Zweites Kapitel.

Ueber die Erziehung, oder die Priester-Classe und den ersten Stand.

[24] 1. Lernet das System der Pflichten kennen, welches von denen, die in den Vedas gelehrt sind, verehrt wird, und welches, als Mittel zur Glückseligkeit, den Herzen der Gerechten aufgedrückt ist, die immer von Haß und unordentlicher Neigung frey sind.


2. Selbstliebe ist kein löblicher Bewegungsgrund, aber Freyheit von Selbstliebe ist in dieser Welt nicht zu finden; auf Selbstliebe gründet sich das Studium der Schrift und die Ausübungen der darinn empfohlenen Handlungen.


3. Heftiges Verlangen zu handlen entspringt aus der Erwartung eines Vortheils; in dieser Erwartung werden Opfer vollzogen: die Vorschriften religiöser Strenge und Enthaltung von Sunde entstehen, wie bekannt, aus der Hoffnung einer Vergeltung.


4. Man sieht hienieden keine menschliche Handlung ohne Selbstliebe ausüben; der Mensch mag thun, was er will, er wird dazu durch einen Wunsch nach Belohnung angetrieben.


5. Wenn aber Jemand diese Pflichten unablässig, ohne Rücksicht auf den darauf folgenden Vortheil erfüllte,[24] so würde er dereinst in den Stand der Unsterblichen treten, und schon in diesem Leben alle die tugendhaften Freuden genießen, die ihm seine Einbildungskraft nur immer eingeben könnte.


6. Die Wurzeln des Gesetzes sind der ganze Veda, die Verordnungen und tugendhaften Sitten derer, die ihn vollkommen verstehen, die uralten Gebräuche guter Menschen, und in ganz gleichgültigen Fällen, Gutbefinden.


7. Jedes Gesetz, das Menu irgend Jemanden vorgeschrieben hat, ist ausführlich im Veda aufgezeichnet, denn Er was vollkommen in göttlicher Wissenschaft.


8. Ein wahrhaft gelehrter Mann, der dieses vollständige System mit den Augen heiliger Weisheit betrachtet hat, wird unfehlbar alle Pflichten ausüben, deren Verordnung durch das Ansehn des Veda bestätigt ist.


9. Wahrlich der, welcher die Vorschriften, die im Sruti und Smriti enthalten sind, ausübt, wird sich Ruhm in diesem Leben und im künftigen unaussprechliche Glückseligkeit erwerben.


10. Durch Sruti, oder was von oben her gehört wurde, versteht man den Veda; und durch Smriti, oder was seit dem Anfange erinnerlich war, den Inbegrif der Gesetze: diese beyde müssen nicht durch heterodoxe Gründe bestritten werden, da aus diesen beyden das ganze Pflichtensystem hergeleitet wird.1
[25]

11. Wenn irgend ein Mann der drey höchsten Classen aus Vorliebe für häretische Bücher, diese zwey Quellen des Gesetzes mit Verachtung behandelt; so soll er als ein Atheist2 und Verächter der Offenbarung aus der Gesellschaft der Tugendhaften gestoßen werden.


12. Die Schrift, die Gesetzbücher, gutgeheißene Gebräuche, und, in allen gleichgültigen Fällen, Gutbefinden sind, nach der unzweydeutigen Erklärung der Weisen die vier Quellen der Gesetzkunde.3
[26]

13. Menschen, die nicht dem Wucher oder der Sinnlichkeit ergeben sind, finden hinlängliche Aufmunterung in der Kenntniß von dem was Rechtens ist; und für die, welche nach Kenntniß des Rechts streben, hat göttliche Offenbarung das höchste Ansehn.


14. Aber wenn sich zwey heilige Schriftstellern finden, die einen scheinbaren Widerspruch enthalten, so haben beyde Gesetz-Kraft: denn nach dem Ausspruche der Weisen sind beyde gültig und vereinbar.


15. So befinden sich im Veda folgende Stellen: »nach Aufgang der Sonne soll geopfert werden« und »vor Sonnen Aufgang« und »wenn weder Sonne noch Sterne sichtbar sind«: solchemnach kann man in irgend einem oder in jedem dieser Fälle opfern.


16. Derjenige, welcher von seinem Empfängnisse an, bis zum Scheiterhaufen4 sein Leben nach heiligen Aussprüchen einrichtet, hat ein ausdrückliches Recht dieses Gesetzbuch zu studieren; aber kein andrer ohne Ausnahme.
[27]

17. Zwischen den zwey göttlichen Flüssen Saraswati und Dhrishadwati liegt die Strecke Landes, welche die Weisen Brahmaverta benannt haben, weil sich die Götter oft dort aufhielten5.


18. Eine Sitte, welche sich durch uralte Ueberlieferung unter den vier reinen Classen und unter den gemischten aufbehalten hat, heißt gebilligter Gebrauch6.


19. Curucshetra, Matsya, Panchala, oder Canyacubja, und Surasena, oder Mathura bilden die Gegend, welche Brahmarshi genannt wird, und von Brahmaverta verschieden ist.


20. Von einem Brahminen, der in diesem Lande gebohren ist, sollen alle Menschen auf der Erde ihre verschiednen Gebräuche lernen.


21. Das Land, welches zwischen Himavat und Vindhya, gegen Morgen von Vinasana und gegen Abend von Prayaga, liegt, ist unter der Benennung Medhya-desa oder Mittel-Land berühmt.


22. Bis zum Ost-Meere und West-Meere zwischen den oben erwähnten Bergen erstreckt sich das Land welches die Weisen Ariaverta, oder bewohnt von angesehenen Männern, benannt haben.


23. Das Land welche der schwarze Antelop zur Weide sucht, wird für tüchtig zur Vollziehung der Opfer gehalten; aber das Land der Mlechhas, oder derer die barbarisch reden, ist davon weit unterschieden.
[28]

24. Die drey ersten Classen sollen unveränderlich in den vorerwähnten Ländern wohnen; aber ein Sudra, dem es an Lebensunterhalt fehlt, mag sich aufhalten wo es ihm gefällt.


25. So ist euch der Ursprung der Gesetze und die Erschaffung dieses Universums kürzlich verkündigt worden: vernehmt nun die Gesetze der verschiedenen Classen.


26. Gebräuche bey Empfängnissen und dergleichen, welche die Körper der drey Classen in diesem Leben reinigen und sie für das künftige fähig machen, müssen mit gehörigen Ceremonien, unter günstigen Umständen7, begangen werden.


27. Durch Spenden ins Feuer während der Mutter Schwangerschaft, durch heilige Gebräuche bey der Geburt ein Kindes, durch Abscheerung der Haupthaare desselben, so daß nur etwas davon stehen bleibt, und durch[29] die Umbindung des Opfer-Bandes werden alle Saamen- und Bär-Mutter-Befleckungen der drey Classen gänzlich vertilgt8.


28. Das Studium des Veda, religiöse Beobachtungen, Spenden ins Feuer, die Ceremonie Traividia Opfer den Göttern und Manen dargebracht, Kinderzeugung, die fünf großen Sakramente, und feyerliche Opfer; alles das macht den menschlichen Körper eines göttlichen Zustandes empfänglich.
[30]

29. Bey der Geburt eines Knaben ist vor der Absonderung des Nabelstranges eine Ceremonie verordnet: man muß ihm, unter der Hersagung heiliger Schriftstellen, etwas Honig und gesäuberte Butter aus einem goldnen Löffel zu kosten geben.9


30. Am zehnten oder zwölften Tage nach der Geburt, oder an einem glücklichen Tage des Mondes, zu einer glücklichen Stunde und unter dem Einflusse eines Gestirns mit guten Eigenschaften, soll der Vater die Ceremonie der Nahmengebung verrichten, oder, im Falle er abwesend ist, verrichten lassen.


31. Der erste Theil in dem zusammengesetzten Nahmen eines Brahminen sollte Heiligkeit; in dem eines Cshatriya, Macht; in dem eines Vaisya, Reichthum; und in dem eines Sudra, Verachtung ausdrücken.


32. Der zweyte Theil in eines Priesters Nahmen soll Heil; in dem eines Kriegers Erhaltung; in dem eines Handelsmannes Nahrung; und in dem eines Dieners unterthänige Aufwartung bedeuten.


33. Weibernahmen sollten gefällig, sanft, leicht, die Einbildungskraft bezaubernd, guter Vorbedeutung, mit langen Selbstlautern schließend, und Segnungsworten ähnlich seyn.


34. Im vierten Monathe sollte das Kind aus dem Hause getragen werden, die Sonne zu sehen: im sechsten Monathe sollte man ihm Reiß zu essen geben; oder man mag so verfahren wie es nach dem Herkommen der Familie am zuträglichsten gehalten wird.
[31]

35. Auf Verordnung des Veda sollte die Ceremonie des Abscheerens der Haare gesetzmäßig von den drey ersten Classen, im ersten oder dritten Jahre nach der Geburt, vollzogen werden.10


36. Im achten Jahre nach der Empfängniß eines Brahminen, im elften nach der eines Cshatriya, und im zwölften nach der eines Vaisya soll der Vater dem Sohne das Unterscheidungszeichen seiner Classe feyerlich mittheilen.11


37. Wenn ein Brahmin oder dessen Vater für ihn in heiliger Kenntniß Fortschritte zu machen, wenn eine Cshatriya seine Macht auszubreiten, oder ein Vaisya in Handlungs-Geschäfte sich einzulassen wünscht, so kann jene Mittheilung, oder Einkleidung, im fünften, sechsten oder achten Jahren nach ihren verschiedenen Stufen geschehen.


38. Die Ceremonie der Einkleidung, welche durch die Gayatri geheiligt ist, muß bey einem Priester nicht über das sechzehnte Jahr, bey einem Krieger nicht über das zwey und zwanzigste, und bey einem Handelsmanne nicht über das vier und zwanzigste aufgeschoben werden.


39. Nach dieser Zeit werden alle Jünglinge der drey angeführten Classen, die nicht zur gehörigen Zeit eingekleidet worden sind, Vratyas oder Ausgestoßene, durch die Gayatri erniedrigt und von den Tugendhaften verachtet.12
[32]

40. Alle gesetzmäßige Verbindung mit dergleichen Leuten, entweder durch gemeinschaftliches Studium des Veda, oder durch Verwandschaft muß ein Brahmin, wenn er auch in Nahrungssorgen seyn sollte, durchaus vermeiden.


41. Schüler der Theologie sollen schwarze Antilopen- Tannhirsch- oder Ziegen-Felle als Mäntel tragen und Unterkleider von gewebtem Sana, von Cshuma und von Wolle nach der genauen Vorschrift ihrer Classe.13


42. Der Gurt eines Priesters muß ein dreyfacher Strick, von Munja gemacht und glatt und weich seyn; der Gurt des Kriegers muß eine Bogen-Sehne aus Marva, und der des Handelsmannes muß ein dreyfacher Faden von Sana seyn.


43. Wenn man keinen Munja bekommen kann, so müssen ihre Gürtel aus den Pflanzen Cusa, Asmantaca, Valvaja, in dreyfachen Faden mit einem, drey oder fünf Schleifen, nach der Familien-Sitte, gemacht werden.


