Sechstes Buch.
Ueber die Unafficirbarkeit des Unkörperlichen

[213] 1. Wenn wir auch die sinnlichen Wahrnehmungen nicht als Affectionen bezeichnen, sondern als Thätigkeiten und Urtheile hinsichtlich der sinnlichen Eindrücke (indem nämlich die Affectionen an einem andern stattfinden, etwa an dem so und so beschaffenen Körper, das Urtheil aber an der Seele, ohne Affection zu sein – denn dann müsste wieder ein anderes Urtheil stattfinden und man müsste ins Unendliche fortschreiten), so hätten wir nichts desto weniger auch hier ein Problem, ob nämlich das Urtheil als solches nichts vom Gegenstand der Beurtheilung an sich hat. Sollte es z.B. einen Eindruck empfangen, so setzt dies ein Afficirtwerden voraus. Uebrigens wäre auch in Betreff der sogenannten Erregung von Eindrücken zu sagen, dass sie auf eine ganz andere Art vor sich gebt als gewöhnlich angenommen wird, etwa so wie bei den Gedanken, die gleichfalls Thätigkeiten sind und zu erkennen vermögen, ohne irgendwie afficirt zu werden. Ueberhaupt sind wir von unserm Standpunkt aus keineswegs gesonnen, die Seele solchen Veränderungen und Wandlungen zu unterwerfen, wie sie beim Warm- und Kaltwerden der Körper statthaben. Ferner müssten wir den sogenannten leidenden Theil der Seele ins Auge fassen und zusehen, ob wir auch ihn als unveränderlich ausgeben oder bei ihm allein ein Afficirtwerden zugestehen wollen. Doch davon später. Untersuchen wir zunächst die Probleme, die sich hinsichtlich der früheren Punkte ergeben.

Wie kann dasjenige von der Seele, was vor dem leidenden Theile und vor der sinnlichen Wahrnehmung liegt, überhaupt irgend ein Theil derselben unveränderlich sein, wenn Schlechtigkeit ihr anhaften kann, falsche Vorstellungen, Unwissenheit? Ferner Zuneigungen und Abneigungen, wenn die Seele sich freut und traurig ist, wenn sie zürnt, neidisch ist, strebt, begehrt, überhaupt sich nie ruhig verhält, sondern bei allem, was ihr zustösst, in Bewegung geräth und sich verändert?[213]

Wenn die Seele gar ein Körper ist und Grösse hat, so ist es nicht leicht, ja geradezu unmöglich, sie als unafficirt und unveränderlich nachzuweisen, sobald irgend einer der besagten Zustände bei ihr vorkommt. Wenn sie aber grösselose Wesenheit ist und auch unvergänglich sein muss, so muss man sich hüten ihr solche Affectionen beizulegen, denn damit würde zugleich ihre Vergänglichkeit ausgesprochen sein. Und wenn nun ihr Wesen Zahl oder, wie wir sagen, Begriff ist, wie soll eine Affection an einer Zahl oder einem Begriff möglich sein? Man hat vielmehr bei diesen Vorgängen in der Seele an irrationale Verhältnisse, an affectionslose Affectionen zu denken d.h. man muss alle diese Ausdrücke als Uebertragungen von der Körperwelt und zwar als Uebertragungen nach einer gewissen Analogie in einem entgegengesetzten Sinne auffassen und annehmen, dass sie habend nicht hat und leidend nicht leidet. Untersuchen wir nun, wie das hiermit im einzelnen zugeht.

2. Zuerst müssen wir über Laster und Tugend sprechen. Was geht da vor, wenn man sagt, ein Laster sei in der Seele vorhanden? Wir sagen ja auch, man müsse es aus der Seele entfernen, als wäre etwas Schlechtes in ihr vorhanden, man müsse die Tugend einpflanzen, die Seele schmücken und statt der früheren Hässlichkeit Schönheit in ihr hervorbringen. Vielleicht würde unsere Untersuchung über das Problem nicht unwesentlich gefördert werden durch die Annahme, dass die Tugend eine Harmonie, das Laster eine Disharmonie sei, eine Annahme, zu der sich die Alten bekannten. Denn wenn die naturgemässe harmonische Vereinigung der Theile der Seele untereinander Tilgend ist, ihre unharmonische Nichtvereinigung dagegen Laster, so kommt wohl nichts von aussen noch anderswoher an sie heran, sondern jeder Theil tritt seiner natürlichen Beschaffenheit gemäss in die harmonische Vereinigung ein, während er bei vorhandener Disharmonie nicht seiner natürlichen Beschaffenheit gemäss eintritt. Es ist das so wie wenn Choreuten beim Chortanz einen harmonischen Gesang aufführen, wenn sie auch nicht dieselben sind und einer allein singt, während die andern schweigen, und ein jeder für sich singt. Denn es kommt nicht allein auf das Zusammensingen, sondern auch darauf an, dass jeder einzelne seine Stimme gut singt. Demgemäss findet auch dort in der Seele Harmonie statt, wenn jeder Theil das ihm Zukommende thut. Nothwendig muss also, bevor die Harmonie selbst zu Stande kommt, jeder Theil seine besondere Tugend haben, ebenso seinen besondern[214] Fehler, bevor eine gegenseitige Disharmonie eintreten kann. Was muss aber vorhanden sein, damit der einzelne Theil schlecht sei? Nun, Schlechtigkeit. Und damit er gut sei? Nun, Tugend. Bezeichnet man nun beim denkenden Theil der Seele dessen Fehlerhaftigkeit als Unwissenheit, wo Unwissenheit ein bloss negativer Ausdruck ist, so spricht man nicht von etwas positiv Vorhandenem. Aber wenn auch falsche Vorstellungen sich in der Seele vorfinden, was doch ganz besonders ihre Schlechtigkeit ausmacht, soll man da nicht von etwas positiv Eintretendem sprechen, wodurch dieser Theil verändert werde? Verhält sich nicht der muthige Theil der Seele anders, wenn er feig, anders, wenn er tapfer ist? Der begehrende Theil nicht anders, wenn er zügellos ist, anders, wenn er Maass hält? Wenn nun der einzelne Theil der Seele tugendhaft ist, so werden wir sagen, er sei thätig gemäss seinem eigenthümlichen Wesen, wenn er auf die Vernunft hört; und der denkende Theil geht aus vom Geist, die übrigen Theile von ihm. Das Hören auf die Vernunft ist aber gleichsam ein Sehen, kein Gestaltetwerden, sondern ein Sehen und dabei wirkliches Sein. Denn wie das Sehen der Möglichkeit und das Sehen der Wirklichkeit nach in Anbetracht des Wesens dasselbe ist, wie seine Wirklichkeit keine Veränderung ist, sondern es nur an das herantritt, wozu es das Wesen hat, und unafficirt weiss und erkennt, so verhält sich auch der denkende Theil zum Geiste: er sieht, und die Möglichkeit des Denkens besteht nicht darin dass er einen Abdruck in sich aufnimmt, sondern er hat was er sieht und hat es auch wieder nicht; nämlich er hat es im Erkennen, er hat es nicht, weil von dem Gegenstand des Sehens nichts in ihm übrig bleibt, was etwa der Form im Wachse gliche. Auch muss man daran festhalten, dass die Erinnerungen, wie gesagt wurde, nicht von gewissen übrig geblichenen Eindrücken ausgehen, sondern von einer derartig gesteigerten Kraft der Seele, dass sie auch das hat was sie nicht hat. Wie aber? War die Seele nicht eine andere, bevor sie sich erinnerte, und später, wenn sie sich erinnert? Oder wenn man will, allerdings eine andere aber keine veränderte, man müsste denn den Uebergang von der Möglichkeit in die Wirklichkeit eine Veränderung nennen. Vielmehr ist nichts hinzugekommen, sie handelt nur ihrer Natur entsprechend. Denn überhaupt finden die Wirkungen der immateriellen Dinge ohne gleichzeitige Veränderungen statt, sonst würden sie zu Grunde gehen; vielmehr bleiben sie unverändert und ein Afficirtwerden findet nur bei[215] den Wirkungen der materiellen Dinge statt. Sollte etwas Immaterielles afficirt werden, so könnte es nicht bleiben was es ist. Beim Sehen z.B. ist der Gesichtssinn thätig, das Auge wird afficirt, die Vorstellungen aber sind etwas den Gebilden des Gesichtssinnes Analoges. Aber wie kann der muthige Theil der Seele bald feig, bald tapfer sein? Nun, feig ist er entweder dadurch dass er auf die Vernunft nicht hinsieht oder dass er auf die schlecht gewordene Vernunft hinsieht oder dass er durch die Mangelhaftigkeit seiner Werkzeuge d.h. die ungenügende, altersschwache Beschaffenheit seiner körperlichen Organe entweder verhindert wird thätig zu sein oder nicht sowohl in Bewegung gesetzt als bloss gereizt wird; muthig aber, wenn das Gegentheil der Fall ist. Dabei findet weder eine Veränderung noch ein Afficirtwerden statt. Wenn der begehrende Theil der Seele allein thätig ist, so zeigt er das was man Zügellosigkeit nennt. Dann thut er nämlich alles allein, und die andern Seelenvermögen, denen es ihrerseits zukommen würde durch ihre Anwesenheit ihn zu zügeln und zu lenken, sind nicht zugegen. Der [auf die Vernunft] schauende Theil würde in diesem Falle sich mit etwas anderm befassen, er der zwar nicht durchaus aber doch zum Theil ja auch Zeit und Müsse hat, um nach Möglichkeit auf das andere zu schauen. Häufig mag auch wohl ein Uebelbefinden des Körpers dasjenige veranlassen, was man die Schlechtigkeit dieses begehrenden Theils nennt, das umgekehrte Befinden desselben seine Tugend, so dass in beiden Fällen zur Seele nichts hinzukommt.

