Sprüche

[218] 1. Meister Eckhart spricht: Wer in allen Räumen zu Hause ist, der ist Gottes würdig, und wer in allen Zeiten eins bleibt, dem ist Gott gegenwärtig, und in wem alle Kreaturen zum Schweigen gekommen sind, in dem gebiert Gott seinen eingeborenen Sohn.

2. Es spricht Meister Eckhart: Nötiger wäre ein Lebemeister als tausend Lesemeister; aber lesen und leben ohne Gott, dazu kann niemand kommen. Wollte ich einen Meister von der Schrift suchen, den suchte ich in Paris und in den hohen Schulen hoher Wissenschaft. Aber wollte ich nach vollkommenem Leben fragen, davon könnte er mir nichts sagen. Wohin sollte ich dafür gehen? Allzumal nirgends anders als in eine nackte entledigte Natur: die könnte mir kund tun, wonach ich sie in Ehrfurcht fragte. Leute, was sucht ihr an dem toten Gebein? Warum sucht ihr nicht das lebendige Heil, das euch ewiges Leben geben kann? Denn der Tote hat weder zu geben noch zu nehmen. Und sollte[218] ein Engel Gott ohne Gott suchen, so suchte er ihn nirgends anders als in einer entledigten nackten abgeschiedenen Kreatur. Alle Vollkommenheit liegt daran, dass man Armut und Elend und Schmach und Widerwärtigkeit und alles, was dir zustossen und dich bedrücken kann, willig, fröhlich, frei, begierig und bereit und unbewegt leiden kann und bis an den Tod dabei bleiben ohne alles Warum.

3. Meister Eckhart sprach: Wem in einem anders ist als im andern und wem Gott lieber in einem als im andern ist, der Mensch ist gewöhnlich und noch fern und ein Kind. Aber wem Gott gleich ist in allen Dingen, der ist zum Mann geworden. Aber wem alle Kreaturen überflüssig und fremd sind, der ist zum Rechten gekommen.

Er ward auch gefragt: wenn der Mensch aus sich selbst herausgehen wollte, ob er noch um etwas Natürliches sorgen sollte? Da sprach er: Gottes Bürde ist leicht und sein Joch ist sanft; er will es nirgends als im Willen; und was dem trägen Menschen ein Graus ist, das ist dem hingerissenen eine Herzensfreude. Es ist niemand Gottes voll als wer im Grunde tot ist.

4. Gott verhängt kein Ding über uns, womit er uns nicht zu sich lockt. Ich will Gott niemals dafür danken, dass er mich liebt, denn[219] er kann es nicht lassen, seine Natur zwingt ihn dazu; ich will dafür danken, dass er es in seiner Güte nicht lassen kann, dass er mich lieben muss.

5. Meister Eckhart sprach: Ich will Gott niemals bitten, dass er sich mir hingeben soll; ich will ihn bitten, dass er mich leer und rein mache. Denn wäre ich leer und rein, so müsste Gott aus seiner eigenen Natur sich mir hingeben und in mir beschlossen sein.

6. Meister Eckhart spricht: Dass wir Gott nicht zwingen, wozu wir wollen, das liegt daran, dass uns zwei Dinge fehlen: Demut vom Grund des Herzens und kräftiges Begehren. Ich sage das bei meinem Leben, – Gott vermag in seiner göttlichen Kraft alle Dinge, aber das vermag er nicht, dass er dem Menschen, der diese zwei Dinge in sich hat, nicht Gewährung schenke. Darum gebt euch nicht mit kleinen Dingen ab, denn ihr seid nicht zu Kleinem geschaffen; denn weltliche Ehre ist nichts als eine Verwandlung und ein Irrsal der Seligkeit.

7. Meister Eckhart der Prediger sprach auch also: Es ward nie grossere Mannhaftigkeit noch Streit noch Kampf, als wenn einer sich selbst vergisst und verleugnet.