44. Bey einem Brahminen muß sich das Opfer-Land14 in drey Enden theilen und aus Baumwolle also gemacht seyn, daß man es beym Anlegen über das Haupt nehmen kann.
[33]

45. Dem Gesetze nach sollte ein Priester einen Stab aus Bilva oder Palasa tragen; ein Krieger aus Bata oder C'hadira, ein Handelsmann aus Vena oder Udumbara.


46. Der Stab eines Priesters muß so lang seyn, daß er bis an sein Haar reicht; der eines Kriegers muß bis an seine Stirn, und der eines Handelsmannes bis an seine Nase reichen.


47. Alle Stäbe müssen gerade, nicht zerknickt, schön, in völliger Rinde, nicht vom Feuer beschädigt und so seyn, daß sie den Leuten kein Schrecken einjagen.


48. Der Schüler wähle sich einen im Gesetze verordneten Stab der ihm gefällt, trete der Sonne gegen über, gehe dreymal ins Feuer von der Rechten zu der Linken und dann verrichte er die Ceremonie der Bitte um Nahrung, so wie es im Gesetze vorgeschrieben ist.15


49. Die vorzüglichste unter den drey Classen muß sich mit dem Opferbande umgürten, und mit dem ehrerbietigen Worte Bhavati zu Anfange einer Redensart um Lebensmittel bitten, die zweyte Classe braucht dieses Wort in der Mitte und die dritte am Ende der Redensart.


50. Er bitte zuerst seine Mutter, oder seine Schwester, oder seiner Mutter rechte Schwester um Speise; und dann irgend ein Frauenzimmer die ihm keine Schande macht.


51. Wenn er so viel von der verlangten Lebensmitteln gesammelt hat als er braucht, und sie ohne Verstellung seinem Lehrer angeboten hat, soll er nach gehöriger[34] Reinigung mit seinem Gesichte gegen Morgen gewandt etwas davon essen.


52. Wenn er langes Leben begehrt, so muß er sich beym Essen mit seinem Gesichte gegen Morgen wenden; wünscht er ausgebreiteten Ruhm, gegen Mittag; wünscht er Wohlergehen, gegen Abend; und strebt er nach Wahrheit und dem Lohne derselben, gegen Mitternacht.


53. Wenn sich der Schüler gehörig gebadet hat, kann er seine Nahrung ohne Unruhe genießen; nach dem Genusse muß er dreymal den Mund völlig waschen, und die sechs hohlen Theile des Hauptes, oder seine Augen, Ohren und Nasenlöcher, mit Wasser besprengen.


54. Er muß seine Nahrung in Ehren halten und ohne Verachtung genießen; wenn er sie sieht, so muß er stille Freude empfinden und bitten, daß er sie immer erhalten möge.


55. Nahrung unablässig mit Achtung genossen, giebt Nervenstärke und Zeugungskraft; aber zerstört beydes, wenn man sie unehrerbietig zu sich nimmt.


56. Das was er übrig läßt, muß er ja niemanden geben, noch etwas zwischen Morgen und Abend essen: er muß auch nicht zuviel essen, oder mit einem Ueberbleibsel von Nahrung im Munde irgend wohin gehen.


57. Uebermäßiges Essen ist der Gesundheit, dem guten Nahmen, und der künftigen Seligkeit im Himmel nachtheillig; es ist der Tugend schädlich und unter den Menschen verhaßt; daher muß er auf das geflissentlichste vermeiden.


58. Ein Brahmin muß jederzeit die Waschung mit dem reinen Theile seiner Hand verrichten, welcher seinen[35] Nahmen vom Veda hat, oder mit dem Theile welcher dem Herrn der Geschöpfe heilig, oder mit dem welcher den Göttern gewidmet ist, aber nie mit dem Theile, welcher seinen Nahmen von den Pitris hat.


59. Der reine Theil unter der Wurzel des Daumens heißt Brahma; der an der Wurzel des kleinen Fingers Caya; der an den Spitzen der Finger Daiva, und der Theil zwischen dem Daumen und dem Zeigefinger Pitrya.


60. Erst muß er dreymal Wasser schlürfen; dann sich zweymal den Mund abtrocknen, und zuletzt die sechs vorerwähnten Höhlungen, seine Brust und sein Haupt naß machen.


61. Wer das Gesetz kennt und nach Reinigkeit strebt, wird immer seine Waschung mit dem reinen Theile seiner Hand vollziehen, und weder mit heissen noch schaumendem Wasser, er wird sich an einen einsamen Ort stellen und sich nach Morgen oder Mitternacht wenden.


62. Ein Brahmin wird gereiniget durch Wasser, welches bis in seinen Busen kommt; ein Cshatriya durch Wasser welches durch seine Kehle hinabläuft; ein Vaisya durch Wasser blos in seinen Mund genommen; ein Sudra durch Wasser das er mit den äussersten Lippen berührt.


63. Ein Jüngling in den drey höchsten Classen heißt Upaviti, wenn seine rechte Hand ausgestreckt ist, um den Gurt über das Haupt gehen und auf der linken Schulter befestigen zu lassen; wenn seine linke Hand ausgestreckt ist, damit der Faden auf seine rechte Schulter zu liegen komme, heißt er Prachinaviti; und Niviti wenn der Faden am Halse fest gemacht ist.
[36]

64. Wenn sein Gurt, sein lederner Umhang, sein Stab, seine Opferbinde und sein Wasserkrug abgetragen oder zerbrochen sind, so muß er sie in den Fluß werfen und andre, durch geheimnißvolle Sprüche geweihete, nehmen.


65. Die Ceremonie Cesanta, oder das Haarabschneiden ist für Priester im 16ten Jahre nach der Empfängniß verordnet; für Krieger im 22sten; für Handelsleute zwey Jahre später.


66. Die nehmlichen Ceremonien, ausgenommen die des Opferguts müssen von den Weibern die im nehmlichen Alter und im nehmlichen Stande sind, beobachtet werden, um den Körper vollkommen zu machen, doch ohne Sprüche aus dem Veda.


67. Die völlige Einweihung der Weiber in ihren Stand, welche durch die Hochzeitceremonie geschieht, ferner Ehrerbietung gegen ihre Männer, einstweiliges Verbleiben in ihres Vaters Familie, Besorgung der häuslichen Geschäfte und Aufsicht über das heilige Feuer, sind den Frauen im Veda verordnet.


68. Dies ist das offenbarte Gesetz der Gebräuche für die Wiedergebornen, Gebräuche in deren Beobachtung ihre zweyte Geburt offenbar besteht und wel che ihre Fortschritte in der Heiligkeit bewirken; vernimm nun was für Pflichten sie nachher zu beobachten haben.


69. Nachdem der ehrwürdige Lehrer seinen Zögling mit dem Bande umgürtet hat, muß er ihn erst in der Reinigung, in guten Gebräuchen, in der Behandlung des geweihten Feuers, und in den heiligen Ceremonien des Morgens, Mittags und Abends unterweisen.


70. Das Gesetz verordnet, daß ein Schüler, welcher den Veda zu lesen im Begriffe ist, sich zuvor, mit seinem[37] Gesichte nach Mitternacht gekehrt, wasche, darauf ein reines Unterkleid anthue, den schriftmäßigen Gruß abstatte, die gehörige Stellung annehme und sodann Unterricht empfange.


71. Zu Anfange und zu Ende jeder Lehrstunde muß er allemal beyde Füße seines Lehrers umfassen; und dann mit gefalteten Händen lesen: das nennt man den schriftmäßigen Gruß verrichten.


72. Er lege seine Hände quer über einander und umfasse so die Füße des Lehrers, nehmlich mit seiner linken Hand den linken Fuß und mit seiner rechten den rechten Fuß.


73. Wenn er nun zum Unterricht vorbereitet ist, soll der unablässig aufmerksame Lehrer sprechen: »Auf! lies«, und am Ende der Unterweisung, soll er sagen: »Ruhe aus.«


74. Ein Brahmin muß allezeit zu Anfange und am Ende eines Unterrichts über den Veda bey sich selbst die Sylbe Om aussprechen; denn wenn die Sylbe Om nicht vorher gesagt wird, weicht seine Gelehrsamkeit von ihm; und wenn er sie nachher zu sagen unterläßt, so wird der Unterricht nicht lange haften.


75. Daher lasse sich der Brahmin zuerst auf Cusa, dessen Halmspitzen nach Morgen zu stehen, nieder, reinige sich durch die Reibung dieses heiligen Grases auf seine beyden Hände, und durch dreymaliges Ansichhalten des Athems, deren jedes so lange als die Aussprache fünf kurzer Selbstlauter dauert; so vorbereitet kann er ohne weiteres Bedenken Om sagen.


76. Brahma melkte gleichsam aus den drey Vedas den Buchstaben A, den Buchstaben U und den Buchstaben M, welche durch ihre Verbindung das[38] einsylbige Wort von drey Buchstaben bilden, desgleichen die drey geheimnißvollen Worte Bhur, Bhuvah, Swer, oder Erde, Luft, Himmel.


77. Der unbegreiflich erhabne Herr der Schöpfung melkte auch aus den drey Vedas nach und nach die drey Verse des unaussprechlichen Lehrsatzes, welcher mit dem Worte tad anfängt und Savitri, oder Gayatri überschrieben ist.


78. Ein Priester der den Veda versteht und Morgens und Abends diese Sylbe und den heiligen Lehrsatz vor welchem jene drey Worte stehen, bey sich selbst hersagt, wird die Heiligkeit erlangen, welche der Veda ertheilt.


79. Und wenn ein wiedergeborner Mann, diese drey Worte (oder Om die Vyahritis und den Gayatri) fern vom großen Haufen, tausendmal wiederhohlt, so soll er in Zeit von einem Jahre, wenn er auch ein großes Verbrechen begangen hätte, eben so frey davon werden, wie eine Schlange von ihrer abgeworfenen Haut.


80. Der Priester, der Krieger, der Handelsmann, welcher diesen geheimnißvollen Spruch vernachläßigt, und nicht zu gehöriger Zeit seine besondern Frömmigkeits-Uebungen beobachtet, soll von den Tugendhaften verachtet werden.


81. Die drey großen unveränderlichen Worte vor welchem die Sylbe mit drey Buchstaben steht, und auf welches die Gayatri folgt, welche aus drey Versen zusammen gesetzt ist, müssen als der Mund, oder als der vorzüglichste Theil des Veda beobachtet werden.
[39]

82. Wer drey Jahre lang täglich ohne Unterlaß diesen heiligen Satz wiederholt, wird sich der einst dem göttlichen Wesen nahen, sich leicht wie Luft bewegen und eine ätherische Gestalt annehmen.


83. Das einsylbige Wort von drey Buchstaben ist ein Sinnbild des Höchsten; das wiederholte Zurückhalten des Athems mit einem auf Gott gerichteten Herzen ist das größte Zeichen der Andacht; aber nichts ist erhabner als die Gayatri: eine Verkündigung der Wahrheit ist vorzüglicher als Stillschweigen.