3. Doch wie steht es mit den Zuneigungen und Abneigungen? Aeusserungen der Trauer, des Zornes, der Freude, der Begierde und Furcht, sind das nicht Veränderungen und Affecte, die in der Seele vorhanden sind und sich regen? Wir müssen also auch hierüber eine Erörterung anstellen in folgender Weise. Das Vorhandensein von Veränderungen und deren heftigen Empfindungen leugnen, heisst dem Augenschein widersprechen. Vielmehr muss man sie zugeben, nur aber untersuchen, was eigentlich verändert wird. Wollte man diese Vorgänge ohne weiteres der Seele beilegen, so wäre dies ein ähnlicher Fehler, wie wenn man vom Erröthen oder Erblassen der Seele sprechen wollte ohne zu bedenken, dass diese Affectionen zwar durch die Seele bedingt sind, aber an dem von der Seele verschiedenen Bestande des Organismus vor sich gehen. So tritt mit der Vorstellung von etwas Hässlichem in der Seele die Scham ein; während nun die Seele dies [216] gleichsam hat, denn man muss hier um nicht zu irren mit Worten vorsichtig sein, wird der von der Seele abhängige und mit dem Unbeseelten nicht identische Körper mit seinem leichten Blute erregt. Desgleichen haben die Erscheinung der sogenannten Furcht in der Seele zwar ihren Anfang, das Erbleichen aber findet statt, wenn das Blut nach innen zurückweicht. Auch bei der Freude findet die Heiterkeit und das was zur sinnlichen Wahrnehmung gelangt am Körper statt, das was in der Seele vor sich geht ist nicht mehr Affect. Ebenso bei der Trauer. Auch bei der Begierde bleibt der in der Seele befindliche Anfang des Begehrens verborgen und die sinnliche Wahrnehmung erkennt bloss was von dort ausgeht. Ueberhaupt wenn wir sagen, die Seele werde von Begierenden, Gedanken, Vorstellungen bewegt, so meinen wir nicht, dass sie selbst dabei auf und nieder schwankt, sondern dass dir Bewegungen von ihr ausgehen. Auch wenn wir das Leben Bewegung nennen, so reden wir dabei von keiner Veränderung sondern die naturgemässe Thätigkeit jedes Theils ist sein sich gleichbleibendes Leben.

Doch es mag das Bisherige in der Hauptsache genügen. Geben wir zu, dass die Aeusserungen der Thätigkeit, des Lebens und der Begierden keine Veränderungen sind, die Erinnerungen und Vorstellungen keine fest ausgeprägten Eindrücke, etwa dem Vorgänge beim Siegeln in Wachs vergleichbar, so muss überhaupt zugegeben werden, dass bei allen sogenannten Affecten und Bewegungen dir Seele ihrem Substrat und ihrem Wesen nach sich gleich bleibt, dass bei ihr Tugend und Laster nicht wie Schwarzes und Weisses oder wie Warmes und Kaltes am Körper auftritt, sondern dass in der angegebenen Weise nach beiden Seiten hin durchaus das Gegentheil stattfindet.

4. Betrachten wir jetzt den sogenannten leidenden Theil der Seele. Zwar haben wir in gewisser Hinsicht auch bereits über diesen gesprochen, da wo von den Leidenschaften des muthigen und begehrenden Theils insgesammt und ihrem Vorgang im einzelnen die Rede war. Allein wir müssen auch noch besonders über ihn sprechen, indem wir uns zuerst vergegenwärtigen, was man eigentlich als leidenden Theil der Seele bezeichnet. Man verstellt im allgemeinen denjenigen Theil der Seele darunter, an welchem die Leidenschaften vorzukommen scheinen d.h. alles dasjenige was Freude und Trauer zur Folge hat. Von den Leidenschaften kommen die einen auf Grund von Vorstellungen zu Stande, z.B. wenn jemand[217] in der Meinung, der Tod stehe ihm bevor, Furcht empfindet, oder in der Meinung, es werde ihm etwas Gutes begegnen, sich freut, wobei die Vorstellung und die Bewegung der Leidenschaft von einander getrennt statt finden. Andere dagegen sind gleichsam früher als die Vorstellungen, die sie unwillkürlich im Vorstellungsvermögen hervorbringen. Dass nun die Vorstellung beim Vorstellen unbewegt lässt, wurde gesagt. Nun tritt die Furcht zunächst unabhängig von der Vorstellung heran, hängt aber in letzter Linie doch wieder von ihr ab und theilt dem, was man in der Seele sich fürchten nennt, eine gewisse Empfindung davon mit. Was bringt denn nun dieses sich fürchten hervor? Unruhe und Aufregung, sagt man, über ein voraussichtliches Uebel. Dass nun das Vorstellungsgebilde in der Seele statthat, sowohl das erste, die eigentlich sogenannte Vorstellung, als auch das von dieser ausgehende, was genau genommen keine Vorstellung mehr ist sondern eine untergeordnete dunkle Vorstellung, eine ununterscheidbare Phantasie, ebenso wie die Natur mit unbewusster Thätigkeit, wie man sagt, das Einzelne hervorbringt – dürfte klar sein. Was dann weiter darauf folgt, die bereits sinnlich wahrnehmbare Aufregung findet am Körper statt: das Zittern und die Erschütterung des Körpers, das Erbleichen und die Sprachlosigkeit. Denn das kann offenbar nicht im seelischen Theil vor sich gehen, da man sonst auch ihn, erduldete er dies wirklich, als körperlich bezeichnen müsste. Auch würden dann diese Erscheinungen nicht weiter bis zum Körper gelangt sein, indem der Theil, der sie zu ihm gelangen lässt, als durch die Affection betroffen und aus seiner Ruhe gebracht seine Function nicht weiter verrichten würde. Vielmehr ist dieser leidende Theil der Seele kein Körper sondern eine Form, aber eine in der Materie befindliche Form wie das Begehrungsvermögen, die Kraft der Ernährung, des Wachsthums und der Zeugung, welche die Wurzel und der Ausgangspunkt der begehrenden und der leidenden Form ist. Nun darf aber keine Form mit Unruhe, überhaupt mit keiner Affection behaftet sein, sondern sie selbst muss unbeweglich bleiben, während ihre Materie sich in der Affection befindet, so oft eine solche, durch die Einwirkung des bewegenden Princips veranlasst, stattfindet. Es wächst ja auch nicht die vegetative Kraft, wenn sie wachsen lässt, sie nimmt nicht zu, wenn sie zunehmen lässt, überhaupt bewegt sie bewegend sich nicht selbst in der Bewegung, die sie veranlasst, sondern entweder sie bewegt sich überhaupt nicht, oder es ist eine andere Art der Bewegung oder Thätigkeit.[218]

Die Natur der Form muss also selbst Thätigkeit sein und durch ihre Anwesenheit schaffen, wie wenn die Harmonie aus sich selbst die Saiten bewegte. Folglich wird der leidende Theil die Veranlassung der Affection sein, indem die Bewegung von ihm ausgeht entweder auf Grund einer sinnlichen Wahrnehmung oder auch ohne eine solche, indem er selbst aber ruhig in der Form der Harmonie bleibt. Die Ursachen der Bewegung entsprechen dem Musiker, das von der Affection in Bewegung Gesetzte dürfte etwa den Saiten entsprechen. Auch dort ist ja nicht die Harmonie sondern die Saite afficirt worden. Es würde aber die Saite, auch wenn der Musiker es wollte, nicht in musikalischer Weise bewegt werden, wenn nicht die Harmonie es angäbe.

