Betriebsdepeschen (-telegramme)

[282] Betriebsdepeschen (-telegramme) (service-telegrams; dépêches, télegrammes de service; telegrammi dell'esercizio) sind die den Eisenbahnbetrieb betreffenden telegraphischen Meldungen und Mitteilungen, die unter Benutzung bahneigener Telegraphen oder Fernsprechanlagen zwischen den Betriebsbeamten, Eisenbahndienststellen und -behörden gewechselt werden. Im engeren Sinne umfassen die B. nur die fahrdienstlichen Telegramme, insbesondere die Meldungen und Aufträge für die unmittelbare Durchführung und Sicherung des Zugverkehrs, im weiteren Sinne aber alle den Eisenbahnbetriebsdienst betreffenden Telegramme. In diesem allgemeinen Sinne ist die Bezeichnung »Diensttelegramm« oder zur besseren Unterscheidung von den Diensttelegrammen der Telegraphenverwaltung die Bezeichnung »Bahntelegramm« die üblichere (s. Telegraphendienst).

Für die Sicherung des Zugverkehrs und für die gesamte Handhabung des Fahrdienstes ist ein umfassender telegraphischer Nachrichtendienst unentbehrlich. Vom Beginn ihrer Entwicklung haben sich die Eisenbahnen den Telegraphen und später auch den Fernsprecher in ausgedehnter Weise nutzbar gemacht. Telegraph und Fernsprecher bilden heute unentbehrliche Einrichtungen, ohne die ein geordneter Eisenbahnbetrieb nicht denkbar ist. Die wichtigsten B. im Fahrdienst sind die Zugmeldungen (s. Zugmeldedienst). Sie werden zwischen den Stationen – den Zugmelde- und Zugfolgestellen – gewechselt, um zu verhüten, daß ein Zug in einen bereits durch einen anderen Zug besetzten Streckenabschnitt eingelassen wird, oder um Vereinbarungen über die Verlegung von Kreuzungen und Überholungen bei Zugverspätungen zu treffen. Die Zugmeldungen unterliegen einer vereinfachten Behandlung. Über ihren Wortlaut, die Anwendung von Abkürzungen und ihre Eintragung in besondere Telegrammbücher, die Zugmeldebücher, bestehen eingehende Bestimmungen, die gewöhnlich in den Fahrdienstvorschriften (s.d.) bekanntgegeben sind. In ähnlicher Weise ist die Abgabe der B. geregelt, durch die die Ablassung von Sonderzügen oder der Ausfall von Zügen angeordnet wird, oder durch die Zugverspätungen (s.d.), Unfälle (s.d.), Betriebsstörungen (s.d.) u.s.w. den Stationen und sonst beteiligten Stellen bekanntgegeben werden. Endlich fallen unter die fahrdienstlichen Telegramme die B., die abgegeben werden, um Vorspannlokomotiven zu bestellen, Ersatz für schadhaft gewordene Lokomotiven anzufordern, Verstärkungswagen bereitzustellen und zahlreiche sonstige Maßnahmen vorzubereiten, für die im Fahrdienst unerwartet ein Bedürfnis aufzutreten pflegt[282] und die andernfalls unliebsame Verzögerungen erleiden würden.

Eine besondere Gattung der B. bilden die Wagenmeldungen. Sie dienen dazu, die Wagenverteilungsstellen täglich über den Wagenbestand und Bedarf der einzelnen Verbrauchsstellen zu unterrichten. Die Aufgabe und Beförderung der zahlreichen hierzu erforderlichen B. ist bis ins einzelne geregelt, ebenso wie die hierauf an die Stationen ergehenden telegraphischen Weisungen über die Absendung und Verwendung der Wagen (s. Wagenverteilung).

Die B. haben auf dem Bahntelegraphen das Recht der vorzugsweisen Beförderung vor anderen Telegrammen.

