[760] Perthes, J. Der Begründer des bekannten geographischen Verlags Justus Perthes in Gotha war der am 11.9.1749 in Rudolstadt geborene Johann Georg Justus Perthes. Er widmete sich anfänglich dem Kaufmannsstande. 1778 ergriff er die Gelegenheit, mit dem herzoglich sächsischen Hofagenten Karl Wilhelm Ettinger und Johann Friedrich Dürfeldt eine »Handlungs-Sozietät« zu gründen behufs Weiterführung der damals in großer Blüte stehenden Ettingerschen Buchhandlung in Gotha und ihres Filialgeschäftes in Langensalza. Karl Wilhelm Ettinger hatte diese Firma 1775 von ⇒ Johann Christian Dietrich der nach Göttingen übersiedelte, käuflich übernommen und sie drei Jahre hindurch allein geführt; 1785 vergrößerte er das Geschäft durch Erwerb der ehemal. Weberschen Buchhandlung in Erfurt.[760] Der oben erwähnte Gesellschaftsvertrag war auf zehn Jahre abgeschlossen und erreichte im September 1785 sein Ende. Perthes, der die eigentliche geschäftliche Leitung der Gesellschaft besorgte, schied mit diesem Termin aus, um auf seine eigene Rechnung ein Verlagsgeschäft zu gründen. Dasselbe hat in den bescheidensten Verhältnissen seinen Anfang genommen.
Von der Ettingerschen Buchhandlung wurde dem jungen Perthes bei seinem Austritt der Verlag und Vertrieb des Gothaischen Hofkalenders und dessen Zwillingsbruders, des Almanach de Gotha, auf fünfzehn Jahre (Jahrgänge 1786-1800), doch unter Beibehaltung der Firma Ettinger auf dem Titel, überlassen. Mit Uebernahme des Hofkalenders hatte Perthes das richtige getroffen: Jahrzehnte hindurch bildet er den Mittelpunkt seines ganzen Geschäfts, und bis auf den heutigen Tag ist er einer der wichtigsten Faktoren selbst der geographischen Anstalt geblieben. Die große Lebenskraft dieser Publikation erkennend, widmete Perthes der Herstellung und Bekanntmachung derselben während der ersten vier Jahre des Bestehens seiner Firma seine ganz ausschließliche Tätigkeit. Der Hofkalender stand damals in seinem vierundzwanzigsten Jahrgang und fing an sich eines Weltrufes zu erfreuen; bereits wurde er nach Frankreich, Holland, England, Italien, Rußland, ja nach Amerika verbreitet und war damals schon, namentlich in den Zirkeln der vornehmen und eleganten Welt, sogar an manchen großen Höfen eine gewöhnliche Weihnachts- und Neujahrsgabe und wurde gern in geeigneten Fällen von hochstehenden Personen, sowie in der Diplomatie und in den Ministerien zu Rate gezogen. Sein damaliger Redakteur Justus Perthes' erster Autor war der Bibliothekar Herzogs Ernst II., Heinrich August Ottokar Reichard.
Mit Beginn des Jahres 1790, nachdem er den Kalender in sicheren Bahnen wußte, fing Perthes jedoch an, seinen Verlag wesentlich auszudehnen. Das erste mit seiner eigenen Firma auf dem Titel erschienene Buch »Hamberger, Merkwürdigkeiten bei der römischen Königswahl und Kaiserkrönung« war vom Glück begünstigt und erlebte drei kurz aufeinander folgende Auflagen. Gleichzeitig bereitete er auch eine größere periodische Publikation vor, den von Friedrich Schlichtegroll redigierten »Nekrolog, enthaltend Nachrichten von dem Leben merkwürdiger verstorbener Deutschen«, der von 1791 bis 1806 die stattliche Reihe von achtundzwanzig Bänden erreichte und zur Bekanntwerdung von Perthes Verlag in erster Linie beigetragen hat. 1792 folgte ein mindestens gleichbedeutendes Unternehmen, das »Journal der Erfindungen, Theorien und Wiedersprüche in der Natur- und Arzneiwissenschaft,« welches bis 1809 von Dr. A. F. Hecker und von da bis 1813 von Dr. C. A. Heinroth[761] herausgegeben wurde und sich unter beiden Redaktionen einer großen Autorität erfreute.
