[26] Der Sachsenspiegel ist eine Privatsammlung der Rechte und rechtlichen Gewohnheiten, welche im Mittelalter in Deutschland, besonders aber in Sachsen und den Landen des Sächsischen Rechts, d. h. Friesland, Westphalen, Hessen, Niedersachsen, Brandenburg, Pommern, der Lausitz, Schlesien, Böhmen und Mähren, gesetzliche Kraft hatten; sie führt den Namen Spiegel, weil damahls jedes nützliche Buch, das rechtliche oder andere Vorschriften enthielt, so genannt wurde. Da nach dem Abgange der Carolingischen Regenten Deutschlands die von denselben gegebenen Gesetze ihre Anwendung verloren und die Nachfolger aus dem Sächsischen und Schwäbischen Hause den Ständen die gesetzgebende Gewalt überließen; da Lehnssysteme und Aufkommen der Landeshoheit eine ganz andere Verfassung eingeführt, Faustrecht und Unordnungen aller Art die Reste der Gesetzmäßigkeit verdrängt und die ziemlich weit verbreiteten Römischen und päpstlichen Rechte (s. die Art. Corpus Juris und Canonisches Recht im 1. Theile) die Gültigkeit der vaterländischen Gesetze untergraben hatten, überhaupt aber das, was Rechtens war, ganz den willkührlichen Aussprüchen unwissender Schöppen (s. Schöppen) überlassen wurde: so war es eine große Wohlthat für Deutschland, daß durch diese Sammlung dem Untergange der ächt Deutschen Rechte vorgebeugt und dem Eindringen fremder, damahls ganz falsch verstandener Gesetze Einhalt gethan wurde. Der Verfasser, ein Sächsischer Edelmann, Eyke von Repgow (nach Andern Epko von Repkau) sammelte die Reste der Gesetze, die vorhandenen Urthelssprüche [26] und Gewohnheiten und einige Sätze des Römischen und canonischen Rechts, und gab darüber binnen 1215 und und 1235 ein Werk in der alten Sächsischen Mundart heraus, welches er Sachsenspiegel nannte, und in 2 Abschnitte, Landrecht, d. h. bürgerliches u. peinliches Recht (in drei Büchern) und Lehnrecht, theilte. (Späterhin fügte man noch den Richtsteig des Landrechts und Lehnrechts, d. h. eine Proceßordnung, hinzu. S. d. Art. Richtsteig.) Freilich vermissen wir hierin allen Plan; und die Beispiele von Aberglauben, Mangel an Philosophie und historischer Kenntniß sind sehr häufig: aber in rechtlicher Rücksicht ist seine Arbeit sehr zuverläßig; und sie wurde daher, ob sie gleich bloße Privatsammlung war und der Papst ihrer Ausbreitung, wegen mehrerer freimüthiger Aeußerungen gegen den Römischen Stuhl, sehr große Hindernisse in den Weg legte, dennoch bald die allgemeine Norm der Entscheidungen, verbreitete sich in allen oben angegebenen Ländern, selbst in Pohlen, Dänemark und mehrern auswärtigen Staaten, erhob die Deutsche Gesetzgebung auf Unkosten der fremden, und ist noch jetzt der Grundstein des Sächsischen Rechts. Die öffentliche Einführung des Römischen und canonischen Rechts (1495), so wie die neuern und bessern Sächsischen Gesetze, brachten es aber dahin, daß jetzt nur wenige Stellen des Sachsenspiegels als practische Vorschriften gelten. Auch machte man für das ganze übrige oder südliche Deutschland, wahrscheinlich innerhalb der Jahre 1268 und 1282, eine ähnliche Privatsammlung unter dem Namen Schwabenspiegel, welche beinahe gleich großes Ansehn erhielt, deren ursprüngliche Form uns aber nicht mehr bekannt ist, weil das Werk an vielen Orten sehr abgeändert wurde, überhaupt aber in Oberdeutschland oder den Landen des Schwäbischen und Fränkischen Rechts die Rechte nie so übereinstimmend und beständig waren als in Niederdeutschland. Auch von diesem Werke erlosch der practische Gebrauch zu Ende des funfzehnten Jahrhunderts und im sechzehnten Jahrhund. fast gänzlich.