Kammer, die

[1480] Die Kammer, plur. die -n, Diminut. das Kämmerchen, Oberd. Kämmerlein.

1. In der weitesten und eigentlichsten Bedeutung, ein jeder hohler Raum, eine Höhle; in welcher Bedeutung es nur noch in einigen einzelnen Fällen üblich ist. Fehlerhafte Gruben in der Seele einer Kanone oder eines andern Geschützes heißen Kammern. In einem andern Verstande ist die Kammer die hinterste Höhle eines Mörsers oder einer Haubitze, worein das Pulver geladen wird, S. Kammerstück. In der Landwirthschaft wird eine leere Stelle an dem Kummet, woraus man die Füllhaare gezogen hat, weil sie das Pferd drückten, eine Kammer genannt. Die Höhlung der Schwanzschraube an einem Schießgewehre heißt die Kammer. Die Höhlen der Thiere unter der Erde sind sehr häufig unter dem Nahmen der Kammern bekannt, so wie die Höhlen in dem Herzen unter dem Nahmen der Herzkammern. Im mittlern Lateine ist Camara eine Scheide.

2. Ein eingeschlossener Raum; gleichfalls nur noch in einigen einzelnen Fällen. So pflegen die Jäger den mit dem Zeuge umstellten Ort in einem Jagen zunächst an dem Auslaufe, in welchen das eingetriebene Wild in die Enge gebracht wird, die Kammer zu nennen. In engerer Bedeutung bezeichnete es ehedem einen oben gewölbten, mit einem Gewölbe eingeschlossenen Raum, in welcher Bedeutung schon das Griech. καμαρα, das mittlere Latein. Camera, und das alt Franz. Cambry, vorkommen. S. auch Kammerwagen.

3. In engerer Bedeutung, ein jedes Zimmer oder abgetheilter Theil eines Hauses.

1) Im weitesten Verstande für Zimmer; im mittlern Lat. Camera, Franz. Chambre, Ital. Camera, welches Wort selbst mit Kammer verwandt ist.

(a) In dieser Bedeutung, in welcher es dem weitesten Umfange nach für sich allein im Hochdeutschen veraltet ist, kommt es noch häufig in der Deutschen Bibel vor. Und Benhadad flohe in die Stadt von einer Kammer in die andere, 1 Kön. 20, 30; und so in andern Stellen mehr. Es ist hier nur noch in den Zusammensetzungen Schatzkammer, Kunstkammer, Naturalien-Kammer, Antiquitäten-Kammer, Gewehrkammer u.s.f. üblich, wo es vermuthlich wohl zunächst die vorige Bedeutung eines Gewölbes hat, obgleich dergleichen Kammern nicht alle Mahl mehr Gewölbe, sondern oft nur große lange Säle sind, da sie denn am häufigsten Gallerien genannt werden. Die Silberkammer ist an den Höfen, ein Behältniß oder großes Zimmer, worin das Silbergeschirr verwahret wird, die Lichtkammer, ein Zimmer zur Aufbewahrung der Lichter u.s.f. Auf eben diese Art ist die Kammer-Musik, im Gegensatze der Kirchen- und Theater-Musik, diejenige Musik, welche in den Zimmern aufgeführet wird, wo denn einige neuere Tonkünstler auch das einfache Kammer, nach dem Muster des Franz. Chambre, im Singular wieder eingeführet haben. Stücke, welche ausdrücklich für die Kammer gesetzt sind, in Zimmern aufgeführet zu werden. Die freye musikalische Schreibart herrscht auf dem Theater und in der Kammer. Wo eben nicht bloß fürstliche Zimmer zu verstehen sind. S. Kammer-Musik, und Kammer-Styl.

(b) Figürlich bezeichnet es alsdann auch die sämmtlichen zur Aufsicht über ein solches Zimmer und die darin befindlichen Sachen bestellten Personen. So gehören zur Hof-Silberkammer[1480] in Dresden, der Silberkämmerer, der Silberdiener, der Silberschreiber, die Silberwäscherinn u.s.f.

2) In engerer Bedeutung.

