[398] 1. Der Gegenstand des vorigen Abschnitte ist die Untersuchung des Grundes und des Scheingrundes. Um die Untersuchung der Seele zu Ende zu bringen, wird jetzt mit Unterbrechung der aufgezählten Ordnung (wo der innere Sinn seine Stelle nach der Seele hat) der innere Sinn untersucht. Später wird gesagt werden, dass der innere Sinn ein Beweisgrund für die Seele ist. Wenn der innere Sinn unter den Begriff eines Werkzeugs für das Wissen und der räumlichen Grösse untersucht werden wird, so wird bewiesen werden, dass das die Seele ist, auf dessen Veranlassung der innere Sinn von einem anderen Sinne aus (?) sich mit einem Sinne verbindet, welcher seinen ihm angehörigen Gegenstand auffasst, und aus dieser Grunde wird jene Ordnung unterbrochen. Der Sinn ist nun, das ist der innere Sinn, bei dessen Berührung mit einem (äusseren) Sinne, vorausgesetzt dass eine Berührung zwischen Seele, Sinn und Gegenstand Statt findet, ein Wissen anwesend ist, entsteht, und bei dessen Nicht-Berührung ein Wissen nicht anwesend ist, nicht entsteht. U.
Um die Untersuchung der Seele zu vollenden, wird der innere Sinn bestimmt. Die Berührung, nämlich zwischen der Seele, dem Sinne und dem Gegenstande. Hier denn ist die Berührung in der Form der Verbindung des inneren Sinnes mit (in) der Seele und einem (äussern) Sinne, und die Berührung des Auges u.s.w. mit dem Gegenstande, der Farbe u.s.w. zu verstehen. Demnach, wenn eine Verbindung des inneren Sinnes mit dem Auge Statt findet, so entsteht, wenn gleich ein Gegenstand der Wahrnehmung des Geschmackes vorhanden ist, eben eine Wahrnehmung des Auges, und nicht eine Wahrnehmung des Geschmackes u.s.w. Nach diesem Gesetze muss man nothwendig zugestehen, dass der innere Sinn ein Atom ist. Demnach wegen der atomistischen Natur des innern Sinns findet keine Verbindung desselben mit zwei Sinnen zugleich Statt, sondern er bringt eine Wahrnehmung des Sinns hervor, mit dem er in Verbindung steht, und keine andere.
V. II. 1, 11-14.
2. So wie das Wind-Atom, auf welches von den zusammengesetzten Substanzen geschlossen wurde, eine Substanz ist, weil [386] es Eigenschaften und Bewegungen hat, so ist der innere Sinn, auf den wegen der Nicht-Gleichzeitigkeit (von verschiedenen Gegenständen) des Wissens geschlossen wird, eine Substanz, weil es Eigenschaften hat; denn ohne seine Verbindung mit einem Sinne würde kein Wissen hervorgebracht werden, wodurch er (?) keine Eigenschaften hätte. Noch mehr, das, welches Wohl u.s.w. offenbar macht, ist ein Sinnenwerkzeug, weil es offenbar macht, gleich dem, welches Farbe u.s.w. offenbar macht, so dass der innere Sinn als ein Sinn bewiesen ist, und der Begriff eines Sinnenwerkzeugs ist der Begriff eines Substrats für die Verbindung zwischen der Ursache des Wissens und dem innern Sinne, welches ohne Schwierigkeit die Substanzialität des innern Sinnes beweist. Seine dauernde Existenz aber folgt aus seiner Unabhängigkeit von einem Substrate, und die Unabhängigkeit von einem Substrate, weil es keinen Beweis giebt, um Theile desselben anzunehmen. U.
So wie der Begriff der Substanz des Wind-Atoms aus der Eigenschaft, welche darin besteht, die Anfangs-Verbindungen u.s.w. zu bilden, folgt, und seine dauernde Existenz aus dem Mangel eines Beweises für die Annahme von Theilen desselben, so folgt auch die Substanzialität und die dauernde Existenz des innern Sinnes aus seiner Eigenschaft (das Substrat zu sein der Verbindung u.s.w., wodurch das Wissen hervorgebracht wird), so wie auch aus dem Mangel eines Beweises für seine Entstehung und seine Zerstörung. V.
3. Es wird festgestellt, dass in jedem Körper der innere Sinn eins ist. Mit dem bestimmten Gliede, womit zu irgend einer Zeit eine Verbindung des innern Sinns Statt findet, entsteht zu derselben Zeit ein Willensakt, nicht mit einem anderen bestimmten. So darf man denn nicht behaupten, dass bei der Annahme einer Vielheit des innern Sinns, wegen der gleichzeitigen Verbindung eines jeden innern Sinns selbst mit zwei Gliedern des Körpers zwei Willensakte Statt fänden; ebenso wenig, dass mit den bestimmten Fingern und Zehen gleichzeitig zwanzig Willensakte entständen (oder wie wären sonst gleichzeitig die Bewegungen derselben möglich?); man darf dies nicht behaupten; denn, gleich wie bei der (gleichzeitigen) Trennung der hundert Blätter des Lotus, ist der Glaube an die Gleichzeitigkeit ein Irrthum, indem jene (körperlichen Bewegungen) wegen der schnellen Fortbewegung des innern Sinns in stets verschiedenen Augenblicken entstehen. Ebenso würde bei der Vielheit des innern Sinns eine gleichzeitige Verbindung eines jeden inneren Sinns mit den Organen des Geruchs, Geschmacks u.s.w. Statt finden, und deshalb Geruch, Geschmack u.s.w. gleichzeitig entstehen [387] (dies ist aber nicht der Fall); deshalb ist das der Sinn, dass es in jedem Körper einen innern Sinn giebt, und nicht viele. – Die Meinung nun, dass dem innern Sinn nothwendig Vielheit zukomme, weil in jeder der Hälften der zertheilten Skorpione u.s.w. wahrgenommen werde, ist nicht richtig, weil dies dadurch Statt findet, dass zu der Zeit der innere Sinn auf unsichtbare Weise hineintritt; sonst würde es durch den Beweis der Nicht-Gleichzeitigkeit der Willensakte und der Nicht-Gleichzeitigkeit der Erkenntnisse unmöglich sein, eine Vielheit des innern Sinnes zuzugestehn. Was Andere weiter behaupten, – dass die Gleichzeitigkeit und Nicht-Gleichzeitigkeit der Willensakte und Erkenntnisse durch das Zusammenziehen und Ausdehnen des innern Sinnes, gleich wie bei der Schildkröte und dem Rüssel des Elephanten, erfolge, dass in der That aber nur ein innerer Sinn in einem Körper sei, ist ebenfalls nicht nach unserem Sinne, indem die Annahme von unendlich vielen Theilen, deren Entstehungen, Zerstörungen und unendlich vielen Atomen ausserordentlich komplicirt ist. V.
