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[1165] Würde und Furchtsamkeit. – Die Zeremonien, die Amts- und Standestrachten, die ernsten Mienen, das feierliche Dreinschauen, die langsame Gangart, die gewundene Rede und alles überhaupt, was Würde heißt: das ist die Verstellungsform derer, welche im Grunde furchtsam sind, – sie wollen damit fürchten machen (sich oder das, was sie repräsentieren). Die Furchtlosen, das heißt ursprünglich: die jederzeit und unzweifelhaft Fürchterlichen haben Würde und Zeremonien nicht nötig; sie bringen die Ehrlichkeit, das Geradezu in Worten und Gebärden in Ruf und noch mehr in Verruf, als Anzeichen der selbstbewußten Fürchterlichkeit.

Quelle:
Friedrich Nietzsche: Werke in drei Bänden. München 1954, Band 1, S. 1165-1166.
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