[152] (oder Kena-Upanishad)
Die Upanishad beginnt mit dem Wort kena und führt darum auch den Namen Kena-Upanishad. Sie beginnt mit der Frage, wer Geist, Odem, Rede und die Sinnesorgane ausgesandt habe. Hinter allen Erscheinungen der Welt wohnt das unendliche Geheimnis. Niemand kann es lehren. Es ist verschieden von allem, was man weiß. Sinnesorgane, Rede, Geist erfassen es nicht; sie sind aber alle dadurch. Man glaubt es zu kennen und kennt es nicht. Dem Weisen bleibt es verschlossen und offenbart sich dem Unweisen, eine Lehre, die den einmal auftretenden Schüler zu dem erstaunten Einwand führt: ›Wer von uns das weiß, der weiß es.‹ Es überragt alles Verstehen und erwacht von selbst im erkennenden Subjekt, im Menschen.
Eine seltsame Schilderung des Brahman enthält Kapitel 3. Es will zeigen, daß das Brahman über allen Göttern steht, und unternimmt es, alten Gedankengängen entsprechend, das Brahman als einen Zauber zu charakterisieren, gegen dessen hingeworfenen Strohhalm die Götter vergeblich anlaufen. Nicht siegen die Götter durch ihre Kraft, sondern durch das Brahman. Wie die Kräfte des Menschen, hängen auch sie vom Brahman ab. Der Schluß läuft in eine mystische Schilderung aus: das Brahman wird dem Menschen blitzartig offenbar und schafft durch seinen Eintritt in den Geist die Vorstellung im Augenblick.
Von wem ist der Geist ausgesandt, daß er hinausgesandt umherschweift? Von wem ist der Odem in Tätigkeit versetzt, daß er als erster kommt? Von wem ist die Rede ausgesandt, die man redet? Welcher Gott versetzt Auge und Ohr in Tätigkeit?
Das Hören des Ohres, das Denken des Geistes, das Reden der Stimme, das Atmen des Odems, das Sehen des Auges, alles geben die Weisen auf und werden nach dem Scheiden aus dieser Welt unsterblich. Dorthin dringt nicht das Auge, nicht die Stimme, nicht der Geist. Wir wissen nicht, wir verstehen nicht, wie man das lehren könnte.[153]
›Es ist anders als das Bekannte und als das Unbekannte‹, so hörten wir von den Alten, die uns das erklärten.
Denn das, was man mittels der Rede nicht nennt, was aber selbst die Rede hervorbringt, das, wisse, ist Brahman; nicht das, was man hier verehrt. Was man mit dem Geist nicht denkt, was aber selbst den Geist denkt, das, wisse, ist Brahman; nicht das, was man hier verehrt. Was man mit dem Auge nicht sieht, wodurch man aber das Auge sieht, das, wisse, ist Brahman; nicht das, was man hier verehrt. Was man mit dem Hören nicht hört, wodurch aber das Hören gehört ist2, das, wisse, ist Brahman; nicht das, was man hier verehrt. Was man mit dem Hauch nicht einatmet, durch das aber der Hauch geatmet wird, das, wisse, ist Brahman; nicht das, was man hier verehrt.
(I, 1-13)
›Wenn du meinst: »Ich weiß es vortrefflich«, so heißt das nicht viel. Du kennst nur die Erscheinungsform des Brahman (und weißt), was davon du bist und was davon unter den Göttern ist.‹
»Dann ist es weiter zu erforschen. Dir ist es, glaube ich, bekannt.«
›Nicht glaube ich, daß ich es gut weiß; nicht weiß ich, daß ich es nicht weiß.‹
»Wer von uns das weiß, weiß es; nicht weiß er, daß er es nicht weiß.«
›Wer es nicht denkt, der denkt es. Wer es denkt, der weiß es nicht. Unbekannt bleibt es dem Kundigen; bekannt aber ist es dem Unkundigen. Wem es durch Erweckung bekannt geworden, der gewinnt Unsterblichkeit3. Durch sich gewinnt er dann Kraft, durch Wissen erlangt er Unsterblichkeit.
