Dreizehntes Kapitel

[87] Wie nun das Was eines Gegenstandes in den Definitionen wiedergegeben wird und in welcher Weise ein Beweis und eine Definition davon gegeben werden kann oder nicht, habe ich früher gesagt; jetzt werde ich sagen, wie man in dem Was dasjenige, was von ihm auszusagen ist, aufzusuchen habe.[87]

Von dem, was einem einzelnen Dinge immer einwohnt, erstreckt sich Manches auch auf andere Dinge, nur nicht ausserhalb der Gattung. Unter dem: »Mehreren einwohnen« meine ich solche Bestimmungen, welche in jedem Einzelnen zwar allgemein enthalten sind, indess auch bei anderen vorkommen. So giebt es z.B. eine Bestimmung, welche in jeder Dreizahl enthalten ist, aber auch in Dingen, die keine Dreizahl sind; so ist das Seiende zwar in der Dreizahl enthalten, aber auch in Anderem, was keine Zahl ist. Auch das ungerade ist in jeder Drei enthalten und ist doch auch noch in Anderem enthalten, wie z.B. in der Fünf; aber nicht in Dingen einer andern Gattung; denn die Fünf ist doch eine Zahl, aber ausserhalb der Zahlen giebt es kein solches Ungerade.

Dergleichen Bestimmungen muss man nun so lange herausheben, bis man so viele derselben erlangt hat, dass die einzelnen zwar auch andern Dingen zukommen, aber sie alle zusammen keinem andern Dinge weiter; denn dann müssen sie das Wesen der Sache enthalten. So ist z.B. in jeder Drei die Zahl und das Ungerade enthalten und zwar ist sie die erste ungerade Zahl; ferner kann sie durch keine andere Zahl gemessen werden und ist gleichsam aus andern Zahlen nicht zusammengesetzt. Dieses ist somit die Drei; nämlich die erste ungerade Zahl und zwar die erste in dieser Weise. Einzelne dieser Bestimmungen sind auch in allen andern ungeraden Zahlen enthalten und das »erste« auch in der Zwei; allein alle zusammen sind in keinem andern Dinge enthalten.

Nun ist bereits früher uns bekannt geworden, dass die von dem Was der Dinge ausgesagten Bestimmungen nothwendige sind und dass die allgemeinen Bestimmungen nothwendige sind; wenn also bei der Drei oder bei einem andern Gegenstande die in dessen Was enthaltenen Bestimmungen so aufgesucht werden, so wird auch die Drei somit nothwendig aus diesen Bestimmungen bestehen. Dass sie aber das Wesen der Sache bilden, erhellt daraus, dass wenn diese Bestimmungen nicht das Wesen der Drei bildeten, sie doch irgend eine Gattung bilden müssten, die entweder einen Namen hätte, oder ohne Namen wäre, und dann würde eine solche für Mehreres, als die Drei gelten; denn es ist angenommen worden,[88] dass die Gattung von der Beschaffenheit ist, dass sie möglicherweise sich auch auf mehreres Andere erstrecken kann; wenn aber diese Bestimmungen zusammen keinem andern Gegenstande, als den einzelnen Dreien zukommen, so werden sie das Was der Drei sein. Denn auch das ist festgestellt worden, dass das Wesen des einzelnen Gegenstandes eine solche Aussage ist, welche für alle Einzelnen derselben gilt. Deshalb werden die in dieser Art dargelegten Bestimmungen auch für jeden andern zu diesem Begriff gehörenden Gegenstand das Was desselben ausmachen.

Man muss, wenn man ein ganzes Gebiet regelrecht untersucht, die Gattung bis zu den ersten nicht weiter theilbaren untersten Arten trennen, also z.B. die Zahl in die Drei und die Zwei; dann muss man versuchen die Definitionen dieser Arten zu gewinnen, z.B. die Definitionen der geraden Linie, des Kreises und des rechten Winkels; dann muss man die Gattung aufsuchen, z.B. ob der Gegenstand zu den Grössen oder zu den Beschaffenheiten gehört und deren eigenthümliche Eigenschaften vermittelst der gemeinsamen obersten Bestimmungen in Betracht nehmen. Denn das, was den zusammengesetzten Dingen in Folge der in ihnen enthaltenen einfachen Bestandtheile zukommt, kann aus den Definitionen des Einfachen entnommen werden, weil die Definition und das Einfache der Anfang von allen Gegenständen sind und nur den einfachen Dingen deren Eigenschaften an sich zukommen, den andern Dingen aber nur beziehungsweise durch jene.

Die nach den Art-Unterschieden geschehenden Eintheilungen sind für ein solches Verfahren zu gebrauchen; wie sie aber zu Beweisen dienen, ist früher gesagt worden. Diese Eintheilungen werden daher hier nur zu gebrauchen sein, um das Was eines Gegenstandes aufzufinden.

