Elfter Gesang.

[65] Arjuna sprach


Da mir zu Liebe du das Wort, das höchst geheimnisvolle, sprachst,

Das höchsten Geistes Siegel trägt, bin ich von allem Irrtum frei.

Der Wesen Werden und Vergehn hab' ich ausführlich nun gehört,

Von dir, du Lotusäugiger, – und deine ew'ge Herrlichkeit.

So wie du hier geschildert hast dich selbst, du höchster aller Herrn,

So möcht' ich schaun deine Gestalt, die göttliche, du höchster Geist!

Wenn du's für möglich hältst, daß ich dies schauen kann, du Mächtiger,

Dann, Herr der Andacht, zeige mir dich selber als den Ewigen!


Der Erhabene sprach


So schau denn die Gestalten mein hundert- und tausendfältig hier,

Die mannigfalt'gen, himmlischen, in Farb' und Form verschiedenen.

Schau die Adityas, die Vasus, die Rudras, Açvin, Marutas,

Viele, nie zuvor geschaute Wunder, schau sie, o Bhârata!

In Einem schau die ganze Welt, was sich bewegt und nicht bewegt,

In meinem Leibe sieh das hier, und was du sonst noch sehen magst.

Doch wirst du mich nicht können sehn mit diesem deinem eignen Aug', –

Ein himmlisch Auge geb' ich dir, – schau mein, des Herren, Wundermacht!


Sanjaya sprach


So sprach er und sodann, o Fürst, – Hari1, der große Wunderherr,

Offenbarte dem Prithâ-Sohn seine Gestalt als höchster Gott.[66]

Mit manchem Munde, manchem Aug', manch wunderbarem Angesicht.

Versehn mit manchem Götterschmuck und Götterwaffen schwingend viel.

Götterkränz' und -kleider tragend, an Himmelsduft und -salben reich,

Ganz Wunder, strahlend, grenzenlos, das Antlitz allerwärts gewandt.

Wenn das Licht von tausend Sonnen am Himmel plötzlich bräch' hervor,

Zu gleicher Zeit, – das wäre gleich dem Glanze dieses Herrlichen.

In Einem dort die ganze Welt vereint, doch mannigfach geteilt,

In des Gottes der Götter Leib erblickte sie der Pându- Sohn.

Da, von Erstaunen ganz erfüllt, am Leibe schauernd, neigte sich

Arjuna mit dem Haupt und sprach die Hände faltend zu dem Gott:


Arjuna sprach


Die Götter schau' ich all in deinem Leibe,

O Gott, so auch die Scharen aller Wesen,

Brahman, den Herrn, auf seinem Lotussitze,

Die Rishis alle und die Himmelsschlangen.

Mit vielen Armen, Bäuchen, Mündern, Augen

Seh ich dich, – allerwärts endlos gestaltet;

Nicht Ende, Mitte, noch auch Anfang seh' ich

An dir, du Herr des Alls, du allgestalt'ger!

Mit Diadem, mit Keule und mit Diskus,

Ein Berg von Glanz, nach allen Seiten strahlend,

So seh' ich dich, ringsum schwer anzuschauen,

Wie strahlend Feu'r und Sonnenglanz, unmeßbar.

Das Unvergängliche, höchst Wissenswürd'ge,

Der größte Schatz bist du des ganzen Weltalls,

Du bist des ew'gen Rechtes ew'ger Hüter,

Als ew'gen Urgeist hab' ich dich begriffen.

Ohn' Anfang, Mitte, End', unendlich kraftvoll,

Mit Armen ohne End', mond-sonnen-äugig,[67]

Mit einem Mund wie strahlend Opferfeuer

Seh' ich mit eigner Glut dies All dich wärmen.

Was zwischen Erd' und Himmel ist, erfüllst du

Mit dir allein, und jede Himmelsgegend, –

Die Dreiwelt bebt, wenn deine wundersame

Schreckensgestalt sich ihren Blicken zeiget.

Sieh dort der Götter Scharen zu dir treten,

Furchtsam, die Hände faltend, sie dich preisen;

Heil! ruft die Schar der Seher und der Sel'gen, –

Sie preisen dich mit prächt'gen Lobgesängen.

