Minos

[337] Minos (Gr. M.),

1) der Erste dieses Namens, Sohn des Jupiter und der Europa, König von Creta, welches er gemeinschaftlich mit seinen Brüdern, Sarpedon und Rhadamantus, bewohnte, bis Sarpedon um des Miletus willen, den er und M. liebten, die Insel verliess. Seine Gerechtigkeit machte ihn bei den Göttern so beliebt, dass er Richter der Seelen in der Unterwelt wurde, und sie ihn schon bei seinem Leben ihres Vertrauens und ihres Umgangs würdigten, wie denn alle Gesetze, welche er seinem Volke gab, durch Jupiter selbst ihm dictirt sein sollen.

2) M. der Zweite, Sohn des Lycastus und Enkel des ersten M. Seine Gemahlin war Pasiphaë, die Tochter des Helios und der Perseïs; sie gebar ihm den Deucalion, Catreus, Glaucus, Audrogeos, die Acalle, Ariadne, Xenodice und Phädra, ausser welchen M. von Nebenfrauen noch mehrere andere Kinder hatte. Androgeos ward in Athen hinterlistig von Aegeus ermordet, desshalb überzog der König die Stadt mit Krieg, und Jupiter strafte sie mit Hungersnoth und Pest, welche nicht aufhörte, bevor die Athener sich bequemten, dem M. diejenige Genugthuung zu leisten, die er verlangte, und diese bestand darin, dass sie alle neun Jahre sieben Jünglinge und sieben Jungfrauen zu geben hatten, so lange der Minotaurus lebte, welchem sie zur Nahrung bestimmt waren; dieses geschah, bis Theseus erwachsen war und mit nach Creta ging. M. zog sich den Zorn des Neptun zu, welcher ihm früher sehr günstig gewesen. Als nämlich der Beherrscher von Creta, Asterion, gestorben war, suchte M. die Herrschaft an sich zu reissen, und um das Volk für sich zu gewinnen, sagte er, die Götter würden ihm jeden Wunsch gewähren; er bat den Neptun, einen Stier aus den Fluthen steigen zu lassen, damit er ihm ein würdiges Opfer bringen könne, und seine Bitte ward erfüllt; das Wunder bewog die Creter, ihn zum Könige zu wählen; da er jedoch den Stier nicht opferte, sondern ihn zu seinen Rinderheerden brachte, bewirkte der erzürnte Gott, dass sich Pasiphaë in ihn verliebte, er darauf wüthend ward und Alles zerriss, bis Hercules ihn lebendig fing und nach Griechenland brachte. Derjenige, durch dessen Hülfe M.' Gattin ihre Wünsche befriedigte, war Dädalus, an welchem daher M. Rache zu nehmen beschloss, doch entfloh derselbe und zwar, da M., diess zu verhindern, die ganze Insel rings besetzt hatte, durch die Luft, indem er sich Flügel machte und auf diesen davon flog. M. verfolgte ihn bis zum König Cocalus in Sicilien, hier aber ward er auf des Dädalus Veranstaltung im Bade erstickt.

Quelle:
Vollmer, Wilhelm: Wörterbuch der Mythologie. Stuttgart 1874, S. 337.
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