I. Bd., III. Thls.

32. Suttaṃ.

Die Weisheitserlösung

[907] Nicht wer zehn hunderttausende von Kämpfern in der Schlacht gefällt,

Wer einzig nur sich selbst besiegt, der, wahrlich, ist der grösste Held.

Dhammapadam, v. 103.


Es gab niemals grösseres Heldenthum, noch Streit, noch Kampf, als wenn Einer sein Selbst vergisst und verleugnet.

Meister Eckhard, Spruch 24.


Der ehrwürdige Ānando begab sich nun dorthin, wo der Erhabene weilte. Dort angelangt begrüsste er den Erhabenen ehrerbietig und setzte sich zur Seite nieder. Hierauf nun sprach der ehrwürdige Ānando zu dem Erhabenen also:

»Kann einem Mönche, o Herr, eine derartige Selbstvertiefung zutheil werden, dass sich weder in diesem seinen mit Bewusstsein behafteten Körper die Gedanken des ›Ich‹, des ›Mein‹ und des Sichdünkens erheben, noch auch bei irgendwelchen äusseren Erscheinungen die Gedanken des ›Ich‹, des ›Mein‹ und des Sichdünkens entstehn, und wo ihm, im Besitze dieser Gemüthserlösung, Weisheitserlösung verweilend, die Gedanken des ›Ich‹, des ›Mein‹ und des Sichdünkens nicht kommen: kann er im Besitze einer solchen Gemüthserlösung, Weisheitserlösung verweilen?«

»Es kann, Ānando, einem Mönche eine derartige Selbstvertiefung zutheil werden, dass sich weder in diesem seinen mit Bewusstsein behafteten Körper die Gedanken des ›Ich‹, des ›Mein‹ und des Sichdünkens erheben, noch auch bei irgendwelchen äusseren Erscheinungen die Gedanken des ›Ich‹, des ›Mein‹ und des Sichdünkens entstehn, und wo ihm, im Besitze dieser Gemüthserlösung, Weisheitserlösung verweilend, die Gedanken des ›Ich‹, des ›Mein‹ und des Sichdünkens nicht kommen: im Besitze einer solchen Gemüthserlösung, Weisheitserlösung kann er verharren.«

»Inwiefern aber, o Herr, kann er es?«

»Da wird, o Ānando, dem Mönche also: ›Dies ist das Heilige, Dies ist das Vollendete: das Aufhören aller Unterscheidung, das Sichlosmachen von allem Lebensdrang, die Willensverneinung (taṇhakkhayo), die Ruhe, die Auflösung, das Nibbānaṃ.‹ Solcherart, wahrlich, Ānando, kann einem Mönche jene Selbstvertiefung zutheil werden, [907] wo sich weder in diesem seinen mit Bewusstsein behafteten Körper die Gedanken des ›Ich‹, des ›Mein‹ und des Sichdünkens erheben, noch auch bei irgendwelchen äußeren Erscheinungen die Gedanken des ›Ich‹, des ›Mein‹ und des Sichdünkens entstehn, und wo ihm, im Besitze dieser Gemüthserlösung, Weisheitserlösung verweilend, die Gedanken des ›Ich‹, des ›Mein‹ und des Sichdünkens nicht kommen: so kann er im Besitze jener Gemüthserlösung, Weisheitserlösung verharren. – Und Dies habe ich auch, Ānando, in Kürze am Ende des Gesprächs mit Puṇṇako9 gesagt:


›Der Welten Höh'n und Tiefen habe ich durchforschet:

Wen nirgendwo mehr in der Welt Unruhe quälet,

Der Heil'ge, Reine, Leidlose, vom Wollen Freie,

Hat der Geburten und des Alterns Meer durchschwommen.‹«


Da nun begab sich der ehrwürdige Sāriputto zu dem Erhabenen, begrüsste den Erhabenen ehrerbietig und setzte sich zur Seite nieder. Hierauf wandte sich der Erhabene an den ehrwürdigen Sāriputto:

»Mag ich nun in Kürze, o Sāriputto, die Wahrheit verkünden, mag ich nun ausführlich, o Sāriputto, die Wahrheit verkünden, mag ich nun in Kürze und ausführlich, o Sāriputto, die Wahrheit verkünden: Versteher sind schwer zu finden.«

»Dies ist das Zeitalter des Erhabenen, dies ist das Zeitalter des Vollkommenen, wo der Erhabene in Kürze die Wahrheit verkünden möge und ausführlich die Wahrheit verkünden möge und in Kürze und ausführlich die Wahrheit verkünden möge: es werden sich Versteher der Wahrheit finden.«

»Wohlan denn, Sāriputto, so strebet unentwegt also: ›In diesem mit Bewusstsein behafteten Körper werden sich die Gedanken des »Ich«, des »Mein« und des Sichdünkens nicht erheben, und auch bei allen äusseren Erscheinungen werden die Gedanken des »Ich«, des »Mein« und des Sichdünkens nicht entstehn, und, im Besitze dieser Gemüthserlösung, Weisheitserlösung verharrend, werden uns die Gedanken des »Ich«, des »Mein« und des Sichdünkens nicht kommen: im Besitze jener Gemüthserlösung, Weisheitserlösung werden wir verharren.‹ So, wahrlich, Sāriputto, habet ihr unentwegt zu streben. Insofern nun, Sāriputto, ein Mönch dieses Ziel erreicht, verharrt er im Besitze jener Gemüthserlösung, Weisheitserlösung. Ein Solcher, Sāriputto, heisst ein Mönch, der den Willen zum Leben (taṇhā) abgeschnitten, das Daseinsband abgestreift, durch die vollkommene Durchschauung des Egoïsmus dem Leiden ein Ende gemacht hat. – Und Dies habe ich auch, Sāriputto, in Kürze im Gespräche mit Udayo10 gesagt:


›Wenn jeder Lust des Willens man entsagt hat und dem Trübsinne,

Wenn man dem Sumpf der Trägheit und der Unruhe entflohen ist,

Dann wird die von der Wahrheit ganz geläuterte gemüthsreine

Weisheitserlösung – Dies kund' ich – des Nichtwissens Zerstörerin.‹«


Quelle:
Die Reden Gotamo Buddhos. Bd. 3, Zürich/Wien 1957, S. 907-909.
Lizenz:
Kategorien: