Gleisbremse

[330] Gleisbremse (rail brake; sabot-frein glissant sur le rail; ceppo a freno di frenamento), Vorrichtung zum Verlangsamen des Wagenlaufes im Verschubdienst.

Beim Ablaufenlassen von Eisenbahnwagen auf geneigten Gleisen, insbesondere unter Benutzung von Ablaufbergen, ist es erwünscht, die Geschwindigkeit der einzelnen Fahrzeuge nach Bedarf vermindern zu können, ohne die Wagenbremsen – soweit solche überhaupt [331] vorhanden – benutzen zu müssen. Eine Verringerung der Ablaufgeschwindigkeit kann beispielsweise bei einem raschlaufenden Wagen, der einem Schwerläufer folgt, erforderlich werden, um einen Zusammenstoß zu vermeiden. Ferner ist es erwünscht, Wagen zu bremsen, die in ein größtenteils besetztes Gleis einlaufen, damit sie nicht mit allzu großer Wucht auf die dort stehenden Wagen auflaufen. Bei den G. älterer Bauart werden zum Bremsen Hemmschuhe benutzt, bei denen neuerer Bauart dagegen nicht.


Eine G. älterer Art, wie sie auf vielen Bahnhöfen zur Anwendung gekommen ist, ist in Abb. 254 dargestellt. Die eine Fahrschiene des Gleises ist bei y seitwärts abgebogen und ihre Fortsetzung nach Art einer Weichenzunge zugeschärft. Damit das Fahrzeug nicht entgleist, ist an der gegenüberliegenden Stelle ein Radlenker angebracht. Soll ein Wagen gebremst werden, so wird ein zweilaschiger Hemmschuh links von y etwa bei x auf die Schiene aufgelegt, in der die Abbiegung liegt. Das linke Vorderrad des vom Ablaufberg kommenden Wagens stößt auf den Hemmschuh auf und verliert dadurch sogleich oder nach kurzer Zeit seine Drehung; es gleitet dann auf dem Schuh weiter bis nach y, hier trennen sich die Wege: der Wagen läuft in gerader Richtung weiter, da das rechte Vorderrad durch den Radlenker geradeaus geführt wird. Der Hemmschuh, dessen Laschen den Schienenkopf beiderseits umfassen, wird dagegen durch die Ausbiegung seitwärts fortgeleitet und fällt in einen offenen Kasten H, den Hemmschuhfänger.

Bei einer ähnlichen Bauart wandte man, um die Unterbrechung der Fahrschiene bei y zu vermeiden, einlaschige Hemmschuhe an, die durch eine besondere, an einer Außenseite des Gleises befestigte Leitschiene geführt und an deren Ende durch einen Keil abgeworfen wurden.


Alle G., bei denen zur Bremsung des Wagens Hemmschuhe benutzt werden, haben eine Reihe von Nachteilen. Erstens ist ihre Bedienung gefährlich, da der Arbeiter die Hemmschuhe oft erst unmittelbar vor dem heranrollenden Wagen auf die Schienen legen kann. Sodann entstehen beim Auflaufen des Rades auf den Hemmschuh harte Stöße, die leicht zu Beschädigungen des Wagens und der Ladung Anlaß geben. Ferner kommt es zuweilen vor, daß der Hemmschuh abgeworfen wird (Versager) und endlich können unter Umständen Entgleisungen auftreten, z.B. wenn bei gleichzeitigem Ablaufen mehrerer Wagen der vorderste unbeladen ist. Diese Übelstände werden bei neueren G., die ohne Hemmschuh arbeiten, vermieden. Hierbei werden zwei innerhalb der Fahrschienen parallel geführte Bremsschienen, die etwa 5 cm über S. O. emporragen, gegen die innere Radreifenfläche gepreßt.


Ein Beispiel einer neueren G. ist in Abb. 255 dargestellt. Die Bremsschienen a können durch Druckstangen b und Winkelhebel c nach außen gedrückt werden. Die Winkelhebel sind durch Zugstangen d mit dem Haupthebel e verbunden; dieser ist durch ein endloses Seil s an ein Gewichtswerk angeschlossen. Dieses Werk, Antrieb genannt, enthält eine Seiltrommel S, die in einem Hebel h gelagert ist, der um den Punkt A schwingt. Das Bremsgewicht Q sucht mittels eines Seiles t das freie Ende des Hebels und damit die Seiltrommel stets nach oben zu ziehen. Durch eine Bandbremse läßt sich die Seiltrommel derart feststellen, daß sie sich nicht mehr um ihre Achse drehen kann; die Bewegung des Hebels h um den Punkt A wird dadurch nicht beeinträchtigt. Das vom Haupthebel e kommende endlose Seil s ist um die Seiltrommel S herum geschlungen; in das eine Trum ist ein leichtes Gegengewicht G eingeschaltet. Solange die Seiltrommel frei drehbar ist, bewirkt das Gegengewicht G eine Drehung des Haupthebels e nach links (entgegen der Pfeilrichtung) und damit eine Annäherung der Bremsschiene an die Fahrschiene. Soll die Bremse in Wirksamkeit treten, so wird die Bandbremse angezogen und damit ein Drehen der Seiltrommel um die eigene Achse verhindert. Fährt ein Wagen in die Gleisbremse ein, so werden die Bremsschienen a von den Radreifen nach innen gepreßt; dadurch wird der Hebel e in der Pfeilrichtung nach rechts gedreht. Da sich die Seiltrommel nicht um ihre Achse drehen kann, so wird sie herabgezogen und hebt das schwere Bremsgewicht Q in die Höhe; dadurch wird ein starker Gegendruck gegen die Räder ausgeübt.