8. Bruder Eckhart predigte und sprach: Sankt Peter sprach: ich habe alle Dinge gelassen. Da sprach Sankt Jakob: wir haben alle Dinge[220] weggegeben. Da sprach Sankt Johannes: wir haben gar nichts mehr. Da sprach Bruder Eckhart: wann hat man alle Dinge gelassen? So man alles das lässt, was der Sinn greifen kann, und alles, was man sprechen kann, und alles, was Farbe machen kann, und alles, was man hören kann, dann erst hat man alle Dinge gelassen. Wenn man so alle Dinge lässt, so wird man von der Gottheit durchklärt und überklärt.

9. Wer werden will, was er sein sollte, der muss lassen, was er jetzt ist. Als Gott die Engel schuf, da war der erste Blick, den sie taten, dass sie des Vaters Wesen sahen und wie der Sohn aus dem Herzen des Vaters herauswuchs recht wie ein grünes Reis aus einem Baume. Diese freudenreiche Anschauung haben sie mehr als sechstausend Jahre gehabt, und wie sie ist, das wissen sie heutigen Tages nicht mehr, als damals, wie sie eben geschaffen waren. Und das kommt von der Grosse der Erkenntnis: denn je mehr man erkennt, desto weniger versteht man.

10. Und also soll ein Mensch sein Leben richten, der vollkommen werden will. Darüber spricht Meister Eckhart: Die Werke, die der Mensch von innen wirkt, sind lustvoll, sowohl dem Menschen wie Gott, und sind sanft und heissen lebendige Werke. Sie sind Gott deswegen wert,[221] weil er es allein ist, der die Werke in dem Menschen wirkt, die von innen gewirkt werden. Diese Werke sind auch dem Menschen süss und sanft, denn alle die Werke sind dem Menschen süss und lustvoll, wo Leib und Seele mit einander einhellig werden. Und das geschieht in allen solchen Werken. Diese Werke heissen auch lebendige Werke, denn das ist der Unterschied zwischen einem toten Tier und einem lebenden Tier, dass das tote. Tier nur von einer äussern Bewegung bewegt werden kann, das heisst: wenn man es zieht oder trägt, und darum sind alle seine Werke tote Werke. Aber das lebende Tier bewegt sich selbst, wohin es will, denn seine Bewegung geht von innen aus und alle seine Werke sind lebende Werke. Recht in gleicher Weise heissen alle Werke der Menschen, die ihren Ursprung von innen nehmen, wo Gott allein bewegt, und die von dem Wesen kommen, unsere Werke und göttliche Werke und nützliche Werke. Aber alle die Werke, die aus einer äusseren Ursache und nicht aus dem innern Wesen geschehen, die sind tot und sind nicht göttliche Werke und sind nicht unsere Werke. Auch spricht Meister Eckhart, dass alle die Werke, die der Mensch von innen wirkt, willkürliche Werke sind. Was nun willkürlich ist, das ist angenehm, und darum sind alle Werke, die von innen geschehen, angenehm,[222] und alle die Werke, die infolge äusserer Bewegung geschehen, sind unwillkürlich und sind knechtisch, denn wäre das Ding nicht, das von aussen bewegt, so geschähe das Werk nicht, und darum ist es unwillkürlich und knechtisch und unangenehm.

11. Meister Eckhart sprach, es könne kein Mensch in diesem Leben so weit kommen, dass er nicht auch äussere Werke tun solle. Denn wenn der Mensch sich dem beschaulichen Leben hingibt, so kann er vor grosser Fülle sich nicht halten, er muss ausgiessen und muss im wirkenden Leben tätig sein. Gerade wie ein Mensch, der gar nichts hat, der kann wohl mild sein, denn er gibt mit dem Willen; jedoch, wenn ein Mensch grossen Reichtum hat und nichts gibt, der kann nicht mild heissen. Und ebenso kann kein Mensch eine Tugend haben, der sich nicht dieser Tugend hingibt, wenn es Zeit und Raum erlaubt. Und darum sind alle die, die sich dem beschaulichen Leben hingeben und nicht äusseren Werken und sich ganz und gar von äusserem Werk abschliessen, im Irrtum und nicht auf dem rechten Weg. Da sage ich, der Mensch, der im beschaulichen Leben ist, kann wohl und soll sich von allen äussern Werken freimachen, solange er im Schauen ist; aber hernach soll er sich äussern Werken widmen, denn niemand kann sich[223] allezeit und fortwährend dem beschaulichen Leben hingeben, und das wirkende Leben wird ein Aufenthalt des schauenden Lebens.

