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[1135] Aus einer möglichen Zukunft. – Ist ein Zustand undenkbar, wo der Übeltäter sich selber zur Anzeige bringt, sich selber seine Strafe öffentlich diktiert, im stolzen Gefühle, daß er so das Gesetz ehrt, das er selber gemacht hat, daß er seine Macht ausübt, indem er sich straft, die Macht des Gesetzgebers; er kann sich einmal vergehen, aber er erhebt sich durch die freiwillige Strafe über sein Vergehen, er wischt das Vergehen durch Freimütigkeit, Größe und Ruhe nicht nur aus: er tut eine öffentliche Wohltat hinzu. – Dies wäre der Verbrecher einer möglichen Zukunft, welcher freilich auch eine Gesetzgebung der Zukunft voraussetzt, des Grundgedankens: »ich beuge mich nur dem Gesetze, welches ich selber gegeben habe, im kleinen und großen.« Es müssen so viele Versuche noch gemacht werden! Es muß so manche Zukunft noch ans Licht kommen!

Quelle:
Friedrich Nietzsche: Werke in drei Bänden. München 1954, Band 1, S. 1135.
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