5. Wozu aber der Versuch, die Seele durch Philosophie frei von Leidenschaften zu machen, wenn sie von vornherein nicht afficirt wird? Nun, da die an dem sogenannten leidenden Theile auch in die Seele eintretende Art von Phantasiegebilde die weitere Affection hervorbringt, nämlich die Aufregung, und da mit der Aufregung das Bild des voraussichtlichen Bösen verbunden ist, so will die Vernunft diese sogenannte Affection überhaupt beseitigen und nicht mehr eintreten lassen, da bei ihrem Eintreten die Seele sich nicht mehr wohl befindet, bei ihrem Ausbleiben sich apathisch verhält, indem die Ursache der Affection, nämlich das sie umgebende Gebilde nicht mehr eintritt, etwa so wie wenn jemand, der die Traumgebilde beseitigen will, die vorstellende Seele in den Zustand des Wachens versetzt in der Meinung, dass die äussern Gebilde so zu sagen, die er als leidende Zustände der Seele betrachtet, die Affectionen hervorgebracht haben. Aber was soll es für eine Reinigung der Seele geben, wenn sie nicht beschmutzt ist? oder was hat es damit auf sich, sie vom Körper zu trennen? Die Reinigung würde darin bestehen sie allein zu lassen, sie frei zu machen von der Berührung mit andern Dingen, dass sie nicht auf etwas anderes blickt oder fremdartige Vorstellungen hat, dass sie keine Schattenbilder sieht und aus ihren Affectionen hervorbringt. Und wenn sie sich der dem Unteren entgegengesetzten Seite zuwendet, darf man das nicht als Reinigung bezeichnen? Kann man nicht von Trennung sprechen bei einer Seele, die zwar noch im Körper weilt, ohne jedoch von ihm abhängig zu sein? Gleicht sie nicht einem Lichte, das im Trüben leuchtet, ohne jedoch durch seine trübe Umgebung beeinträchtigt zu werden? Für den leidenden Theil also bestellt die Reinigung im Aufwecken aus den seltsamen[219] Schattenbildern und dem Nichtsehen derselben, ihr Getrenntwerden darin dass sie nicht häufig nach unten neigt und sich von dem Untern kein Bild macht. Es kann auch das Trennen in der Beseitigung jener Gegenstände bestehen, von denen der leidende Theil getrennt wird, wenn er aufhört in seiner Berührung mit einem durch Gefrässigkeit und Völlerei getrübten Geiste fleischlich verunreinigt zu werden, seine Umgebung vielmehr soweit geschwächt ist, dass er ungestört sich über sie zu erheben vermag.

6. Dass man also die inlelligible Wesenheit, welche durchgehend auf Seiten der Form befindlich ist, als affectionslos zu betrachten hat, ist gesagt worden. Da nun aber auch die Materie etwas Unkörperliches ist, wenngleich in einer andern Weise, so müssen wir auch zusehen, wie es sich mit ihr verhält, ob sie, wie man behauptet, leidend und in jeder Hinsicht veränderlich ist oder ob man sie als affectionslos zu denken hat und welches die Art ihrer Affectionslosigkeit ist. Bevor wir diese Untersuchung vornehmen und über die Natur der Materie sprechen, müssen wir zunächst festhalten, dass es sich mit der Natur des Seienden, mit der Wesenheit und dem Sein nicht so verhält wie man gewöhnlich annimmt. Es ist nämlich das Seiende, was man in Wahrheit so als das Seiende zu bezeichnen hat, wirklich seiend, das heisst in jeder Beziehung seiend, in nichts also vom Seienden entfernt. Als vollkommen seiend bedarf es nichts zu seinem Sein und Bestehen, vielmehr ist es auch für das Andere Ursache, dass es zu sein scheint. Ist dies richtig, so muss es im Leben und zwar im vollkommenen Leben sein (denn wenn ihm etwas fehlte, so wäre es ebensowohl seiend als nicht seiend), dies ist aber Geist und schlechthinniges Denken. Es ist demnach bestimmt und begrenzt und der Möglichkeit nach nichts was es nicht auch in seiner Bestimmtheit wäre, denn sonst würde ihm etwas fehlen. Deshalb ist es auch das Ewige und Identische, dasjenige was nichts aufnimmt, in das nichts hineingeht. Denn wenn es etwas aufnähme, so müsste es etwas ausser ihm Befindliches aufnehmen, das wäre aber etwas Nichtseiendes. Es muss aber schlechthin seiend sein, folglich muss es aus sich selbst, im Besitz von allem in's Sein treten, es muss Alles zugleich und Eins als Alles sein. Wenn wir das Seiende nun so definieren – es ist dies aber nöthig, denn sonst würde Geist und Leben nicht aus dem Seienden kommen, sondern an das Seiende herantreten und aus dem Nichtseienden kommen – dann würde auch das Seiende ohne Leben und ohne Geist sein, beides[220] vielmehr in Wahrheit dem Nichtseienden zukommen, es müsste also im Schlechteren sein und in dem, was unter dem Seienden ist, denn das vor dem Sein Befindliche verhilft diesem zwar zum Sein, bedarf aber selbst nicht desselben: wenn also das Seiende so beschaffen ist, so kann es nothwendigerweise weder selbst ein Körper noch auch das Substrat für die Körper sein, sondern für diese muss das Sein im Nichtsein liegen. Und wie kann die Natur der Körper nichtseiend, wie die Materie, an der die Körper sich vorfinden, Berge und Felsen sein? Die ganze feste Erde und alles was Widerstand leistet, was mit seinen Stössen dem Gestossenen sich fühlbar macht, bekundet ihr Sein. Wollte nun jemand sagen: Wie? dasjenige was keinen fühlbaren Druck ausübt, was keinen Widerstand leistet und überhaupt nicht sichtbar ist, das wäre das Seiende und zwar das wahrhaft Seiende? – so wäre zu erwidern: Auch bei den Körpern kommt das Sein in höherem Grade als der ruhenden Erde dem Beweglicheren und weniger Gewichtigen zu und unter diesem wieder dem Oberen, ja das Feuer entzieht sich bereits der Natur des Körpers. Ueberhaupt, sollt' ich meinen, je selbständiger etwas ist, desto weniger fällt es anderem beschwerlich und lästig; die schwereren und erdigeren Dinge aber, die mangelhaft und hinfällig sind und sich nicht selbst wieder aufrichten können, die stürzen in Folge ihrer Schwäche und üben durch ihre Wucht und Unbeholfenheit einen empfindlichen Druck aus. So ist auch ein Sturz von leblosen Körpern viel unangenehmer, wie denn auch die Heftigkeit ihres Stosses meist schädlich wirkt, während eine Berührung mit lebenden Körpern, die am Sein Theil nehmen, für die Betreffenden um so viel angenehmer ist als sie eben am Sein Theil haben. Die Bewegung aber, die an den Körpern gleichsam eine Art von Leben ist und eine Nachahmung desselben enthält, kommt in höherem Grade den Dingen zu, die weniger vom Körper haben, so dass also das Entweichen des Seienden den von ihm verlassenen Gegenstand mehr zum Körper macht. Und gerade aus den sogenannten Affectionen kann man noch deutlicher sehen, dass je mehr ein Gegenstand Körper ist, er desto mehr denselben unterworfen ist, die Erde also mehr als die übrigen Elemente und diese wieder in demselben Verhältniss. Trennt man die übrigen Elemente, so schliessen sich dieselben, wenn kein besonderes Hinderniss obwaltet, wieder zu einer Einheit zusammen; wird dagegen irgend ein erdiger Stoff zertheilt, so bleiben seine Theile für immer getrennt. Denn wie die ihrer Natur nach kraftlosen Gegenstände, welche[221] von einem Schlage getroffen eben so bleiben wie sie getroffen wurden und zu Grunde gingen, so vermag auch das, was am meisten Körper geworden ist, als am meisten in das Nichtseiende tretend, sich nicht wieder zur Einheit zusammenzufassen. Einen gegenseitigen Einsturz also bewirken die schweren und heftigen Schläge. Wenn aber etwas Schwaches auf etwas Schwaches fällt, so ist es stark im Verhältniss zu jenem, desgleichen das Nichtseiende, wenn es auf das Nichtseiende trifft.

Dies möge denn gegen diejenigen gesagt sein, welche das Seiende in die Körperwelt setzen, wobei sie sich auf den mechanischen Stoss berufen und die Eindrücke der sinnlichen Wahrnehmungen als Beleg der Wahrheit nehmen. Aehnlich wie die Träumenden halten sie das für wirklich was sie sehen, während es doch Traumbilder sind. Auch die sinnliche Wahrnehmung ist eine Thätigkeit der schlafenden Seele; denn was von Seele im Körper ist, das schläft. Das wahre Erwachen ist ein wahres Aufstellen vom Körper, nicht mit dem Körper. Das Aufstellen mit dem Körper ist ein Hinübergehen aus einem Schlaf in einen andern, gleichsam ein blosser Wechsel des Lagers; das wirkliche dagegen ist eine vollständige Trennung vom Körper, welcher aus der der Seele entgegengesetzten Natur besteht und demgemäss das Entgegengesetzte zu seinem Wesen hat. Dies beweist auch sein Entstehen, sein Hinschwinden und sein Untergang, lauter Erscheinungen, die der Natur des Seienden fremd sind.