(a) Die Wohnzimmer eines Fürsten; im mittlern Lateine Camera, Franz. Chambre, Schwed. Kamar. (α) Eigentlich, in welcher Bedeutung es nur in den Zusammensetzungen Kammerherr, Kammerjunker, Kammerdiener, Kammerlackey, Kammerpage u.s.f. üblich ist, solche Personen zu bezeichnen, welche zur nächsten Bedienung des Herren in seinen geheimen Zimmern bestimmt sind, zum Unterschiede von ähnlichen Personen, deren Titel mit Hof- zusammen gesetzet sind. Kammer- bedeutet in solchen Zusammensetzungen so viel als in andern das Wort Leib- obgleich auch Fälle vorkommen, wo beyde noch verschieden sind. In vielen Fällen, in welchen man ehedem das Wort Kammer in diesem Verstande gebrauchte, ist jetzt das Franz. Cabinett eingeführet. (β) Figürlich auch die zur nächsten Bedienung der Person eines großen Herren in den Zimmern seiner Residenz gehörigen sämmtlichen Personen. So bestehet die Kammer des Churfürsten von Sachsen aus den Kammerpagen, dem geheimen Secretär, dem Secretär, dem Cassirer, dem geheimen Kämmerier, den Kammerdienern, dem Friseur, dem Leibschneider, dem Kammerthürhüter und andern geringern Personen; worunter manche noch von denen verschieden sind, welche auf der Reise und auf der Jagd gebraucht werden.

(b) Das Zimmer, worin die Einkünfte eines Fürsten oder einer Gemeinheit verwahret werden. (α) Eigentlich; im mittlern Lat. Camera, welches in dieser Bedeutung schon bald nach den Zeiten Carls des Großen vorkommt, weil die großen Herren ihre Einkünfte und Schätze ehedem unmittelbar in ihren Wohn- und Schlafzimmern zu verwahren, und gemeiniglich auch selbst zu verwalten pflegten; im mittlern Griech. κοιτων. Camera est locus, in quem thesaurus recolligitur, vel conclave, in quo pecunia reservatur, heißt es bey dem Ockam. Kamerhort bedeutet bey einem der Schwäbischen Dichter einen geheimen Schatz. In dieser Bedeutung ist es heut zu Tage veraltet, wo es (β) nur noch figürlich ein Collegium der zur Verwaltung der landesfürstlichen Einkünfte bestellten Räthe und Bedienten bezeichnet; wo es doch fast in jedem Lande auf andere Art eingeschränkt und eingerichtet ist. In Manchen Provinzen hat die Kammer, oder wie sie auch heißt, die Hofkammer, die Rentkammer u.s.f. die sämmtlichen Einkünfte eines Landesherren zu verwalten, in andern nur die so genannten Kammer- oder Tafelgüter, in andern noch andere Zweige der Einnahme. In manchen Provinzen ist sie das oberste Collegium in solchen Angelegenheiten, welche die Einkünfte eines Landesherren betreffen; in manchen aber ist sie einem besondern Finanz-Collegio oder einem andern untergeordnet. In einigen ist sie von der Rentkammer oder Renterey nicht verschieden; in andern machen diese einen untergeordneten Theil derselben aus. S. Kammer-Collegium und viele der folgenden Zusammensetzungen, wo ich diese Art der Kammer der Finanz-Kammer nennen will, um sie von andern Arten zu unterscheiden. Kleinere Herren, Städte, Gemeinheiten u.s.f. nennen ein solches Collegium gemeiniglich die Kämmerey. (γ) Der öffentliche Ort, wo sich die zu einem Kammer-Collegio gehörigen Personen versammeln. Auf die Kammer gehen. Von der Kammer kommen. Bey kleinern Herren und Gemeinheiten gleichfalls die Kämmerey. (δ) Die zu den unmittelbaren Bedürfnissen eines Landesherren und seines Hofstaates gehörigen Güter und Einkünfte selbst; im mittlern Lat. Camera. Doch nur noch in einigen Zusammensetzungen. S. Kammerknecht.[1481]

