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[133] Der Irrtum Christi. – Der Stifter des Christentums meinte, an nichts litten die Menschen so sehr als an ihren Sünden – es war sein Irrtum, der Irrtum dessen, der sich ohne Sünde fühlte, dem es hierin an Erfahrung gebrach! So füllte sich seine Seele mit jenem wundervollen, phantastischen Erbarmen, das einer Not galt, welche selbst bei seinem Volke, dem Erfinder der Sünde, selten eine große Not war! – Aber die Christen haben es verstanden, ihrem Meister nachträglich Recht zu schaffen und seinen Irrtum zur »Wahrheit« zu heiligen.

Quelle:
Friedrich Nietzsche: Werke in drei Bänden. München 1954, Band 2, S. 133.
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