7. Wir müssen jedoch auf die zu Grunde liegende Materie und auf das, was als an der Materie befindlich bezeichnet wird, zurückgehen. Hieraus wird erkannt werden, dass der Materie kein Sein zukommt und dass sie nicht afficirbar ist. Zunächst ist sie unkörperlich, da ja der Körper später und etwas zusammengesetztes ist: sie selbst macht erst in Verbindung mit etwas anderem den Körper aus. Auch wird sie ja nur deshalb mit als unkörperlich bezeichnet, weil eben beides, das Seiende und die Materie, von dem Körper verschieden ist. Da sie nun weder Seele noch Geist noch Leben noch Form noch Begriff noch als Unbegrenztheit Grenze noch Kraft ist (denn was schafft sie denn?) sondern hinter alle diesem zurückbleibt, so kann sie auch die Bezeichnung des Seienden nicht mit Recht führen, sondern man kann sie mit Recht als das Nichtseiende bezeichnen, und zwar nicht in dem Sinne wie Bewegung und Ruhe nichtseiend ist, sondern als das wahrhaft Nichtseiende, als blosses Schattenbild der Ausdehnung, ein[222] Streben nach Dasein, nicht ruhend in Ruhe, unsichtbar an sich und dem Blick sich entziehend, vorhanden wenn man nicht auf sie hinsieht, verschwindend wenn man scharf auf sie hinblickt, stets das Entgegengesetzte an sich erscheinen lassend, Grosses und Kleines, ein Mehr oder Minder, Mangel und Ueberschuss, ein Schattenbild, das nicht bleiben aber auch nicht fliehen kann; denn auch dies vermag sie nicht einmal, da sie keine Kraft von dem Geiste empfangen hat sondern in dem Mangel alles Seienden bestellt. Deshalb sind alle ihre Kundgebungen Lüge: wenn sie gross scheint, ist sie klein, wenn mehr, so ist sie minder, und was an ihr als seiend erscheint, ist nichtseiend, gleichsam ein fliehendes Spiel. Daher sind auch die scheinbaren Vorgänge an ihr Spiele: Bilder in einem Bilde, ganz so wie der Gegenstand im Spiegel, der sich anderswo befindet und anderswo erscheint; sie ist scheinbar erfüllt und hat nichts und scheint alles zu haben. Und die in ihr gestaltloses Bild ein- und ausgehenden Abbilder des Seienden, die wegen ihrer Gestaltlosigkeit erblickt werden, scheinen auf sie zu wirken, wirken aber nichts, denn sie sind kraftlos und schwach und haben nichts festes, und da auch jene nichts derartiges hat, so gehen sie hindurch, ohne sie zu zerschneiden wie durch Wasser oder wie wenn einer in den sogenannten leeren Raum Gestalten hineinschicken wollte. Allerdings, wenn das was man sieht so beschaffen wäre wie das, von dem aus es in die Materie hineingekommen ist, so könnte man ihm eine gewisse Kraft beilegen, ausgegangen von dem, was dasselbe in die Materie hineingeschickt hat, und könnte allenfalls glauben, dass sie dadurch afficirt würde. So aber, da das, was sich an der Materie abspiegelt, ganz verschieden ist von dem, was an ihr gesehen wird, so lässt sich auch hieraus entnehmen, dass die Affection Täuschung ist, da das an ihr Gesehene Täuschung ist und durchaus keine Aehnlichkeit mit dem Hervorbringenden hat. Als schwach also, als blosse Täuschung, die selbst wieder in eine Täuschung hineinfällt, wie im Traume oder Wasser oder Spiegel, lässt es die Materie nothwendigerweise unafficirt. Und dennoch findet sich selbst bei diesen Dingen noch eine Aehnlichkeit zwischen dem Erblickten und dem Hineinblickenden.

8. Ueberhaupt aber muss dasjenige, was afficirt wird, hinsichtlich seiner Kräfte und Eigenschaften demjenigen, was auf dasselbe eindringt und das Afficirtwerden veranlasst, entgegengesetzt sein. So erhält das vorhandene Warme seine Veränderung von dem Erkaltenden, die vorhandene Feuchtigkeit von[223] dem Trocknenden, und wir sagen, das Substrat sei verändert, wenn es aus Warmem kalt oder aus Trockenem feucht wird. Es beweist dies auch die sogenannte Vernichtung des Feuers, bei welcher ein Uebergang desselben an ein anderes Element stattfindet. Das Feuer, sagen wir, ist vernichtet worden, nicht die Materie, so dass also auch die Affectionen an dem stattfinden, woran die Vernichtung stattfindet. Denn die Aufnahme der Affection ist der Weg zur Vernichtung, und dasselbe wird vernichtet was afficirt wird. Die Materie aber kann unmöglich vernichtet werden: in was denn und wie? – Wenn sie nun aber zahlreiche Erscheinungen von Wärme und Kälte in sich aufnimmt, überhaupt zahllose Eigenschaften, wenn sie durch diese unterschieden wird und sie gleichsam verwachsen und mit einander vermischt hat (denn sie kommen nicht alle gesondert vor) und dabei selbst in der Mitte bleibt: sollte sie da bei der Affection der Qualitäten in ihrer gegenseitigen Mischung und Trennung von einander nicht mit afficirt werden? Man müsste sie denn durchaus ausserhalb derselben setzen. An einem Substrat aber ist für dasselbe alles so vorhanden, dass es ihm etwas von sich mittheilt.

9. Dagegen muss man nun zunächst festhalten, dass vom Vorhandensein eines Dings im andern und vom Sein des einen im andern nicht immer auf ein und dieselbe Weise gesprochen wird; sondern das einemal macht ein Gegenstand durch sein Vorhandensein und die damit verbundene Veränderung einen andern schlechter oder besser, wie wir dies an den Körpern, wenigstens an den lebenden Wesen sehen; das anderemal macht er ihn besser oder schlechter ohne ihn zu afficiren, wie das von der Seele gesagt wurde; drittens endlich ist es gerade so, wie wenn man eine Gestalt in Wachs abdrückt, wobei weder eine Affection in der Weise stattfindet, dass die Gestalt etwa durch ihre Anwesenheit das Wachs zu etwas anderm machte, noch jenes nach dem Verschwinden der Gestalt irgend einen Verlust erleidet; ja das Licht bringt an dem von ihm erleuchteten Gegenstand nicht einmal eine Veränderung der Gestalt hervor. Ist der Stein, wenn er kalt geworden, abgesehen von der Kälte etwa weniger Stein? In wiefern wird die Linie von der Farbe afficirt? Auch die Fläche nicht, sollte ich meinen, höchstens der zu Grunde liegende Körper. Und doch, wie sollte selbst er von der Farbe afficirt werden? Denn unter ›afficirt werden‹ darf man nicht das blosse Vorhandensein von etwas oder das Verleihen einer Gestalt verstehen. Ein analoges Beispiel liefert uns die Behauptung, dass die Spiegel, überhaupt[224] die durchsichtigen Körper durch die in ihnen wahrgenommenen Körper nicht afficirt werden. Auch das, was man an der Materie wahrnimmt, sind blosse Bilder und sie selbst ist noch weniger afficirbar als die Spiegel. Allerdings finden an ihr Erscheinungen der Wärme und Kälte statt, aber diese erwärmen sie selbst nicht. Denn das ›warm und kalt werden‹ findet dadurch statt, dass am Substrate die eine Qualität durch die andere verdrängt wird. Uebrigens wäre in Betreff der Kälte erst zu untersuchen, ob sie nicht blosse Abwesenheit und Negation der Warme ist. Wenn nun die Qualitäten an der Materie zusammenkommen, so werden die meisten von ihnen nicht auf einander einwirken, ausser wenn sie etwa im Verhältniss des Gegensatzes zu einander stehen. Denn was sollte der Wohlgeruch auf die Süssigkeit, die Farbe auf die Gestalt, überhaupt heterogene Qualitäten auf einander wirken? Daraus kann man ganz besonders entnehmen, dass an demselben Gegenstand bald diese bald jene Qualität vorhanden sein kann, oder auch verschiedene an verschiedenen, ohne dass der Gegenstand, an welchem oder in welchem sie vorbanden ist, durch ihre Anwesenheit benachtheiligt würde. Wie nun auch das, was beschädigt werden kann, nicht an dem ersten besten Gegenstand beschädigt wird, so kann auch das, was sich verändern lässt und afficirbar ist, nicht von dem ersten besten afficirt werden, sondern Entgegengesetztes wird durch Entgegengesetztes afficirt, nicht aber bloss Verschiedenes durch das von ihm Verschiedene verändert. Daher kann dasjenige, wovon es keinen Gegensatz giebt, auch von nichts ihm Entgegengesetzten afficirt werden. Es kann also, wenn etwas afficirt wird, dies nicht die Materie sondern nur das aus Materie und Form Zusammengesetzte, überhaupt ein Vielfaches sein. Das Isolirte, von allem übrigen Getrennte, überhaupt schlechthin Einfache dagegen kann von nichts afficirt werden und muss mitten inne zwischen allem stehen, was auf einander einwirkt, wie z.B. wenn in einem Hause die Bewohner einander schlagen, das Haus und die darin befindliche Luft dadurch nicht afficirt werden. Die Qualitäten an der Materie mögen nun bei ihrem Zusammentreffen auf einander wirken soviel sie können, sie selbst wird noch weniger afficirbar sein als alle diejenigen unter ihren Qualitäten, die, weil sie nicht im Verhältniss des Gegensatzes zu einander stehen, durch einander nicht afficirt werden können.