84. Alle im Veda verordnete Gebräuche, Spenden ins Feuer und feyerliche Opfer vergehen; aber es ist kund gethan, daß die Sylbe om nicht vergeht, welche daher acshara genannt wird, weil sie das Symbol Gottes des Herrn der erschaffenen Wesen ist.


85. Die Wiederhohlung seines heiligen Nahmens ist zehnmal besser als das festgesetzte Opfer; hundertmal besser wenn niemand dabey zuhört; und tausendmal besser, wenn sie blos in Gedanken16 geschieht.
[40]

86. Die vier häuslichen Sacramente verbunden mit einem verordneten Opfer, sind, wenn sie auch alle zu sammen genommen werden, nicht dem sechszehnten Theile eines Opfers gleich, welches durch die Hersagung der Gayatri vollzogen wird.


87. Blos durch die Wiederhohlung der Gayatri kann ein Priester unstreitig Seligkeit erlangen, er mag nun andre religiöse Handlungen verrichten oder nicht; wenn er Maitra, oder ein Freund aller Geschöpfe ist, so heißt er mit Recht Brahmena, oder vereinigt mit dem einigen Großen.


88. Wie ein Fuhrmann widerspenstige Pferde zu behandeln weiß, so wird ein weiser Mann mit der größten Sorgfalt die Gliedmaßen zu bezäumen verstehen, welche unter den hinreißenden Sinnlichkeiten wild herumirren.


89. Ich will die elf Gliedmaßen welchen die ersten Weisen Nahmen gaben, kurz und in gehöriger Ordnung[41] nennen, in wiefern sie Gegenstände der Gesetze sind.


90. Die Nase ist das fünfte nach den Ohren, nach der Haut, den Augen und der Zunge; und die Sprachwerkzeuge haben den zehnten Platz nach den Organen der Ausleerung und der Zeugung und nach den Händen und Füßen.


91. Fünfe derselben, das Ohr und die übrigen wie sie in der Reihe folgen, sind von gelehrten Männern Sinnwerkzeuge genannt worden; und die andern Glieder des Handelns.


92. Das Herz muß als das elfte betrachtet werden, welches, seiner natürlichen Beschaffenheit nach, leidet und wirkt: wenn dieses bezwungen ist, dann sind auch die beyden andern Reihen jede aus fünf Gliedern bestehend, gewonnen.


93. Wer seine Organe an sinnliches Vergnügen kettet, ist ganz gewiß strafbar; wer sie aber völlig im Zaume hält, wird himmlische Wonne genießen.


94. Verlangen wird nie durch den Genuß des erwünschten Gegenstandes gestillt, eben so wenig als Feuer mit gereinigter Butter gelöscht, sondern vielmehr nur noch heftiger angeflammt wird.


95. Die Unterdrückung sinnlicher Lüste ist weit besser als die Befriedigung derselben, ohne Rücksicht auf das Ansehen von Personen, die sich entweder allen Genuß erlauben, oder demselben völlig entsagen.


96. Anreizungen zur Wollust vermeiden ist kein so kräftiges Mittel zur Bezwingung der Organen, welche durch sinnlichen Genuß verwöhnt sind, als anhaltendes Streben nach göttlicher Kenntniß.
[42]

97. Wer sich durch Sinnlichkeit befleckt hat, dem können weder die Vedas, noch Freygebigkeit, noch Opfer, noch Ausübung strenger Regeln, noch fromme Härte gegen sich selbst, Glückseligkeit gewähren.


98. Wer sich über das was den Sinnen des Gesichts, Gefühls, Gehörs, Geschmacks und Geruchs angenehm oder widrig ist, weder sehr freut noch betrübt, den kann man wirklich Sieger über seine Sinnwerkzeuge nennen.


99. Aber wenn ein einziges unter allen seinen Organen sündigt, so verliert er durch diesen Fehltritt seine Kenntniß von Gott eben so wie sich das Wasser durch eine einzige Oeffnung aus einer Lederflasche verliert.


100. Hat er alle seine Organen der Sinne und des Handelns im Zaume halten und auch sein Herz beherrschen lernen, so wird er jedes Vortheils genießen, wenn er auch seinen Körper nicht durch religiöse Härte kasteyet17.


101. Des Morgens in der Dämmerung wiederhohle er die Gayatri stehend bis er die Sonne sieht; und in der Abenddämmerung sitzend bis die Sterne deutlich zu sehen sind.


102. Wer die Gayatri in der Morgendämmerung stehend hersagt, entfernt jede unbekannte nächtliche Sünde, und wer sie in der Abenddämmerung sitzend wiederhohlt, tilgt die Flecken die er wider sein Wissen den Tag über bekommen hat.


103. Aber wer die Gayatri weder stehend des Morgens, noch sitzend des Abends hersagt, muß wie ein Sudra, von der Beobachtung jedes heiligen Gebrauchs der wiedergebornen Classen ausgeschlossen werden.
[43]

104. Er begebe sich behutsam an einen einsamen Ort, sage, wachsam auf seine Glieder, in der nähe von reinem Wasser die Gayatri her, und schreite dann zu den Ceremonien des Tages.


105. Das Lesen der Vedangas, oder der Grammatik, Prosodie, Mathematik und dergleichen, oder auch derjenigen Theile des Veda welche selten gelesen werden, ist nicht an besondern Tagen verboten; eben so wenig als das Hersagen der Sprüche, welche bey Spenden ins Feuer festgesetzt sind.


106. Bey dem was immer gelesen werden muß, und deswegen Brahmasastra heißt, kann kein solches Verbot Statt finden, und dem Veda zufolge bringt die Spende ins Feuer gute Frucht hervor, ob man gleich dabey den Spruch Vashat hersagt, welcher bey andern Gelegenheiten an gewissen Tagen unterbleiben muß.


107. Wer ein ganzes Jahr fortfährt den Veda zu lesen, seine Glieder in Aufmerksamkeit und seinen Leib rein zu erhalten, der wird allezeit gute Früchte von seinen Opfern ärndten, sie mögen aus frischer oder geronnener Milch, aus gesäuberter Butter, oder aus Honig bestehen.


108. Ein wiedergeborner Jüngling mit dem Opferbande umgürtet, muß Holz für das heilige Feuer sammeln, Lebensmittel von Verwandten erbitten, auf einem niedrigen Bette schlafen und sich beschäftigen wie es seinem Lehrer gut dünkt, bis er wieder in das Haus seines natürlichen Vaters zurück kehrt.


109. Folgende zehn Personen haben die Erlaubniß der Gesetze sich im Veda unterweisen zu lassen: der Sohn eines geistlichen Lehrers; ein fleißiger Knabe; einer der Geschicklichkeit besitzt in andern Kenntnissen Unterricht[44] zu ertheilen; ein Gerechter; ein Reiner; ein Gefälliger; ein Mächtiger; einer der Reichthum schenken kann; ein Redlicher, und ein Blutsverwandter.


110. Außer diesen muß ein verständiger Lehrer mit keinem andern von Sachen sprechen über die man ihn entweder gar nicht, oder doch sehr unschicklich fragt, sondern unter dem großen Haufen, wenn er auch noch so gelehrt ist, soll er thun als ob er stumm wäre.


111. Wenn von zwey Leuten der erste gesetzwidrig fragt, und der andere gesetzwidrig antwortet, so wird einer entweder sterben, oder verhaßt werden.


112. Wo sich nicht Tugend und Reichthum, um sie gehörig zu schützen, oder wenigstens genaue der Heiligkeit des Gegenstandes angemessene Aufmerksamkeit findet, auf solches Land muß göttlicher Unterricht nicht gesäet werden; er würde umkommen wie schöner Saamen in unfruchtbarem Boden.


113. Ein Lehrer des Veda sollte lieber mit seiner Gelehrsamkeit sterben, als sie in unfruchtbaren Boden säen, ob er gleich große Nahrungssorge haben mag.


114. Heilige Gelehrsamkeit nahte sich einem Brahminen und sagte zu ihm: »Ich bin dein kostbares Kleinod, verwahre mich sorgfältig; übergieb mich keinem Verächter (durch solche Verwahrung werde ich vorzüglich stark werden);«


115. »Sondern als einem wachsamen Verwahrer deines Kleinods theile mich dem Schüler mit, von welchem du weißt, daß er rein ist, und daß er seine Leidenschaften bezwungen hat, um die Pflicht seines Standes zu erfüllen.«


116. Wer sich Kenntniß des Veda ohne seines Lehrers Einwilligung erwirbt, macht sich eines Diebstahls[45] der Schrift schuldig, und wird in die Gegend der Quaal sinken.


117. Wer auch immer der Lehrer seyn mag, der einen Schüler über gemeine Ceremonielle, oder über heilige Gegenstände unterrichtet hat, die Pflicht des Schülers gebietet, daß er seinen Lehrer zuerst grüße, wenn sich beyde begegnen.


118. Ein Brahmin, welcher über seine Leidenschaften völlig Meister ist, ob er gleich nur die Gayatri versteht, verdient mehr Ehre als der, welcher seine Leidenschaften nicht zähmt, alle Arten von Nahrung ißt und alle Arten von Waaren verkauft18, wenn er auch die drey Vedas verstünde.


119. Wenn ein Oberer auf einem Sessel oder einer Bank sitzt, so darf kein Niedrer mit ihm darauf sitzen, und wenn ein Niedrer auf einem Sessel sitzt, so soll er aufstehen19 und den Obern grüßen.
[46]

120. Die Lebensgeister eines jungen Mannes steigen aufwärts, um von ihm zu fliehen, wenn sich ein älterer ihm naht; aber durch Aufstehen und Grüßen erlangt er sie wieder20.


121. Ein Jüngling, welcher sich gewöhnt die Bejahrten beständig zu grüßen und zu verehren, hat vierfachen Gewinn, an Leben, Kenntniß, Ruhm und Stärke.


122. Nach dem Gruße muß ein Brahmin den ältern anreden und sagen: »Ich bin der und der;« und seinen Nahmen nennen.


123. Wenn einige Personen aus Unkunde der Sanscrit21-Sprache die Bedeutung seines Nahmens nicht verstehen, so sollte ein gelehrter Mann zu ihnen sagen:[47] »ich bins« und auf diese Art sollte er alle Classen der Weiber anreden.


124. Beym Gruße sollte er nach seinem eigenen Nahmen die Partikel des Vocativs bhos aussprechen: denn weise Männer legen der Partikel bhos die nehmliche Eigenschaft bey, welche ganze Nahmen haben.
[48]

125. Auf den Gruß eines Brahmin sollte man so antworten: »mögest du lange leben, vortrefflicher Mann!« und am Ende seines Nahmens sollte der Selbstlauter und der vorhergehende Mitlauter mit einem scharfen Tone drey syllabische Momente, drey kurze Vocale lang gedehnt werden.
[49]

126. Der Brahmin, welcher nicht in Form auf einen Gruß antworten kann, muß von keinem gelehrten Manne gegrüßt werden: er ist just wie Sudra.


127. Der Gelehrte frage einen Priester, wenn er ihn begegnet, ob seine Andachtsübungen guten Erfolg haben; einen Krieger, ob er nicht beschädigt; einen Handelsmann, ob sein Reichthum in Sicherheit ist, und jemanden aus der Classe der Sclaven, ob er gesund ist: hiebey muß er sich der besondern Worte bedienen, Cusalam22, Anamayam, Cshemam und Arogyam.