Auf den preußisch-hessischen Staatsbahnen ist für ihre Abtelegraphierung die nach stehende Reihenfolge vorgeschrieben:

a) Telegramme, die durch Eisenbahnunfälle oder durch außergewöhnliche, den Eisenbahnbetrieb beeinflussende Ereignisse veranlaßt werden;

b) Meldungen für die unmittelbare Durchführung des Zugverkehrs;

c) Meldungen, betreffend Störung der Bahn-, Telegraphen- und Signalanlagen;

d) Wagenmeldungen;

e) sonstige Eisenbahnbetriebs- und Verkehrs nachrichten.

Erst hierauf folgen die Staats- und Privattelegramme, soweit der Bahntelegraph für ihre Beförderung überhaupt in Frage kommt (s. Telegraph).

Nach den Bestimmungen der »Grundzüge der Vorschriften für den Telegraphen- und Telephondienst auf den österreichischen, ungarischen und bosnisch-hercegovinischen Eisenbahnen« zerfallen die auf den Betriebstelegraphen zur Beförderung gelangenden Mitteilungen dem Inhalt nach in folgende Klassen:

1. Betriebstelegramme und -phonogramme.

2. Staatstelegramme.

3. Diensttelegramme und Dienstnotizen, die den Dienst der Staatstelegraphenverwaltung und der Post betreffen und zwischen den Staatstelegraphenämtern und den Bahntelegraphenstationen gewechselt werden.

4. Privattelegramme.

Beim Zusammentreffen von Mitteilungen verschiedener Art sind diese in nachstehend angeführter Rangordnung zu befördern:

a) Uhrenzeichen;

b) Betriebstelegramme und -phonogramme, die die Bewegung der Züge betreffen;

c) Wagendirigierungstelegramme und -phonogramme;

d) die sonstigen unter b und c nicht genannten Betriebstelegramme und -phonogramme;

e) Staatstelegramme;

f) Diensttelegramme und Dienstnotizen;

g) Privattelegramme.

Die vielfachen Wechselbeziehungen, die der Übergangs- und Durchgangsverkehr (s.d.) von Bahn zu Bahn mit sich bringt, führen zu einem regen Austausch von B. zwischen den einzelnen Eisenbahnverwaltungen. Diese Benutzung des Bahntelegraphen hat sich auch über die Landesgrenzen hinaus ausgedehnt. In den Eisenbahnverbänden – Tarifverbänden, europäischen Wagenbeistellungskonferenzen – sind hierüber besondere Vereinbarungen getroffen. Im großen europäischen Durchgangsverkehr wird hiernach u. ä. das Aussetzen laufunfähiger Personen- oder Gepäckwagen der Wageneigentümerin telegraphisch mitgeteilt, so daß beispielsweise B. zwischen Triest und Vlissingen, zwischen Rom und Berlin, Paris und Hamburg auf dem Bahntelegraphen befördert werden. Die Staatsregierungen haben diesen Verkehr zugelassen, auch wenn sie sich, wie es die Regel bildet, den Bau und Betrieb der Telegraphenanlagen für den öffentlichen Nachrichtendienst vorbehalten haben. Im Interesse der Landesverteidigung nehmen sie nur das Recht für sich in Anspruch, den über die Landesgrenzen hinausgehenden Telegrammverkehr nötigenfalls zu überwachen. Im Gebiet des VDEV. ist der gebührenfreie Austausch der B. zwischen den Verwaltungen durch das »Übereinkommen, betreffend den Diensttelegrammverkehr auf den Telegraphenlinien des VDEV.« geregelt. Das Übereinkommen enthält auch ein Verzeichnis von Abkürzungen für die Aufschriften und Unterschriften der B.