10. Ferner, wenn die Materie afficirt wird, so muss sie etwas ausser der Affection haben oder die Affection selbst sich[225] in einem andern Zustand befinden als der war, bevor sie in dieselbe eintrat. Tritt nun eine andere Qualität nach jener an sie heran, so wird nicht mehr die Materie das sie Aufnehmende sein sondern die so und so beschaffene Materie. Und wenn auch diese Qualität sich entfernt, indem sie durch ihre Einwirkung etwas von sich zurücklässt, so wird das Substrat sich noch mehr von der Materie unterscheiden. Im weitem Verlaufe dieses Processes wird dann das Substrat etwas ganz anderes sein als die Materie, etwas Vielveränderliches und Vielgestaltiges, daher sie denn auch nicht mehr alles in sich aufnehmen kann, sondern manchem, was an sie herantritt, ein Hinderniss entgegenstellt. Auch die Materie bleibt dann nicht mehr, folglich ist sie auch nicht unvergänglich. Soll es also eine Materie geben, so muss sie auch stets dieselbe bleiben wie sie von Anfang war. Wer demnach von einer Veränderung derselben spricht, der hebt ihren Begriff als Materie auf. Wenn ferner überhaupt alles, was verändert wird, sich verändern muss indem es gleichwohl bei derselben Form verbleibt, also bloss an seinen Accidenzen, nicht aber an sich – wenn also das, was verändert wird, bleiben muss und das Bleibende nicht dasjenige ist, was an ihm afficirt wird, so muss eins von beiden der Fall sein: entweder die Materie, wenn sie verändert wird, verliert ihr Wesen; oder wenn sie ihr Wesen nicht verliert, so wird Sie nicht verändert. Wollte jemand sagen, sie werde nicht verändert insofern sie Materie ist, so wird er erstens nicht sagen können, inwiefern sie sonst verändert wird, dann aber wird er auch so zugeben, dass eben die Materie an sich nicht verändert wird. Denn wie die andern Ideen ihrem Wesen nach nicht verändert werden können, da gerade hierin ihr Wesen besteht, so kann auch die Materie, da sie eben nur als solche Materie ist, insofern sie Materie ist sich nicht verändern, sondern sie muss bleiben, und wie dort die Idee an sich unveränderlich ist, so ist auch hier die Materie an sich unveränderlich.

11. Daher glaube ich auch, dass Plato in demselben Sinne mit Recht gesagt hat: ›das Hinein- und Herausgehende sind Nachahmungen des Seienden‹, und dass er nicht ohne Grund der Ausdrücke ›hinein- und herausgehen‹ sich bedient hat, sondern in der Absicht, dass wir uns aufmerksam mit der Art der Theilnahme befassen sollten, und vermuthlich liegt die Schwierigkeit der Frage: wie nimmt die Materie an den Ideen Theil? nicht darin, worin sie die meisten der früheren Philosophen gesucht haben, wie sie in dieselbe kommen, sondern[226] wie sie in ihr sind. Denn in der That scheint es wunderbar zu sein, wie sie selbst, während jene an ihr vorhanden sind, dieselbe bleibt ohne von ihnen afficirt zu werden, noch dazu während das, was in sie eintritt, sich gegenseitig afficirt. Ferner dass das Eintretende selbst alles Frühere ausstösst und dass das Afficirtwerden im Zusammengesetzten stattfindet, aber auch nicht an jedem Zusammengesetzten sondern nur an demjenigen, welches eines Dazukommenden oder Weggehenden bedarf und was durch die Abwesenheit von etwas seinem Bestande nach mangelhaft ist, durch dessen Anwesenheit dagegen vollständig wird. Für die Materie dagegen giebt es in Bezug auf ihren Bestand keinen Zuwachs, mag dazukommen was da will. Denn das, was sie ist, wird sie nicht wenn etwas hinzukommt, noch wird sie es weniger wenn etwas weggeht. Sie bleibt vielmehr, was sie von Anfang an war. Die Dinge hingegen, welche Schmuck und Ordnung brauchen, bedürfen des Geschmücktwerdens, und der Schmuck kann stattfinden ohne gleichzeitige Veränderung, wie bei den Dingen, denen wir einen Schmuck umlegen. Wenn aber etwas so geschmückt wird, dass der Schmuck mit ihm verwächst, so wird der geschmückte Gegenstand einer Veränderung seiner früheren Hässlichkeit bedürfen, er muss ein anderer werden um nunmehr aus einem hässlichen ein schöner zu werden. Wenn nun die hässliche Materie schön wird, so ist sie das, was sie früher in ihrer Hässlichkeit war, nicht mehr. Durch ein derartiges Geschmücktwerden also wird sie aufhören Materie zu sein, ganz besonders wenn sie nicht accidentiell hässlich war. War sie aber hässlich als Hässlichkeit, dann kann sie keinen Schmuck annehmen, und war sie schlecht als das Schlechte, so kann sie das Gute nicht annehmen. Das Theilnehmen findet also nicht so statt, dass sie dabei wirklich afficirt würde, sondern in der Weise eines bloss scheinbaren Afficirtwerdens. Vielleicht lagst sich auf diese Weise auch die Schwierigkeit lösen, wie die Materie ab schlecht nach dem Goten streben kann, ohne dass durch Theilnahme an demselben das aufgehoben wird was sie war. Denn wenn das, was man Theilnahme nennt, in der Weise stattfindet, dass sie dabei dieselbe bleibt ohne sich zu verändern, wie wir behaupten, sondern immer das ist was sie ist, so ist es nicht mehr zu verwundern, wie sie als schlecht überhaupt Theil nimmt. Denn sie tritt dabei nicht aus sich heraus, sondern weil sie mit Nothwendigkeit Theil nimmt, so nimmt sie in gewisser Weise Theil so lange sie ist. Durch die Art der Theilnahme aber, welche sie als[227] das bestehen lässt was sie ist, wird sie hinsichtlich ihres Seins von dem, was ihr diese bestimmte Form giebt, nicht geschädigt, und sie mag immerhin deshalb nicht minder schlecht sein, weil sie immer das bleibt was sie ist. Denn wenn sie wirklich Theil nähme und wirklich vom Guten verändert würde, so würde sie nicht ihrer Natur nach schlecht sein. Wenn man also die Materie als schlecht bezeichnet, so hat man insoweit dabei Recht als man sie als durch das Gute unafficirbar, das heisst aber nichts anderes als schlechthin unafficirbar bezeichnet.

12. Da nun Plato diese Vorstellung von der Materie hatte und eine Theilnahme statuirt, nicht wie bei einem Substrat, wahrend die Form wird und ihm Gestalt verleiht, so dass eine zusammengesetzte Einheit daraus entsteht, indem es zusammen verändert, gleichsam zusammengemischt und zusammen afficirt wird – und es zu erkennen geben wollte, dass er es so nicht meine und wie sie nach seiner Meinung selbst unafficirt bleibend die Formen empfange: so suchte er, da es auf eine andere Weise nicht leicht zu erklären ging, wie etwas trotz seiner Anwesenheit das Substrat unverändert lässt, nach einem Beispiel für die unafficirte Theilnahme und warf bei der Verfolgung seines Zieles viele schwierige Fragen auf. Ausserdem wollte er das Leere in der Daseinsform der sinnlich wahrnehmbaren Dinge nachweisen und andeuten, dass der Bereich des Scheins bei ihnen ein grosser sei. Indem er nun annimmt, dass die Materie durch ihre Figuren an den beseelten Körpern die Affectionen veranlagst ohne selbst etwas von dem Inhalt dieser Affectionen zu haben, so deutet er damit das Bleibende derselben an, indem er uns den weitem Schluss überlässt, dass sie selbst auch nicht einmal von den Figuren afficirt und verändert wird. Denn man könnte vielleicht sagen, dass bei diesen Körpern, die verschiedene Figuren nach einander annehmen, eine Veränderung stattfinde, indem man hierbei die Veränderung als homogen mit Aenderung der Figur versteht. Da nun aber die Materie keine Gestalt noch Grösse hat, wie will man da die irgendwie bedingte Anwesenheit der Gestalt auch nur im Sinne einer Homogenie als Veränderung bezeichnen? Wenn nun jemand hier das Wort zur Geltung brächte: ›nach dem Gesetz die Oberfläche und das andere nach dem Gesetz‹, weil das natürliche Substrat nichts so hat wie es geglaubt wird, so dürfte diese Erklärung nicht gerade ungereimt sein. Aber wie hat sie, wenn auch nicht einmal der Ausdruck ›wie Figuren‹ zu billigen ist? Aber diese Annahme giebt doch wenigstens einigermassen eine Andeutung von der Affectionslosigkeit[228] und der scheinbaren Anwesenheit gleichsam nicht anwesender Bilder. Man muss wohl zuvörderst über die Unafficirbarkeit der Materie selbst sprechen und zeigen, dass man sich nicht durch den gewöhnlichen Sprachgebrauch zu der Annahme ihres Afficirtwerdens darf verleiten lassen. Wenn also Plato dieselbe Materie trocken, feurig und feucht werden lässt, so müssen wir uns auch der weitem Worte erinnern, wo er sagt, dass sie auch die Gestalten von Luft und Wasser annimmt. Der Ausdruck, dass sie auch die Gestalten von Luft und Wasser annimmt, mildert das ›feurig und feucht werden‹ in etwas und zeigt, dass das ›Gestalten annehmen‹ nicht von einem ›gestaltet sein‹ zu verstehen ist, sondern dass die Gestalten so sind wie sie hineingekommen sind, und dass das ›feurig geworden‹ nicht im eigentlichen Sinne gesagt ist, sondern mehr ›Feuer geworden‹ bedeutet. Feuer werden und feurig werden ist nämlich nicht dasselbe. Denn das ›feurig werden‹ geht von einem andern aus, auch liegt darin ein ›afficirt werden‹. Was aber selbst ein Theil des Feuers ist, wie kann das feurig werden? Wollte man sagen, das Feuer sei durch die Materie gegangen und habe sie obendrein feurig gemacht, so wäre dies ebenso als wenn man sagen wollte, die Bildsäule sei durch das Erz gegangen. Ferner, sollte das Hinzukommende Begriff sein, wie könnte er die Materie feurig machen? Oder etwa Gestalt? Aber das feurig Gewordene ist es schon durch beides. Wie aber durch beides, ohne aus beiden eins geworden zu sein? Nun, auch falls es eins geworden, doch nicht so, dass beides durch einander afficirt wird, sondern dass es anderes afficirt. Also doch wohl so, dass beides zusammenwirkt oder das eine das andere nicht entweichen lässt? Aber wenn ein Körper zertheilt wird, wird dann die Materie nicht auch mit zertheilt? Und wenn jener durch das Zertheiltwerden afficirt wird, wird sie durch eben diese Affection nicht mit afficirt? Dann müsste man aber consequenter Weise auch von einem Vernichten der Materie sprechen: weshalb sollte sie nicht mit zu Grunde gehen, wenn der Körper zu Grunde geht? Man müsste ferner sagen, sie sei von einer bestimmten Grösse und überhaupt Grösse. Richtiger ist, dass an dem, was nicht Grösse ist, auch die Affectionen der Grösse nicht stattfinden und überhaupt an dem, was nicht Körper ist, auch die Affectionen des Körpers nicht vorkommen. Wer also die Materie afficirt werden lässt, der muss auch zugeben, dass sie ein Körper ist.