Die Kommentatoren haben hier den Beweis, dass der innere Sinn ein Atom ist, anticipirt. Kaṇâda selbst, nach der Ordnung seines Systems, führt diesen Beweis erst später, nachdem er die Begriffe des Unendlich-Kleinen und Unendlich-Grossen festgestellt, VII. 1, 23. »Weil dies (die Allgegenwart und unendliche Grösse) nicht vorhanden iet, ist der innere Sinn ein Atom.« Der Beweis ist also negativ, indem er von dem Nicht-Vorhandensein der Allgegenwart und unendlichen Grösse schliesst, dass der innere Sinn ein Atom ist. Schliesslich jedoch kommt dieser Beweis auf die Nicht-Gleichzeitigkeit der Erkenntniss und Willensakte zurück; denn wenn man fragt, warum er keine solche Grösse hat, so wird man eben sagen müssen, weil er ein Atom ist, und dies deshalb, weil er zu einer Zeit nur einer Auffassung fähig ist. Die hauptsächlichsten Sûtra des Gautama, welche sich auf den innern Sinn beziehen, sind:
I. 3, 16. Dass Erkenntnisse (in einer Seele) nicht zu gleicher Zeit entstehen, ist der Beweisgrund für den innern Sinn1.
III. 10, 77. Die Nicht-Gleichzeitigkeit der Auffassungen ist das Resultat der Aufeinander-Folge der Zustände (des innern Sinns).
78. Und die Wahrnehmung findet nicht Statt, wenn er (der innere Sinn) zu einem anderen Gegenstände (Sinn nach dem Kommentare) sich wendet.
III. 15, 128. Der innere Sinn ist eins, weil Erkenntnisse nicht gleichzeitig sind.
[388] 129. Dies ist nicht der Fall (könnte der Gegner sagen), indem zu gleicher Zeit verschiedene Wirkungen wahrgenommen werden.
130. Die (vermeintliche) Wahrnehmung geschieht in Folge der schnellen Fortbewegung (des innern Sinns) so wie das Sehen des Kreises bei einem (geschwungenen) Feuerbrand.
131. (Der innere Sinn) ist ein Atom aus dem zuvor angeführten Grunde (der Nicht-Gleichzeitigkeit der Erkenntnisse).
Offenbar sind die Beweise für das Dasein, die Einheit und die atomistische Natur des innern Sinns bei Kaṇâda und Gautama dieselben. Es ist die Nicht- Gleichzeitigkeit der Erkenntnisse und der Willensakte, welche allen diesen Beweisen zum Grunde liegt; denn obwohl Gautama nur die Erkenntnisse anführt, so ist doch aus seiner ganzen Theorie klar, dass er die Willensakte ebenfalls im Sinne hatte. Auch die Ausdrücke, worin die Beweise geführt werden, ist bei beiden auffallend gleich2. Es verdient noch bemerkt zu werden, dass weder Kaṇâda noch Gautama den innern Sinn ausdrücklich als ein Organ bezeichnet, während man doch nicht zweifeln kann, dass beide ihn als solchen gedacht haben.
