[674] 273
Der beste Weg ist der des Heils,
Die beste Wahrheit die des Leids,
Der Dinge bestes Heiligkeit,
Der beste Mensch der Sehende.
274
Ja, dieser ist der wahre Weg,
Kein andrer macht das Auge rein;
In seiner Fährte schreitet hin,
So blendet ihr den Herrscher Tod.
275
In seiner Fährte vorschreitend
Macht ihr ein Ende allem Leid;
Verkündet ward von mir der Weg,
Erkannt die Ebbung aller Qual.
276
Ihr selbst müßt streben heißen Sinns,
Die Buddhos sind Verkünder nur;
Den Standhaften, den Weisen wird
Erlösung aus dem Todesreich.
277
»Das ganze Sein fließt immerfort« –
Wer dies mit weisem Sinne sieht,
Wird bald des Leidelebens satt:
Das ist der Weg zur Läuterung.
[675] 278
»Das ganze Sein ist flammend Leid« –
Wer dies mit weisem Sinne sieht,
Wird bald des Leidelebens satt:
Das ist der Weg zur Läuterung.
279
»Die ganze Welt ist wesenlos« –
Wer dies mit weisem Sinne sieht,
Wird bald des Leidelebens satt:
Das ist der Weg zur Läuterung.
280
In Kampfesnöten ohne Kampfesneigung,
Jung, kräftig, und doch schwach und matt und lässig,
Verzagten, trägen Denkens und Entschließens,
Nicht findet weise der Bequemliche den Weg.
Die Rede wahrend, wahrend die Gedanken,
Bewahr' vor allem Bösen auch dein Handeln;
Hast die drei Tatengänge du geläutert,
Magst du gelangen auf den Weg der Heiligen.
282
Der Weisheit Vater ist der Ernst,
Der Leichtsinn ist der Weisheit Tod;
Erkenne wohl den Scheideweg:
Da winkt der Tod, das Leben dort,
Und wähle standhaft jenen Pfad,
Wo deine Weisheit wachsend steigt.
Den Willen fället, nicht den Wald,
Im Willenswalde wohnet Graus;
Habt diesen Wald ihr ganz gefällt,
Dann, Jünger, seid ihr willenslos1.
[676] 284
So lang vertilgt nicht ist die Willensgier,
Ganz, ohne kleinsten Rest, des Manns zum Weibe,
So lang auch bleibet er gebunden,
Wie an die Mutterkuh ein säugend Kalb.
Entreiß' dir alle Eigenliebe,
Wie man im Herbste Spargellotus auszieht;
Vollende die Erlösung, das Nibbānam,
Das der Vollkommene verkündet hat.
286
»Hier werde ich die Regenzeit
Und dort den Sommer zubringen«:
So plant und überlegt der Tor,
Der Zwischenfälle denkt er nicht.
287
Wem Weib und Kind und Haus und Hof
Betörend fesseln jeden Sinn,
Dem naht, wie Hochflut überfällt
Ein schlafend Dorf, der jache Tod.
288
Die Kinder bieten keinen Schutz,
Die Eltern nicht, die Brüder nicht,
Kein Freund und kein Genosse hilft,
Wann uns der Tod ergriffen hat.
289
Wer dies als notwendig erkennt,
Der Weise, treu der Ordenszucht,
Wird klären binnen kurzer Zeit
Den Weg, der zum Nibbānam führt.
1 Pāli: nibbāo (neg. von vānam, Begierde, Wille, Wunsch = wunschlos, erloschen, erlöst.)
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1799 schreibt Novalis seinen Heinrich von Ofterdingen und schafft mit der blauen Blume, nach der der Jüngling sich sehnt, das Symbol einer der wirkungsmächtigsten Epochen unseres Kulturkreises. Ricarda Huch wird dazu viel später bemerken: »Die blaue Blume ist aber das, was jeder sucht, ohne es selbst zu wissen, nenne man es nun Gott, Ewigkeit oder Liebe.« Diese und fünf weitere große Erzählungen der Frühromantik hat Michael Holzinger für diese Leseausgabe ausgewählt.
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