13. Ferner müssen sie auch noch darüber Auskunft geben,[229] in welchem Sinne sie es verstehen, dass die Materie vor der Form entweicht. Denn wie soll sie vor Steinen und Felsen entweichen? Sie werden doch nicht sagen, dass sie bald entweicht bald nicht entweicht. Denn wenn sie durch ihren eignen Willen entweicht, weshalb entweicht sie dann nicht immer? Wenn sie aber aus Nothwendigkeit bleibt, so muss sie stets in irgend einer Form sein. Aber man muss die Ursache aufsuchen, warum jede einzelne Materie nicht immer dieselbe Form behalt, namentlich bei den in sie hereinkommenden Formen. Wie also sagt man von ihr, sie entweiche? Mit derselben Natur und immer? Was wäre dies aber anders, als dass sie niemals aus sich heraustritt und die Form so hat, dass sie sie niemals hat. Oder sie werden mit dem, was Plato sagt, nichts anfangen können. Er sagt nämlich: die Materie ist Aufnahmeort und Amme alles Entstehens. Wenn sie aber Aufnahmeort und Amme ist und das Entstehen etwas von ihr verschiedenes ist und die Veränderung am Entstehen vor sich geht, so muss sie vor dem Entstehen und vor der Veränderung sein. Die Bezeichnung ›Aufnahmeort und dazu Amme‹ lässt sie als unafficirt das bleiben was sie ist, dasjenige nämlich, worin alles was entsteht für die Vorstellung erscheint und wovon es wieder weggeht, desgleichen als Ort und Raum. Auch der an sich richtige Ausdruck, mit welchem Plato die Materie als Ort der Formen bezeichnet, sagt keine Affection von ihr aus, sondern verlangt eine andere Art der Erklärung. Welche ist das? Da die in Rede stehende Materie nichts Seiendes sein darf, vielmehr jeder Wesenheit des Seienden sich entziehen und eine schlechthin andere sein muss (denn jenes sind Begriffe und zwar wirklich seiende), so muss sie eben durch dieses Anderssein die ihr einmal zugefallene Wesenheit behaupten und kann nicht bloss das Seiende nicht aufnehmen, sondern auch eine etwaige Nachahmung des Seienden sich nicht wirklich aneignen. Kur so ist etwas schlechthin anderes (durch Aneignung einer Form und die dadurch bedingte Veränderung würde sie ihr Anderssein verlieren) und der Ort für alles, der Aufnahmeort für alles und jedes. So muss sie denn, auch wenn etwas in sie eintritt, dieselbe bleiben, desgleichen unafficirt, wenn etwas aus ihr heraustritt, damit eben immer etwas in sie hinein- und aus ihr heraustrete. Es tritt nun das Eintretende als ein Bild in sie hinein, als etwas Nichtwahres in ein Nichtwahres. Und es sollte in Wahrheit eintreten? Wie wäre das möglich bei demjenigen, was als Lüge an sich nie an der Wahrheit Antheil haben darf? So tritt es also erlogener[230] Weise in die Lüge ein, und die Sache geht etwa so vor sich wie die Bilder der gespiegelten Gegenstände im Spiegel gesehen werden, so lange sie sich spiegeln? Nun, wollte man auch hier das Seiende beseitigen, so würde von dem, was jetzt am Wahrgenommenen gesehen wird, nichts auch nur einen Augenblick erscheinen, hier nämlich wird der Spiegel selbst mit gesehen, denn auch er ist ja eine gewisse Form; da aber dort keine Form ist, so wird es auch selbst nicht mit gesehen, sonst müsste es auch vorher an sich gesehen werden. Vielmehr ist es mit ihm wie mit der erleuchteten Luft, die ja auch in diesem Falle unsichtbar ist, weil sie auch ohne erleuchtet zu werden nicht gesehen wurde. Deshalb glaubt man auch von den Erscheinungen im Spiegel nicht, dass sie sind, wenigstens nicht, dass sie wirklich sind, weil das woran sie sind gesehen wird und selbst bleibt, während sie verschwinden. Die Materie dagegen wird selbst nicht gesehen, weder mit den Gegenständen noch ohne sie. Könnten die Gegenstände, von denen aus die Spiegel erfüllt werden, bleiben ohne dass diese gesehen würden, so würde man an dem wirklichen Sein der Erscheinungen garnicht zweifeln. Wenn nun etwas in dem Spiegel ist, so mag ebenso auch das sinnlich Wahrnehmbare in der Materie sein. Wenn es aber nicht ist, sondern nur zu sein scheint, so muss man auch hier sagen, dass die Dinge an der Materie scheinen, und die Ursache dieses Scheins in der Daseinsform des Seienden finden, an welcher das Seiende immer wirklich Theil nimmt, das Nichtseiende aber nicht wirklich, da es sich nicht so verhalten darf, wie es sich verhalten würde, wenn das Seiende nicht wäre, es selbst aber wäre.

14. Aber wie? Wenn die Materie nicht wäre, würde dann nichts sein? So wenig wie ein Spiegelbild da wäre, wenn es keinen Spiegel oder etwas derartiges gäbe. Denn was dazu bestimmt ist in einem andern zu werden, das kann nicht werden, wenn jenes nicht ist; denn das Sein in einem andern macht eben die Natur des Bildes aus. Wenn nämlich von dem Seienden etwas abflösse (emanirte), so würde es vorhanden sein auch ohne in einem andern zu sein. Da jenes aber bleibt, so muss, wenn es in einem andern erscheinen soll, das andere sein, indem es dem, was nicht kommt, eine Stätte darbietet, es muss durch sein Vorhandensein, sein kühnes Wagen, gewissermassen sein Betteln und seine Armuth gleichsam mit Gewalt nehmen und durch sein Nichtempfangen getäuscht werden, damit die Armuth bleibe und fort und fort[231] verlange. Denn sobald sie einmal vorhanden ist, stellt der Mythos sie als bettelnd dar, womit er ihre Natur als ledig des Guten bezeichnet. Es verlangt aber der Bettler nicht das, was der Gute hat, sondern er begnügt sich mit dem, was er empfängt. So deutet auch dies an, dass das in ihr Erscheinende etwas anderes ist. Ihr Name bezeichnet, dass sie nicht erfüllt wird. Dass sie den Poros umarmt, deutet an, dass sie nicht das Seiende umarmt, auch nicht den Poros, die Sättigung, sondern ein sinnreich erdachtes Etwas, nämlich die Weisheit des Phantasiegebildes. Denn da unmöglich dasjenige, was überhaupt auf irgend eine Weise ausserhalb des Seienden ist, schlechterdings garkeinen Antheil am Seienden haben kann, denn das ist die Natur des Seienden Seiendes zu schaffen, und da gleichwohl das schlechthin Nichtseiende mit dem Seienden in keiner Berührung stehen kann, so findet hier ein Wunder statt, insofern es nicht Theil habend Theil hat und gleichsam durch seine Nachbarschaft etwas hat, obgleich es seiner Natur nach nicht im Stande ist sich innig anzuschliessen. Es gleitet also das, was es bekommen haben würde, wie von einer fremdartigen Natur ab, wie das Echo von einer glatten, gleichmässigen Fläche: eben weil es [das Echo] nicht bleibt, darum erweckt es den täuschenden Schein dort und von dort zu sein. Könnte die Materie dagegen festhalten und nähme sie in dem Sinne auf, wie mancher annimmt, so würde das Herantretende von ihr verschlungen werden und in ihr aufgehen. Jetzt aber erscheint es, weil es nicht verschlungen wurde, sondern weil die Materie dieselbe blieb ohne etwas aufzunehmen, vielmehr das Herantreten aufhielt als eine dasselbe abstossende Ställe und als gemeinsamer Aufnahmeort für das, was herantritt und sich dort vermischt. Als Beispiel dienen die glatten Gefässe, welche diejenigen, die an der Sonne Feuer auffangen wollen, aufstellen, auch wohl mit Wasser füllen, damit die Flamme, durch das innen ihr Entgegentretende aufgehalten, nicht hindurchgehe sondern sich auswendig sammle. So also wird sie die Ursache des Entstehens und das, was in ihr zusammentritt, tritt auf diese Weise zusammen.