4. Die Vivriti fasst die Erklärung der Upaskâra, mit der sie im Wesentlichen übereinstimmt, so zusammen: Es giebt auch noch andere Beweise der Seele als die vorhin angeführten. Auch die Lebens winde u.s.w. sind solche Beweise. Demnach durch den Schluss – das Aufsteigen des nach obengehenden Lebenswindes, einer besondern Art des seiner Natur nach sich in einer krummen Linie bewegenden Windes, oder das Niedersteigen des nach unten gehenden Lebenswindes, sind die Folgen eines Willensaktes wegen des Nach-oben- oder Nach-unten-Gehens, gleichwie das Nach-oben- oder Nach-unten-Gehen eines Erdkloses – wird die Seele bewiesen. Und der theilweise (?) Einwand, dass auch in tiefem Schlafe ohne einen Willensakt dergleichen Bewegungen Statt finden, ist unstatthaft, weil dann der Willensakt Statt findet, welcher Lebensursprung genannt wird. Ebenso lässt das Zuschliessen der Augen, die Bewegung nämlich, welche die Verbindung der Augenlider hervorbringt, oder das Aufschliessen derselben, die Bewegung, welche eine Trennung der Augenlider verursacht, auf den Willensakt eines Bewusstseienden als die Ursache schliessen, nach dem Beispiele [389] des Tanzens einer hölzernen Puppe. Ebenso das Leben, und der Sinn ist, das Zunehmen des Körpers, sein Wiederherstellen eines Verletzten u.s.w. ist die Wirkung des Lebens, und dies lässt ebenfalls auf einen Regierer schliessen. So wie der Regierer des Hauses das kleine Haus vergrössert und das beschädigte wiederherstellt, so bringt irgend ein mit Bewusstsein begabter Regierer das Zunehmen durch Nahrung u.s.w. hervor und stellt das Verletzte, Hand, Fuss u.s.w. durch Heilmittel wieder her. Eben so hängt die Bewegung des inneren Sinns, der als Atom festgestellt ist, nach irgend einem (äussern) Sinn, welcher als Mittel dient, um den begehrten Gegenstand (jnânan) zu erreichen, von dem Begehren eines mit Bewusstsein begabten Wesens ab. Diese Bewegung ist wieder ein Beweis der Seele. So wie der Knabe, welcher in einer Ecke des Hauses steht, einen Ball u.s.w. durch das Haus nach allen Seiten fortschleudert, so sendet auch die Seele den inneren Sinn nach irgend einem im Körper befindlichen Sinne. Um den Einwand zu beseitigen, dass man den Sinnen ebenfalls Bewusstsein und Herrschaft über den Körper zugestehen müsse, wird im Sûtra die Unabhängigkeit der Seele von den Sinnen bewiesen »die Veränderungen (im innern Sinne) durch etwas von dem Sinn Verschiedenes«. Wenn eine säuerlich schmeckende Frucht, wie z.B. die Galedupa arborea, gesehen wird, so erinnert man sich an ihren Geschmack; dadurch entsteht eine Veränderung im Geschmackssinne in der Form des Zusammenlaufens von Wasser zwischen den Zähnen, und dies beweist (das Dasein) einer von den Sinnen unabhängigen Seele. Eben so sind Lust, Unlust u.s.w. Beweisgrunde für die Seele.
6. Die drei folgenden Sûtra enthalten die Einwendungen der Gegner.
Wenn beim Zusammentreffen, welches sich ausspricht in »Dies ist Yajnadatta«, keine Wahrnehmung Statt findet, so giebt es keinen sichtbaren Grund, d.h. keinen solchen, der mit seiner Einschliessung erfasst würde. So wie mit dem wahrgenommenen Feuer der begleitende erfasste Rauch der sichtbare Grund mit Bezug auf das Feuer ist, so ist der Grund, welcher die Seele beweisen soll, nicht sichtbar. U.
Wenngleich ein Zusammentreffen des Auges u.s.w. mit dem Körper des Yajnadatta Statt findet, so ist doch, wegen des Nicht-Vorhandenseins (der Verbindung) seines Regierers, der Seele mit [390] der Wahrnehmung des Auges u.s.w. ein sichtbarer Grund, d.h. ein solcher, der mit dem Eingeschlossensein ein Gegenstand der Wahrnehmung geworden, nicht vorhanden. Wie ist deshalb ein Schluss auf die Seele möglich? Wenn eine Verbindung (des Auges) mit dem Feuer u.s.w. Statt gefunden, so ist, nach der Wahrnehmung, ein Schluss auf das Feuer u.s.w., vermittelst der Wahrnehmung seiner Einschliessung unverfänglich. (Hier aber findet eine solche Wahrnehmung der Einschliessung nicht Statt.) V
7. Es giebt allerdings einen allgemein aufgefassten Grund; doch wird von ihm aus nicht vermittelst des Begriffes der Seele oder vermittelst des Begriffes einer von den acht Substanzen verschiedenen Substanz auf die Seele geschlossen, sondern man schliesst dadurch auf irgend ein Substrat des Verlangens u.s.w. Dies ist aber kein Mittel, um das Denken der Seele herbeizuführen. Deshalb wird gesagt: »es findet kein Unterschied Statt«. U.
»Von einem allgemein Aufgefassten aus«, d.h. von einer Auffassung des Eingeschlossenseins, welches bestimmt ist durch ein allgemeines Prädikat, »findet kein Unterschied Statt«, findet kein Schluss Statt vermittelst eines besondern Prädikates, nach dem Gesetze, dass die Auffassung des bestimmten Einschliessenden auch in dem Bestimmten des Schlusses vorhanden sein müsse. V.
8. Die Seele ist nur durch Ueberlieferung, nicht durch Schluss bewiesen, weil beide Gründe, der sichtbare und der allgemein aufgefasste, vorhanden sind. Demnach mag wohl durch das Hören aller Upanishad eine Offenbarung der Wahrheit hervorgebracht werden, nicht aber durch eine Methode des Denkens; deshalb ist dies Lehrsystem, welches das Denken als nothwendig voraussetzt, kein Lehrsystem. U.