Nach der Durchfahrt des Wagens gehen die Bremsschienen sofort in die Anfangsstellung zurück. Soll eine Bremsung unterbrochen oder überhaupt nicht[332] ausgeübt werden, so wird die Bandbremse gelöst. Dann dreht sich bei Bewegung des endlosen Seiles die Trommel S lediglich um ihre eigene Achse; der Hebel A S und damit das schwere Bremsgewicht Q bleiben in Ruhe; es wird nur das leichte Gegengewicht G gehoben; eine nennenswerte Bremsung wird dadurch nicht erzielt. Soll die Bremse vollständig ausgeschaltet werden, so wird mittels einer in der Abb. nicht dargestellten Kurbel die Seiltrommel in der Pfeilrichtung gedreht, das Gegengewicht G hochgehoben und der Haupthebel e so weit nach rechts gedreht, daß die Bremsschienen nicht mehr die Räder berühren (vgl. Zentralbl. d. Bauverw. 1902, S. 337).

Bei einer G. der beschriebenen Bauart, die von Lohse erdacht und von Stahmuer gebaut ist, waren die Bremsschienen je 15 m lang und wurden durch 10 Winkelhebel bewegt.

Neuerdings ist der Gewichtsantrieb durch einen hydraulischen ersetzt worden. Eine andere Anordnung ist nach dem Vorschlag von Dr. Ing. Sammet in Karlsruhe durch die Maschinenfabrik Bruchsal ausgeführt worden. Hierbei liegt eine Bremsschiene fest, die andere ist beweglich und wird durch Wickelfedern an die gegenüberliegende Fahrschiene gepreßt. Die Verbindung zwischen den Federn und der Bremsschiene erfolgt durch Kniehebel, die bei anliegender Bremsschiene im Totpunkt stehen; soll keine Bremsung erfolgen, so werden die Kniegelenke zum Einknicken gebracht.


G. mit Bremsschienen sind bereits vor längerer Zeit vorgeschlagen, aber bisher verhältnismäßig selten angewandt worden, z.B. von Willmann u. Co. bei den neuen Kohlenkippern im Ruhrorter Hafen.

Literatur: Hb. d. Ing. W. V, 4, 1, Leipzig 1907. S. 78. – Hb. des Eisenbahnmaschinenwesens Bd. II, Berlin 1908 S. 818.

Oder.

Abb. 254. Gleisbremse mit Hemmschuh.
Abb. 254. Gleisbremse mit Hemmschuh.
Abb. 255. Gleisbremse mit Bremsschienen.
Abb. 255. Gleisbremse mit Bremsschienen.
Quelle:
Röll, Freiherr von: Enzyklopädie des Eisenbahnwesens, Band 5. Berlin, Wien 1914, S. 330-333.
Lizenz:
Faksimiles:
330 | 331 | 332 | 333
Kategorien:
Ähnliche Einträge in anderen Lexika

Buchempfehlung

Stifter, Adalbert

Der Condor / Das Haidedorf

Der Condor / Das Haidedorf

Die ersten beiden literarischen Veröffentlichungen Stifters sind noch voll romantischen Nachklanges. Im »Condor« will die Wienerin Cornelia zwei englischen Wissenschaftlern beweisen wozu Frauen fähig sind, indem sie sie auf einer Fahrt mit dem Ballon »Condor« begleitet - bedauerlicherweise wird sie dabei ohnmächtig. Über das »Haidedorf« schreibt Stifter in einem Brief an seinen Bruder: »Es war meine Mutter und mein Vater, die mir bei der Dichtung dieses Werkes vorschwebten, und alle Liebe, welche nur so treuherzig auf dem Lande, und unter armen Menschen zu finden ist..., alle diese Liebe liegt in der kleinen Erzählung.«

48 Seiten, 3.80 Euro

Im Buch blättern
Ansehen bei Amazon

Buchempfehlung

Große Erzählungen der Spätromantik

Große Erzählungen der Spätromantik

Im nach dem Wiener Kongress neugeordneten Europa entsteht seit 1815 große Literatur der Sehnsucht und der Melancholie. Die Schattenseiten der menschlichen Seele, Leidenschaft und die Hinwendung zum Religiösen sind die Themen der Spätromantik. Michael Holzinger hat elf große Erzählungen dieser Zeit zu diesem Leseband zusammengefasst.

430 Seiten, 19.80 Euro

Ansehen bei Amazon