128. Wenn jemand von einem feyerlichen Opfer oder aus einem Reinigungs-Bade kommt, sollte man ihn nicht bey seinem Nahmen anreden, ob er gleich noch jung ist, sondern wer das Gesetz versteht, sollte ihn mit der Partikel des Vocativs, oder mit Bhavat, dem Pronomen der Achtung, anreden.


129. Zu der Frau eines andern und zu irgend einer Frau, die nicht seine Blutsverwandtinn ist, muß er sprechen: »Bhavati und liebenswürdige Schwester.«
[50]

130. Zu seinen Oheimen väterlicher oder mütterlicher Seite, zu seinem Schwiegervater, zu denen die opfern und zu geistlichen Lehrern muß er sagen: »ich bin der und der« dann aufstehen und sie grüßen, ob sie gleich jünger, als er selbst, seyn mögen.


131. Seiner Mutter Schwester, die Frau seines Oheims von mütterlicher Seite, seine eigene Schwieger-Mutter, und seines Vaters Schwester, muß er wie seines Vaters oder Lehrers Frau grüßen: sie sind seines Vaters oder Lehrers Frauen gleich.


132. Seines Bruders Frau, wenn sie aus der nehmlichen Classe ist, muß er alle Tage grüßen, aber seine Verwandtinnen väterlicher und mütterlicher Seite braucht er bloß nach seiner Rückkehr von einer Reise zu grüßen.


133. Bey seinen Basen und bey seiner älteren Schwester muß er sich wie bey seiner Mutter betragen; ob gleich seine Mutter verehrungswürdiger ist als sie.


134. Mitbürger sind zehn Jahre lang in gleichem Alter; Tänzer und Sänger fünf Jahre; gelehrte Theologen nicht völlig drey Jahre; aber Blutsverwandte nur auf eine kurze Zeit: das heißt ein größerer Unterschied des Alters hebt die Gleichheit auf.


135. Der Schüler muß einen Brahminen, wenn dieser auch nur zehn Jahre alt, und einen Cshatriya, wenn er auch in seinem hungerten Jahre seyn sollte, als Vater und Sohn betrachten; da unter diesen beyden der junge Brahmin wie ein Vater zu verehren ist.


136. Reichthum, Verwandtschaft, Alter, gute Aufführung, und fünftens göttliche Kenntnisse geben Anspruch auf Achtung; aber das zuletzt genannte ist das aller Achtungswürdigste.
[51]

137. Jemehr ein Mann aus den drey obersten Classen, er sey wer er wollte, von den fünf genannten Eigenschaften, so wohl der Anzahl als dem Grade nach, besitzt, um desto verehrungswerther ist er; ja sogar ein Sudra, wenn er im zehnten Zehend seines Alters ist.


138. Man weiche aus dem Wege vor einem Manne der gefahren kommt, vor einem der über 90 Jahr alt oder krank ist, vor einem der eine Last trägt; vor einem Frauenzimmer, vor einem Priester, der so eben aus der Wohnung seines Lehrers zurückkommt; vor einem Fürsten und einem Bräutigam.


139. Wenn man diesen allen zusammen begegnet, so muß man dem zurückkehrenden Priester und dem Fürsten die größte Hochachtung bezeugen, und unter diesen beyden sollte der eben zurückkommende Priester mit mehr Achtung behandelt werden als der Fürst23.


140. Der Priester, welcher seinen Zögling mit dem Opferbande umgürtet und ihn nachher im ganzen Veda, in den Opfergesetzen und in den heiligen Upanishaden unterrichtet, wird von heiligen Weisen ein Acharya genannt.


141. Aber wer, um sich Lebensunterhalt zu verschaffen, blos über einen Theil des Veda oder in der[52] Grammatik und andern Vedangas Unterricht ertheilt, wird ein Upadhyaya oder Unterlehrer genannt.


142. Ein Vater welcher die Gebräuche bey der Empfängniß und dergleichen, nach dem Gesetze beobachtet, und welcher das Kind zuerst Reis nährt, hat den Beynahmen Guru, oder Verehrungswürdig.


143. Wer für die Bereitung des heiligen Feuers, für das Anordnen des Paca und Agnishtoma und für die Verrichtung andrer Opfer sich bezahlen läßt, heißt in diesem Gesetzbuche der Ritwij dessen, der ihn dingt.


144. Wer wahrhaftig beyde Ohren mit dem Veda füllt, muß einer Mutter gleich geachtet und wie ein Vater geehrt werden: der Zögling muß ihn nie beleidigen.


145. Ein bloßer Acharya, oder Lehrer der Gayatri, übertrifft zehn Upadhyayas, ein Vater übertrifft hundert solche Acharyas und eine Mutter tausend natürliche Väter.


146. Unter den beyden, von denen der eine natürliches Daseyn und der andere Kenntniß des ganzen Vedas giebt, ist der Geber heiliger Kenntniß der verehrungswürdiger Vater, da die zweyte oder göttliche Geburt dem Wiedergebohrnen nicht nur in dieser Welt, sondern auch der einst auf ewig Leben zusichert.24


147. Man betrachtet das als bloß menschliche Geburt, was die Eltern zu ihrem gegenseitigen Vergnügen einem Wesen mittheilen und was erhält, nachdem er im Mutterleibe gelegen hat.
[53]

148. Aber die Geburt, welche sein vorzüglichster Acharya der den ganzen Veda versteht, ihm durch seine göttliche Mutter Gayatri mittheilt, ist eine wahre Geburt: ihr kann weder Tod noch Alter schaden.


149. Wer jemanden die Wohlthat heiliger Gelehrsamkeit ertheilt, sie sey klein oder groß, der soll hienieden Guru oder verehrungswürdiger Vater wegen dieser himmlischen Wohlthat25 genannt werden.


150. Ein Brahmin, welcher geistlich zeugt und vorgeschriebene Pflichten lehrt, wird mit Recht der Vater eines alten Mannes genannt, ob er gleich selbst ein Kind ist.


151. Cavi, oder der Gelehrte, ein Kind des Angiras, lehrte seine Oheime väterlicher Seite den Veda lesen, und da er sie an göttlicher Wissenschaft übertraf, sagte er zu ihnen: »kleine Söhne.«


152. Erzürnt fragten diese die Götter um die Meinung dieses Ausdrucks, und die versammelten Götter antworteten: »das Kind hat dich angeredet wie es sich geziemt.«


153. »Denn ein ungelehrter Mann ist in der That ein Kind, und wer ihn den Veda lehrt, ist sein Vater; heilige Weisen halben allezeit Kind26 zu einem unwissenden Manne gesagt, und Vater zu einem Lehrer der Schrift.


154. Größe erlangt man nicht durch Jahre, nicht durch graue Haare, nicht durch Reichthum, nicht durch mächtige[54] Verwandtschaft, die göttlichen Weisen hab folgendes Gesetz gegeben: »wer die Vedas und ihre Angas gelesen hat, der ist groß unter uns.«


155. Bey Priestern berechnet man die Seniorität nach heiliger Gelehrsamkeit; bey Kriegern nach Tapferkeit; bey Handelsleuten nach Ueberfluß an Getreide, bey der Sclavenclasse allein nach dem Alter.


156. Daher ist ein Mann nicht alt, weil sein Haupt grau ist; in Wahrheit die Götter halten den für alt, der, ungeachtet seiner Jugend an Jahren, den Veda gelesen hat und versteht.


157. Ein ungelehrter Brahmin ist eben so wie ein Elephant aus Holz, oder ein Antelop aus Leder, diese drey Dinge haben nicht als Nahmen.


158. Wie ein Entmannter bey Frauen ohne Wirkung, wie Freygebigkeit bey einem Thoren nichts frommt, wie eine Kuh keine andere befruchten kann; so ist ein Brahmin untüchtig, wenn er nicht die heiligen Lehren liest.


159. Gute Unterweisung muß dem Schüler ohne unangenehme Empfindung gegeben werden; und ein Lehrer, welcher der Tugend huldigt, muß süße, sanfte Worte brauchen.


160. Derjenige ärndtet die völlige Frucht eines vollständigen Studiums des Veda, dessen Rede und Herz rein und immer aufmerksam bewahrt sind.


161. Niemand lasse Klagen wo sich hören, ob er gleich Schmerz leidet; niemand beleidige den andern weder in der That noch in Gedanken; niemand sage ein Wort das seinem Nebenmenschen Unmuth machen könnte: denn dies wird seinen eigenen Fortschritt zur künftigen Glückseligkeit verhindern.


162. Ein Brahmin sollte immer weltliche Ehre wie Gift vermeiden, und lieber Geringschätzung als ob[55] es Nektar wäre, suchen: denn er kann vergnügt schlafen und vergnügt erwachen, ob er gleich verachtet wird; vergnügt kann er durch dieses Leben wandeln: aber der Verächter verdirbt gänzlich.


164. Ein wiedergebohrner Jüngling dessen Herz durch diese regelmäßige Folge verordneter Handlungen gebildet worden ist, muß sich auch nach und nach, wenn er bey seinem Lehrer wohnt, an die Andachtsübungen gewöhnen, die mit dem Studium der Schrift verbunden sind.


165. Wer aufs neue gebohren ist, muß den ganzen Veda und vornehmlich die heiligen Upanishaden unter verschiedenen Andachtsübungen, und mit den im Gesetze verordneten Kasteyungen lesen.


166. Die Vorzüglichsten der wiedergebohrnen Classen müssen, wenn sie andächtig seyn wollen, beständig das Lesen der Schrift wiederhohlen: denn wiederhohltes Lesen der Schrift wird hier die höchste Nacht eines Brahminen genannt.


167. Ja wahrlich! derjenige Schüler der Gottesgelahrheit verrichtet die höchste Andachtsübung mit seinem ganzen Körper bis an die Spitzen seiner Nägel, welcher so viel als in seinen äußersten Kräften steht, täglich den Veda liest, ob er gleich in so ferne sinnlich seyn sollte, daß er einen Kranz wohlriechender Blumen trüge.


168. Ein wiedergebohrner Mann, welcher den Veda nicht studirt hat, und große Aufmerksamkeit auf eine andre, weltliche, Wissenschaft wendet, geräth bald schon bey Lebzeiten in den Zustand eines Sudra, und seine Nachkommen nach ihm.


169. Die erste Geburt geschieht durch die natürliche Mutter; die zweyte durch das Umbinden des Gürtels; die dritte durch gehörige Beobachtung des Opfers: dies[56] sind die Geburten dessen, den man gewöhnlich nach einem Ausspruche des Veda Wiedergeboren nennt.


170. Unter diesen ist die göttliche Geburt diejenige, welche sich durch das Umbinden des Gürtels und des Opferbandes auszeichnet, und in dieser Geburt ist die Gayatri seine Mutter, und der Acharya sein Vater.


171. Die Weisen nennen den Acharya Vater, weil er im Veda unterrichtet: und kein junger Mann kann vor seiner Einkleidung eine heilige Ceremonie verrichten.