9. In den folgenden drei Sûtra folgt die Antwort auf die Einwendung des Gegners.
Die Seele ist nicht lediglich durch das Zeugniss der Ueberlieferung bewiesen, sondern durch diesen Schluss – das Wort »Ich«, oder das Wort »Seele« hat ein Bezeichnetes, weil es ein Wort ist, gleich wie das Wort »Topf« u.s.w., – ist die Seele bewiesen. Aber vielleicht ist die Erde u.s.w. das Bezeichnete? Deshalb wird gesagt, »wegen der Ausschliessung«, und der Sinn ist, weil das Wort »Ich« von der Erde u.s.w. ausgeschlossen, abgesondert ist; denn es giebt keinen Gebrauch, oder keine Ueberzeugung, dass »Ich« die Erde, das Wasser, das Licht, die Luft, der [391] Aether, die Zeit, der Raum, oder der innere Sinn wäre. Findet dies (ein solcher Gebrauch, oder eine solche Vorstellung) nun nicht Statt mit Rücksicht auf den Körper? Nein, weil es auch mit Rücksicht auf den fremden Körper gilt. Nun denn, mit Rücksicht auf den eigenen Körper? Nein, weil ein von der eigenen Seele Verschiedenes durch die Beziehung: »Mein Körper« u.s.w. nicht ausgesprochen ist. Auch folgt dies von der Ueberzeugung. Wohl denn (sagt der Gegner), so ist dies von einem allgemein Aufgefassten aus gefolgert, und dies ist schon, als nicht durch ein Besonderes bestimmt, verworfen. – Nein in dem Worte »Ich« ist der Begriff des Ich, der Seele eben das Gemeinsame; deshalb, in Kraft des Prädikates des Subjekts ist der Begriff des Ich als Grund des Eintretens bestimmt, und dies ist eben ein von jedem anderen verschiedenes Allgemeines, wodurch das Besondere bewiesen ist. Eben so ist von einem allgemein Aufgefassten aus, mit Hilfe des Verbotes, das Besondere bewiesen. Die Behauptung nun, durch das Hören erfolgt die Offenbarung; wozu denn jener (Beweis)? ist nicht recht; denn ohne Ueberlegung giebt es keine Läuterung des Zweifelhaften zur festen Ueberzeugung; ohne sie giebt es aber keine Aufmerksamkeit, und ohne Aufmerksamkeit wird die Wahrheit nicht offenbar, welche im Stande ist, das umhüllende, unwahre Wissen zu zerstören .... Wie aber, möchte man sagen, wenn doch die Seele unsichtbar ist, kann die Wahrnehmung eines Zeichens (sanketa) Statt finden? Die Antwort darauf ist, die Seele ist nicht wahrnehmbar, sie wird aber aufgefasst durch die Nähe (pratyâsattyâ) ihrer Verbindung mit dem innern Sinne. Wie könnte es sonst solche Ueberzeugungen geben, wie: ich bin glücklich, ich weiss, ich verlange, ich strebe; denn nicht ist sie etwas Unwesenhaftes, oder nach ihrem Wesen Zweifelhaftes, indem ihr, wie der Ueberzeugung des Blauen u.s.w., ebenfalls ein bestimmtes Wesen zukommt. Auch ist sie nicht ein durch Schluss Gewonnenes, indem sie auch ohne das Wissen eines Grundes entsteht. Noch ist sie ein durch Mittheilung entstandenes Wissen, indem sie nicht dessen Untersuchung folgt. – Wird (zuletzt) behauptet, sie sei ein Schein der Wahrnehmung, so ist die Antwort, es müsse auch einen Gegenstand geben, welcher nicht ein Schein sei; denn das, was nicht erwiesen ist, wird nicht auf andere übertragen, wie dies später angeführt werden wird. U.
10. Denn wozu ist es nöthig, auf einen Elephanten, den ich sehe, durch sein Geschrei zu schliessen? U.
11. Wenn die wahrgenommene, d.h. durch den innern Sinn aufgefasste Seele, durch Schluss gefolgert wird, so entsteht, wie bei [392] der Wahrnehmung, eben eine Ueberzeugung, d.h. eben eine Grund-Ueberzeugung. Woher eine solche? In Folge der Festigkeit, in Folge ihrer Kraft, jeden Zweifel über das Nicht-Bewiesensein zu entfernen. Grundüberzeugung ist das, welches in seiner Beweiskraft erfasst ist. Wie sogar bei der Wahrnehmung von fernem Wasser in einem Teiche u.s.w., wegen (der Möglichkeit) einer Luftspiegelung u.s.w. (zuerst) Zweifel über die Wahrheit einer solchen Wahrnehmung entsteht, und sodann, nachdem durch den Beweisgrund von Reihern u.s.w. Wasser gefolgert, wegen der durch diese Uebereinstimmung erfassten Beweiskraft verschwindet, so wird auch, obwohl die Seele wahrgenommen, wegen entgegengesetzter Möglichkeit ein Zweifel mit Hinsicht auf dieses Wissen (auf diese Wahrnehmung) sich erheben, sodann aber, nachdem die Seele durch Schluss erfasst ist, wegen der durch diese Uebereinstimmung erfassten Beweiskraft, eine Festigkeit entstehen, welche den Zweifel über die Wahrheit zu entfernen im Stande ist, und so ist die Festigkeit einer solchen Erfassung leicht zu verstehen. V.
12. Es giebt nämlich solche Vorstellungen, wie: ich bin gelblich, ich bin dick; es giebt aber auch solche unterscheidende Vorstellungen, wie: mein Körper. Hier nun in einem solchen Ausdruck wie: Devadatta bewegt sich, ist die Auffassung eines gemeinsamen Substrates für das Gehen so wie der Redegebrauch (welcher davon gemacht wird) bildlich, weil der Vorstellung »immer« Wahrheit zukommt. Obwohl der Begriff des Devadatta eine Gattung ist, welche den Körper zum Substrate hat, und deshalb ein solcher Ausdruck, wie: Devadatta bewegt sich, eine ursprüngliche (mukhya) Anwendung und eine wahre Vorstellung ist, so ist doch der Ausdruck »Devadatta« in den Fällen, wo er sich auf den Körper bezieht, (mit Rücksicht auf den Körper) bildlich zu verstehen. U.
