[100] Der Heilige sprach:
1. (1383.) Es ist (Kâṭh. Up. 6,1) die Rede von dem unvergänglichen Açvatthabaum (Ficus religiosa)1, welcher die Wurzel oben und die Zweige nach unten hat; seine Blätter sind die heiligen Lieder, wer ihn kennt, der ist vedakundig.
2. (1384.) Seine Äste erstrecken sich nach oben und nach unten, aus den Guṇa's erwachsend, seine Zweige sind die Sinnendinge; nach unten zu strecken sich aus seine Wurzeln, getrieben durch die Werke, in der Menschenwelt.
3. (1385.) Zwar wird seine Gestalt hienieden nicht, wie sie geschildert wird, erkannt, nicht sein Ende, nicht sein Anfang und nicht sein Standort, aber indem man jenen Açvattha mit wohl erstarkter Wurzel durch das feste Messer der Nichtanhänglichkeit [an die Welt] abschneidet,[101]
4. (1386.) soll man sodann jene Stätte ausforschen, zu welcher eingegangen man nicht wieder zurückkehrt, mit dem Gedanken: zu ihm, dem uranfänglichen Purusha, nehme ich meine Zuflucht, von welchem die alte Weltentwicklung ausgegangen ist.
5. (1387.) Frei von Dünkel und Wahn nach Besiegung der Sünde der Weltanhänglichkeit, beständig in dem höchsten Âtman, die Begierden verabschiedend, von den Gegensätzen, die da heissen Lust und Schmerz, erlöst, gehen sie frei von Verblendung zu jenem unvergänglichen Orte ein.
6. (1388.) Dort leuchtet nicht die Sonne, nicht der Mond, noch auch das Feuer (vgl. Kâṭh. Up. 5,15), wohin gelangend sie nicht zurückkehren; das ist meine höchste Wohnstätte.
7. (1389.) Ein unvergänglicher Teil von mir ist es, was, in der Lebewelt zur individuellen Seele geworden, die in der Prakṛiti wurzelnden [fünf] Sinne mit Manas als sechstem an sich heranzieht.
8. (1390.) Wenn er als Herr sich des Leibes bemächtigt und wenn er wieder aus ihm auszieht, dann streicht er hin, indem er jene an sich rafft, wie der Wind die Düfte von dem Orte, wo er weilte.
9. (1391.) Indem er über Ohr, Auge, Gefühl, Geschmack und Geruch sich zum Herrn aufwirft und ebenso über das Manas, gibt er sich dem Genuss der Sinnendinge hin.[102]
10. (1392.) Mag er ausziehen, mag er weilen, mag er, von Guṇa's umkleidet, geniessen, die Verblendeten sehen ihn nicht, es schauen ihn die, deren Auge die Erkenntnis ist.
11. (1393.) Die Yogin's, wenn sie sich abmühen, schauen ihn, wie er in ihnen selbst weilt; die aber unbereiteten Geistes sind, auch wenn sie sich abmühen, die Unverständigen, schauen ihn nicht.
12. (1394.) Der Glanz, der, in der Sonne weilend, die ganze Welt erleuchtet, und der in dem Monde, der im Feuer weilt, dieser Glanz, wisse, ist der meine.
13. (1395.) In die Erde eingehend erhalte ich die Wesen durch meine Kraft; ich bringe alle Pflanzen zum Gedeihen, ich werde zum Soma, dem Saftreichen.
14. (1396.) Ich, zu dem Verdauungsfeuer geworden, gehe ein in den Leib der Lebenden, und, von Aushauch und Einhauch begleitet, verdaue ich die vier Arten Speise [Getrunkenes, Gelecktes, Gekautes und Verschlungenes].
15. (1397.) Ich bin eingegangen in das Herz eines jeden, von mir stammt Erinnerung und Erkenntnis, sowie deren Verlust, auch bin ich es, der durch alle Veden zu erkennen ist, ich bin der Schöpfer des Vedânta und der Kenner des Veda.
16. (1398.) Es gibt in der Welt diese beiden Purusha's, den vergänglichen und den unvergänglichen; der vergängliche sind alle Wesen,[103] der unvergängliche wird der an der Spitze stehende genannt.
17. (1399.) Der höchste Purusha aber ist ein anderer, er wird der höchste Âtman genannt; eingehend in die drei Welten, trägt er sie als unvergänglicher Gottherr.
18. (1400.) Weil ich dem Vergänglichen überlegen und, als auch über das Unvergängliche erhaben, der Höchste bin, darum werde ich in der Welt und im Veda gefeiert als der höchste Purusha.
19. (1401.) Wer mich in dieser Weise unbetört erkennt als höchsten Purusha, der weiss [in mir] alles und verehrt mich vermöge seines Allbewusstseins, o Bhârata.
20. (1402.) Damit ist von mir, o Untadeliger, diese geheimnisvolle Lehre verkündigt worden; wer diese erkennt, der hat Erkenntnis, der hat das zu Erreichende erreicht, o Bhârata.
So lautet in der Bhagavadgîtâ die Hingebung an den höchsten Purusha (purushottama-yoga).
1 Schon der Verfasser scheint irrtümlich an den Nyagrodha (Ficus indica) zu denken; vgl. die Anmerkung zu Kâṭh. Up. 6,1, Sechzig Upanishad's S. 284.