172. Ehe er in die Unterscheidungszeichen seiner Classe eingekleidet ist, muß er keinen heiligen Lehrsatz aussprechen, diejenigen ausgenommen, derer man sich bey der Todtenfeyer eines Vorfahren bedienen sollte, weil er vor seiner Wiedergeburt durch die offenbarte Schrift, nichts besser als ein Sudra ist.


173. Von dem, welcher gehörig eingekleidet ist, erfordert man sowohl Andachtsübungen als regelmäßiges Studium des Veda nach vorhergegangenen bestimmten Ceremonien.


174. Der Umhang von Leder, das Opferband und der Gürtel, der Stab und die Unterkleider, welche, wie oben erwähnt worden, dem Jünglinge jeder Classe besonders zu tragen vorgeschrieben sind, müssen auch bey ihren religiösen Verrichtungen getragen werden.


175. Ein Bramachari, oder Schüler der Gottesgelahrheit muß, so lange er bey seinem Lehrer wohnt, folgende Vorschriften beobachten, und über alle seine Glieder wachen, um sich immer mehr und mehr an Andachtsübungen zu gewöhnen.
[57]

176. Tag vor Tag, wenn er sich gebadet und gereinigt hat, muß er den Göttern, den Weisen und den Manen frisches Wasser darbringen; er muß dem Bilde der Gottheit seine Achtung bezeugen und Holz für Spenden ins Feuer zusammen tragen27.


177. Er muß sich enthalten des Honigs, des Fleisches, der Wohlgerüche der Blumenkränze, der süßen Pflanzensäfte, der Weiber, aller süßer Sachen die sauer geworden sind, und der Beschädigung irgend eines belebten Wesens28.


178. Der Salben für seine Glieder, des schwarzen Pulvers29 für seine Augen, des Gebrauchs der Pantoffeln und des Sonnenschirms, sinnlicher Lüste, des Zorns, des Geizes, des Tanzes, des Gesangs und des Saitenspiels.


179. Der Streitigkeiten, des Spielers, der Verunglimpfung, der Falschheit, der Umarmung und des frechen Anschauens der Weiber, und der Ungefälligkeit gegen andre.


180. Es muß immer allein schlafen und nie seine Mannheit verschwenden: denn wer seine Mannheit mit Willen[58] verschwendet, verletzt die Vorschrift seines Standes und wird ein Avacirni.


181. Ein wiedergebohrner Jüngling, welcher ohne Vorsatz seine männliche Stärke im Schlafe verschwendet, muß sich baden, zur Sonne beten und Hochachtungsvoll den folgenden Spruch der Schrift hersagen: »laß meine Stärke wieder zu mir kehren.«


182. Er muß Wasser, Töpfe, Blumen, Kuhmist30, frische Erde und cusa Gras so viel als nützlich ist, zu seinem Lehrer tragen, und alle Tage die Pflicht eines religiösen Bettlers ausüben.


183. Ein Brahmin-Schüler muß alle Tage mit gehöriger Sorgfalt seine Nahrung durch betteln aus den Häusern solcher Personen erhalten, welche wegen der Erfüllung ihrer Pflichten berühmt, und nicht nachläßig in Vollziehung der Opfer sind, die der Veda verordnet31.


184. Er soll keine Lebensmittel von den Vettern seines Lehrers fordern, auch nicht von seinen eignen Vettern, noch von andern Verwandten väterlicher oder mütterlicher Seite; aber wenn er keinen Zugang zu andern[59] Häusern hat, so muß er bey den letzten von denen anfangen, die im Gesetze verordnet sind, und den ersten vermeiden.


185. Oder wenn keine der eben erwähnten ]Häuser zu finden sind, dann soll er durch die ganze Gegend um das Dorf herum mit Wachsamkeit über seine Glieder und beständigem Stillschweigen betteln gehn; aber von denen die eine Todsünde begangen haben, muß er sich wegwenden.


186. Er trage sich Stücken Holz aus der Gegend umher zusammen, lege sie erst in die freye Luft und bringe dann regelmäßig abends und morgens Spenden ins Feuer dar.


187. Wer sieben Tage nach einander die Ceremonie, Nahrung zu betteln, unterläßt, und kein Holz zum heiligen Feuer trägt, muß die Buße eines Avacirni thun, dafern er nicht krank ist.


188. Ein Schüler muß immer fortfahren so zu betteln, aber sich nicht blos von einer Person speisen lassen: der Unterhalt eines Schülers durch betteln wird in Rücksicht auf religiöses Verdienst dem Fasten gleich gehalten.


189. Aber wenn er über eine feyerliche Handlung zu Ehren der Götter oder Manen befragt wird, kann er nach Belieben Lebensmittel von einer einzigen Person annehmen; doch mit Beobachtung der Enthaltsamkeitsgesetze und der Strenge eines Einsiedlers: so wird das Gesetz seinem Standes nicht verletzt.


190. Diese Pflicht eines Bettlers ist von den Weisen blos für einen Brahminen verordnet; aber einem Krieger oder Handelsmanne ist dergleichen nicht vorgeschrieben.
[60]

191. Der Schüler muß immer mit Anstrengung lesen, und zum Vortheil seinem Lehrers handeln, er mag von ihm ausdrücklichen Befehl dazu haben, oder nicht.


192. Er muß wachsam über seinen Körper, über Worte, Sinne und Herz seyn, stehend seine flachen Hände zusammen fügen, und seinem Lehrer ins Gesicht sehen.


193. Er muß seinen rechten Arm nicht bedecken, immer anständig gekleidet und gehörig gefaßt seyn, und wenn sein Lehrer zu ihm sagt: »setze dich« dann muß er sich seinem verehrungswürdigen Führer gegen übersetzen.


194. In Gegenwart seines Lehrers muß er allemal weniger essen und einen gröbern Umhang mit schlechtern Gehängen tragen; er muß eher aufstehen als sein Lehrer, und später zur Ruhe gehen.


195. Wenn er auf die Befehle seines Lehrers antwortet, wenn er sich mit ihm unterhält, muß er sich nicht aufs Bette lehnen, auch nicht sitzen, essen, stehen, oder von ihm das Gesicht wegwenden.


196. Sondern, wenn sein Lehrer sitzt, so soll er stehend ihm antworten und mit ihm sprechen; wenn er steht, soll er auf ihn zugehen; wenn der Lehrer auf ihn zugeht, soll er ihn entgegen kommen; wenn er läuft, soll er ihm nacheilen.


197. Wenn sein Gesicht weggewendet ist, so soll er herum ihm gegen über von der Linken zur Rechten gehen; ist er etwas entfernt, so soll er sich ihm nähern; hat er sich zurückgebeugt, so soll er sich zu ihm neigen, und wenn er auch noch so weit von ihm entfernt ist, so soll er auf ihn zulaufen.


198. Wenn sein Lehrer in der Nähe ist, so muß des Schülers Sitz allezeit niedrig stehn: wenn seines Lehrers[61] Auge ihn bemerken kann, darf er nicht sorgenlos und bequem sitzen.


199. Er soll nie den bloßen Nahmen seines Lehrers, nicht einmal in dessen Abwesenheit, aussprechen; auch nie seinen Gang, seine Rede oder seine Manieren nachmachen.


200. Wenn man irgendwo über seinen Lehrer zwar gegründete, aber doch misbilligende, oder falsche und verkleinernde Bemerkungen macht, so soll er seine Ohren zuhalten, oder sich anderswo hinbegeben.


201. Wenn er seinen Lehrer, ob gleich mit Grunde, tadelt, so wird er bey der Geburt zum Esel werden; wenn er ihn fälschlich verunglimpft, zum Hunde; wenn er seine Sachen ohne Erlaubniß braucht, zu einem kleinen Wurme; wenn er sein Verdienst beneidet, zu einem großen Ungeziefer.


202. Er muß seinen Lehrer nicht durch einen andern bedienen lassen und selbst müßig dastehn; noch ihm im Zorne aufwarten, oder dann wenn ein Frauenzimmer in der Nähe ist: er muß von einem Wagen oder erhöhten Sitze32 herabsteigen, um seinen himmlischen Führer zu grüßen.


203. Er muß sich nicht so setzen, daß der Zug der Lust nur ihn, aber nicht seinen Lehrer bestreiche, noch irgend etwas sagen, das der verehrungswürdige Mann nicht hören kann.


204. Er kann mit seinem Lehrer in einem Wagen sitzen, welcher von Stieren, Pferden, oder Cameelen gezogen wird; auf einer Terrasse, einem Steinpflaster,[62] oder auf einer geflochtenen Grasmatte, auf einem Felsen, auf einer hölzernen Bank, oder in einem Kahne.


205. Wenn seines Lehrers Lehrer gegenwärtig ist so muß er sich so betragen, als ob sein eigner gegenwärtiger wäre; auch soll er sich nicht in dessen Gegenwart vor seinem natürlichen Vater oder Oheime väterlicher Seite niederwerfen, ausgenommen, wenn es ihm sein geistlicher Vater befohlen hat.


206. Eben so muß er sich auch beständig gegen seine andre Lehrer in Wissenschaften betragen, gegen seine ältern Verwandte von väterlicher Seite, gegen alle die, welche ihn von Sünde zurückhalten, und gegen alle die ihm heilsamen Rath geben können.


207. Desgleichen soll er sich gegen Männer, die wahrhaft tugendhaft sind, allezeit wie gegen seinen Lehrer betragen; auch gegen seines Lehrers Sohne, die auf Achtung Anspruch machen können, weil sie älter und keine Schüler mehr sind, ferner gegen seines Lehrers Verwandte von väterlicher Seite.


208. Der Sohn seines Lehrers, er mag jünger, oder von gleichem Alter, oder ein Schüler seyn, daferne er im Stande ist den Veda zu erklären, verdient eben die Ehre als der Lehrer selbst, wenn er bey irgend einer Opferverrichtung gegenwärtig ist.


209. Aber bey dem Sohn seines Lehrers liegt ihm nicht die Pflicht ob, dessen Glieder zu reiben, oder ihn zu baden, oder zu essen was er übrig läßt, oder seine Füße zu waschen.


210. Wenn die Weiber seines Lehrers aus der nehmlichen Classe sind, muß ihnen eben so viel Ehre als ihrem verehrungswürdigen Gemahle erzeugt werden; aber[63] wenn sie aus einer andern Classe sind, so ehrt man sie blos mit Aufstehen und Grüßen.


211. Die Verrichtungen, wohlriechendes Oehl auf eine Frau seines Lehrers zu gießen, sie zu bedienen, wenn sie sich baden, ihre Füße und Arme zu reiben, oder ihr Haar zu schmücken, muß er nie über sich nehmen.


212. Wenn er sein 20stes Jahr vollendet hat, oder Tugend von Laster unterscheiden kann, und einer jungen Frau seines Lehrers begegnet, so soll ihm auch die gewöhnliche Ceremonie, sie durch Berührung ihrer Füße zu grüßen, verboten seyn.


213. Weiber sind in dieser Welt zur Verführung der Männer geneigt, daher verliert sich ein weiser Mann nie aus den Gesichte, wenn er in der Gesellschaft von Frauen ist.