12. Meister Eckhart und auch andere Meister sagen, dass zwei Dinge in Gott sind: Wesen und Wahrnehmen, das da relatio heisst. Nun sagen die Meister, dass des Vaters Wesen den Sohn nicht in der Gottheit gebiert, denn nach seinem Wesen sieht der Vater nichts anderes als in sein blosses Wesen und schaut sich selber darinnen mit all seiner Kraft, und da schaut er sich bloss ohne den Sohn und ohne den heiligen Geist und sieht da nichts als Einheit seines nämlichen Wesen. Wenn aber der Vater ein Anschauen und ein Wahrnehmen seiner selbst in einer andern Person haben will, so ist des Vaters Wesen in dem Wahrnehmenden Sohn gebärend, und weil er sich selbst in dem Wahrnehmen so wohlgefällt und ihm das Anschauen so lustvoll ist, und weil er alle Lust ewig gehabt hat, darum muss er dieses Wahrnehmen ewig gehabt haben. Darum also ist der Sohn ewig wie der Vater, und aus dem Wohlgefallen und der Liebe, die Vater und Sohn miteinander haben, hat der heilige Geist seinen Ursprung, und weil diese Liebe zwischen Vater und Sohn ewig gewesen ist, darum ist der heilige Geist ebenso ewig wie der Vater und der Sohn, und[224] die drei Personen haben nur ein Wesen und sind allein an den Personen unterschieden.

13. Meister Eckhart spricht, Gott ist nicht allein ein Vater aller Dinge, er ist vielmehr auch eine Mutter aller Dinge. Denn er ist darum ein Vater, weil er eine Ursache und ein Schöpfer aller Dinge ist. Er ist aber auch eine Mutter aller Dinge, denn wenn die Kreatur von ihm ihr Wesen nimmt, so bleibt er bei der Kreatur und erhält sie in ihrem Wesen. Denn bliebe Gott nicht bei und in der Kreatur, wenn sie in ihr Wesen kommt, so müsste sie notwendig bald von ihrem Wesen abfallen. Denn was aus Gott fällt, das fällt von seinem Wesen in eine Nichtheit. Es ist mit andern Ursachen nicht so, denn die gehen wohl von ihren verursachten Dingen weg, wenn diese in ihr Wesen kommen. Wenn das Haus in sein Wesen kommt, so geht der Zimmermann hinaus, und zwar darum, weil der Zimmermann nicht ganz und gar die Ursache des Hauses ist, sondern er nimmt die Materie von der Natur; Gott dagegen gibt der Kreatur ganz und gar alles, was sie ist, sowohl Form wie Materie, und darum muss er dabei bleiben, weil sonst die Kreatur bald von ihrem Wesen abfallen würde.

14. Es spricht Johann Chrysostomus: Dass Gott in allen Kreaturen sei, das wissen wir und[225] sagen es, aber wie und welcher Weise, das können wir nicht begreifen. Doch Meister Eckhart spricht, dass uns dies ganz klar sein kann, wenn wir für das Wort Gott das Wort Wesen setzen. Nun sehen und merken wir alle wohl, dass in allen Dingen Wesen ist. Wenn also Gott das eigentliche Wesen ist, so muss darum notwendigerweise Gott in allen Dingen sein.