Aber auch Bücher theologischen und philosophischen Inhalts, geschichtliche Werke, Biographieen, moralische Erziehungsschriften, Traktate, Märchen und Anekdoten, ja selbst Spiele für Kinder erschienen fast mit jedem Jahr in größerer Anzahl und liefern den Beweis von der frischen Unternehmungslust ihres Verlegers. Als mit Ende 1800 der Pachtvertrag mit Ettinger über den Gothaischen Hofkalender ablief, gelang es Perthes, denselben auf weitere fünfzehn Jahre (Jahrgänge 1801-1815) zu erneuern, und das kleine elegante Buch gedieh auch während dieser neuen Periode unter Beibehaltung seiner alten Redaktion zu immer größerer Blüte und angesehenerer Stellung.
Das beginnende neunzehnte Jahrhundert drückte dem Perthesschen Verlag, der es bis dahin fast mit jedem Zweige der Literatur versucht hatte allmählich einen einheitlichen Charakter auf. Die Unternehmungen von 1801 waren vorbedeutend für die ganze weitere Entwicklung der Handlung, sie gaben ihr die Richtung auf das Geographische. Zunächst erschienen zwei für die damalige Zeit bedeutende Reisewerke, nämlich »Anton Pigavettas Beschreibung der von Magellan unternommenen ersten Reise um die Welt sowie »Diplomatische Geschichte des portugiesischen berühmten Ritters Martin Behaims.«
Einer der hervorragendsten Autoren der Firma war Adolf Stieler. Dieser war ein geborener Gothaer und als Legationsrat, Beamter des geheimen Archivs und als Mitglied gothaischer Gesandtschaften auch im Auslande tätig; doch folgte er schon früh seiner großen Neigung für Geographie und Kartenzeichnen und hat hierin wahrhaft Hervorragendes geleistet. Seine erste Arbeit für die Firma Justus Perthes bestand in einer »Karte von Deutschland nach dem Reichsschlusse vom 27. April 1803 mit den bis zum September 1804 erfolgten Veränderungen«; sie hatte zahlreiche und vielfach ausgezeichnete Fortsetzungen, unter denen sein großer Handatlas später eine hervorragende Stelle einnehmen sollte.
Leider war es Justus Perthes nicht mehr beschieden, diese seine größte Unternehmung, die seinen Namen bald in alle Lande trug und seiner Firma einen Weltruf verschaffte, noch in die Öffentlichkeit treten zu sehen. Er starb am 1.5.1816 nach kurzem Kranksein im achtundsechzigsten Lebensjahre. Zwei Jahre schon hatte ihm sein ältester Sohn Wilhelm Perthes helfend, fördernd und neuschaffend zur Seite gestanden, er übernahm jetzt ganz die Leitung der Firma.
Wilhelm Perthes wurde am 18.6.1793 zu Gotha geboren. Nach dem Besuche des Gymnasiums widmete er sich dem bürgerlichen[762] Gewerbe seines Vaters; er trat als Lehrling in die Buchhandlung seines nachmaligen Schwiegervaters Friedrich Perthes. Mit dem technischen Betriebe lernte er in diesem umfassenden, mit Leben und Geist betriebenem Geschäfte die Bedeutung des Buchhandels für den geistigen Verkehr kennen. Im März 1813 trat er in die hanseatische Legion ein, die sich zur Verteidigung Hamburgs gebildet hatte, und am 29. Mai verließ er mit derselben die unglückliche, von Franzosen und Dänen bedrohte Stadt. Er bestand die Mühseligkeiten und Gefahren des Feldzuges glücklich. Am 23.7.1814 kehrte Perthes zum Beistand seines Vaters nach Gotha zurück und übernahm nach dessen Tode die Buchhandlung desselben.
Von ganz besonderer Bedeutung für die Verlagshandlung wurde die Verbindung mit Professor Heinrich Berghaus und General Spruner von Mertz. Des ersten physikalischer und des letzteren historischer Atlas sind zwei Werke, die »sich dem geographischen Handatlas ebenbürtig anreihten und gleich wie dieser sich fortgebildet haben bis in die neueste Zeit, die epochemachend dastehen in der Geschichte der Erdkunde und ihrer Hilfswissenschaften.« Für die eigentlich kartographische Erdkunde gilt als Schöpfer Emil v. Sydow. Der von demselben in den Jahren 1842-44 herausgegebene »methodische Handatlas für das wissenschaftliche Studium der Erdkunde«, welcher in geschickter Weise den Buntdruck verwertete, sowie der später folgende Schulatlas desselben Kartographen vervollständigten den Perthes'schen Verlag in der zweckmäßigsten Art.
