[78] Athamas (Gr. M.), König von Böotien, Sohn des Aeolus und der Enarete, beherrschte ein kleines Reich um Orchomenus, und hatte sich auf Geheiss der Juno vermählt mit Nephele, deren Abkunft uns nicht angegeben wird, und welche ihm den A., den Phrixus und die Helle gebar. A. liebte des Cadmus Tochter Ino, und verstiess daher seine Gemahlin, um jene zu nehmen, welche von ihm den Learchus und den Melicertes gebar. Als böse Stiefmutter sann Ino auf Ränke, die Kinder der Nephele aus dem Wege zu räumen. Sie veranlasste Misswachs dadurch, dass sie das Saatgetreide dörrte, und die Frauen des Landes beredete, ihr diess nachzuthun, so dass es nicht keimen und wachsen konnte. A. liess das Orakel nach der Ursache fragen, und die durch Ino bestochenen Boten brachten die Antwort, die Kinder der Nephele seien Verächter der Götter und müssten diesen geopfert werden. A., zugleich oberster Priester seines Reiches, sollte selbst das schreckliche Opfer verrichten, als Nephele vom Olymp herabstieg und ihren Kindern Rettung brachte, indem sie ihnen einen Widder mit goldenem Fell zuführte, welcher reden konnte und durch die Luft flog. Dieser entführte auf seinem Rücken die unglücklichen Schlachtopfer, doch Helle stürzte in den Pontus, welcher nach ihr Hellospontus genannt ward, und ertrank, während Phrixus nach Colchis kam. Eine Dienerin der Ino verrieth die Betrügerei. Der König kam hierüber in den wildesten Zorn, so dass er nach einer Sage, die von der Flucht des Phrixus und der Helle nichts weiss, Ino und deren beide Kinder dem Phrixus übergab, um sie zu tödten. Ehe jedoch dieses geschehen konnte, wurden die Bedrängten von Bacchus aus Dankbarkeit[78] dafür, dass Ino ihn aufgezogen, ihrem Feinde entrückt. Nach anderer Sage, welche von der Entdeckung des Betruges der Ino nichts erwähnt, verliert A. Ino und ihre Kinder durch den Zorn der Juno, den sein Haus gerade dadurch auf sich geladen hatte, dass in demselben Bacchus, das Kind der der Juno verhassten Semele von Jupiter, erzogen worden war. Sie machte beide Gatten rasend, so dass A. seinen Sohn Learchus für ein Reh ansah und erschoss, oder ihn für einen Löwen hielt und ihn an einem Steine zerschmetterte, die Mutter aber mit ihrem zweiten Sohne, Melicertes, von einem Felsen des Isthmus in das Meer sprang, in dessen Schooss sie, auf Bacchus' Bitte, von Neptun lebend aufgenommen und dann als Meeresgöttin Leucothea, Melicertes aber als Palämon verehrt wurde. - A. musste nun der Blutschuld wegen flüchtig werden, und fragte desshalb das Orakel, wo er sich niederlassen sollte. Die Antwort war: da, wo er von wilden Thieren würde gastlich bewirthet werden. Nach langem Umherirren traf er Wölfe an, die Schafkeulen verzehrten. Als sie ihn sahen, verliessen sie ihre Beute und flohen. An diesem Punkte baute er sich daher an, nannte das Land Athamantia, und vermählte sich mit Themisto, einer Tochter des Hypseus, Königs der Lapithen, und erzeugte mit ihr Schöneus, Erythrius, Leucon und Ptous. - Eine vom Vorigen abweichende weitere Sage erzählt, Ino, statt im Meere als Göttin zu walten, sei vielmehr mit den Bacchantinnen in den Schluchten des Parnassus umhergeirrt. Als A. diess erfuhr, liess er sie heimlich holen. Themisto, hierüber zornig, beschloss, die Kinder der Ino zu ermorden; daher liess sie dieselben in einer Nacht mit schwarzen Decken zudecken, während die ihrigen unter weissen schliefen. Ino verwechselte diese Abzeichen; Themisto ermordete in der Nacht ihre eigenen Kinder, und erhängte sich dann aus Gram über ihre Frevelthat. - Nach diesem schrecklichen Ende war es Venus, welche Neptun bat, Ino, der Göttin Enkelin, aufzunehmen unter die Götter, was er that, ihr den Namen Leucothea und ihrem Sohne den des Palämon beilegend. Schon bei Homer kommt die vergötterte Ino als Leucothea vor, ein Beweis vom hohen Alter der Sage. - A.s Namen führt noch einer seiner Enkel, von welchem jedoch weiter nichts bekannt ist, als dass er eine Colonie der Orchomenier nach Asien, nach der Stadt Teos führte.