Wenn nun eine Wahrnehmung, wie »Ich Devadatta«, ein Gegenstand der Seele ist, wie kann denn eine solche Vorstellung wie »Devadatta bewegt sich« Statt finden, indem es ja für die Seele keine Bewegung giebt? Darauf antwortet das Sûtra: »Devadatta bewegt sich.« Diese durch die Sprache hervorgebrachte Vorstellung entsteht durch die Auffassung einer Ellipse des Wortes Devadatta u.s.w. mit Rücksicht auf den Körper. Wegen der Ursprünglichkeit (mukhatâ) solcher Vorstellungen, wie: Devadatta weiss, begehrt, handelt, hasst u.s.w. hat das Wort »Devadatta« u.s.w. nothwendig das Vermögen, sich auf eine vom Körper verschiedene Seele zu beziehen; deshalb, weil eine vielfache Anwendung Statt findet, wird die Komplizirtheit (der Annahme) nicht beachtet, und es gebührt einem solchen Ausdrucke, wie: er bewegt sich, nachdem er auf den Willen bezogen ist, der Vorrang. V.
[393] 13. Das »über« zeigt die Ansicht des Gegners an. Die Vorstellung und der Redegebrauch »Ich« werden sowohl bei der Seele als beim Körper wahrgenommen. Deshalb der Zweifel, wo die ursprüngliche (Vorstellung), wo die figürliche. U.
14. Eine Vorstellung, worin die Wahrnehmung eines Verschiedenen, dessen Wesen die Seele ist, Statt findet, ist die Wahrnehmung eines Verschiedenen. Da die Vorstellung »Ich« in der eigenen Seele Statt findet, »in dem Anderen«, d.h. in einer anderen Seele, »nicht Statt findet«, so muss sie mit Rücksicht auf das Verschiedene, d.h. mit Rücksicht auf die eigene Seele, als die ursprüngliche angenommen werden. Wäre sie, im Gegentheil, die ursprüngliche hinsichtlich des Körpers, so müsste sie durch einen äusseren Sinn hervorgebracht sein; doch der Körper ist nicht eine Wahrnehmung des innern Sinnes, und die Vorstellung »dieses Ich« gehört dem innern Sinne an, weil sie ohne die Thätigkeit eines äusseren Sinnes entstanden ist. Solche (Vorstellungen) wie: Mir ist wohl, mir ist wehe, ich weiss, will, wünsche, entstehen daher, dass die mit der ihr zukommenden, besonderen Eigenschaften begabte Seele durch den innern Sinn Gegenstand geworden. Der Sinn ist: Diese (Vorstellung) ist nicht durch Schluss gefolgert, weil sie ohne Ueberlegung des Grundes entstanden ist. Auch ist sie nicht durch Sprache mitgetheilt, weil sie ohne Wortvergleichung entstanden Deshalb gehört sie dem innern Sinne an, und zwar dem innern Sinne, unabhängig von aussen, weil keine Thätigkeit im Körper u.s.w. Statt findet. U.
Die Vorstellung »Ich« u.s.w. Der Gebrauch, welcher sich zeigt in solchen Ausdrücken: Ich Yajnadatta bin glücklich, ist die Wahrnehmung eines verschiedenen Gegenstandes, das Wissen eines von dem Körper u.s.w. gesonderten Gegenstandes, weil es ein Wortverständniss eines vom Körper u.s.w. gesonderten Gegenstandes hervorbringt. Demnach ist eine solche Anwendung, welche sich auf etwas von dem Körper u.s.w. Gesondertes, d.h. auf die Seele bezieht, die ursprüngliche, die aber, welche sich auf den Körper bezieht, die figürliche. Weshalb? Die Antwort ist, weil sie in der eigenen Seele Statt findet, in dem Andern, d.h. im Körper, nicht Statt findet. V.
Der Upaskâra erklärt paratra durch: »in einer fremden Seele«, die Vivriti dagegen »in einem fremden Körper.« Die letzte Erklärung ist allein richtig; denn hier ist von einer Vergleichung zwischen Seele und Körper, nicht aber zwischen der eigenen und einer fremden Seele die Rede.
[394] 15. Zweifel des Gegners. Das Ich-Vorstellen, d.h. der Gebrauch »Ich« ist eine körperliche Wahrnehmung, eine Wahrnehmung des Körpers, weil sie durch den Körper hervorgebracht wird. Demnach, weil »Ich Yajnadatta« aufgefasst wird durch ein gemeinsames Substrat, so ist das Wort »Yajnadatta« u.s.w. auch ein durch den Körper Hervorgebrachtes. Die Behauptung deshalb, dass solche Ausdrücke wie: Devatta bewegt sich, bildliche Uebertragungen seien, ist die Folge einer Selbsterhebung; doch ist sie nicht der Wahrheit gemäss. Und der unzweifelhafte Sinn ist: Weil die so häufigen Redensarten (prayoga) wie: ich bin dick, ich bin gelblich, auf den Körper gehen, so beziehen sich nothwendig das Wort: Ich und das Wort Yajnadatta, welches mit jenem ein gemeinsames Substrat hat, auf den Körper. V.
16. Das »Aber« bezeichnet den richtigen Kehrsatz. Was (vom Gegner) behauptet wurde, dass jene bildliche Uebertragung nur in Folge einer Selbsterhebung Statt findet, und dass in der That die Vorstellung »Ich« sich eben auf den Körper beziehe, wird ebenfalls bezweifelt. Demnach, da jene Vorstellung auf beiden Seiten ein falscher Zeuge ist, so müssen wir das Besondere festzustellen suchen; so stellt, sich die Vorstellung »Ich« dar, auch wenn das Auge geschlossen ist, und deshalb muss sie gedacht werden in einem Dinge, welches nicht ein Gegenstand eines äussern Sinnes ist. Fände sie im Körper Statt, so wäre sie auch vorhanden in einem fremden Körper, und nicht vorhanden unabhängig vom Auge. U.