214. Wahrlich ein Frauenzimmer kann nicht nur einen Thoren, sondern selbst einen Weisen vom rechten Pfade in diesem Leben abziehen, und ihn in seiner Unterwürfigkeit zur Begierde und Wuth anflammen.


215. Daher muß kein Wann mit seiner nächsten Verwandtinn in einem einsamen Orte sitzen, die Annäherung der Glieder des Körpers ist wirksam genug, den Weisen ihre Weisheit zu rauben.


216. Ein junger Schüler kann, wie das Gesetz verordnet, nach seinem Gefallen sich vor einer jungen Frau seines Lehrers zur Erde niederwerfen und sagen: »ich bin der und der.«


217. Und wenn er von einer Reise zurückkehrt, muß er die Füße der bejahrten Frau seines Lehrers einmal berühren, und sie alle Tage durch Niederwerfen grüßen: so (wird er bey sich selbst denken) pflegen und tugendhafte Männer zu handeln.
[64]

218. Gleich wie derjenige, welcher tief mit dem Spaten gräbt, auf einen Wasserquell stößt, so erhält der Schüler welcher seinen Lehrer in Demuth dient, die Kenntniß die tief in seines Lehrers Seele verborgen liegt.


219. Sein Haupt mag ungeschoren, sein Haar lang oder oben in einen Zopf zusammen geflochten seyn, so muß doch die auf- oder untergehende Sonne ihn nie schlafend im Dorfe finden.


220. Wenn er aus Sinnlichkeit so lange schläft, daß die Sonne ihm unbemerkt auf- oder untergeht, so muß er einen ganzen Tag fasten und die Gayatri hersagen.


221. Wer von der auf- oder untergehenden Sonne schlafend angetroffen wird und nicht diese Buße thut, macht sich sehr strafbar33.


222. Er muß sich nach der Verordnung des Gesetzes bey Sonnen Auf- und Untergang baden, mit Wachsamkeit seiner Glieder zu Gott beten, und mit unverrückter Aufmerksamkeit die Stelle, welche ihm vorgeschrieben ist, an einem von Unreinigkeit freyen Orte hersagen.


223. Wenn ein Frauenzimmer oder Sudra irgend etwas zur Beförderung der höchsten zeitlichen Wohlfahrt thut, so muß der Schüler dies sorgfältig nachahmen, und er kann alles unternehmen, wozu er Lust hat, wenn es nicht durch die Gesetze verboten ist.
[65]

224. Einige setzen das höchste zeitliche Gut in Tugend und Reichthum; andre in Reichthum und erlaubtes Vergnügen, andre in Tugend allein; und noch andre in Reichthum allein; aber das vorzüglichste Gut hienieden besteht aus allen dreyen zusammen genommen, das ist eine zuverlässige Entscheidung.


225. Ein Lehrer des Veda ist das Bild Gottes; ein natürlicher Vater, das Bild Brahma's, eine Mutter das Bild der Erde; ein älterer rechter Bruder das Bild der Seele.


226. Deswegen dürfen ein geistlicher und ein Natürlicher Vater eine Mutter und ein älterer Bruder nicht mit Unaufmerksamkeit behandelt werden, am wenigsten von einem Brahminen, wenn der Schüler auch noch so sehr beleidigt seyn sollte.


227. Die Schmerzen und Bekümmernisse, welche Mutter und Vater bey der Zeugung und Erziehung ihrer Kinder erdulden, können in hundert Jahren nicht vergolten werden.


228. Jedermann muß so handeln, daß seine Eltern und seine Lehrer immer mit ihm zufrieden seyn mögen, wenn er diesen dreyen gefällt, so sind seine Andachtsübungen nicht dem mindesten Tadel unter worfen.


229. Diejenige Andachtsübung wird für die größte gehalten, wenn man diesen dreyen gehörige Hochachtung erzeigt; und ohne ihre Einwilligung muß man keine andere Pflicht erfüllen.


230. Denn sie allein werden den drey Welten, sie allein werden den drey vorzüglichsten Ständen, sie allein werden den drey Vedas, sie allein werden den drey Feuern gleich geschätzt34.
[66]

231. Der natürliche Vater wird als das Garhapatya, oder als das hochzeitliche Feuer betrachtet; die Mutter als das Dacshina, oder Ceremonial-Feuer, und der geistliche Führer als das Ahavaniya, oder Opferfeuer: diese drey euer sind die verehrungswürdigsten.


232. Wer, wenn er selbst Hausvater wird, diese drey nicht vernachläßiget, der wird endlich Herrschaft über die drey Welten erlangen; sein Körper wird verklärt werden wie ein Gott, und er wird überschwengliche Wonne im Himmel genießen.


233. Wenn er seine Mutter ehrt, gewinnt er diese irdische Welt; wenn er seinen Vater ehrt, die mittlere oder ätherische Welt; und wenn er seinem Lehrer beständige Achtung erweiset, gewinnt er sogar die himmlische Welt des Brahma.


234. Wer diese drey ehrt so viel er kann, erfüllt alle Pflichten vollkommen; aber wer sie nicht ehrt dem fruchtet die Ausübung aller andern Pflichten nichts.


235. So lange diese drey am Leben sind, beobachte er keine sich blos auf ihn selbst beziehende Pflicht, sondern sein Vergnügen bestehe darin, sich zu bemühen, wie er ihre Liebe gewinnen, ihre Wünsche befriedigen und sie Tag vor Tag auf das sorgfältigste bedienen möge.


236. Wenn er in Gedanken, Worten oder Werken eine Pflicht in Absicht auf die künftige Welt, ohne seiner Achtung gegen sie zu nahe zu treten, ausübt, so muß er sie von allen Umständen dabey genau unterrichten.


237. Wer diese drey ehrt, ohne an etwas weiter denken, thut wirklich so viel als man nur immer[67] zu thun schuldig ist; es ist die erhabenste Pflicht, welche uns wie Dherma selbst vorkommt und jede andre Handlung ist ein Upadherma, oder untergeordnete Pflicht.


238. Wer an die Schrift glaubt, kann sogar von einem Sudra reine Kenntniß erhalten, und Unterricht in der höchsten Tugend auch von einem Chandala; ja ein Frauenzimmer glänzend wie ein Kleinod selbst von der verworfensten Familie.


239. Sogar aus Gift kann man Nektar35 nehmen, selbst von einem Kinde Leutseligkeit, selbst von einem Feinde Klugheitsregeln, und selbst aus Schlacken Gold.


240. Deswegen muß man Frauen, welche wie Juwelen glänzen, Kenntniß, Tugend, Reinheit, Sanftmuth und verschiedene wohlanständige Künste aus allen Gegenden wählen.


241. Im Nothfalle ist der Schüler verbunden den Veda auch von einem Manne, der kein Brahmin ist, zu lernen, und so lange als dieser Unterricht währt, seinen Lehrer mit steter Aufmerksamkeit zu ehren.


242. Aber ein Zögling welcher einen unvergleichlichen Pfad zum Himmel sucht, sollte nicht bis ans Ende seiner Tage im Hause eines Lehrers wohnen der kein Brahmin ist, oder der nicht alle Vedas mit ihren Angas gelesen hat.


243. Wenn er ein großes Vergangen hegt, sein ganzes Leben in dem Hause eines Priesterlichen Lehrers zuzubringen, so muß er ihm mit genauer Sorgfalt dienen, bis er aus seiner sterblichen Hülle erlöst wird.


244. Ein Brahmin welcher seinem Lehrer pflichtmäßig bis zur Auflösung seines Körpers aufgewartet[68] hat, wird unmittelbar in die ewige Wohnung Gottes versetzt.


245. Ein Schüler der seine Pflicht kennt, braucht ehe er nach Hause zurückkehrt, seinem Lehrer kein Geschenck zu geben; aber wenn er auf Erlaubniß seines Lehrers die bey der Rückkehr gewöhnliche Ceremonie verrichten will, muß er so gut als es seine Umstände erlauben, dem verehrungswürdigen Manne etwas von Werthe geben:


246. Einen Acker, oder Gold, einen Edelstein, eine Kuh oder ein Pferd, einen Sonnenschirm, ein paar Pantoffeln, einen Schämel, Getreide, Kleider, oder ein vorzüglich gutes Gemüs: so wird er sich in Gunst und Andenken bey seinem Lehrer erhalten.


247. Ein Schüler muß nach dem Tode seines Lehrers dessen tugendhaften Sohn, dessen Wittwe, oder einen von dessen Verwandten väterlicher Seite auf Lebenszeit mit der nehmlichen Achtung unterstützen, welche er dem Verstorbenen erzeigte.


248. Wenn niemand von allen diesen am Leben ist, so muß er die Stelle seines Lehrers, den Sitz und den Ort der religiösen Uebungen, einnehmen; er muß beständig den Feuern, welche jener geweihet hatte, gehörige Aufmerksamkeit widmen, und seine eigene Seele zum Himmel vorbereiten.


249. Wenn ein wiedergeborner Mann ohne Unterlaß auf diese Art seine Lehrjahre hinbringt, so wird er nach dem Tode in die erhabenste Sphäre versetzt und nie wieder36 in dieser Welt geboren werden.


Fußnoten

1 Das ist eine der Hauptstellen, zum Beweise des hohen Ansehens von Menu's Gesetzen. Sie werden auch Menusmriti genannt und nicht nur unter die Sastras überhaupt gerechnet, sondern hier zugleich mit dem Veda auf die nehmliche Staffel des höchsten kanonischen Ansehens gesetzt. s. Asiatic. res. I. p. 340. ff.


2 Atheist. Hieraus und aus XII. 95. sieht man hinlänglich, daß schon damals Religionsstreitigkeiten in Indien waren. In der Abhandlung Asiat. res. I. 340, welche eine genaue Nachricht von den sämmtlichen Sastras der Hindus giebt, werden sechs philosophische Systeme angeführt, von denen, wegen ihrer ketzerischen Meynungen sehr ungünstig geurtheilt wird, und Buddha, von welchem Jones muthmaßet, daß er der chinesische Fo ist, stiftete eine berüchtigte Secte, deren Anhänger von den Brahminen Atheisten genannt werden, weil Buddha oder Sugata die Ungereimtheiten der Brahminischen Lehren zeigte. Uebrigens sind außer den zwey Hauptzweigen in welche sich die Brahminen theilen, den Wischnus, und Schiwa's, noch drey und achtzig verschiedene Religionssekten in Hindostan zu finden, wie Raynal sagt hist. phil. et polit. To. I. p. 69.


3 Gesetzkunde. Daher ist es irrig zu glauben, daß die Hindus keine geschriebene Gesetze hätten, wie Hamilton, Dow und Raynal sagen; indessen ist der Irrthum dieser drey achtungswürdigen Schriftsteller sehr verzeihlich, da zu ihrer Zeit nur sehr unvollkommne Nachrichten von der Litteratur der Brahminen zu erhalten waren. Seit dem sind wir durch die Bemühungen der gelehrten Britten, Jones, Halhed, Wilkins, Gladwin u.a. in den Stand gesetzt worden, uns einen ziemlich genauen Begriff von den Religions- und Gesetzbüchern der Einwohner Hindostans zu machen. Die kompilirten Gentoogesetze sind durch den gelehrten Raspe lange in Deutschland bekannt, so wie der Ezour Vedam mit den ergiebigen Anmerkungen des Herrn Bibliothekar Ith, und es wird gänzlich der Uebersetzung zur Schuld gelegt werden müssen, wenn man das Originalwerk des Menu nicht eben so günstig aufnimmt.