39 Jahre hatte Wilhelm Perthes an der Spitze des ausgedehnten Geschäftes gestanden, als ihn am 10.9.1853 der Tod abrief. Als Nachfolger übernahm sein Sohn Bernhard Perthes die Leitung der Geschäfte, welcher sich in Berlin, Hamburg, der Schweiz und durch Reisen in Frankreich und Italien für seinen Beruf ausgebildet hatte. Mit noch frischer Jugendkraft und richtiger Würdigung seines Erbteils ergriff dieser voll energischen Willens die Zügel des Geschäftes. Seine Idee war: auf Grund der Arbeit seiner Vorfahren einen Zentralpunkt zu schaffen, in dem die Mitteilungen aller geographischen Erforschungen und Entdeckungen der Welt zusammenströmen sollten, und diese wieder in jeder Weise dem Leben, der Schule und der Wissenschaft zugänglich zu machen. Eine Vergrößerung der bisherigen bescheidenen Geschäftslokalitäten, eine allseitige Vermehrung des Personals, eine Ausbreitung der verschiedenen technischen Anstalten, welche lediglich für das geographische Institut beschäftigt waren, bezeichneten den Beginn dieser neuen Ära des Geschäfts. Mühe und Kosten keiner Art scheuend, war es für ein Genuß, jugendliche Talente heranzubilden und durch unermüdliche Anstrengungen[763] und mannigfache fehlgeschlagene Versuche die Erzeugnisse seiner Pressen auf die Stufe der höchsten Vollkommenheit zu bringen.
Als seine wichtigste Aufgabe erachtete er zunächst das Heranziehen von wissenschaftlich hervorragenden Kräften an seine Anstalt, welche derselben nach Stielers und Bärs Tode und nach dem Austritt des Professors Berghaus doch in mancher Hinsicht fühlbar mangelten. Perthes hielt es daher für einen großen Gewinn, als es ihm zu Ende des Jahres 1854 gelang, Dr. Petermann, einen Schüler von Prof. Berghaus, der in London eine so bedeutende Stellung einnahm, für seine Anstalt zu gewinnen. Diesem folgte im Jahre 1856 die Übersiedelung des Hauptmanns von Sydow von Berlin nach Gotha, der sich seitdem mit allen Kräften der Perthes'schen Anstalt widmete.
Es schien Perthes zunächst Bedürfnis, dem geographischen Institut eine eigene Zeitschrift zu schaffen, und so sehen wir im Anfang des Jahres 1855 die »Mitteilungen aus Justus Perthes' geographischer Anstalt über wichtige neue Erforschungen auf dem Gesamtgebiete der Geographie« unter Redaktion des Dr. Petermann entstehen.
Die steigende Verbreitung, welche die für die Schule bestimmten Kartenwerke seines Verlages im deutschen Vaterlande fanden und hier gewiß wesentlich zur Hebung und Förderung des noch vielfach im Argen liegenden geographischen Unterrichts beitrugen, veranlaßte Perthes, die Mangelhaftigkeit eines derartigen Unterrichtsmaterials auch in außerdeutschen Ländern erkennend, die in Deutschland zu so allgemeiner Anerkennung gelangten Schulatlanten durch besondere Ausgaben auch dem Auslande brauchbar zu machen. Aus diesem universellen Streben, das deutscher Wissenschaft und den deutschen Pressen auch im Auslande gebührende Anerkennung zu verschaffen suchte, gingen die russischen und englischen Ausgaben des Sydow'schen Wandatlas, die schwedische und englische der Stülpnagel'schen Wandkarte von Deutschland, die russische und schwedische von Sydows Schulatlas, die englische von Menkes atlas antiquus hervor, nachdem von Stielers Schulatlas eine Ausgabe für Schweden und eine Ausgabe für Italien bereits im Jahre 1852 begonnen wurden, wovon die letztere im Jahre 1855 zur Vollendung gedieh. Daneben liefen verschiedene selbständige Werke, wie Bachs geognostische Karte von Deutschland, eine Muster des lithographischen Buntdrucks, Braun's Kunstmythologie und das Reisewerk des Dr. Barth.
