[323] Das allgemeine Prinzip. Dieser kühne Geist hat zuerst das tiefe Wort gesagt: »Das Sein ist nicht mehr als das Nichtsein«, es ist ebensowenig; oder Sein und Nichts sei dasselbe, das Wesen sei die Veränderung. Das Wahre ist nur als die Einheit Entgegengesetzter; bei den Eleaten haben wir den abstrakten Verstand, daß nur das Sein ist. Wir sagen für[323] Heraklits Ausdruck: Das Absolute ist die Einheit des Seins und Nichtseins. Wenn wir jenen Satz »Das Sein ist nicht mehr als das Nichtsein« so hören, so scheint dies nicht viel Sinn zu produzieren, nur allgemeine Vernichtung, Gedankenlosigkeit. Aber wir haben noch einen anderen Ausdruck, der den Sinn des Prinzips näher angibt. Heraklit sagt nämlich: »Alles fließt (panta rhei), nichts besteht, noch bleibt es je dasselbe.« Und Platon sagt weiter von Heraklit: »Er vergleicht die Dinge mit dem Strome eines Flusses, – daß man zweimal in denselben Strom nicht einschreiten könne«; er fließt, und man berührt anderes Wasser. Seine Nachfolger sagen sogar, man könne nicht einmal einschreiten, indem er sich unmittelbar verändert; was ist, ist sogleich auch wieder nicht. Aristoteles sagt ferner, Heraklit stelle auf, es sei nur Eins, was bleibt; aus diesem werde alles andere umgeformt, verändert, herausgebildet; alles andere außer diesem Einen fließe, es sei nichts fest, nichts aushaltend; d.h. das Wahre ist das Werden, nicht das Sein, – die nähere Bestimmung für diesen allgemeinen Inhalt ist das Werden. Die Eleaten sagten, nur das Sein ist, ist das Wahre; die Wahrheit des Seins ist das Werden; Sein ist der erste Gedanke, als unmittelbar. Heraklit sagt: alles ist Werden; dies Werden ist das Prinzip. Dies liegt in dem Ausdrucke »Das Sein ist sowenig als das Nichtsein; das Werden ist und ist auch nicht«. Die schlechthin entgegengesetzten Bestimmungen sind in eins verbunden; wir haben das Sein darin und auch das Nichtsein. Es gehört nicht bloß dazu das Entstehen, sondern auch das Vergehen; beide sind nicht für sich, sondern identisch. Dies hat Heraklit damit ausgesprochen. Das Sein ist nicht, so ist das Nichtsein, und das Nichtsein ist nicht, so ist das Sein; dies ist das Wahre der Identität beider.
Es ist ein großer Gedanke, vom Sein zum Werden überzugehen; es ist noch abstrakt, aber zugleich ist es auch das erste[324] Konkrete, die erste Einheit entgegengesetzter Bestimmungen. Diese sind so in diesem Verhältnisse unruhig, das Prinzip der Lebendigkeit ist darin. Es ist damit der Mangel ersetzt, den Aristoteles an den früheren Philosophien aufgezeigt hat, – der Mangel der Bewegung; diese Bewegung ist nun hier selbst Prinzip. Es ist so diese Philosophie keine vergangene; ihr Prinzip ist wesentlich und findet sich in meiner Logik im Anfange, gleich nach dem Sein und dem Nichts.
Es ist eine große Einsicht, die man daran hat, daß man erkannt hat, daß Sein und Nichtsein nur Abstraktionen ohne Wahrheit sind, das erste Wahre nur das Werden ist. Der Verstand isoliert beide als wahr und geltend; hingegen die Vernunft erkennt das eine in dem anderen, daß in dem einen sein Anderes enthalten ist, – und so ist das All, das Absolute zu bestimmen als das Werden.
Heraklit sagt auch, das Entgegengesetzte sei an demselben, wie z.B. »der Honig süß und bitter«, – Sein und Nichtsein ist so am selben. Sextus merkt an: Heraklit gehe wie die Skeptiker von den gemeinen Vorstellungen der Menschen aus; es werde niemand leugnen, daß die Gesunden von dem Honig sagen, er ist süß, die Gelbsüchtigen, er ist bitter; -wenn er nur süß ist, so könnte er seine Natur nicht durch ein Anderes verändern, er wäre allenthalben, auch im Gelbsüchtigen, süß. Zenon fängt an, die entgegengesetzten Prädikate aufzuheben, und zeigt an der Bewegung das Entgegengesetzte auf, – ein Gesetztwerden der Grenze und ein Aufheben der Grenze; Zenon hat das Unendliche nur von seiner negativen Seite ausgesprochen, – wegen seines Widerspruchs, als das Nichtwahre. In Heraklit sehen wir das Unendliche als solches oder seinen Begriff, Wesen ausgesprochen: das Unendliche, an und für sich Seiende ist die Einheit Entgegengesetzter, und zwar der allgemein Entgegengesetzten, des reinen Gegensatzes, Sein und Nichtsein. Nehmen wir [das[325] Seiende] an und für sich, nicht die Vorstellung des Seienden, des erfüllten, so ist das reine Sein der einfache Gedanke, worin alles Bestimmte negiert ist, das absolut Negative: nichts aber ist dasselbe, eben dies Sichselbstgleiche, – absoluter Übergang in das Entgegengesetzte, zu dem Zenon nicht kam: »Aus Nichts wird Nichts«. Bei Heraklit ist das Moment der Negativität immanent; darum handelt sich der Begriff der ganzen Philosophie.