Während die vorstehend besprochenen B. rein bahndienstliche Mitteilungen betreffen und als gebührenfreie Bahntelegramme – im VDEV. mit »F« bezeichnet – befördert werden, gelangen auf dem Bahntelegraphen auch gebührenpflichtige Bahntelegramme – mit der Bezeichnung »ST« – zur Beförderung. Es sind dies solche Telegramme, die in bestimmt festgesetzten Fällen – Vorausbestellung von Fahrkarten, Platzkarten, Bettkarten, Gepäckscheinen, Bestellung von Wagenabteilungen oder ganzen Wagen, Nachforschung nach verlorenen Gegenständen, Nachsendung von Reisegepäck, Vormeldung von Sendungen lebender Fische u.s.w. – auf Antrag von Reisenden oder Versendern durch die Eisenbahnbeamten aufgegeben werden. Diese Telegramme werden im Gebiet des VDEV. von allen Eisenbahnstationen,[283] u. zw. auch von solchen, die zur Annahme von Privattelegrammen nicht berechtigt sind, angenommen und auf Grund der Ausführungsbestimmung zu § 14 der DEVO. und der Allgem. Abf.-Vorschr., Teil I, §§ 6, 12 u. 13, befördert. – Soweit die Fassung des Telegramms den Eisenbahnbeamten überlassen wird, ist bei den deutschen Bahnen die Gebühr für die Vorausbestellung von Fahrkarten, Platzkarten und Gepäckscheinen sowie für die Vormeldung lebender Fische auf 25 Pf., für die übrigen Telegramme auf 50 Pf. ein für allemal festgesetzt. – Eine besondere Art von Telegrammen, die von Eisenbahndienststellen dem Bahntelegraphen zur Beförderung übergeben werden, sind die Güterdiensttelegramme. Sie sind in dringenden Verkehrsangelegenheiten an Empfänger oder Versender von Gütern gerichtet, werden im übrigen aber nicht als B., sondern als Privattelegramme behandelt.

Aus der Anordnung und Bestimmung der Telegraphen- und Fernsprechanlagen sowie aus den Dienstobliegenheiten der sie bedienenden Beamten ergibt sich vielfach von selbst, in welchen Fällen die Anlagen zu benutzen sind und welche Beamten hierzu sowie zur Aufgabe von B. berechtigt sind. In erster Linie dienen sie für die Leitung und Regelung des Fahrdienstes. Die in diesem Dienstzweig vorkommenden unverbindlichen Anfragen über den Lauf der Züge sowie die sonst mit dem Zugdienst in Zusammenhang stehenden Mitteilungen werden auf dem Telegraphen ebenso wie auf dem Fernsprecher vielfach ohne weitere Förmlichkeiten und Niederschriften vermittelt. Im übrigen bestehen aber eingehende Vorschriften über die Behandlung der B. und über die Berechtigung zu ihrer Aufgabe. In der Regel sind alle Eisenbahnbehörden, Verwaltungsstellen und deren Abteilungen, die höheren Beamten, die Vorsteher der Dienststellen und ihre Vertreter bis herab zum Blockwärter, der Störungen an den Bahnanlagen meldet, und Zugführer, der für seinen liegengebliebenen Zug Hilfe anfordert, zur Abgabe von B. berechtigt. Die hierzu nicht besonders berechtigten Beamten sind angewiesen, erforderlichenfalls die Vermittlung der zur Aufgabe von B. berechtigten Beamten in Anspruch zu nehmen. Bei der großen Zahl von Beamten, die hiernach den Bahntelegraphen in Anspruch nehmen können, ist eine Überwachung seiner Benutzung notwendig, um zu verhüten, daß der Telegraph durch B. belastet wird, deren Inhalt ebensogut auf schriftlichem Wege mitgeteilt werden kann. Andernfalls ist zu befürchten, daß der Telegraph überlastet wird und in einem Augen blick versagt, in dem besonders eilige fahr dienstliche Telegramme zur Beförderung ge langen sollen. Ebenso ist es zweckmäßig, darauf zu halten, daß bei der Abfassung der B. eine knappe und bestimmte Ausdrucksweise angewendet und die vorgeschriebenen Abkürzungen (s.d.) gebraucht werden. – Bei den preußisch-hessischen Staatsbahnen ist vor geschrieben, daß B., deren Beförderung bis zum Nachtdienst aufgeschoben werden kann, zur Entlastung der Telegraphenleitungen während des Tagesdienstes mit dem Vermerk: »Nachttelegramm« versehen und nachts abtelegraphiert werden.

Breusing.

Quelle:
Röll, Freiherr von: Enzyklopädie des Eisenbahnwesens, Band 2. Berlin, Wien 1912, S. 282-284.
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