Die Verdienste des Verstorbenen wurden durch die verschiedensten Auszeichnungen anerkannt, auch bekleidete er von 1854 bis 1856 als Mitglied des Börsenvorstandes das Amt des Schatzmeisters; im Jahre 1856 noch wurde er zum Mitglied der K. geographischen Gesellschaft[764] in St. Petersburg, im Anfang des Jahres 1857 von dem Herzog von Sachsen-Coburg-Gotha zum Hofrat ernannt.
Ein mehrwöchentliches Nervenleiden raffte den unermüdlich tätigen Mann am 27. Oktober 1857 hinweg, das Geschäft seinen unmündigen Kindern zurücklassend, für die nunmehr Adolph Müller, der seit 1853 bereits als Prokurist Perthes zur Seite gestanden hatte, die Handlung weiter führte, im Verein mit dem kurze Zeit später eingetretenen ⇒ Rudolf Besser.
Adolph Müller war am 15.5.1820 zu Berlin geboren und in Potsdam aufgewachsen. Er begann seine Laufbahn in der Eichlerschen Buchhandlung und kam später in das Perthes-Besser & Maukesche Geschäft in Hamburg. Dort lernte ihn Bernhardt Perthes kennen und schätzen; die Folge war, daß er ihn 1853 von Leipzig, wo er damals tätig war, nach Gotha berief. An der Wahl dieser Persönlichkeit bewährte sich der Scharfblick von Bernhardt Perthes für Menschen in außergewöhnlichem Maße; denn er hatte wirklich wie er sich selbst äußerte, in ihm einen »Schatz« gefunden. Kaum anderthalb Monate nach seinem Eintritt in die Handlung erteilte ihm Perthes Prokura, und bald entwickelte sich ein wahres Freundschaftsverhältnis zwischen beiden passend einander ergänzenden Männern, sodaß Perthes nichts wichtiges entschied, ohne seinen Gefährten vorher befragt zu haben.
Rudolf Besser stammte aus Hamburg, wo er am 6.3.1811 geboren wurde. Er bestand seine Lehrzeit in der Handlung seines Vaters, der bekannten Firma »Perthes-Besser & Mauke« und ging dann in die Welt. Nachdem er zunächst in Wien und Stuttgart sich weiter gebildet hatte, lernte er auch den Buchhandel des Auslandes in Paris und London kennen, und kehrte 1835 nach Hamburg zurück, um Teilhaber des väterlichen Geschäfts zu werden. Des Sortimentshandels nach achtzehnjähriger fleißiger Arbeit müde geworden, siedelte er 1853 nach Stuttgart über, wo er den Scheitlinschen Verlag käuflich an sich brachte und durch gute Unternehmungen erweiterte. Am 1.1.1858 übernahm er im Verein mit Müller die Leitung der Perthesschen Anstalt; er trat als Teilhaber in die Firma ein.
Zu den neuen Unternehmungen, welche die Firma Justus Perthes ihren älteren und bewährten Publikationen anreihte, gehören in erster Linie die »Ergänzungshefte« der Petermannschen Mitteilungen, deren erstes Heft 1860 erschien; es folgten der »allgemeine Missionsatlas« des Pastors Dr. Grundemann, der »Atlas antiquus« von Spruner-Menke, der »Handatlas für die Geschichte des Mittelalters und der neueren Zeit« von Menke etc. Am 15.2.[765] 1880 starb plötzlich Adolph Müller. Rudolph Besser zog sich 1881 in den Ruhestand zurück und hat in demselben noch zwei Jahre verbracht, bis er am 11.8.1883 in Engelberg in der Schweiz seinem Geschäftsgenossen unerwartet schnell in den Tod folgte.
Inzwischen hatte der damals 27jährige Bernhard Perthes (II) die Leitung des umfangreichen Geschäftshauses übernommen, in dessen Besitz es sich auch heute noch befindet.
Quellen: Festschrift zum 100jähr. Geschäftsjubiläum, Gotha 1885.
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Der satirische Roman von Christoph Martin Wieland erscheint 1774 in Fortsetzung in der Zeitschrift »Der Teutsche Merkur«. Wielands Spott zielt auf die kleinbürgerliche Einfalt seiner Zeit. Den Text habe er in einer Stunde des Unmuts geschrieben »wie ich von meinem Mansardenfenster herab die ganze Welt voll Koth und Unrath erblickte und mich an ihr zu rächen entschloß.«
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