15. Nun sind aber die Gegenstände, welche das Feuer aus der Sonne um sich sammeln, da sie von dem sinnlich wahrnehmbaren Feuer die an ihnen stattfindende Entzündung empfangen haben, selbst sinnlich wahrnehmbar. Deshalb erscheinen sie auch, weil das sich Sammelnde ausserhalb befindlich ist, mit ihnen in einem nahen, ununterbrochenen Zusammenhange steht, sie berührt und hier zwei Grenzen vorhanden[232] sind. Bei dem an der Materie befindlichen Begriff dagegen ist das ›ausserhalb‹ in ganz anderer Weise vorhanden. Hier genügt die Verschiedenheit der Natur, es bedarf für sie keiner doppelten Grenze. Vielmehr ist sie ohne alle Grenze und schon durch die Verschiedenheit ihres Wesens und ihre schlechthinnige Nichtverwandtschaft unvermischt. Und der Grund ihres Fürsichbleibens liegt darin, dass weder das Hineingebende von ihr etwas hat, noch sie von dem Hineingehenden. Es ist wie bei den Meinungen und Vorstellungen in der Seele, welche sich mit dieser nicht vermischen, sondern von denen eine jede wieder fortgeht allein als das wie sie war, ohne etwas mitzunehmen oder zurückzulassen, weil sie nicht vermischt war. Das ›ausserhalb‹ ist hier nicht von einem ›daran liegen‹ zu verstehen und das, woran sie ist, wird nicht an einem andern gesehen sondern im Denken erkannt. Hier ist also die Vorstellung gleichsam ein Bild, (während freilich die Seele ihrer Natur nach kein Bild ist) wenngleich sie manches und zwar willkürlich in Bewegung zu setzen scheint, und sie bedient sich der Seele ebenso oder doch in analoger Weise wie die Form der Materie, ohne jedoch, durch die von ihr ausgehenden Wirkungen vielfach ausgestossen, sie zu verdecken und ohne es, auch wenn sie mit allem Eifer käme, dahin zu bringen, dass sie verschwindet und als solche vorgestellt wird. Denn die Seele hat in sich Thätigkeiten und entgegenwirkende Kräfte, wodurch das Herankommende abgestossen wird. Die Materie aber (denn sie ist an Kraft um vieles schwächer als die Seele und hat nichts von dem Seienden, weder Wahres noch ihr eigenthümliches Falsches) hat als das Entblösstsein von allem nichts, wodurch sie erscheinen könnte, sondern sie wird für anderes die Ursache des Erscheinens, kann aber an sich selbst dies nicht einmal sagen: hier bin ich. Sondern wenn einmal eine tief eindringende Betrachtung auf Grund des andern Seins auch sie ausfindig macht, so ergiebt sie sich als etwas von allem Seienden verlassenes, selbst von dem was das letzte zu sein scheint, als etwas das sich über alles vertheilt und ihm scheinbar folgt und doch auch wieder nicht folgt.

16. Wenn nun aber ein Begriff an sie herantritt und ihr die von ihm beabsichtigte Ausdehnung giebt, so macht er sie gross d.h. er umgiebt sie von sich aus mit dem Grossen, ohne dass sie selbst es ist oder wird. Denn das Grosse an ihr müsste Grösse sein. Wenn nun jemand diese Form wegnimmt, so ist und erscheint das Substrat nicht mehr gross, sondern wenn Beispiels halber das gross Gewordene ein Mensch[233] oder ein Pferd war, so trat mit dem Pferde auch das Grosse desselben dazu, und wenn das Pferd verschwindet, so verschwindet damit auch seine Grösse. Wollte jemand sagen, dass das Pferd an einer Masse und zwar an einer Masse von einer so und so bestimmten Grösse wird und dass das Grosse bleibt, so werden wir entgegnen, dass nicht das Grosse des Pferdes sondern das Grosse der Masse dort bleibt. Wenn nun diese Masse Feuer oder Erde ist, so geht mit dem Feuer oder der Erde auch ihre Grösse fort, folglich behält sie weder von der Gestalt noch von der Grösse etwas. Sonst würde sie nicht aus Feuer etwas anderes werden, sondern Feuer bleibend Nicht-Feuer werden. Denn auch jetzt, wo sie so gross geworden ist als dieses ganze Weltall erscheint, würde mit dem Wegfall des Himmels und alles dessen, was er umfasst, mit diesem allen auch die ganze Grösse von ihr schwinden, zugleich damit offenbar auch die andern Eigenschaften, und sie würde übrig bleiben als das was sie war, ohne etwas von dem zu behalten was zuvor an ihr war. Freilich bei den Dingen, welche durch die Anwesenheit von Gegenständen afficirt werden, bleibt auch nach dem Verschwinden dieser etwas zurück; bei denen dagegen, die nicht afficirt werden, nicht; wie bei der Luft, wenn Licht sie umgiebt und wieder verschwindet. Wenn sich aber jemand wundert, wie sie ohne Grösse zu haben gross sein kann, so fragen wir, wie sie ohne Wärme zu haben warm sein kann? Bei der Materie ist doch Sein und Grössesein nicht dasselbe, da ja die Grösse wie Gestalt etwas materielles ist. Halten wir fest am Begriff der Materie, so ist sie alles durch Theilnahme, eins von allem ist aber auch die Grösse. An den zusammengesetzten Körpern befindet sich unter anderm auch Grösse, allerdings unbestimmte Grösse, da im Begriff des Körpers auch Grösse mit darinliegt; in der Materie dagegen findet sich nicht einmal die unbestimmte Grösse, denn sie ist kein Körper.

17. Die Materie wird auch nicht die Grösse selbst sein. Denn die Grösse ist eine Form, aber nicht so etwas wie ein Aufnahmeort; auch ist die Grösse etwas für sich Bestehendes, nicht so schlechtweg Grösse. Vielmehr sobald das im Geist oder in der Seele Ruhende gross sein will, so giebt es demjenigen, von dem es eine Nachahmung zu gewärtigen hat, das Vermögen durch sein Streben nach ihm oder seine Bewegung zu ihm seine eigene Affection in ein anderes gleichsam einzuzeichnen. Das Grosse also im Hervortreten der Erscheinung fällt mit dem Grossen an sich zusammen, lässt das Gegentheil[234] an der Materie gleichfalls mit zusammenfallen und bewirkt, dass es gross erscheint ohne durch Ausdehnung erfüllt zu werden. Dies ist eben eine erlogene Grösse, wenn die Materie, da sie in ihrem Sein keine Grösse hat, sich nach ihr ausstreckt und durch diese Ausstreckung sich ausdehnt. Indem nämlich alles Seiende auf das Andere seine Einstrahlung einwirken liess, so war jedes einzelne von dem Einstrahlenden an sich gross, das Ganze aber auf jene Weise gross. Es vereinigte sich also die jedem Begriffe eigenthümliche Grösse, z.B. die eines Pferdes oder irgend eines andern Dinges mit der Grösse an sich; so wurde die ganze Materie gross als von der Grösse an sich erleuchtet und jeder Theil etwas grosses und sie erschien als Gesammtheit von allem auf Grund der Gesammtform, welcher das Grosse zukommt, sowie jeder einzelnen Form. Auch wurde sie gewissermaassen ausgedehnt im Verhältniss zum Ganzen und allen einzelnen Formen, da sie gezwungen war in dieser Form und in der Masse zu sein, soweit die Kraft das an sich Nichtseiende zum Sein von allem bringen konnte, ähnlich wie durch das blosse Erscheinen die aus der Nichtfarbe entstandene Farbe und die aus der Nichtqualität entstandene Qualität in der Erscheinungswelt eine gleichnamige Bezeichnung mit der intelligiblen Farbe und Qualität erhalten hat, so auch die aus der Nichtgrösse oder einer [mit der intelligiblen] gleichnamigen entstandene Grösse, indem die Gegenstände als in der Mitte stehend zwischen der Materie an sich und der Form an sich erblickt werden. Sie erscheinen, weil sie aus der intelligiblen Welt stammen, ihr Erscheinen ist aber ein erlogenes, weil das, worin sie erscheinen, nicht ist. Es erhält also alles einzelne eine Grösse, weil es durch die Kraft dessen, was in ihm gesehen wird und sich Platz schafft, ausgedehnt wird: Doch geht diese allgemeine Ausdehnung nicht mit Gewalt vor sich, weil die Materie das Ganze ist; vielmehr dehnt jedes einzelne gemäss der ihm innewohnenden Kraft aus, und diese Kraft stammt aus der intelligiblen Welt. Dasjenige nun, was die Materie gross erscheinen lässt, kommt eben von der in ihr sich spiegelnden Erscheinung der Grösse, und die wahrnehmbare Grösse ist eben das Erscheinende. Die Materie aber, mit welcher die Erscheinung zusammenfallen muss, bietet sich derselben in ihrer Totalität und überall dar. Denn ab Materie ist sie eben Materie dieser Welt und kein bestimmtes Etwas. Was aber nichts an sich ist, das kann durch ein anderes auch sein Gegentheil werden, und wenn es das Gegentheil geworden ist,[235] so ist es auch dieses nicht, denn sonst würde es Bestand haben.