Dies sind offenbar die Ansichten der späteren Schule, welche der Upaskâra dem Kaṇâda unterlegt. Treffender ist die Erklärung der Vivriti: »Die bildliche Uebertragung wird bezweifelt«, nämlich ob dieselbe bei der Bewegung des Yajnadatta, oder beim Glücke desselben Statt finde, weil bei der Unterschiedslosigkeit des häufigen Gebrauchs sowohl mit Rücksicht auf den Körper als auf die Seele, es unmöglich ist, eins als das letzte, welches zurückbleibt, anzusehen. Das »Aber« soll den richtigen Lehrsatz bezeichnen.
17. »Das Wissen« bezeichnet die der Seele zukommende Eigenschaft, wie Wohl und Wehe. So wie die Körper des Yajnadatta und Vishnumitra von einander verschieden, so sind auch das Wissen, Wohl u.s.w. (Y's und V's) verschieden. Demnach, so wie dies der Körper von Yajnadatta ist, so wird auch, obwohl das Wissen [395] oder das Wohl u.s.w. das Yajnadatta nicht entstanden ist, ein solches Wissen u.s.w., wie mir ist wohl, ich weiss, ich will, ich wünsche u.s.w. zum Gegenstande, weil auch sein Wissen u.s.w. gleich seiner Farbe u.s.w., dadurch, dass es zum Gegenstande der dem Körper zugehörigen (Eigenschaften) wird, in die Wahrnehmung fällt. Dies geschieht aber nicht. Deshalb, so ist der Sinn, muss für das Wissen, Wohl u.s.w. ein von dem Körper verschiedenes Substrat angenommen werden. U.
Aehnlich die Vivriti. Der Sinn dieser etwas unbeholfenen Erklärung lässt sich kurz so aussprechen: Gehörte das Wissen u.s.w. dem Körper an, so müsste es, gleich seinen übrigen Eigenschaften, auch wahrgenommen werden, und bei verschiedenen Körpern verschieden sein. Da dies nun nicht der Fall ist, so ist jene Voraussetzung falsch.
18. Der Sinn ist folgender: Die Vorstellung: Mir ist wohl, mir ist wehe, ist nicht durch Ueberlieferung bewiesen, nicht durch Wortmittheilung, auch nicht durch Schluss, weil sie auch ohne Prüfung einer Sprachmittheilung und eines Schlusses entstanden ist. (Deshalb ist sie durch Wahrnehmung entstanden.) Was nun als Hinderniss der Wahrnehmung angeführt wird, nämlich die Nicht-Sichtbarkeit und das Nicht-Dasein von Theilen, gilt für eine durch einen äusseren Sinn entstandene Wahrnehmung; denn für diese sind Sichtbarkeit und (das Vorhandensein) vieler Substanzen nothwendig; aber eine Wahrnehmung durch den innern Sinn geschieht auch ohne das Genannte. Gegen den Einwand nun: Zugestanden (eine Wahrnehmung durch den innern Sinn), wenn es einen Beweis für die Seele giebt, wird gesagt, »weil die Besonderheit (der Seele) durch das Nicht-Fehlgehen der Ausschliessung, wie beim Tone, festgestellt ist.« Wie bei der Erde und den übrigen Substanzen die Ausschliessung des Tons als nicht-fehlgehend festgestellt, und dadurch der Beweis eines Substrates desselben, eines Besonderen in der Form des Aethers, welches von den (übrigen) acht Substanzen verschieden ist, gegeben ist, eben so, weil die Ausschliessung der Begierde von der Erde u.s.w. nicht fehlgeht, muss es für dieselbe ein von den acht Substanzen ausgeschlossenes Substrat geben. – Gegen den Einwand, dadurch wäre die Seele Gegenstand des Beweises, nicht der Wahrnehmung, wird gesagt: »Ich, weil durch die ursprünglichen, angemessenen Eigenschaften.« Dass »diese« bezeichnet den Charakter des Wissens. Demnach, das Wissen »Ich«, welches ohne die Prüfung einer Sprachmittheilung oder eines Schlusses [396] bei Jemand, der die Augen geschlossen hat, entsteht, muss hervorgebracht werden durch ein Ursprüngliches, den Begriff des Ich Besitzenden, den Beweis in sich Tragenden, nicht aber durch den Körper u.s.w., weil dort die Ausschliessung der Begierde nicht fehl geht. Nach »durch die ursprüngliche angemessene Eigenschaft« ist, »welche hervorgebracht werden muss«, zu ergänzen. U. Bei Ich muss dieser Gegenstand der Vorstellung ergänzt werden. Demnach, der Gegenstand einer solchen allbekannten Wahrnehmung des inneren Sinns, wie: mir ist wohl, u.s.w. ist nicht durch das Zeugniss der Ueberlieferung bewiesen, nämlich ein von Gott nicht Verschiedenes durch solche Texte der Ueberlieferung wie: Das seiende wissende, unendliche Brahma. Hier wird nun der Grund angegeben: »durch das Ursprüngliche, Angemessene«. Das Ursprüngliche, welches angemessen ist, d.h. Wohl und Wehe, durch beides »wird die Besonderheit«, der Unterschied von Gott, »festgestellt«. Das Wohl ist nämlich unter dem Begehrten das Ursprüngliche, weil es der Gegenstand einer Begierde ist, die nicht von andern Begierden abhängt, das Wehe aber unter dem Verabscheuten, aus demselben Grunde. Die Angemessenheit aber meint den Begriff, Gegenstand der Wahrnehmung zu sein, und dies wird angeführt, um die Furcht einer Unzulänglichkeit des Grundes, so wie, um bei der Annahme eines unwandelbaren Wohles mit Rücksicht auf Gott ein Fehlgehen abzuwehren, weil ein unwandelbares Glück (für den Menschen) unangemessen ist. Demnach das entstandene (endliche) Glück und Unglück stellen den Unterschied zwischen der endlichen Seele und Gott fest. Glück und Unglück dienen hier nur zur Andeutung. Wissen, Wunsch, Wille und Hass, sofern sie entstanden, sind ebenfalls als Unterschiede zwischen Gott (und endlichen Wesen) feststellend anzusehen. Wird nun gesagt: In einem solchen Schlusse, wie: Ich, der Gegenstand der Wahrnehmung, die Seele, ist von Gott verschieden wegen des Begriffes, dass sie entstandenes Glück hat, – ist ein Wissen der Einschliessung kaum möglich, weil bei der Abwesenheit eines Beispiels eine Auffassung dessen, was mit dem bejahenden Schlusse übereinstimmt, mangelt, so antwortet das Sûtra »so wie durch das Nicht-Fehlgehen der Ausschliessung«, d.h. der ausschliessenden Einschliessung .... Deshalb, obwohl ein Beispiel des bejahenden Schlusses nicht vorhanden ist, so ist dennoch, weil die Auffassung der ausschliessenden Einschliessung, abhängig von den übereinstimmenden (Beispielen) der Ausschliessung, durch Ausschliessung, nämlich durch das Dasein des Beispiels von Gott, Statt findet, so ist dennoch am genannten Orte der Schluss möglich. Der Zweifel nun, dass der Beweis des Unterschiedes von Gott nicht der Wahrnehmung gemäss sei, wird durch die Worte entfernt, »wie beim Tone«. So wie der Aether gewusst wird vermittelst des Grundes in der Form des Tones nach Art der ausschliessenden Einschliessung, so ist der Unterschied Gottes erwiesen dadurch, dass [397] die Seele das Merkmal hat, entstandenes Glück u.s.w. zu besitzen.
