[308] Deutsche Philosophie. Die Deutschen trieben sich in dieser Zeit in ihrer Leibnizisch-Wolffischen Philosophie ruhig herum, in ihren Definitionen, Axiomen, Beweisen, als sie, nach und nach vom Geiste des Auslandes angeweht, in alle Erscheinungen eingingen, die dort erzeugt worden waren, den Lockeschen Empirismus hegten und pflegten und auf der andern Seite zugleich die metaphysischen Untersuchungen auf die Seite legten und sich um die Wahrheiten, wie sie dem gesunden Menschenverstand begreiflich sind, bekümmerten, – in die Aufklärung und Betrachtung der Nützlichkeit aller Dinge warfen, eine Bestimmung, die sie von den Franzosen aufnahmen. Die Nützlichkeit als das Wesen der seienden Dinge ist, daß sie bestimmt werden als nicht an sich, sondern für Anderes seiend, – ein notwendiges Moment, aber nicht das einzige. Die philosophischen Untersuchungen hierüber waren zu einer Mattigkeit der Popularität heruntergesunken, die nicht tiefer stehen konnte. Es ist steife Pedanterie und Ernsthaftigkeit. Die Deutschen sind Bienen, die allen Nationen Gerechtigkeit widerfahren lassen, ehrliche Trödler, denen alles gut genug ist und die mit allem[308] Schacher treiben. Von fremden Nationen aufgenommen, hatte alles dieses die geistreiche Lebendigkeit, Energie, Originalität verloren, die den Inhalt bei den Franzosen über der Form vergessen machte. Die Deutschen, die ehrlicherweise die Sache recht gründlich machen wollten und an die Stelle des Witzes und der Lebhaftigkeit Vernunftgründe setzen wollten, was ja Witz und Lebhaftigkeit eigentlich nicht beweisen, bekamen auf diese Weise einen so leeren Inhalt in die Hände, daß nichts langweiliger als diese gründliche Behandlung sein kann; so bei Eberhard, Tetens etc.
Nicolai, Mendelssohn, Sulzer und dergleichen philosophierten vorzüglich auch über den Geschmack und die schönen Wissenschaften; denn die Deutschen sollten auch eine schöne Literatur und Kunst erhalten. Allein sie gerieten damit nur an die letzte Dürftigkeit des Ästhetischen – Lessing hatte es ein seichtes Geschwätze genannt –, wie im ganzen die Gedichte Gellerts, Weisses, Lessings nicht viel weniger in die letzte Dürftigkeit der Poesie versanken. Die angenehmen und unangenehmen Empfindungen waren es, um die es vorzüglich ging. Von diesem Philosophieren will ich eine Probe anführen, die Nicolai gibt. Es handelt sich vom Vergnügen an der Darstellung tragischer Gegenstände im Trauerspiel:
»Herr Moses: Das Vermögen, zu den Vollkommenheiten eine Zuneigung zu haben und Unvollkommenheiten zu fliehen, ist eine Realität. Daher führt die Ausübung dieses Vermögens ein Vergnügen mit sich, das aber in der Natur comparative kleiner ist als das Mißvergnügen, das aus der Betrachtung des Gegenstands entspringt.
Ich: Selbst alsdann noch, wenn uns die Heftigkeit der Leidenschaft unangenehme Empfindungen verursacht, hat die Bewegung (was ist diese Bewegung anderes als das Vermögen, Vollkommenheiten zu lieben usf.?), die sie mit sich führt, noch Annehmlichkeiten für uns. – Es ist die Stärke[309] der Bewegung, die wir lieben, auch der schmerzlichen Empfindungen ungeachtet, die wider das Angenehme der Leidenschaft streiten und in kurzem obsiegen. – Der Schluß ist gleichfalls einerlei.
Herr Moses: In der Nachahmung hingegen, da der unvollkommene Gegenstand abwesend ist, muß die Lust die Oberhand gewinnen und den geringen Grad der Unlust verdunkeln.
Ich: Eine Leidenschaft also, welche diese Folgen nicht hinterläßt, muß gänzlich angenehm sein. Von dieser Art sind die Nachahmungen der Leidenschaften, welche das Trauerspiel hervorbringt.«
Mit solchem gehaltlosen, matten Gewäsche trieben sie sich herum. Sonst waren die Ewigkeit der Höllenstrafen, die Seligkeit der Heiden, der Gegensatz der Rechtschaffenheit und der Frömmigkeit philosophische Materien, in denen viel gearbeitet wurde; die Franzosen haben sich wenig darum bekümmert. Endliche Bestimmungen wurden geltend gemacht gegen das Unendliche; gegen die Dreieinigkeit: Eins kann nicht Drei sein; gegen die Erbsünde: jeder muß selbst seine Schuld tragen, für seine Handlungen einstehen, sie aus sich selbst getan haben; ebenso gegen die Erlösung: ein anderer kann nicht die Schuld der Strafe übernehmen; gegen Vergebung der Sünde: was geschehen ist, kann nicht ungeschehen gemacht werden; vollends überhaupt die Unverträglichkeit der menschlichen Natur mit der göttlichen.
Die deutsche Aufklärung, welche ohne Geist mit verständiger Ernsthaftigkeit und dem Prinzip der Nützlichkeit die Ideen bekämpfte, streifte zunächst die Methode der Wolffischen Philosophie ab, behielt aber das Flache ihres Inhalts und brachte auch die Metaphysik zur letzten Leerheit herunter, bis Jacobi unerwartet an einen ganz anderen Gehalt der Philosophie, zunächst an den Spinozismus wieder erinnerte,[310] für sich dem vermittelnden Erkennen, welches er als bloßen Verstand auffaßte, den Glauben, d. i. die bloß unmittelbare Gewißheit der äußerlichen, endlichen Dinge sowie des Göttlichen, welches Glauben des Göttlichen er Vernunft nannte, entgegensetzte, – bis Kant der Philosophie, die im übrigen Europa nun aus gegangen war, in Deutschland einen neuen Lebensanstoß gab.