18. Denken wir uns, jemand habe den Begriff des Grossen und sein Begriff hätte die Kraft nicht bloss in sich zu sein, sondern sich auch durch seine Kraft gleichsam nach aussen zu richten, so würde er eine Natur antreffen, die nicht im Denkenden ist und keine Form noch irgend eine Spur des Grossen, überhaupt von garnichts anderm hat. Was würde es nun mit dieser Kraft hervorbringen? Kein Pferd, keinen Ochsen; denn das werden andere Begriffe hervorbringen. Sondern, da er von einem grossen Vater ausgeht, so kann das Andere das Grosse nicht fassen, wird es aber an sich erscheinen lassen. Für dasjenige, was das Grosse nicht so erfassen kann, dass es dadurch selbst gross wird, bleibt bloss übrig möglichst gross zu scheinen. Das heisst, es darf nicht unzureichend sein, es darf sich nicht an vielen Orten in eine Vielheit zersplittern, sondern muss in sich eine Continuität der Theile haben und darf bei keinem solchen fehlen. Denn unmöglich kann in einer kleinen Masse das Bild des Grossen als solches noch als das gleiche vorhanden sein, sondern insoweit es in seiner Hoffnung nach jenem strebte, näherte es sich ihm nach Möglichkeit mit der begleitenden, von ihm unzertrennlichen Materie und bewirkte einerseits, dass jenes Nichtgrosse auch nicht so erschien, andererseits machte es das in der Masse Sichtbare gross. Gleichwohl bewahrt die Materie ihre Natur, indem sie sich dieser Grösse wie eines Gewandes bedient, welches sie der Grösse, als diese in ihrem Laufe sie mitnahm, folgend sich angelegt hatte. Wollte derjenige, der es ihr angezogen hat, es ihr wieder nehmen, so bleibt sie wieder dieselbe wie sie an sich war, oder so gross wie die vorhandene Form sie macht. Denn die Seele, welche die Formen des Seienden hat und selbst Form ist, hat alles zugleich, und da jede einzelne Form zugleich für sich ist, so sieht sie die Formen der materiellen Dinge sich gleichsam zu ihr zurückwenden und auf sich zu kommen, vermag sie aber nicht mit der Menge aufzunehmen, sondern sieht sie ohne ihre Masse; sie kann nichts anderes werden als was sie ist. Die Materie aber, welche keine Widerstandsfähigkeit hat (denn sie ist keine Thätigkeit) sondern Schatten ist, lässt sich ruhig alles gefallen, was die thätige Kraft mit ihr vornimmt. Indem nun diese aus dem intelligiblen Begriffe hervorgeht, hat sie bereits eine Spur von dem, was entstehen soll. Denn wie bei der Vorstellung eines Bildes ist der sich bewegende Begriff oder die von ihm[236] ausgehende Bewegung Theilung; denn wäre er ein mit sich identisches Eins, so würde er sich garnicht bewegen sondern bleiben. Die Materie nun kann nicht alles zugleich wie die Serie sich aneignen, sonst müsste sie etwas Intelligibles sein; dagegen muss sie selbst alles aufnehmen, jedoch nicht ungetheilt. Sie muss also als Ort für alles selbst an alles gehen und allem entgegenkommen und für jeden Zwischenraum ausreichen, weil sie nicht selbst räumlich beschränkt ist, sondern für das Zukünftige daliegt. Wie sollte nun wohl ein Gegenstand, der in die Materie eintritt, die andern nicht abhalten, die doch unmöglich neben einander sein können? Dann würde es ja nichts erstes geben und in diesem Falle würde die Materie die Form des Alls sein d.h. alles zugleich und jedes einzelne, denn die Materie eines Organismus ist mit dessen Theilung mit getheilt; im entgegengesetzten Falle würde nichts ausser dem Begriffe geworden sein.

19. Die Dinge also, welche in die Materie wie in ihre Mutter eintreten, schaden ihr nichts, aber nützen ihr auch nichts. Auch der Stoss, den sie ausüben, wirkt nicht auf jene, sie richten ihn bloss gegenseitig auf sich selbst, weil die Kräfte auf das ihnen Entgegengesetzte wirken, nicht aber auf die Substrate, sofern man sie nicht als mit dem was in sie eintritt, zusammengehörig betrachten will. Denn das Warme bebt das Kalte, das Schwarze das Weisse auf, oder beide bringen mit einander gemischt eine andere Qualität aus sich hervor. Das Gemischte ist also dasjenige was afficirt wird, und das Afficirtwerden besteht für dasselbe im Aufhören seines frühem Seins. Bei den organischen Wesen geben die Affectionen an den Körpern vor sich, gemäss den beim Eintritt der Veränderung in ihnen vorhandenen Kräften und Qualitäten. Werden ihre specifischen Eigenschaften aufgehoben oder verbinden sie sich oder werden sie in ihrem ursprünglichen Bestande verändert, so finden die Affectionen an den Körpern statt, die Seelen haben bloss bei den heftigeren ein damit verbundenes Bewusstsein, bei den minder heftigen auch dieses nicht. Die Materie aber bleibt. Sie leidet nichts, wenn die Kälte entweicht oder die Wärme herantritt, denn keins von beiden war ihr weder freundlich noch feindlich. Recht eigentlich also kommt ihr die Bezeichnung als Aufnahmeort und Amme zu, oder auch als Mutter, wie bereits gesagt wurde; denn diese erzeugt nichts. Als Mutter ist sie wohl von denen bezeichnet worden, nach deren Ansicht auch bei der Zeugung die Mutter die Rolle der Materie übernimmt, indem sie bloss empfingt[237] ohne zur Bildung der Frucht etwas zu geben, da ja selbst der Leib des werdenden Kindes aus der Nahrung stammt. Wenn aber die Mutter zur Bildung der Frucht etwas giebt, so thut sie es nicht als Materie, sondern weil sie zugleich Form ist. Denn allein die Form ist zeugungskräftig, die übrige Natur dagegen ist unfruchtbar. Deshalb glaube ich stellen auch die alten Weisen in der symbolischen Räthselsprache ihrer Geheimlehren den alterthümlichen Hermes stets in ithyphallischer Bildung dar um anzudeuten, dass der intelligible Begriff es ist, der die Dinge in der Sinnenwelt erzeugt. Die Unfruchtbarkeit der Materie dagegen, welche stets dasselbe bleibt, deuten sie an durch ihre entmannten Begleiter. Sie stellen sie nämlich unter dem Namen der Allmutter dar, eine Bezeichnung, mit welcher sie ihre Auffassung derselben als des zu Grunde liegenden Princips bekundeten. Da sie aber denen, welche eine tiefere Auflassung der Sache begehrten und sich nicht mit einer oberflächlichen Betrachtung begnügten, eine Andeutung geben wollten, dass sie nicht in allen Stücken einer Mutter gleich sei, so deuten sie, freilich durch eine entlegene Beziehung, aber doch so gut sie konnten an, dass sie unfruchtbar und nicht schlechthin weiblich sei, sondern nur insofern weiblich als sie empfängt, nicht aber insofern sie erzeugt, dadurch nämlich, dass ihr Gefolge weder weiblich ist noch zeugen kann, sondern durch Entmannung jeglicher Zeugungskraft verlustig gegangen ist, welche bloss dem männlich Bleibenden zukommt.

Quelle:
Plotin: Die Enneaden. Band 1, Berlin 1878, S. 213-238.
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Romantische Geschichten. Elf Erzählungen

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Romantik! Das ist auch – aber eben nicht nur – eine Epoche. Wenn wir heute etwas romantisch finden oder nennen, schwingt darin die Sehnsucht und die Leidenschaft der jungen Autoren, die seit dem Ausklang des 18. Jahrhundert ihre Gefühlswelt gegen die von der Aufklärung geforderte Vernunft verteidigt haben. So sind vor 200 Jahren wundervolle Erzählungen entstanden. Sie handeln von der Suche nach einer verlorengegangenen Welt des Wunderbaren, sind melancholisch oder mythisch oder märchenhaft, jedenfalls aber romantisch - damals wie heute. Michael Holzinger hat für diese preiswerte Leseausgabe elf der schönsten romantischen Erzählungen ausgewählt.

442 Seiten, 16.80 Euro

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