Doch könnte man dies für Nichts halten, und vielmehr gleich alle Bestimmungen aufnehmen wollen, so etwa, wie wenn man ohne Eintheilung alles gleich beim Beginne aufnimmt. Allein es ist ein Unterschied, ob von den ausgesagten Bestimmungen die eine zuerst und die andere nachher ausgesagt wird, z.B. ob man sagt: ein Geschöpf, was zahm und zweifüssig ist, oder ein Zweifüssiges,[89] was Geschöpf und zahm ist. Denn wenn das Ganze aus zwei Bestimmungen besteht und die eine das zahme Geschöpf ist und wenn dann aus diesem und dem Art-Unterschied der Mensch oder was sonst das so gewordene eine Ding sein mag, sich ergiebt, so muss man auf der Eintheilung und die dadurch gewonnenen Bestimmungen bestehen. Auch kann man nur auf diesem Wege sich sichern, dass keine in dem Was enthaltene Bestimmung übersehen wird. Denn wenn man zuerst die Gattung angesetzt hat und dann eine von den tiefer unter ihr stehenden Eintheilungen hinzunimmt, so wird nicht das ganze Gebiet von solcher Definition befasst werden; so sind z.B. alle Thiere nicht blos mit gespaltenen Flügeln oder zusammengewachsenen Flügeln versehen, sondern das ganze Gebiet umfasst hier alle überhaupt geflügelten Geschöpfe; erst bei diesem tritt jener Unterschied ein. Die erste Unterscheidung betrifft aber das Geschöpf und unter diese müssen alle Geschöpfe fallen. Ebenso muss man in jedem andern Falle verfahren, mag der Gegenstand ausserhalb einer bestimmten Gattung fallen, oder zu ihr gehören; so muss z.B. bei den Vögeln die Eintheilung derselben alle Vögel umfassen und ebenso bei den Fischen alle Fische. Wenn man so vorschreitet, so kann man wissen, dass man nichts übersieht, während man bei einem andern Verfahren nothwendig manches auslassen und nicht bemerken wird.

Indess braucht man behufs einer Definition und Eintheilung nicht alle einzelnen Dinge zu kennen, obgleich Manche behaupten, dass man unmöglich die unterschiedenen Bestimmungen der einzelnen Dinge kennen könne, wenn man nicht alle einzelnen kenne und das Einzelne sei ohne Kenntniss seiner unterschiedenen Bestimmungen nicht zu kennen; denn so weit das Einzelne von dem Andern sich nicht unterscheide, sei es mit ihm ein und dasselbe und so weit es sich von ihm unterscheide, sei es ein Anderes. Zunächst ist nun diese letzte Behauptung falsch; denn nicht jeder Unterschied macht Etwas zu einem Anderen; denn viele Unterschiede bestehen bei Dingen von derselben Art, aber sie betreffen nicht deren Wesen oder die ihnen an sich zukommenden Eigenschaften. Wenn man ferner dem Art-Unterschied gegenüber das widersprechend Entgegengesetzte ansetzt, so dass Alles entweder[90] unter jenen oder unter dieses fallen muss und den zu definirenden Gegenstande in einem von beiden sucht und ihn kennt, so ist es gleichgültig, ob man weiss oder nicht weiss, welche Unterschiede von den Dingen des entgegengesetzten Gebietes ausgesagt werden können. Denn wenn man so vorschreitet, so gelangt man offenbar zu Bestimmungen, die nicht mehr getheilt werden können und man wird dann den Begriff des Wesens des zu definirenden Gegenstandes erlangt haben. Auch ist der Satz, dass alle Dinge unter die Eintheilung fallen müssen, wenn die Glieder derselben einander so entgegenstehen, dass nichts dazwischen bleibt, kein blosser Satz, dessen Zugeständniss man verlangt, sondern es ist eine Nothwendigkeit, dass alles unter eines oder das andere dieser Glieder falle, wenn der Eintheilungsgrund von der Gattung ausgegangen ist.

Um die Definition einer Sache vermittelst des Eintheilens zu erlangen, muss man auf Dreierlei Acht haben; man muss die ausgesagten Bestimmungen dem Was der Sache entnehmen, dann von diesen die erste vor die zweite stellen und endlich muss man diese Bestimmungen sämmtlich aufstellen. Jenes muss und zwar zuerst geschehen, weil man ebensowohl aus nur nebenbei bestehenden Bestimmungen durch Schluss folgern kann, dass die Sache besteht, wie dies vermittelst des Gattungsbegriffes geschehen kann. Zweitens wird dann die Ordnung so sein, wie es sich gehört, wenn man das Oberste zuerst ansetzt, und dies ist diejenige Bestimmung, welche von allen Einzelnen ausgesagt werden kann, während umgekehrt kein Einzelnes von ihm ausgesagt werden kann; denn dieser Art muss das Oberste sein. Wenn man dasselbe so angesetzt hat, so muss man weiter bei den niedern Bestimmungen ebenso verfahren; denn die zweite unterscheidende Bestimmung wird wieder die erste in Bezug auf alle zu ihr gehörenden Dinge sein und die dritte ist die erste für die unter diese fallenden Dinge. Denn wenn man das Obere wegnimmt, so wird dann die zunächst folgende Bestimmung die erste für die übrigen Dinge sein. Ebenso ist also auch mit den weitem unterschiedenen Bestimmungen zu verfahren. Dass aber zuletzt sämmtliche Bestimmungen bei diesem Verfahren gefunden werden, erhellt daraus, dass man mit der Eintheilung der[91] obersten Gattung beginnt, also dass z.B. Alles entweder dieses oder jenes Geschöpf ist. Ist nun der Gegenstand zu dem einen gehörig, so wird wieder von diesem als Ganzen der Eintheilungsgrund genommen, bis zuletzt ein solcher nicht mehr besteht. Dann werden diese Bestimmungen einschliesslich des letzten Unterschiedes als Ganzes sich nicht mehr der Art nach von dem zu definirenden Gegenstande unterscheiden. Denn es ist klar, dass dann weder zu viele Bestimmungen zusammengefasst sind, weil sie alle aus dem Was des Gegenstandes entnommen sind, noch eine ausgelassen ist, da dies entweder die Gattung oder ein Art-Unterschied sein müsste. Nun ist aber die Gattung das Erste gewesen und zu ihm sind die Art-Unterschiede hinzugenommen worden; die Art-Unterschiede grenzen aber aneinander und ein noch weitergehender ist nicht vorhanden; denn dann müsste das Letzte sich wieder der Art nach unterscheiden, während doch angenommen worden, dass dies nicht mehr der Fall sei.