Wenn er es hier erkannte, dann ist sein die Wahrheit, wenn er es hier nicht erkannte, ist sein tiefes Verderben. Wenn es die Weisen in allen Wesen erkennen, werden sie beim Abscheiden aus dieser Welt unsterblich.‹
(II)
[154]
Das Brahman gewann den Sieg für die Götter. Da brüsteten die Götter sich ob des Sieges des Brahman. Sie dachten: ›Unser ist dieser Sieg, unser ist diese Größe.‹ Das Brahman erkannte sie; es machte sich ihnen offenbar. Sie erkannten es aber nicht und fragten, ›was für ein Zauberding ist das‹. Sie sprachen zu Agni: ›Jâtavedas, siehe nach, was das für ein Zauberding ist.‹ »Ja«, sprach er. Er stürmte darauf los. Das sprach zu ihm: ›Wer bist du?‹ »Agni«, sagte er, »bin ich; Jâtavedas bin ich.« ›Wenn du der bist, worin besteht deine Stärke?‹ »Ich vermag alles zu verbrennen, was immer auf der Erde ist.« Es warf ihm einen Grashalm hin: ›Verbrenne den.‹ Er lief mit allem Ungestüm darauf zu. Er vermochte ihn nicht zu verbrennen. Er kehrte daher zurück und sprach: »Ich vermochte nicht zu erkennen, was für ein Zauberding das ist.«
Da sprachen sie zu Vâyu: ›Vâyu, siehe nach, was für ein Zauberding das ist.‹ »Ja«, sprach er. Er stürmte darauf los. Das sprach zu ihm: ›Wer bist du?‹ »Vâyu«, erwiderte er, »bin ich, Mâtarishvan bin ich.« ›Wenn du der bist, worin besteht deine Stärke?‹ »Ich vermag alles an mich zu nehmen, was auf der Erde ist.« Es warf ihm einen Grashalm hin. ›Nimm den an dich.‹ Er lief mit allem Ungestüm darauf los. Er vermochte nicht, ihn an sich zu nehmen. Er kehrte daher zurück. Nicht vermochte er zu erkennen, was das für ein Zauberding ist. Da sprachen sie zu Indra: ›Herr, siehe nach, was für ein Zauberding das ist.‹ »Ja«, sprach er. Er stürmte darauf los. Vor ihm verbarg es sich. Er traf in diesem Raum eine sehr schöne Frau. Es war Umâ, die Tochter des Himavat. Er sprach zu ihr: ›Was ist das für ein Zauberding?‹
(III, 14-28)
›Das ist Brahman‹, erwiderte sie; ›das Brahman, in dessen Siege ihr euch brüstet.‹ Da wußte er, daß es Brahman war. Darum sind diese Götter Agni, Vâyu, Varuna mehr als alle Götter; denn sie berührten es am unmittelbarsten. Sie hatten[155] zuerst erkannt, daß es Brahman war. Darum ist Indra mehr als die anderen Götter; denn er berührte es am unmittelbarsten; er hatte zuerst erkannt, daß es Brahman war.
In bezug darauf gilt diese Unterweisung: was am Blitz das ist, daß es blitzt und man mit Ah! die Augen schließt – dieses ›Ah‹ ist die Unterweisung in bezug auf die Gottheit. In bezug auf das Ich gilt: wenn dieses (Brahman) in den Geist einzutreten scheint und das Vorstellungsvermögen durch diesen sich intensiv seiner erinnert.
Es heißt mit Namen: Tadvanam: ›das Seiner-Begehren‹. Als ›das Seiner-Begehren‹ muß man es studieren. Wer solches weiß, nach dem sehnen sich alle Wesen.
›Sage mir, Herr, die geheime Lehre (die Upanishad).‹ »Gesagt ist dir die Upanishad. Vom Brahman die Upanishad, die sagte ich dir.« Für sie ist Kasteiung, Selbstbezwingung und Handlung die Grundlage, die Veden die Teile, die Wahrheit die Stütze. Wer sie in der Weise kennt, der verscheucht das Übel, in der unendlichen, unbezwinglichen Himmelswelt hat er fest seinen Stand.
(IV)
1 | Hanns Oertel, The Jaiminîya or Talavakâra (Upanishad-Brâhmana) JAOS 16, 215ff. (lies ya u prânasya prânaḥ). |
2 | Wörtlich: ›wodurch das Hören gehört ist‹, daß wörtlich zu übersetzen sein kann, ist bei dem Schematismus der Aufzählung nicht ausgeschlossen. |
3 | Der Text ist nicht in Ordnung; statt matam vermute ich yad tad und lese zur Beseitigung der überzähligen Silbe amritam für amrtatvam. ›Erweckung‹, sonst ›Gnade‹ (prasâda). |
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