Ursprung der Gottesverehrung

[203] Nunmehr scheint es nicht schwer, den Grund der Götterverehrung

Aufzudecken, wodurch sie sich über gewaltige Völker

Habe erstreckt und die Städte mit Götteraltären erfüllet,

Wie sie die jährliche Ordnung der heiligen Feste geregelt,

Die noch jetzt sind im Schwang in den größten Staaten und Städten,

Ferner woher in den Menschen der heilige Schauer gepflanzt ward,

Der jetzt überall noch auf dem Erdkreis Tempel auf Tempel

Göttern errichtet und zwingt, sie an festlichen Tagen zu feiern.

Nämlich, es waren natürlich schon damals dem menschlichen Geiste

Herrliche Göttergestalten von wundersam riesigem Wüchse

Teils im Wachen erschienen, jedoch noch öfter im Traume.

Diesen Gestalten nun lieh man Gefühl. Denn sie regten die Glieder,

Wie es wenigstens schien, und sprachen erhabene Worte,

Welche der hehren Gestalt und den riesigen Kräften entsprachen.

Ewiges Leben verliehen sie ihnen, weil ständig die Götter

Unter der nämlichen Form und Gestalt den Menschen erschienen.

Und vor allem jedoch, weil solche gewaltigen Wesen

Schwerlich besiegbar erschienen durch irgend andere Kräfte.

Drum schien ihnen ihr Leben vor ändern besonders begnadet,

Weil auch nicht einen von ihnen die Furcht vor dem Tode bekümmre.

Sahen sie doch in den Träumen, wie Götter so zahlreiche Wunder

Wirkten, wobei sie doch selbst nicht die mindeste Mühe verrieten.

Dazu gewahrten sie auch die geregelte Ordnung des Himmels,

Und wie die Jahreszeiten in ständigem Wechsel sich drehten,

Ohne daß ihnen der Grund für diese Erscheinungen klar ward.

Und so flüchteten sie zu den Göttern, vertrauten sich ihnen,

Deren Geheiß und Wink, wie sie glaubten, die Welten regiere.

In den Himmel verlegten sie Tempel der Götter und Wohnsitz,

Weil auch Sonne und Mond durch den Himmel schienen zu wandeln,[203]

Mond und Tag und Nacht und der Nacht tiefernste Gestirne,

Und die nächtlichen Fackeln des Himmels und fliegenden Flammen,

Wolken und Tau und Regen und Schnee, Wind, Hagel und Blitze,

Rasend heulender Sturm und gewaltig drohender Donner.

O unseliges Menschengeschlecht, das solches den Göttern

Zuschrieb, ja ihnen gar der Zornwut Bitterkeit beigab!

Wieviel Seufzer erschuf es sich selbst, wie gräßliche Wunden

Schlug es auch uns, was kommt noch an Tränen auf unsere Kinder!

Frömmigkeit ist es mitnichten, verhüllten Hauptes ein Steinbild

Zu umwandeln und opfernd an alle Altäre zu treten

Oder zur Erde zu fallen der Länge nach oder die Hände

Zu den Tempeln der Götter zu heben und reichliches Tierblut

Ihren Altären zu weihn und Gelübd' an Gelübde zu reihen,

Sondern mit ruhigem Geiste auf alles schauen zu können.

Blicken wir nämlich empor zu den Himmelsräumen des Weltalls

Und zu den funkelnden Sternen im Äther, der drüber sich wölbet.

Und wir erwägen im Geiste die Bahnen des Monds und der Sonne,

Dann reckt gegen die Brust, wo sie schlief von den anderen Leiden

Niedergehalten, ihr Haupt, das wiedererwachte, die Sorge,

Ob es nicht doch vielleicht der Götter unendliche Macht sei,

Welche in wechselnden Bahnen die hellen Gestirne herumführt.

Denn es verwirrt den zweifelnden Geist das Vertagen der Einsicht,

Ob wohl irgendeinmal die Schöpfungsstunde der Welt schlug,

Ob auch ein Ende es gäbe, solange die Mauern des Weltalls

Und der Gestirne geräuschloser Lauf sich der Mühe nicht weigern.

Oder ob göttliche Huld sie mit ewigem Leben beschenkt hat,

Daß sie, da stets in der Ewigkeit Schwung sie sich drehen, deswegen

Könnten der Übergewalt der unendlichen Ewigkeit trotzen.

Und: wem krampft sich das Herz nicht aus Angst vor den Göttern zusammen,

Wem fährt nicht ein entsetzlicher Schreck in die Glieder, wenn plötzlich

Furchtbarer Blitzeinschlag die vertrocknete Erde erschüttert,

Während des Himmels Gewölbe durchrollt der grollende Donner?

Zittern nicht ganze Völker alsdann? Erfaßt nicht der Schrecken

Stolzer Könige Glieder, so daß sie in Angst vor den Göttern

Fürchten, es nahe die Stunde, in der sie für scheußlichen Frevel

Oder tyrannischen Spruch die Bestrafung müßten erwarten?

Auch, wenn der Winde Gewalt wildwütend über das Meer fährt,[204]

Und den Gebieter der Flotte mit seinen gewalt'gen Legionen

Und Elefanten zumal hin über die Flächen des Meers fegt,

Fleht er die Götter um Gnade nicht an mit Gelübden und bittet

Zitternd und zagend die Winde um Frieden und günstige Brise?

Ach, umsonst! Mit wilder Gewalt erfaßt ihn der Wirbel,

Daß er trotz aller Gebete versinkt in den Fluten des Todes.

So tritt eine geheime Gewalt das Menschentum nieder,

Wirft in den schmutzigen Kot die stattlichen Bündel und Beile

Und treibt Spott, wie es scheint, mit den Zeichen grausamer Herrschaft.

Endlich, wenn unter den Füßen die ganze Erde uns schwanket,

Wenn durch die Stöße die Städte teils stürzen, teils drohen mit Einsturz,

Ist es dann wunderbar, daß die Menschheit selbst sich gering schätzt,

Aber die Götter sich denkt mit der Fülle gewaltiger Stärke

Und mit Wunderkräften, die alles hinieden regieren?

Quelle:
Lukrez: Über die Natur der Dinge. Berlin 1957, S. 203-205.
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