15. Meister Eckhart sprach: Wie kommt der, der unwandelbar ist, und wie kommt der, der an allen Orten ist? Zu wem kommt der, der in allen Herzen ist? Hierauf antworte ich: er kommt nicht so, dass er irgend etwas werde oder für sich selbst irgend etwas erreiche, sondern er kommt gestaltend, er kommt der da verborgen war und offenbart sich selbst, er kommt als ein Licht, das da in den Herzen der Leute verborgen war und in ihrer Vernunft, so dass es jetzt geformt werde mit der Vernunft und in der Begierde und in dem Allerinnersten des Bewusstseins. Nun ist er dergestalt in der Innerlichkeit, dass da nichts ohne ihn ist, und so kann da auch nichts mit ihm sein, sondern er ist alles was da ist, allein. Daher kommt er so, wenn er sich dergestalt in der Vernunft und in der Begierde erzeugt, dass da nichts ohne ihn und nichts mit ihm ist, sondern die Vernunft und die Begierde sind seiner ganz voll, und wer[226] es derart merkt: nichts ohne ihn, nichts mit ihm, sondern völlig eine Stätte Gottes, der weiss selber nicht, dass er für Gott eine Stätte ist, wie David spricht: »Herr, das Licht deines Antlitzes ist ein Zeichen über uns,« gerade als ob er sagte: du sollst schweigen und trauern und seufzen und von der Vernunft Mittel empfangen und sie lauter in deine Begierde verwandeln, auf dass du seine göttliche Heimlichkeit empfindest. Rede mit ihm wie einer mit seinen Mitmenschen redet, und so wie du, wenn du mit Gott sprichst, »ich« sagst, und wenn du von Gott sprichst, »Er«, so sage zu Gott: »Du.« Du sollst alle Dinge vergessen und sollst allein Gott wissen und sollst sprechen: »du bist mein Gott, denn du bist allein inwendig, du bist allein alle Dinge.« Keine Kreatur ist Gottes empfänglich, als die nach Gottes Bild geschaffen ist, also der Engel und des Menschen Seele: die sind Gottes empfänglich, dass er in ihnen und sie in ihm seien. Andern Kreaturen ist Gott wesenhaft, sie haben ihn nicht begriffen, sondern sie können nur ohne ihn nicht Wesen haben. So steht es auch mit Gottes Gegenwart: nicht sie sehen Gott, sondern Gott sieht sie in ihrem Allerinnersten; und auch mit seiner Macht: nicht vermag er nichts ohne sie, sondern wir vermögen nichts ohne ihn. Darum aber, weil Gott in der Seele wie in sich[227] selber ist, heisst die Seele eine Stätte und auch eine Stätte des Friedens, denn wo Gott ist wie in sich selbst, da ist Himmelreich und Friede ohne Betrübnis, fröhlich und freudenvoll. Eine selige Seele ruht in Gott ebenso und noch besser als in ihrem Eigentum.

Der Mensch, der völlig und rein aus sich selber herausgegangen wäre, der fände ganz und gar Gott in Gott und Gott mit Gott. Der wirkt als Gleicher: denn alles was er ist, das ist er Gott, und alles was er Gott ist, das ist er sich, denn Gott ist zugleich in Etwas, und ist zugleich das Etwas, und das Etwas ist zugleich in Gott und ist zugleich Gott, denn sie sind so ganz eins, dass das eine ohne das andere nicht sein kann.

16. Meister Eckhart sprach, dass wir in dem Wesen der Seele Gott gut sehen und erkennen können. Denn je näher ein Mensch in diesem Leben mit seiner Erkenntnis dem Wesen der Seele kommt, um so näher ist er der Erkenntnis Gottes. Und das geschieht allein dadurch, dass wir die Kreatur ablegen und aus uns selbst herausgehen. Du sollst wissen, obschon ich die Kreatur in Gott liebe, so kann ich doch Gott niemals in der Kreatur so rein lieben wie in mir. Du sollst aus dir selbst gehen und dann wieder in dich selbst: da liegt und wohnt die Wahrheit, die[228] niemand findet, der sie in äussern Dingen sucht. Als Maria Magdalena sich aller Kreatur entschlug und in ihr Herz hineinging, da fand sie unsern Herrn. Gott ist rein und klar: darum kann ich Gott nirgends finden als in einem Reinen. Das Innerste meiner Seele aber ist klarer und reiner als jede Kreatur; darum finde ich Gott am allersichersten in meinem Innersten.