Bei dieser Ermittlung muss man auf Einzelne, welche einander ähnlich und nicht unterschieden sind, achten und zunächst sehen, welche Bestimmung in ihnen allen dieselbe ist; dann muss man wieder auf die davon unterschiedenen Andern achten, welche aber mit jenen zu derselben Gattung gehören und unter sich zwar von gleicher Art, aber von jenen verschieden sind. Wird nun bei diesen Etwas gefunden, was in allen dasselbe ist und verfahrt man mit den andern ebenso, so muss man dann bei beiden Klassen wieder etwas aufsuchen, was beiden gemeinsam ist, bis man zu einem urtheilbaren Begriff gelangt. Dieser wird dann die Definition der Sache sein. Kommt man aber hierbei nicht zu einem Begriff, sondern zu zweien oder mehreren, so kann offenbar das Gesuchte nicht ein Einiges sein, sondern Mehreres. Wenn man z.B. ermitteln will, was die Grossherzigkeit ist, so muss man auf einige grossherzige Personen achten, die man als grossherzige kennt und sehen, welche eine Bestimmung bei ihnen allen als grossherzigen vorhanden ist. Sind z.B. Alkibiades und Achilles und Ajax grossherzig, so frägt es sich, welche eine Bestimmung findet sich bei ihnen allen? Antwort: Dass sie Beleidigungen nicht ertrugen; denn der eine begann deshalb einen Krieg, der andere zürnte und der dritte tödete sich selbst. Alsdann[92] betrachtet man andere Grossherzige, z.B. den Lysander und den Socrates; findet sich nun bei diesen, dass sie sowohl Glück wie Unglück mit Gelassenheit ertrugen, so nimmt man diese beiden Bestimmungen und sieht, welche gemeinsame Bestimmung die Gelassenheit bei Glück und Unglück und das Nichtertragen von Beleidigungen enthalten. Ist keine solche gemeinsame Bestimmung in ihnen enthalten, so gäbe es dann zwei Arten von Grossherzigkeit.

Der Begriff ist immer allgemeiner Natur; denn der Arzt sagt nicht, dass etwas diesem Auge heilsam sei, sondern, entweder dass es für alle Augen heilsam ist, oder er unterscheidet nach den Arten der Augen. Es ist aber leichter das Einzelne als das Allgemeine zu bestimmen; deshalb muss man von dem Einzelnen zu dem Allgemeinen übergehen. Auch bleiben die Fälle, wo dasselbe Wort verschiedene Begriffe bezeichnet, bei dem Allgemeinen leichter unbemerkt, als bei den untersten Arten.

So wie in den Beweisen das Schliessen enthalten sein muss, so in den Begriffen das Deutliche. Dies wird dann der Fall sein, wenn durch die von den Einzelnen ausgesagten Bestimmungen jede Gattung zunächst für sich definirt wird. So darf man also bei der Definition des Aehnlichen nicht gleich alles in Betracht nehmen, sondern erst das, was bei den Farben das Aehnliche ist und dann das bei den Gestalten; ebenso bei dem Scharfen, zunächst das Scharfe in der Stimme und man darf erst von da ab zu dem, allen diesen Arten Gemeinsamen vorschreiten und dabei muss man sich vorsehen, dass man nicht in Zweideutigkeiten gerathe. Wenn man ferner schon bei mündlichen Erörterungen keine bildlichen Ausdrücke gebrauchen soll, so erhellt, dass man auch nicht durch bildliche Ausdrücke und das, was durch solche bezeichnet wird, definiren darf; denn sonst würden diese Ausdrücke auch in den mündlichen Erörterungen nicht zu vermeiden sein.

Quelle:
Aristoteles: Zweite Analytiken oder: Lehre vom Erkennen. Leipzig [o.J.], S. 87-93.
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