Die Rudras, Adityas, Vasus und Sâdhyas2,

Allgötter, Açvin, Marutas und Manen,

Gandharven, Yakshas, Asuras3 und Sel'ge,

Sie alle schau'n empor zu dir voll Staunen.

Dein Riesenleib mit vielen Mündern, Augen,

Mit vielen Armen, vielen Schenkeln, Füßen,

Mit vielen Bäuchen, Rachen voller Zähnen, –

Es bebt die Welt, ihn schauend – ich auch bebe.

Den Himmel rührend, strahlend, mannigfärbig,

Mit offnem Munde, großen Flammenaugen, –

Schau' ich dich so, dann zittert meine Seele,

Nicht find' ich Festigkeit und Ruh', o Vishnu.

Schau deine Rachen ich mit dräunden Zähnen,

Dem Feuer ähnlich bei der Zeiten Ende,

Dann weiß ich nichts und finde nirgends Zuflucht, –

Sei gnädig, Götterherr, du Weltenwohnstatt!

Und diese Söhne all des Dhritarâshtra,

Zusamt den Scharen königlicher Helden,

Bhîshma und Drona, samt des Lenkers Sohne4,

Zusamt den Unsrigen, den besten Kämpfern;

Sie nahen eilend sich zu deinen Rachen,[68]

Den schrecklichen, klaffend mit dräunden Zähnen;

Es stecken manche schon zwischen den Zähnen,

Man kann sie sehen mit zermalmten Köpfen!

Gleichwie der Ströme mächt'ge Wasserwogen

Zum Meere hin, ihm zugewendet, laufen,

So diese Helden aus der Welt der Menschen

Bewegen sich in deine Flammenrachen.

Wie Schmetterlinge in ein flammend Feuer

In voller Hast zum Untergange eilen,

So eilen auch zum Untergang die Menschen

In voller Hast hinein in deine Rachen.

Du leckst und züngelst rings umher, verschlingend

Die Menschen alle mit den Flammenrachen;

Die ganze Welt mit ihrem Glanz erfüllend

Glühn deine fürchterlichen Strahlen, Vishnu!

Sag mir, wer bist du, Fürchterlichgestalt'ger?

Verehrung dir, du höchster Gott, sei gnädig!

Dich Uranfänglichen möcht' ich erkennen,

Denn nicht begreifen kann ich die Erscheinung.


Der Erhabene sprach


Ich bin die Zeit, die alle Welt vernichtet,

Erschienen, um die Menschen fortzuraffen;

Auch ohne dich sind sie dem Tod verfallen,

Die Kämpfer all, die dort in Reihen stehen.

Darum erheb' dich! Ruhm sollst du erwerben!

Den Feind besiegend, freu' dich reicher Herrschaft!

Durch mich sind diese früher schon getötet,

Du sei nur Werkzeug, Kämpfer mit der Linken.

Den Drona, den Jayadratha, den Bhîshma,[69]

Den Karna und die andern Kämpferhelden,

Die ich getötet, töte du! nicht zittre!

Kämpfe! du wirst im Streit die Gegner fällen.


Sanjaya sprach


Als dieses Wort des Krishna er vernommen,

Die Hände faltend, zitternd, ihn verehrend,

Sprach wieder also Arjuna zu Krishna,

Nur stammelnd, ganz in Furcht, vor ihm sich neigend:


Arjuna sprach


Mit Recht erfreuet sich an deinem Ruhme

Die Welt und ist dir ehrfurchtsvoll ergeben;

Die Rakshas5 fliehn entsetzt nach allen Seiten,

Der Sel'gen Scharen all vor dir sich neigen.

Und warum sollten sie sich dir nicht beugen,

Dem ersten Schöpfer, würd'ger selbst als Brahman?

Du Götterherr, Endloser, Weltenwohnstatt,

Du bist der Ew'ge, Höchste, Sein und Nichtsein!

Du bist der erste Gott, der alte Urgeist,

Du bist der höchste Schatz des ganzen Weltalls,

Wisser und Wissenswürdges, höchste Stätte,

Du hast das All gespannt, Endlosgestaltger.

Wind, Feuer, Yama, Varuna, der Mond auch,

Prajâpati bist du, und erster Ahnherr;

Verehrung dir, Verehrung tausend Male,

Und mehr noch, mehr, Verehrung dir, Verehrung!