Die Erklärung der Vivriti ist durchaus unberechtigt; denn sie steht in keinem Zusammenhange mit dem Gegenstande, welchen der Text untersucht, nämlich, ob die Vorstellung der Seele sich auf einen Beweis, oder auf die Autorität der Ueberlieferung stütze.
19. Nach Vollendung der Untersuchung über die Seele, wird jetzt ein Abschnitt angefangen, welcher die Mehrheit der Seelen zum Gegenstande hat. Zuerst die Behauptung der Gegner.
Die Seele ist eben eins trotz dem Unterschiede zwischen den Körpern des Chaitra, Maitra u.s.w. Weshalb? »Wegen der Nicht-Verschiedenheit der Entstehung des Glücks, Unglücks und des Wissens«, weil durch die Absonderung (?) aller Körper die Entstehung von Glück, Unglück und Wissen nicht bestimmt ist. Gäbe es noch einen anderen Grund, welcher die Verschiedenheit der Seele bewiese, so wäre sie bewiesen. Es giebt aber keinen anderen. Wie bei der Absonderung dieses und dieses Ortes auch beim Entstehen des Tones es wegen der Nicht-Geschiedenheit des Grundes, des Tones nämlich, nur einen Aether, wegen der Nicht-Geschiedenheit des Grundes, nämlich der Vorstellung des Gleichzeitigen u.s.w., nur eine Zeit, und wegen der Nicht-Geschiedenheit des Grundes, nämlich der Vorstellung des Oestlichen u.s.w., nur einen Raum giebt. U.
Die Vivriti erklärt dieses und die beiden anderen Sûtra wieder mit Rücksicht auf den Unterschied zwischen Gott und der endlichen Seele.
20. Aussage des Lehrsatzes. Mehrere Seelen. Weshalb? Wegen der Zustände. Zustand meint die Regel für eine jede. Wie einer reich, ein anderer geizig (arm), einer glücklich, ein anderer unglücklich u.s.w. ist. Dieser Zustand, welcher ohne einen Unterschied der Seele unmöglich ist, beweist einen Unterschied der Seelen. Auch darf man nicht behaupten, dass, wie es durch den Unterschied der Geburt, oder durch den Unterschied des Knaben- Jünglings- und reifen Alters verschiedene Zustände selbst für eine Seele giebt, so möchte es auch der Fall sein bei dem Unterschiede zwischen Chaitra und Maitra, weil die Unterschiede der Zeit des Daseins jener entgegengesetzten Merkmale möglich ist. (Sie sind aber nicht möglich zu einer und derselben Zeit).
21. Śâstra ist die Śruti. Z.B. Zwei Brahma müssen erkannt werden u.s.w.
[398] Zur Vergleichung lasse ich die hauptsächlichsten Sûtra Gautama's, welche sich auf die Seele beziehen, hier folgen: Nyâya Sûtra.
I. 2, 10. Verlangen, Abscheu, Wollen, Wohl, Uebel und Wissen sind der Beweisgrund für die Seele.
II. 3, 23. Die Seele ist nicht ausgeschlossen (aus der Erklärung der Wahrnehmung), weil das Wissen der Beweisgrund (derselben) ist.
III. 1. 1. (Ein äuserer Sinn ist nicht die Seele), weil durch das Gesicht und den Tastsinn ein und derselbe Gegenstand aufgefasst wird.
Kommentar: Wegen der Vorstellung, dass dasselbe Ich den Topf, welchen es gesehen, auch fühlt, ist die Seele von den Sinnen verschieden und eins.
III. 2, 4. Weil bei der Verbrennung des Körpers Sünde nicht Statt finden würde (kann der Körper nicht die Seele sein).
III. 3, 12. Weil eine Veränderung Statt findet (in einem Sinnesorgan) durch etwas von dem Sinne Verschiedenes (ist die Seele von den Sinnen verschieden). Die Seele ist nicht der innere Sinn.
III. 4, 17. Weil es einen Wissenden, und ein Instrument des Wissens giebt, so findet auch Verschiedenheit der Namen Statt (indem das Eine so, das Andere so genannt wird.)