4 Scheiterhaufen. Wer nur je von Indien etwas gehört hat, weiß daß die Hindus ihre Todten verbrennen. Man sagt indessen auch, daß einige begraben werden, besonders die Sanyassis und die Brahminen von der Sekte des Schiwa, wie Roger, dessen Reisenachrichten in großem Ansehn stehen, versichert p. 126. Craufurd, Sketches II. p. 37. erwähnt, daß da, wo dies der Fall wäre, auch die Weiber sich lebendig mit begrüben, welches durch das Zeugniß zwey glaubwürdiger Reisenden, Vernier und Dellon bestätigt wird. Von zwey Beyspielen dieser Grausamkeit hatte Craufurd, während seines Aufenthalts in Indien, selbst gehört. – Wenn Kinder unter zwey Jahren sterben, so befiehlt selbst Menu, und es jetzt allgemein gewöhnlich, sie zu begraben. V. 68. Und von den Sanyassis, die bis an Hals begraben werden, haben wir auch Sonnerats Beystimmung. Voyages I. 93.


5 S. das Glossarium in Brahmaventa.


6 Die vier reinen Classen oder Casten sind schon I. 31. erwähnt und die vermischten werden alle im Xten Kapitel aufgezählt.


7 Günstigen Umständen. Die Hindus unternehmen nichts nur einigermaßen wichtiges ohne ihre Brahminen, welche sämtlich das Wahrsagen aus dem Grunde verstehen, um Rath gefragt zu haben. Diese nehmen dann ihre Zuflucht um Calender, in welchem alle glückliche und unglückliche Tage bemerkt sind; er ist aber sehr weislich in Sanscrit geschrieben, und es steht den Brahminen dann frey den Uneingeweiheten zu sagen, was sie für gut befinden. Dieser Sanscrit Calender soll gar ein interessantes Geschöpf der Astrologen seyn. Nicht nur über jeden Tag regiert ein Planet oder Genius, sonder über jede Stunde, jede Minute, jede Handlung. An einigen Tagen ist es gut nach Norden, an andern gut nach Süden zu gehen; und manche Tage sind so sehr von bösen Geistern beunruhigt, daß die Leute ganz und gar nichts vornehmen. Bey alle dem, wenn es zufälligerweise donnert und blitzt, so sind ihre sämmtliche Entschlüsse zu nichte gemacht, der heilige Calender mag sagen was er will: und da nun die Mahomedaner sowohl als die Eingebohrnen das einträglichen Handwerk der Astrologen treiben, so geht nicht weniger als die Hälfte des Jahres mit unglücklichen Tagen hin. Diese Nachricht giebt uns Scrafton reflection on the Gov. of Hind. p. 15. vergleiche Wilkins zu Bagvatgeeta p. 324.


8 Nach Vergleichung einiger gedruckter Reisenachrichten und verschiedner mündlicher Erzählungen über diese Punkte, hat es mir geschienen, als ob Abulfaz'l die zuverläßigste Erläuterung enthielte in Ayeen Akb. III. p. 266. »Sobald ein Kind gebohren ist, badet sich der Vater in kaltem Wasser, opfert den Daityas (s. das Gloss.) und bringt die Sraddoh (s. Gloss.) den Seelen seiner Vorältern dar. Drauf rührt er mit einem goldenen Ringe etwas Honig und Ghi zusammen und giebt es dem Kinde in den Mund. Dann schneidet den Hebamme den Nabelstrang ab und die ganze Familie wird von nun an unrein. Während dieser Zeit machen sie keine Spende ins Feuer (Homam), lesen die Gayatri nicht, unterlassen die Verehrung der Daityas und alle andere Ceremonien, ihre einzige Andacht besteht in stillem Nachdenken über die Gottheit. Wenn des Kindes Vater ein Brahmin ist, so sind alle Verwandte desselben bis in den vierten Grad zehn Tage lang unrein; im fünften Grade sechs Tage u.s.w. Sie reinigen sich dann durch Baden. Bey den übrigen drey Classen ist die Zeit der Unreinigkeit wieder verschieden. – Kein Fremden läßt sich bey einem solchen Vorfalle in einem Hause bewirthen. Ist diese Zeit nun vorüber, so geben sie dem Kinde einen Nahmen und stellen seine Naivität, welche sich auf einen Buchstaben des Nahmens wenigstens einigermaßen beziehen muß. Der Nahme hat nie mehr als vier Buchstaben. Zu Anfange des vierten Monats setzt man das Kind in die Sonne, aber eher wird es nie aus dem Hause getragen. Im fünften Monat durchstechen sie ihm das rechte Ohrläppchen und im sechsten setzen sie ihm allerhand Eßwaaren vor und lassen es essen, wie viel es will: wenn das Kind ein Jahr alt ist, scheeren sie das Haupt desselben u.s.w.« Der Zennar, oder Opfer-Gurt, welcher hier noch erwähnt ist, wird in diesem Capitel weitläufig beschrieben.


9 So wie die folgenden Paragraphen sind im vorhergehenden erlautert.


10 Vergleiche C.V. §. 67.


11 Obgleich die Sud'rs, oder die vierte Classe hier gar nicht erwähnt werden, so haben sie doch ihre besondern Ceremonien, die sich aufs Herkommen gründen; hingegen die drey höhern Classen sind in den heiligen Büchern vorgeschrieben.


12 Vergleiche C. XI. §. 63.


13 Antilopenfelle. Der Capitän T.S. – hat mich versichert, »daß er sich erinnere Brahminen in Antilopenfellen gesehen zu haben, ob er gleich damals nicht gewußt hätte, daß es ihnen vorgeschrieben wäre.«


14 Insgemein heißt dies der Zennar, von welchem die mehresten Reisebeschreibungen vollständige Nachrichten liefern. In der Folge erklären sich Menu's Gesetze noch weitläuftiger darüber. Vergleiche Roger Cap. 8. S. 40. welcher es Dsandhem nennt, ein Nahme der vermuthlich blos an der Malabarküste gebräuchlich ist. Siehe auch Craufurd's Sketches II. 41.


15 Die religiöse Betteley wird im dritten Kapitel und zu Anfange des elften weitläufig erwähnt.


16 In Gedanken. An vielen Stellen unsers Gesetzbuches wird diese Art von Andacht, dieses Versinken, Entzücken, oder wie man es immer nennen will, eben so oft erwähnt als in den Erzählungen der Reisenden. Die Hindus haben es in der Kunst, ihre Gedanken auf einen Gegenstand unverrückt zu heften, zu einer Fertigkeit gebracht, die bewundernswürdig ist. Herr Warren Hastings in der Vorrede zur Gita p. 12. sagt: »den Brahminen ist vorgeschrieben einige Zeit den Betrachtungen über die Gottheit, und deren Eigenschaften, und über die moralischen Pflichten dieses Lebens zu widmen. Zu diesem Behufe müssen sie jedes Verlangen nach sinnlichem Genusse gänzlich unterdrücken, ihre Aufmerksamkeit von allen äußeren Gegenständen abziehen, und, mit jedem Sinne tief versunken, den Geist blos auf den vorgeschriebenen Punkt ihres Nachdenkens richten. In dem vornehmsten Tempel zu Benares sah ich ernst selbst einen Mann in diesem Zustande. Sein rechter Arm war in ein rothes Stück Tuch gewickelt und mit der Hand ließ er an seinem Rosenkranze ein Kügelchen nach dem andern herabschlüpfen, sagte bey jedem derselben einen Nahmen Gottes her und strengte sich an seine Gedanken auf die Eigenschaft zu heften und zu fesseln, welche dadurch bezeichnet wurde. Sein Bestreben, dieß ins Werk zu richten, war so heftig, daß seine Gesichtszüge verzerrt und verschroben wurden: dabey waren die Augen geschlossen, vermuthlich um seine Insichgekehrtheit noch mehr zu befestigen.« Das beste, was mir hierüber vorgekommen ist, findet man in den unterhaltenden Memoires des Bernier Tome III. p. 136. wo diese auffallenden Sonderbarkeit durch den meisterhaften Erzähler völlig vergegenwärtigt wird. Unter andern sagt er: »sie versinken so tief in diese Entzückungen, daß sie viele Stundenlang völlig fühllos sind; während dieser Zeit, wie sie vorgeben, sehen sie Gott selbst wie ein glänzendes unbeschreibliches Licht mit der Empfindung der unaussprechlichsten Wonne, und einer gänzlichen Verachtung und Absonderung von der Welt. Dies hörte ich von einem derselben, welcher behauptete, daß er sich in dieses Entzücken versetzen könnte, wenn er wollte.«


17 Vergleiche die Anm. zu §. 85.


18 Unter diesen drey Dingen die den Brahminen in der Achtung seiner Caste herabsetzen, ist das verächtlichste: der Genuß von allerley Speisen. Denn in nichts sind die Hindus so eigensinnig und pünktlich als in der Wahl ihrer Lebensmittel. Man sieht in der Folge dieses Gesetzbuches, daß Fleischspeisen den Brahminen nicht verboten sind, aber unsre Stelle tadelt die, welche alles ohne Unterschied essen. Verschiedene Reisende, welche ich zu sprechen Gelegenheit gehabt habe, versicherten mich, daß die Brahminen nie Fleisch genossen; aber dieser Behauptung wird nicht nur in den Gesetzen des Menu die Erlaubniß thierischer Nahrung entgegensetzt, sondern zwey Schriftsteller, die lange in Indien gewesen sind, und in England wegen ihrer Glaubwürdigkeit andern vorgezogen werden, sagen geradezu das Gegentheil. Wilkins zu den Apologen des Wischnu Sarma S. 318. und Craufurd, Sketches. I. 139.


19 Daher steht König Dushmanta in dem alten Sanscrit-Schauspiele Sacontala S. 23. von seinem Kissen auf, als sich ihm zwey Brahminen nahen, und zwar, wie es dort heißt, »mit Ehrerbietung«, weil die Brahminen von höherem Range sind. Ueberhaupt erläutern sich Menu und Sacontala wechselseitig an vielen Stellen.


20 Hierauf ist mir keine Beziehung vorgekommen.


21 Sanscrit, ich erkläre mir dies so: »Wenn Jemand aus Urkunde der gelehrten, der gebildetern Mundart nicht im Stande seyn sollte ihn zu verstehen, so bediene er sich der gemeinen Sprache.« Denn es scheint ziemlich ausgemacht zu seyn, daß Sanscrit in den ältesten Zeiten in ganz Indien, und in den angränzenden Ländern die Hauptsprache war. Aber aus unserer Stelle sieht man, (wenn anders Culluca Bhatta, welcher die Worte: »aus Unkunde des Sanscrits« zur Erklärung einschob, recht erklärt hat) daß schon damals, als diese Gesetze abgefaßt, oder, mit den gläubigen Brahminen zu sprechen, niedergeschrieben wurden, die Sanscritsprache nicht mehr allgemein, sondern zur Priestersprache geworden war.