Verehrung dir im Angesicht, im Rücken,

Von allen Seiten Ehre dir, du Alles![70]

Unendlich mannhaft, unermeßlich kraftvoll,

Vollendest du das All und bist selbst Alles.

Wenn ungestüm, für meinen Freund dich haltend,

Ich »Krishna«, »Yâdava«6 und »Freund« dich nannte,

Unkundig deiner wunderbaren Größe,

Zu unbedachtsam oder zu vertraulich;

Und wenn im Scherz ich dich nicht richtig ehrte,

Im Wandeln, Ruhen, Sitzen oder Essen,

Ob du allein warst, ob vor allen diesen, –

Ich bitt' dich um Vergebung, Unermeßner!

Vater der Welt, die sich bewegt und fest ist,

Verehrungswürdig, mehr uns als ein Lehrer, –

Dir gleich ist niemand, – wer dir überlegen?

In dieser Dreiwelt, unvergleichlich mächt'ger!

Mich beugend drum, den Körper niederwerfend,

Such' deine Gnade ich, du Herr der Ehren!

Wie seines Sohns ein Vater, Freund des Freundes,

Geliebter der Geliebten – mußt du schonen.

Noch nie Geschautes freu' ich mich zu schauen,

Allein vor Furcht bebt mir das Herz und zittert,

Zeig' die Gestalt, o Gott mir, die ich kenne,

Sei gnädig, Götterherr, Wohnstatt der Welten!

Mit Diadem und Keule, mit dem Diskus

In deiner Hand, so wünsch' ich dich zu sehen;

Nimm wieder an die Form mit den vier Armen,

Du Tausendarmiger, du Allgestalt'ger!


Der Erhabene sprach


Aus Gnaden hab' ich dir nun offenbaret

Mein höchstes Wesen hier, kraft meiner Allmacht, –[71]

Strahlend, unendlich, ganz und uranfänglich, –

Kein andrer hat vor dir sie je gesehen.

Nicht durch den Veda, Opfer, Studium, Spenden,

Zeremonien oder graus'ge Büßung

Kann mich in solcher Form ein andrer schauen

Im Menschenvolk, du großer Held der Kurus!

Nicht soll dich Angst befangen und Verwirrung

Beim Anblick meiner schrecklichen Gestaltung,

Von Furcht befreit, fröhlichen Sinnes wieder

Sollst du mich schaun, so wie ich dir bekannt bin.


Sanjaya sprach


Als Krishna so zum Arjuna gesprochen,

Da zeigt' er sich in alter Art ihm wieder,

Und so beruhigte er den Erschreckten,

In freundlicher Gestalt, der hochgesinnte.


Arjuna sprach


Da wieder deine menschliche Gestalt ich schau', die freundliche,

Kehrt die Besinnung mir zurück und wieder werd' ich, der ich war.


Der Erhabene sprach


Die schwer zu schauende Gestalt, die du von mir gesehen hast,

Nach deren Anblick sehnen sich sogar die Götter immerfort.

Durch Veden nicht, durch Buße nicht, durch Spenden und durch Opfer nicht

Bin ich in dieser Form zu schaun, wie du mich jetzt gesehen hast.

Nur wer mich ganz allein verehrt, der kann mich schaun in solcher Form,[72]

Kann mich erkennen ganz und gar und endlich eingehn auch in mir.

Wer handelt so, wie's mir gefällt, mich ehrt, mich liebt, die Welt verschmäht,

Und allen Wesen freundlich ist, der kommt zu mir, o Pându-Sohn!

1

Ein Beiname des Vishnu-Krishna.

2

Verschiedene Götterordnungen.

3

Die götterfeindlichen Dämonen.

4

Sohn eines Wagenlenkers, eines Sûta – so wird der Held Karna genannt, als Adoptivsohn des Sûta Adhiratha.

5

Böse Geister, Unholde.

6

Ein Beiname des Krishna, nach seiner Herkunft aus dem Stamme der Yâdava, der Nachkommen des Yadu.

Quelle:
Bhagavadgita: Des Erhabenen Sang. Jena 1959, S. 65-73.
Lizenz:

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