VI. Pankl (Pai gala-Upanishad).

[848] Den Text dieser bisher, soviel uns bekannt, vergebens gesuchten Upanishad haben wir als einen Teil der in der Muktikâ-Sammlung als No. 59 aufgenommenen Pai gala-Upanishad aufgefunden. Der erste Adhyâya dieses inhaltreichen Werkes behandelt in einer aus Vedânta und Sânkhyam gemischten, vielfach an den Vedântasâra erinnernden, Anschauung die Kosmologie, der zweite ebenso die Physiologie, der dritte die »grossen Worte«, namentlich tat tvam asi, und die Frucht ihrer Meditation, der yierte endlich die Freiheit des Erlösten. Dem Eingange dieses vierten Adhyâya entstammt der Text der Pankl des Oupnek'hat, welcher freilich im Sanskrit-Original merkwürdig zusammenschrumpft. Der Vergleich desselben (wie wir ihn hier, möglichst wörtlich und ohne Rücksicht auf den Oupnek'hat, wiedergeben) mit Anquetil's Übersetzung liefert ein gutes Beispiel der grossen Freiheit, mit welcher die persischen Übersetzer den Urtext behandelt haben.


Da befragte Pai galaden Yâjñavalkya: »Welches ist das Werk und welches das Verhalten (sthiti) des Wissenden?«

Da sprach Yâjñavalkya: »Der mit Freiheit von Eigendünkel begabte Erlösungsuchende errettet einundzwanzig Stammglieder (kulam); der Brahmanwissende aber errettet hierdurch allein hundertundein Stammglieder.


Ein Wagenfahrer ist, wisse,

Der Âtman, Wagen ist der Leib,

Den Wagen lenkend ist Buddhi,

Manas, wisse, der Zügel ist.1


Die Sinne, heisst es, sind Rosse,

Die Sinnendinge ihre Bahn;

Als Götterwagen, leichtfliegend,

Sehen Weise die Herzen an.
[849]

Aus Âtman, Sinnen und Manas

Das Gefügte ›Geniesser‹ heisst (Kâṭh. 3,4).

Durch ihn, unmittelbar fasslich,

Weilt im Herzen Nârâyaṇa.


Nach angefang'nen Werks Ablauf

Ist sein Tun vergleichbar der Schlangenhaut.

Seelen wechseln ihr Haus mondgleich2,

Wenn erlöst, sind sie ohne Haus.


Mag er den Leib verlassen an einem geheiligten Orte oder in der Hütte eines Hundefleisch-Essenden, – er geht zur Absolutheit ein. Er schüttelt die Lebenshauche ab und geht zur Absolutheit ein.


Mag man ihn hinterher spenden

Dem Luftraum, oder scharren ein,

Niemals ein solcher Mann wandert

Zu abermaliger Geburt.


Nicht Feuerbrauch, nicht Unreinsein (Manu 11,184),

Nicht Mehlkloss, Wasserspende nicht,

Nicht Totenspenden hat nötig,

Wer als Bhikshu zu Brahman ward!


Wozu kochen, was schon gar ist?

Wozu brennen, was schon verbrannt?

Wo die Erkenntnisglut verbrannt

Den Leib, bedarf's der Bräuche nicht!


Bis man entwuchs der Welttäuschung,

Soll dem Lehrer gehorchen man,

Soll auch dem Lehrer gleich achten

Lehrers Gattin und Kinder stets.


Doch reines Herzens und zu reinem Geiste geworden, spreche man: ›ich bin er‹ mit Gelassenheit, – ›ich bin er‹ mit Gelassenheit.«

Fußnoten

1 Kâṭh. 3,3. Die folgenden Verse sind Kâṭh. 3,4 in erweiterter Form.


2 Candravac carate dehî, sa muktaç ca aniketanaḥ. Wie der Mond jede Nacht in einem andern Mondhause wohnt, so die Seele bei jedem Leben in einem andern Leibe. Im Oupnek'hat ist der Vers an unrechte Stelle geraten und völlig missverstanden: se ipsum potest – similem lunae lumini effectum – ex obscuritate monscientiae liberatum facere.

Quelle:
Sechzig Upanishads des Veda. Darmstadt 1963 [Nachdruck der 3. Aufl. Leipzig 1921], S. 848-850.
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