17. Dass Gott in Ruhe ist, das bringt alle Dinge zum Laufen. Etwas ist so lustvoll, das bringt alle Dinge zum Laufen, dass sie zurückkommen in das, von dem sie gekommen sind, und das doch unbeweglich in sich selber bleibt, und auf je höherer Stufe ein Ding ist, um so lustvoller läuft es.

18. Gott kann ebensowenig Gleichnisse leiden, als er leiden kann, dass er nicht Gott ist. Gleichnis ist das, was nicht an Gott ist. In der Gottheit und in der Ewigkeit ist Einssein, aber Gleichheit ist nicht Einssein. Bin ich eins, so bin ich nicht gleich. Gleichheit ist nicht die Form des Wesens in der Einheit, dieses gibt mir Einssein in der Einheit, nicht Gleichsein.

19. Was kann süsser sein als einen Freund haben, mit dem du alles, was in deinem Herzen ist, besprechen kannst wie mit dir selbst? Das ist wahr.[229]

20. Was ist Gottes Sprechen? Der Vater sieht auf sich selbst in einer einfachen Erkenntnis und sieht in die einfache Reinheit seines Wesens, da sieht er alle Kreaturen gebildet. Da spricht er sich selbst, das Wort ist klares Verstehen, und das ist der Sohn.

21. Wenn man Mensch sagt, so versteht man darunter eine Person; wenn man Menschtum sagt, so meint man die Natur aller Menschen. Die Meister fragen, was Natur ist. Sie ist ein Ding, das Wesen empfangen kann. Darum einigte Gott das Menschtum mit sich, nicht den Menschen. Ich sage: Christus war der erste Mensch. Wieso? Das erste in der Meinung ist das letzte am Werk, wie ein Dach das letzte am Hause ist.

22. Das oberste Antlitz der Seele hat zwei Werke. Mit dem einen versteht sie Gott und seine Güte und was aus ihm fliesst. Daher liebt sie Gott heute und versteht ihn, und morgen nicht. Darum liegt das Bild nicht in den Kräften infolge ihrer unstäten Art. Das andere Werk ist in dem obersten Antlitz, das ist verborgen. In der Verborgenheit liegt das Bild. Fünf Dinge hat das Bild an sich. Erstens, es ist nach einem andern gebildet. Zweitens, es ist in sich selbst geordnet. Drittens, es ist ausgeflossen. Viertens, es ist sich gleich von Natur, nicht dass es göttlicher[230] Natur wäre, aber es ist eine Substanz, die in sich selbst besteht, es ist ein reines aus Gott geflossenes Licht, wo nicht mehr Unterschiedenes ist, als dass es Gott versteht. Fünftens, es ist auf das Bild geneigt, von dem es ge kommen ist. Zwei Dinge zieren das Bild. Das eine: es ist nach ihm gefärbt. Das zweite: es hat etwas Ewigkeit in sich. Die Seele hat drei Kräfte in sich. In diesen liegt das Bild nicht. Aber sie hat eine Kraft, das ist der wirkende Verstand. Nun sagt Augustin und der neue Meister, dass darin zugleich liege Gedächtnis und Verstand und Wille, und diese drei haben nichts Unterschiedenes. Das ist das verborgene Bild, das löst sich aus dem göttlichen Wesen, und das göttliche Wesen scheint unmittelbar in das Bild. Gottes Wille ist, dass wir heilig sein sollen und die Werke tun, mit denen wir heilig werden. Heiligkeit beruht auf der Vernünftigkeit und dem Willen. Die besten Meister sagen: Heiligkeit liegt im Grunde im Höchsten der Seele, wo die Seele in ihrem Grunde ist, wo sie allen Namen und ihren eigenen Kräften entwächst. Denn die Kräfte sind auch ein nach aussen Gefallenes. Wie man Gott keinen Namen geben kann, so kann man auch der Seele in ihrer Natur keinen Namen geben. Und wo diese zwei eins werden, da ist die Heiligkeit.[231]

Wesen steht auf so hoher Stufe, dass es allen Dingen Wesen giebt. Wäre kein Wesen, so wäre ein Engel dasselbe was ein Stein.