III. 12, 90. (Wissen) kommt weder den Sinnen noch den Gegenständen zu, weil selbst bei der Zerstörung derselben das Wissen zurückbleibt.
III. 12, 106. (Verlangen u.s.w.) kommt dem Wissenden zu, weil (Handeln und Nicht-Handeln) hervorgebracht werden durch Verlangen und Abscheu.
III. 12, 107. Es kann nicht geleugnet werden (behauptet der Skeptiker), dass dies (Wissen u.s.w.) existirt in Erde und anderen Substanzen, weil Verlangen und Abscheu bewiesen sind durch jenes (Handeln und Nicht-Handeln).
III. 12, 108. (Dies muss verneint werden), weil Handeln und Nicht-Handeln in Aexten u.s.w. wahrgenommen werden würden.
III. 12, 110. (Verlangen u.s.w. gehören) nicht dem inneren Sinne an, weil sie hervorgebracht werden in der Art, wie angegeben ist, weil der innere Sinn von einem andern abhängig ist, und weil der Genuss der Frucht der Erfolg der eigenen Thaten ist.
III. 12, 119. (Wissen ist keine Eigenschaft des Körpers), weil Farben u.s.w. eben so lange wie der Körper existiren.
III. 12, 122. (W.i.k.E.d.K.), weil (die charakteristischen Eigenschaften des Körpers) überall durch den Körper verbreitet sind.
[399] III. 12, 125. Weil dies (Wissen) den Eigenschaften des Körpers entgegengesetzt ist. (Kommentar: Weil es, obwohl unerkennbar durch den äusseren Sinn), doch erkennbar ist.
Die Uebereinstimmung, welche die Beweise Gautama's für das Dasein der Seele mit denen des Kaṇâda haben, ist unverkennbar.
Kaṇâda geht zunächst vom Wissen aus als dem Beweisgrunde für das Dasein einer von dem Körper verschiedenen Substanz. Dann widerlegt er die Ansicht, dass das Wissen ein Zustand des Körpers sei. Wäre das Wissen ein Zustand des Körpers, so müsste auch in den Theilen, woraus der Körper besteht, so wie auch in dem, was durch den Körper hervorgebracht wird, wie z.B. in einem Topfe, ein Wissen Statt finden. Dies ist aber nicht der Fall. Demnach gehört das Wissen, als eine Eigenschaft, einer vom Körper verschiedenen Substanz, der Seele, an. Der Schluss, welcher von dem Wissen das Dasein der Seele folgert, ist deshalb erst da gerechtfertigt, wo das Wissen dem Körper abgesprochen wird. – Wie nun das Wissen die Seele beweist, so auch die übrigen Eigenschaften, welche ihr zugeschrieben werden. Sûtra III, 2. 4., welches uns die übrigen Beweise bringt, nennt auch Verlangen und Abscheu u.s.w. als Gründe. Mit ihnen werden noch zwei verschiedene angeführt, nämlich die Bewegung des innern Sinns nach anderen und anderen Gegenständen, mit welchen er sich nach und nach vereinigt, und die Veränderung eines Sinnes durch etwas von dem Sinne Verschiedenes, d.h. durch eine blosse Vorstellung.
Für das Dasein der Seele giebt es aber auch noch einen vom Schluss verschiedenen Beweis, nämlich die Wahrnehmung, nämlich in der Form, Ich Devadatta, Ich Yajnadatta u.s.w. Obwohl es nun auch solche Vorstellungen giebt, wie: Devadatta bewegt sich, welche sich auf einen Körper beziehen, so entstehen sie doch nur aus einer Täuschung, indem das Körperliche auf die Seele übertragen wird (und umgekehrt). Beides nun, die Wahrnehmung der Seele und die Folgerung derselben durch Schluss. ergiebt ein festbegründetes Wissen, welches stärker ist als ein Wissen der Wahrnehmung oder durch Schluss, weil bei diesen Täuschungen möglich sind. –
Aehnlich Gautama. Nachdem er im ersten Buche vorläufig erklärt, rechtfertigt er seine Erklärung im dritten Buche dadurch, dass er die Behauptungen der Gegner widerlegt. Er verfährt deshalb bei seinem Beweise negativ, indem er zeigt, dass weder die äussern Sinnesorgane, noch der Körper, noch der innere Sinn die Seele sein können, indem er ferner zeigt, dass das Wissen weder dem Sinne, noch dem Körper angehören könne, und zuletzt, dass Verlangen und Abscheu eben so wenig ein körperliches Substrat haben. Sein Schluss, den er aber nicht ausdrücklich angiebt, ist daher folgender: Weil das Wissen weder dem Sinne, noch dem Körper zukommt, so muss es einem vom Körper Verschiedenen, nämlich der Seele, angehören.
Unter seinen Begriffen sind die folgenden neu:
1. Ein Sinn ist nicht die Seele, weil durch das Gesicht und den Tastsinn ein und derselbe Gegenstand aufgefasst wird.
2. Weil bei der Verbrennung des Körpers (die Folgen der) Sünde nicht Statt finden würden (kann der Körper nicht die Seele sein).
3. (Wissen) kommt weder den Sinnen noch den Gegenständen zu, weil selbst bei der Zerstörung derselben Wissen zurückbleibt.
4. (Wissen ist keine Eigenschaft des Körpers), weil Farbe u.s.w. eben so lange wie der Körper existiren.
1 Der Kommentator erklärt linga (Beweis) durch lakshana; dies scheint mir durchaus falsch, indem an keinem anderen Orte der Beweis für das Dasein des inneren Sinns gegeben ist.
2 Vergl. Kaṇâda S. III, 2, 1. mit Gaut. S.I. 3, 16. und K.S. III. 2, 3. mit G.S. III. 15, 28.
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