Zunächst haben wir die Abstraktion von Sein und Nichtsein gehabt, in ganz unmittelbar allgemeiner Form; näher hat aber auch Heraklit die Gegensätze auf bestimmtere Weise aufgefaßt. Es ist diese Einheit des Realen und Ideellen, des Objektiven und Subjektiven; das Subjektive ist nur das Werden zum Objektiven, ist sonst ohne Wahrheit; das Objektive ist Werden zum Subjektiven. Dies Wahre ist der Prozeß des Werdens; Heraklit hat dies Sichineinssetzen der Unterschiede in bestimmter Form ausgedrückt. Aristoteles sagt z.B., Heraklit habe überhaupt »zusammengebunden Ganzes und Nichtganzes« (Teil) – das Ganze macht sich zum Teil, und der Teil ist dies, zum Ganzen zu werden –, »Zusammengehendes und Widerstreitendes«, ebenso »Einstimmendes und Dissonierendes«; und aus allem (Entgegengesetzten) sei Eins, und aus Einem alles. Dies Eine ist nicht das Abstrakte, sondern die Tätigkeit, sich zu dirimieren; das tote Unendliche ist eine schlechte Abstraktion gegen diese Tiefe, die wir bei Heraklit sehen. Sextus Empiricus führt an, Heraklit habe gesagt: Der Teil ist ein Verschiedenes vom Ganzen, und er ist auch dasselbe, was das Ganze ist die Substanz ist das Ganze und der Teil. Daß Gott die Welt geschaffen, sich selbst dirimiert, seinen Sohn erzeugt hat usw. – alles dies Konkrete ist in dieser Bestimmung enthalten. Platon sagt in seinem Symposion (187) von dem Prinzip des Heraklit: »Das Eine, von sich selbst unterschieden, eint sich[326] mit sich selbst«, – dies ist der Prozeß der Lebendigkeit, »wie die Harmonie des Bogens und der Leier«. Er läßt dann den Eryximachos, der im Symposion spricht, dies kritisieren, daß die Harmonie disharmoniere oder aus Entgegengesetzten sei, denn nicht aus dem Hohen und Tiefen, insofern sie verschieden sind, entstehe die Harmonie, sondern durch die Kunst der Musik geeint. Dies ist aber kein Widerspruch gegen Heraklit, der eben dies will. Das Einfache, die Wiederholung des einen Tones ist keine Harmonie. Zur Harmonie gehört der Unterschied; es muß wesentlich, schlechthin ein Unterschied sein. Diese Harmonie ist eben das absolute Werden, Verändern, – nicht Anderswerden, jetzt dieses und dann ein Anderes. Das Wesentliche ist, daß jedes Verschiedene, Besondere verschieden ist von einem Anderen, – aber nicht abstrakt irgendeinem Anderen, sondern seinem Anderen; jedes ist nur, insofern sein Anderes an sich in seinem Begriffe enthalten ist. Veränderung ist Einheit, Beziehung beider auf Eins, ein Sein, dieses und das Andere. In der Harmonie oder im Gedanken geben wir dies zu; sehen, denken die Veränderung, wesentliche Einheit. Der Geist bezieht sich im Bewußtsein auf das Sinnliche, und dies Sinnliche ist sein Anderes. So auch bei den Tönen; sie müssen verschieden sein, aber so, daß sie auch einig sein können, – und dies sind die Töne an sich. Zur Harmonie gehört bestimmter Gegensatz, sein Entgegengesetztes, wie bei Farbenharmonie. Die Subjektivität ist das Andere der Objektivität, nicht von einem Stück Papier – es fällt das Sinnlose hiervon gleich auf –, es muß sein Anderes sein, und darin liegt eben ihre Identität; so ist jedes das Andere des Anderen als seines Anderen. Dies ist das große Prinzip des Heraklit; es kann dunkel erscheinen, aber es ist spekulativ; und dies ist für den Verstand, der das Sein, Nichtsein, das Subjektive und Objektive, das Reelle und Ideelle für sich festhält, immer dunkel.[327]
Ausgewählte Ausgaben von
Vorlesungen über die Geschichte der Philosophie
|
Buchempfehlung
In Paris ergötzt sich am 14. Juli 1789 ein adeliges Publikum an einer primitiven Schaupielinszenierung, die ihm suggeriert, »unter dem gefährlichsten Gesindel von Paris zu sitzen«. Als der reale Aufruhr der Revolution die Straßen von Paris erfasst, verschwimmen die Grenzen zwischen Spiel und Wirklichkeit. Für Schnitzler ungewöhnlich montiert der Autor im »grünen Kakadu« die Ebenen von Illusion und Wiklichkeit vor einer historischen Kulisse.
38 Seiten, 3.80 Euro