(c) Ein Zimmer oder Gebäude, in welchem sich die zur Handhabung des Rechtes und der Gerechtigkeit bestimmten Personen versammeln. (α) Eigentlich; eine größten Theils veraltete Bedeutung, welche nur noch in denjenigen Orten üblich ist, wo dieses Wort in der folgenden Bedeutung gebraucht wird. (β) Figürlich, ein solches Collegium selbst; wo es nur noch in einigen Fällen üblich ist. Das vornehmste Collegium dieser Art ist die kaiserliche und des Reiches Kammer zu Wetzlar, das höchste Reichsgericht über die Reichsstände und ihre Unterthanen, welches vollständiger das Kammergericht genannt wird. Nach dem Muster dieses Gerichtes errichteten verschiedene Reichsstände in ihren Landen solche Kammern oder Kammergerichte, welche theils noch vorhanden sind, theils andern ähnlichen Collegiis haben Platz machen müssen, theils gar sehr verändert und eingeschränket worden sind. S. Kammergericht. Da diese Gerichte anfänglich die höchsten Gerichte eines Landes waren, so scheinet es, daß mit ihrer Benennung zunächst auf die Wohnzimmer des Landesherren gesehen worden, um dadurch ihre Unabhängigkeit von andern Gerichten, außer dem Landesherren selbst, zu bezeichnen. Hingegen ist in einigen Niedersächsischen Städten, so wie in Schweden, die Kammer ein Untergericht, welches unter dem Vorsitze des Kämmerers oder Kämeners in Injurien- und Ehesachen erkennet, und auch das Kämmereygericht genannt wird.

(d) Ein kleineres verwahrtes Zimmer über der Erde ohne Ofen, in welcher Bedeutung es im gemeinen Leben am üblichsten ist; im Nieders. Kamer. Dadurch, daß es über der Erde ist, unterscheidet es sich von einem Keller, durch den Mangel des Ofens von einer Stube, durch die geringere Größe von einem Saale oder Boden, und durch die bessere Verwahrung von einem Stalle. In einer Kammer schlafen, wohnen. Nach Maßgebung des verschiedenen Gebrauches bekommt es besondere Nahmen; z.B. Speisekammer, Holzkammer, Vorrathskammer, Rollkammer, Milchkammer, Rauchkammer, Bettkammer, Kohlenkammer, Schlafkammer u.s.f. welche letztere man im engsten Verstande unter der Kammer schlechthin verstehet.

Anm. Bey dem Kero bedeutet Chamara eine Zelle, bey dem Ottfried Kamaru, im Tatian Kamara und bey dem Notker Chamer, ein jedes Zimmer, im Engl. Chamber, im Franz. Chambre, im Ital. Camera, im Böhm. und Pohln. Komora, im Wallachischen Kumpa, im Alban. Kumpe. Die meisten sind in der Ableitung dieses Wortes auf das alte Bretagnische Camm, krumm, cammo, ich krümme, Griech. καμπτω, gefallen, und erklären es durch ein gewölbtes Zimmer; worin ihnen schon Papias vorgegangen ist. Camera, heißt es bey ihm, a curvitate dicta, est enim volumen introrsum respiciens. Camera quia camura, i.e. curva, dicitur lapidea domus. Allein aus den beyden ersten Bedeutungen erhellet, daß man noch ein wenig weiter hinauf gehen müsse; zumahl es schon Kero, einer unserer ältesten Schriftsteller, bloß von einer Zelle gebraucht. Doch auch bey dem Begriffe einer Höhle findet der Begriff der Krümme Statt, man wollte es denn lieber von bedecken herleiten, da es denn zu Heim gehören, ja seiner ersten Hälfte nach nur eine härtere Aussprache dieses Wortes seyn würde. Im Lappländ. ist Kiemi eine Hütte. Zur weitesten Bedeutung gehöret auch das noch hin und wieder übliche Kieme, ein Fischohr, S. dasselbe. Die Herzkammer heißt in den alten Friesischen Gesetzen Hertchamon. Die Sylbe -er ist die gewöhnliche Ableitungssylbe, welche ein Werkzeug, oft aber auch ein handelndes Ding selbst bedeutet. Kammer würde also einen Ort bedeuten, der etwas verbirget, oder zu verbergen geschickt ist; eine Bedeutung,[1482] aus welcher sich alle andere sehr natürlich und ungezwungen herleiten lassen.

Quelle:
Adelung, Grammatisch-kritisches Wörterbuch der Hochdeutschen Mundart, Band 2. Leipzig 1796, S. 1480-1483.
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