Einerseits sehen wir gesunden Menschenverstand, Erfahrung, Tatsachen des Bewußtseins, andererseits eine Metaphysik, die deutsche Wolffische des trockenen, toten Verstandes. Mendelssohn sehen wir sich orientieren am gesunden Menschenverstand, ihn zur Regel machen. Was eine Bewegung in diese zur gänzlichen Ruhe und Sicherheit gekommene Autorität, die sich von nichts anderem träumen ließ, hineinbrachte, war der Streit Mendelssohns mit Jacobi zuerst darüber, ob Lessing ein Spinozist gewesen, und dann über die Lehre Spinozas selbst. – Es kam bei dieser Gelegenheit zutage, wie sehr Spinoza im allgemeinen vergessen und für welch einen Greuel der Spinozismus gehalten wurde.
Übergang zu Deutschland. Hume und Rousseau sind die beiden Ausgangspunkte der deutschen Philosophie. Cartesius setzt die Ausdehnung dem Denken, als dem schlechthin mit sich Einen, entgegen. Man gibt ihm Dualismus schuld. Aber wie Spinoza und Leibniz hob er die Selbständigkeit der beiden Seiten auf und setzte ihre Einheit (Gott) als das Höchste. Gott ist als diese Einheit zunächst das Dritte; und er bestimmt sich weiterhin so, daß ihm keine Bestimmung zukomme. Wolffs Verstand des Endlichen, überhaupt Schulmetaphysik und verständige Wissenschaft, Ergehen im Beobachten der Natur, erstarkt in seiner Gesetzmäßigkeit, in seinem endlichen Wissen, kehrt sich gegen das Unendliche und die konkreten Bestimmungen der Religion, bleibt bei Abstraktionen stehen in seiner Theologia naturalis; aber das Bestimmte, Entwickelte ist seine Domäne.
Von nun an tritt ein ganz anderer Standpunkt ein. Das[311] Unendliche ist in die Abstraktion oder Unbegreiflichkeit verlegt. Eine unbegreifliche Ausrede! Heutzutage gilt es für das Frömmste, Berechtigtste. Wir sehen das Dritte, die Einheit der Unterschiede, als ein Nicht-Denkbares, – Erkennbares bestimmt; oder diese Einheit ist auf diese Weise eine gedankenlose. Denn sie ist über allem Denken, Gott nicht Denken selbst; sie ist als das absolut Konkrete bestimmt (Einheit von Denken und Sein). Jetzt sind wir so weit gekommen, daß diese Einheit ein solches sei, das schlechthin im Denken sei, dem Bewußtsein angehöre, – die Objektivität des Denkens, die Vernunft als eins und alles. Dieses schwebt den Franzosen vor. Das höchste Wesen, Bestimmungslose, kann auch über der Natur schweben, oder die Natur, die Materie kann die höchste Einheit sein; immer ist Setzen eines Konkreten vorhanden, das zugleich dem Denken angehört. Indem die Freiheit des Menschen als ein schlechthin Letztes aufgestellt worden ist, so ist das Denken selbst als Prinzip aufgestellt. Das Prinzip der Freiheit ist nicht nur im Denken, sondern die Wurzel des Denkens; dieses Prinzip der Freiheit ist auch ein in sich Konkretes, dem Prinzip nach an sich konkret.
So weit ist die Bildung überhaupt und die philosophische Bildung fortgeschritten. Indem so ganz im Bereich des Bewußtseins herein das gesetzt worden ist, was erkennbar ist, und die Freiheit des Geistes als ein Absolutes gefaßt worden, so kann man dies zugleich so nehmen, daß das Wissen ganz in das Endliche hineingetreten ist. Der Standpunkt des Endlichen wurde zugleich für ein Letztes, Gott als ein Jenseits außer dem Denken genommen. Pflichten, Rechte, Erkenntnis der Natur sind endlich. Je mehr die menschliche Vernunft sich in sich gefaßt hat, desto mehr ist sie von Gott abgekommen und hat das Feld des Endlichen erweitert. Die Frage ist dann, wie Gott wieder herbeizuschaffen ist, der früher und im Anfang dieser Periode als das allein Wahre anerkannt wurde. Der Mensch hat sich ein Reich der Wahrheit geschaffen, außer welchem Gott gesetzt ist; so ist es das[312] Reich der endlichen Wahrheit. Die Form der Endlichkeit kann hier die subjektive Form genannt werden; die Freiheit, Ichheit des Geistes, als das Absolute erkannt, ist wesentlich subjektiv, – in der Tat Subjektivität des Denkens. Die Vernunft ist ein und alles, d. i. zugleich Gesamtheit von Endlichen; dieses Verhalten der Vernunft ist endliches Wissen und Wissen von Endlichem. Die Frage ist, da dies Konkrete festgesetzt ist (nicht die metaphysischen Abstraktionen), wie es sich in sich ausbilde, und dann, wie es wieder zur Objektivität komme oder seine Subjektivität aufhebe, d.h. wie das Denken wieder zu Gott komme. Dieses haben wir in der letzten Periode zu betrachten: Kant, Fichte, Schelling.[313]
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