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[1227] Warum das Nächste uns immer ferner wird. – Je mehr wir an alles, was war und sein wird, denken, um so bleicher wird uns das, was gerade jetzt ist. Wenn wir mit Gestorbenen leben und in ihrem Sterben mitsterben, was sind uns dann noch die »Nächsten«? Wir werden einsamer – und zwar weil die ganze Flut der Menschheit um uns rauscht. Die Glut in uns, die allem Menschlichen gilt, nimmt immer zu – und darum blicken wir auf das, was uns umgibt, wie als ob es gleichgültiger und schattenhafter geworden wäre. – Aber unser kalter Blick beleidigt!

Quelle:
Friedrich Nietzsche: Werke in drei Bänden. München 1954, Band 1, S. 1227.
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TITLE: Werke in drei Bänden (mit Index), Bd.1: Menschliches, Allzumenschliches / Morgenröte
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