernen« (V, 1, 4, 2. S. Legge, the Chinese classics ἳ, 229). In wie weit es mir gelungen ist, dieser unanfechtbaren Vorschrift zum Heil der Sache nachzukommen, mögen sachverständige und billige Beurtheiler entscheiden. Ich bin mir selbst der mancherlei Mängel dieses Versuches viel zu sehr bewusst, um nicht zum Voraus mich für jede freundliche Belehrung und Berichtigung dankbar zu bekennen. Ich habe namentlich mein lebhaftes Bedauern darüber auszusprechen, dass ich nicht in der Lage war, das Kauçika-Sūtra für die Zwecke der Uebersetzung und Erklärung der ausgewählten Lieder in der wünschenswerthen Weise zu nützen, – ein Bedauern, das nur einigermassen durch die Erwägung gemildert wird, dass der überaus fehlerhafte Text der wenigen zur Zeit in Europa befindlichen Copieen dieses Sūtra1, zumal in Ermanglung eines Commentars dazu, muthmasslich nur in verhältnissmässig seltneren Fällen eine hinreichend klare und sichere Auskunft geboten hätte.
Die der Uebersetzung beigegebenen Bemerkungen haben nicht den Zweck einer eigentlichen, zusammenhängenden Erklärung. Sie sollen dem mit der altindischen Sprache und Literatur vertrauten Leser sagen, wie ich mich in der Hauptsache zu der überlieferten Textgestalt des vierten Veda gestellt, wie ich im einzelnen Fall gelesen, aus metrischen oder sachlichen Gründen corrigirt und demgemäss übersetzt habe. Um mehr als einen kritischen Versuch konnte es sich nach Lage der Dinge ganz und gar nicht handeln. Ich gebe mich der Hoffnung hin, dass manche Beobachtung im Lauf der ferneren Untersuchung sich bestätigen werde. Welch ein grosses und schwieriges Stück Arbeit auf diesem Gebiet noch vorliegt, weiss jeder, der diesen Veda aus eigner Anschauung kennt. Der Erklärung unbekannter Namen und Sachen für Nicht-Sanskritisten habe ich, soweit es mir nöthig und thunlich schien, Rechnung getragen: hätte ich alles, was dem Verständniss der Lieder in dieser Richtung Vorschub leisten könnte, aufnehmen wollen, so wäre eine ungebührliche Ueberschreitung der Grenzen eines Programms unvermeidlich gewesen.
Bis zu einem gewissen Grad dürfte dem in den Bemerkungen entfernt nicht vollständig zu erreichenden Zweck der Erklärung die nach dem sachlichen Gesichtspunkt des gleichen oder verwandten Inhalts getroffene Anordnung der Lieder dienen. Eine solche war der Natur der Sache nach nicht ohne eine gewisse Willkür möglich,[4] da es z.B. in vielen Fällen eine Sache rein subjectiven Ermessens ist, zu bestimmen, ob der Zweck eines Lieds oder Spruchs im Bewusstsein des Verfassers mehr ein negativer oder ein positiver war. Für die Bemerkungen schien es zweckmässiger zu sein, die behandelten Lieder nach ihrer ursprünglichen Reihenfolge in der Samhitā aufzuführen.
Dass ich für meine Arbeit die tüchtigen Vorarbeiten einer Reihe namhafter Sanskritforscher und Kenner des Veda nach Kräften benützte, versteht sich von selbst. Der der Uebersetzung zu Grund liegende Text ist die treffliche Ausgabe des Atharva-Veda von Roth und Whitney (Berlin 1856). Leider ist es den Herausgebern bis jetzt nicht vergönnt gewesen, den in Aussicht gestellten zweiten Theil des Werkes folgen zu lassen, der »eine Einleitung in den Atharvaveda, kritische und erklärende Noten, Nachweisungen aus dem Padapāṭha, aus der zu dieser Sanhitā gehörigen Grammatik (A.V. Prātiçākhya), aus der Anukramaṇī und aus dem Ritual des Veda (Kauçika-Sūtra), nebst einer Concordanz des Atharvaveda mit den übrigen vedischen Sanhitā's enthalten« soll. Um so werthvoller war es für mich, dass Herr Professor Dr. von Roth, d.z. Rector magnificus, meiner vorliegenden Arbeit seine kräftige und einsichtsvolle Unterstützung angedeihen liess. Ich verdanke diesem Gelehrten nicht nur eine grössere Anzahl von Berichtigungen und Verbesserungen der Uebersetzung, sondern namentlich auch eine ganze Reihe von Nachweisen aus der erst vor Kurzem aufgefundenen, bis jetzt noch nicht veröffentlichten und verarbeiteten Paippalāda-Recension des Atharvaveda (über welche vgl. die genannte Abhandlung von Roth), die grossentheils der Feststellung des Texts für die Uebersetzung sehr zu Statten kamen, sowie manchfache Parallelstellen aus der Veda- und Brāhmaṇa-Literatur und Bemerkungen zum Kauçika-Sūtra. Es ist mir eine angenehme Pflicht, meinem verehrten Lehrer hiemit auch öffentlich für den mir trotz Geschäftsüberbürdung bereitwilligst geleisteten Dienst meinen ehrerbietigen und verbindlichsten Dank auszusprechen. Nicht unterlassen kann ich es aber auch, die reiche Belehrung und Anregung rühmend hervorzuheben, die mir besonders bei Benützung der Arbeiten Prof. Dr. Albrecht Weber's in seinen »Indischen Studien« (Band IV. V. XIII) und Prof. Dr. Ludwig's im dritten Band seines Werks über den Rigveda (Prag. 1876-78) zugeflossen ist.
In Betreff der metrischen Form, in die ich die Lieder gebracht habe, wird es nicht nöthig sein, eine Erklärung oder Rechtfertigung anzufügen: das jambische Metrum wäre mir, auch ohne Vorgänge, in den hier zur Sprache kommenden Fällen als das natürlichste erschienen, obgleich ich zugebe, dass die Einwendungen Ludwig's (Rv. III. Vorrede p. VIII. IX) nicht unbegründet sind.
1 Siehe hierüber: Roth, der Atharvaveda, in Kaschmir. Tüb. 1875. S. 21f.
Buchempfehlung
Der Held Gustav wird einer Reihe ungewöhnlicher Erziehungsmethoden ausgesetzt. Die ersten acht Jahre seines Lebens verbringt er unter der Erde in der Obhut eines herrnhutischen Erziehers. Danach verläuft er sich im Wald, wird aufgegriffen und musisch erzogen bis er schließlich im Kadettenhaus eine militärische Ausbildung erhält und an einem Fürstenhof landet.
358 Seiten, 14.80 Euro