23. Ein hoher Lesemeister erzählte in einer Predigt in einer hohen Versammlung diese Geschichte: Es war einmal ein Mann, von dem liest man in den Schriften der Heiligen, der begehrte wohl acht Jahre, Gott möge ihm einen Menschen zeigen, der ihm den Weg zur Wahrheit weisen könnte. Und als er in einem starken Begehren war, da kam eine Stimme von Gott und sprach zu ihm: »Geh vor die Kirche, da findest du einen Menschen, der dir den Weg zur Wahrheit weisen soll.« Und er ging und fand einen armen Mann, dem waren seine Füsse aufgerissen und voll Kot und alle seine Kleider waren kaum drei Pfennig wert. Er grüsste ihn und sprach: »Gott gebe dir einen guten Morgen« und jener erwiderte: »Ich hatte nie einen bösen Morgen!« Er sprach: »Gott gebe dir Glück! wie antwortest du mir so?« Und er erwiderte: »Ich hatte nie Unglück.« Er sprach wieder: »Bei deiner Seligkeit! wie antwortest du mir so?« Er erwiderte: »Ich war nie unselig.« Da sprach er: »Gebe dir Gott Heil! Kläre mich auf, denn ich kann es nicht verstehn.« Er erwiderte: »Das will ich tun. Du sprachst zu mir, Gott möge mir einen guten Morgen geben, da[232] sagte ich: ich hatte nie einen bösen Morgen. Hungert mich, so lobe ich Gott; bin ich elend und in Schande, so lobe ich Gott: und daher hatte ich nie einen bösen Morgen. Als du sprachst, Gott möge mir Glück geben, sagte ich, ich hatte nie Unglück. Denn was mir Gott gab oder über mich verhängte, es sei Freude oder Leid, sauer oder süss, das nahm ich alles von Gott für das Beste: deshalb hatte ich nie Unglück. Du sprachst, bei meiner Seligkeit, da sagte ich: ich war nie unselig, denn ich habe meinen Willen so gänzlich in Gottes Willen gegeben: was Gott will, das will auch ich, darum war ich nie unselig, denn ich wollte allein Gottes Willen.« »Ach, lieber Mensch, wenn dich nun Gott in die Hölle werfen wollte, was wolltest du dazu sagen?« Da sprach er: »Mich in die Hölle werfen? Das wollt' ich sehen! Und auch dann, würfe er mich in die Hölle, so habe ich zwei Arme, mit denen umfasste ich ihn. Der eine ist wahre Demut, den legte ich um ihn und umfasste ihn mit dem Arm der Liebe.« Und dann sprach er: »Ich will lieber in der Hölle sein und Gott haben, als im Himmelreich und Gott nicht haben.«

24. Meister Eckharten begegnete ein schöner, nackender Bube. Da fragte er ihn, woher er käme. Er sprach: Ich komme von Gott. – Wo[233] verliessest du ihn? – In tugendhaften Herzen. – Wohin willst du? – Zu Gott. – Wo findest du ihn? – Wo ich alle Kreaturen verliess. – Wer bist du? – Ein König. – Wo ist dein Königreich? – In meinem Herzen. – Hüte dich, dass es niemand mit dir teile. – Das tu ich. – Da führte er ihn in seine Zelle und sprach: Nimm, welchen Rock du willst. – Dann wäre ich kein König, – und verschwand. Es war Gott selbst gewesen, der mit ihm einen Spass gemacht hatte.[234]

Quelle:
Meister Eckharts mystische Schriften. Berlin 1903.
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