Ueber Sanscrit findet man eben so widersprechende Nachrichten als über die Sastras. Die mehresten Schriftsteller, welche davon handeln, hatten nie Gelegenheit sich eine Kenntniß davon zu erwerben, andere wußten etwas davon, und nur einige wenige haben überzeugende Proben ihrer Fortschritte im Sanscrit gegeben. Niemand wird es dem deutschen Uebersetzer verargen, wenn er blos die letztern zu seinen Führern nimmt, und glaubt, daß es wenigstens sehr kühn sey, auf dem Studierzimmer das zu widerlegen, was mit vieler Mühe und in langen Jahren am Ganzes erlernt und uns mitgetheilt wurde. Lebte der trefliche Hitzmann jetzt noch, so würde er vielleicht seine Meinung ändern (seine Abhandlung über die Schanscrita steht in dem Götting. Magazin der Wiss- und Litt. I. 5. 269.). Jones, Wilkins, Halhed, Davis u.a.m. haben uns die zuverlässigste Auskunft über diese alte Sprache ertheilt. Ein einziger Blick auf ihre allgemein bekannten Uebersetzungen und Abhandlungen wird den Unpartheyischen von ihre Kompetenz überzeugen. –

Sanscrit ist, diesen Britten zu Folge, einer der ältesten Sprachen und vielleicht die Mutter aller südlich und westlich Asiatischen. Sie ist vollendeter als die Griechische, reicher als die Lateinische und mehr verfeinert und ausgeglattet als beyde, bey alle dem aber, sowohl in den Stammwörtern, als in den grammatischen Beugungen, jenen so ähnlich, daß kein bloßer Zufall dies bewirken konnte, und daß kein Philologe sie alle drey zusammenhalten würde, ohne ihnen eine Hauptquelle anzuweisen, die aber vielleicht jetzt versiegt ist; das Gothische, Celtische und Persische scheinen auch hieraus geflossen zu seyn, die Schriftzüge des Sanscrit (Nagari oder Devanagari) scheinen sich leicht in den Zeichen der toden und lebenden morgenländischen Sprachen wieder finden zu lassen, und die Phönizischen Charaktere nach welchen Griechenland und Italien ihre Buchstaben bildeten, stammen höchstwahrscheinlich eben daher. – Die noch vorhandenen Schriften, welche in dieser Sprache abgefaßt sind, werden als sehr zahlreich angegeben, und ob er sich der Mühe verlohne sie zu lesen, davon läßt sich aus den unter uns in Uebersetzungen bekannten Büchern einigermaßen urtheilen. Die Prose der Sanscritbücher ist fließend und wohlklingend und die Werke der Dichter sind erhaben und kraftvoll. Nicht weniger als siebzehn Wörterbücher sind im Sanscrit berühmt. – Gita, Wischnu Sarma, Menu, Sacontala, einzelne Stücken in den researches, der Cjour Vedam, das Gentoogesetzbuch und einige Stellen des Veda von Anguetil du Perron in Bernouli descr. de l'I. sind alles war mir von Uebersetzungen aus dem Sanscrit zu Gesichte gekommen ist. Aber da die größten Schwierigkeiten nun überwunden sind und da, wie der verewigte Jones in seiner letzten Vorlesung in der As. Society (s. res. p. 16.) sagt, »zur Erwerbung einer gründlichen Kenntniß des Sanscrit wenig mehr gehört als eifrige Lernbegierde,« so haben wir die schönsten Früchte noch zu erwarten und wirklich werden in dem neuesten Bande der researches zwey Werke angekündigt (IV. p. 10.), von deren Werthe zu urtheilem ich dem Kenner nicht vorgreifen will. »Lieutnant Wilford, heißt es dort, wird Ihnen (der Societät) eine so vollendete Abhandlung über die Alte Welt, wie die Hindus sie kennten, übergeben, daß die Nachrichten, welche die Griechen darüber besaßen, blos wie ein dunkler Schimmer gegen das Licht erscheinen werden, welches er verbreiten wird« – Ferner wird der berühmte Astronom Davis »Ihnen die Systeme der Hindu Astronomie aus Nared und Parasara bis auf Meya u.s.w. mittheilen.« Den nehmlichen Nachrichten aus Calcutta zu folge, ist jetzt die gelehrte Gesellschaft daselbst im Besitze der bändereichen und bisher von Europäern verheimlichten Puranas und Itihasas oder mythologischen und heroischen Gedichte. Aus diesen hoffet man für die Alte Geschichte Hindostan's, von der wir vor den Zeiten der Mahomedaner wenig wissen, eine nicht unbeträchtliche Ausbeute zu erhalten. Es ist nun ausgemacht, daß der erste Purana eine Nachricht von der Fluth enthält und die Folge davon muß natürlich die Geschichte die ächten Hindu Dynastien in sich fassen. Es ist hier nicht am unrechten Orte etwas über die Meynung zu sagen, welche Europäische Reisebücher verbreitet haben, daß es den Hindus verboten sey, Europäer in Sanscrit zu unterrichten. Ob dies wörtlich wahr sey, wird man aus folgendem beurtheilen können. Wilkins studierte in Benares das Sanscrit, wie bekannt, mit großem Eifer und Erfolge. Der gelehrte Pundit, welcher ihn unterrichtete, mußte sich aber viele Vorwürfe von seinen Kollegen darüber gefallen lassen, »daß er den Schlüssel zu ihren göttlichen Geheimnissen einen Ausländer übergäbe« der Brahmin fertigte die Schreyer allemal mit einem Hemistisch aus Wischnu Sarma ab: « Ein Weiser verdient, daß man ihm rathe, aber ein Unwissender niemals.« Wilkins erzählt dies selbst zu Heetopades p. 125.

Diese, freilich höchst dürftige, aber hier hinlängliche Nachricht von Sanscrit kann man ergänzen aus den Asiatic researches, besonders dem ersten Bande aus Dow. pref. p. 30. Sketches. I. an verschiedenen Stellen Hennings II. 408. Travels in C.A.I. 324. Maurice Ant. IV. 413. und aus dem Gentoogesetzbuche in der Vorrede.


22 Von dem hier gebrauchten Worte cusalam scheint das gemeine Indische Wort Salam oder Grus zu kommen; in Reisebücher findet man sehr häufig: »er machte mir seinen Salam« gemeiniglich grüßen sich die Hindus dadurch, daß sie die rechte Hand auf die Stirne legen. Aber gegen einen Vornehmern neigen sie sich, lassen die Hand beinahe bis zur Erde sinken und heben sie langsam auf die Stirne: sie thun dies dreymal, siehe letters by Mrs. Kindersley p. 12. Uebrigens findet man in der Sacontala p. 10. den Grus, welchen Menu hier für die Brahminen vorschreibt. König Dushmanta hält die Sacontala für die Tochter eines Brahminen und grüßt sie daher mit: »Jungfrau, möge deine Andacht ersprieslich seyn!«


23 Vergleiche die Anmerk. zu (I. §. 93.) und Brahmin in Glossar. die ausgezeichnete Achtung, welcher die Brahminen genießen, macht sie auch weit stolzer und nimmt ihnen jene Geschmeidigkeit und Urbanität, welche, wie man sagt, auch sogar den gemeinen Hindu auszeichnen. In den wohlgeschriebenen Travels in C.A. et A. heißt es I. 320. »In Cultur und Wohlstand übertreffen die Hindus alle Völker die gegen Westen zu von ihnen wohnen. In Höflichkeit und Anstand, in Anmuth und Freundlichkeit hat ein Hindu eben so sehr den Vorzug vor dem modischen Neufranken, als ein französischer Hofmann vor einem holländischen Bürgermeister zu Dortrecht.«


24 Im Englischen ensuros life.


25 In Sonnerats Reisen ist eine Abbildung des Guru unter seinem Schülern.


26 Ein glaubwürdiger Mann erzählte mir, daß sich einst auf seinem Zimmer in Madras, wo ihn eben ein Brahminenknabe suchte, ein alter Mann, als er hereingetreten, vor diesem, aus Achtung, tief gebückt hätte.


27 Nehmlich in den Dewuls, welche von den Europäern Pagoden genannt werden. Die Bildsäulen der Götter stehen so, daß man sie auch im Vorbeygehen sehen kann, eine Einrichtung die zum Besten der unglücklichen parriars getroffen ist, welche in keinen Tempel kommen dürfen s. hist. phil. et pol. p. 60.


28 »Die Brahminen schmücken sich gern mit Blumen, und sind gleichsam damit bedeckt.« Die süßen Pflanzensäfte und vornehmlich Cocosmilch und Süre, oder der Saft des Cocosnußbaums. s. Hennings II. p. 512.


29 Pulver. Wilkins zu Heetopades p. 308. sagt, daß die Indier Spießglas zu Pulver stoßen, und es in die Augen thun. Sie glauben es giebt dem Auge einen höhern Glanz. veral. Kindersley p. 223. und Travels in C.A.A. II. p. 43.


30 Sonnerats Bemerkung, daß der Kuhmist seinen großen Nutzen wider die Insecten dieses heißen Himmelstriches hat, ist bekannt. Alles was von einer Kuh kommt, ist rein, und V. 105. heißt es sogar, daß Kuhmist eines der Sachen sey, »welche bekörperte Geister reinigen.« Wenn ein Christ in das Haus eines Hindus kommt, so wird es, nachdem er fortgegangen ist, mit Kuhmist wieder gereinigt, und es kann uns nicht sehr schmeichelhaft seyn, daß wir in den Augen eines Hindus gehäßiger und verunreinigender sind als Kuhexcremente. s. Travels in C.A.A. p. 11. 55. Eine der verdienstvollen Arten des Selbstmordes, die in Ayeen Akb. II. am Ende erwähnt werden, ist: »sich mit Kuhmißt bedecken und sich darunter verbrennen.«


31 Es ist schon oben erinnert worden, daß diese Pflicht nur zu eifrig von den Brahminen ausgeübt wird.


32 Nichts ist bekannter als daß die sämmtlichen Morgenländer mehrentheils auf Teppichen mit untergeschlagenen Füßen sitzen.


33 Weil sie auf die aufgehende Sonne warten müssen, um ihre religiösen Waschungen zu verrichten: des Abends darf gleichfalls die Sonne noch nicht untergegangen seyn, wenn sie sich baden. Sketches. I. 205.


34 Dow. pref. p. 42. nennt uns sieben Welten und selbst Menu IV. 182. 183. aber man sieht aus dem folgenden p. 233. daß es noch eine allgemeinere Eintheilung der Welten giebt.


35 Nectar. Der Amrut oder Amrita ist auch der Trank der Hindu Götter und in der Gita p. 146. findet man eine schöne Episode darüber.


36 Nie wieder. Denn es sind, den Hindus zufolge, funfzehn Welten zur Durchwanderung der gefallenen Daityas bestimmt, in welchen sie nach und nach gereinigt werden; bis sie fähig sind die höchste und vollkommenste zu erreichen.

Quelle:
Hindu Gesetzbuch oder Menu's Verordnungen nach Cullucas Erläuterung. Weimar 1797, S. 24-69.
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