[252] Die Jacobiner. Diese berüchtigten Menschen haben zwar als Gesellschaft zu wirken aufgehört: allein man würde sich sehr irren, wenn man glaubte, daß ihre Grundsätze und Meinungen in Frankreich ganz und gar keinen Einfluß mehr hätten; sie sind immer in Geheim noch sehr thätig, und widersetzen sich auch wohl zuweilen öffentlich den Maßregeln der Regierung, wenn sie in einer Stadt die stärkere Partei ausmachen. Wenn man die Geschichte ihrer Entstehung und Vergrößerung untersuchen und zugleich den höchsten Zweck, den sie in der jedesmahligen Lage der Dinge beabsichtigten, bestimmen will; so muß man mehrere Perioden unterscheiden, und die verschiedenen Gattungen der Jacobiner sorgfältig von einander absondern. Diese Gesellschaft erlitt überhaupt so viele Veränderungen, daß die Jacobiner von 1789 mit den Jacobinern von 1794 nichts als den Namen gemein haben. Man kannte schon vor der Revolution in Paris gewisse Gesellschaften, die in der Absicht zusammen kamen, um sich gegenseitige Ideen über bestimmte politische Gegenstände mitzutheilen. Diese Gesellschaften waren besonders seit dem Amerikanischen Kriege aufgekommen, hatten aber weiter keinen öffentlichen Einfluß, als daß sie die Ideen von Freiheit und Gleichheit im Allgemeinen mehr in Umlauf brachten. Im Jahre 1789 vervielfältigten sie sich unter verschiedenen Namen; am bekanntesten wurde aber die nähere Verbindung, welche die von der ehemahligen Provinz Bretagne zur National-Versammlung geschickten Deputirten, zu welchen sich bald die Deputirten einiger anderer Provinzen schlugen, unter sich eingingen. Diese Männer hatten zur Absicht, sich den Maßregeln der Regierung entgegen zu setzen und jeder despotischen Anstalt, wozu die Hofpartei im Juni 1789 gefährliche Vorkehrungen traf, aus allen Kräften zu trotzen. Als die National-Versammlung ihre Sitzungen nach Paris verlegt hatte, und Mirabeau, der zu den Häuptern jenes Clubs gehörte, immer noch nicht dem schwankenden Benehmen des Hofes traute; so wurde die Gesellschaft durch die Aufnahme mehrerer Mitglieder [252] im Jahre 1790 vergrößert und auf einen bestimmten Fuß eingerichtet. Man wählte eine Kirche der ehemahligen Jacobiner zum Orte der Versammlung (daher der Name dieser Gesellschaft), und hatte dabei den Vortheil, daß diese Kirche in der Mitte von Paris lag, und die Communication in die entferntern Quartiere dieser ungeheuern Stadt ungemein erleichterte. (Es ist bemerkungswerth, daß in derselben Kirche Clement, der Mörder Heinrichs III. zum Prior des Jacobinerklosters gewählt wurde.) Nach dem Beispiele der Hauptstadt hatten sich in den vorzüglichsten Städten in den Provinzen ähnliche Volksgesellschaften gebildet, mit welchen nun die Pariser zu correspondiren anfing. Man sah diese letztere für die Muttergemeinde der übrigen an, theilte ihr alle Beschlüsse mit und erhielt dagegen neue Verhaltungsbefehle. Diese Beschlüsse bestanden größten Theils in Anträgen an die National-Versammlung, worin man die Gesetzgeber ersuchte, ihre Aufmerksamkeit vorzüglich auf diesen oder jenen Gegenstand zu richten. Die Jacobiner in der damahligen Periode hatten keine andere Absicht, als das Volk über seine Rechte und Freiheiten aufzuklären und es auf den Empfang der neuen Constitution vorzubereiten; auf die öffentlichen Verhandlungen hatten sie noch keinen Einfluß, sondern überließen diese der Vorsorge der National-Versammlung. Allein im Sommer des 1791. Jahres bekamen sie durch die Flucht des Königs nach Varennes ein viel größeres Gewicht, weil bei dieser Begebenheit alle Parteien ein panisches Schrecken überfiel, und das Volk die Rückkehr des Despotismus befürchtete. Die Jacobiner benutzten die ihnen günstigen Augenblicke, um sich in den Urversammlungen, worin man die Deputirten zur zweiten National-Versammlung zu wählen beschäftigt war, Einfluß zu verschaffen, und spotteten dem Decret, wodurch die constituirende National-Versammlung in den letzten Tagen ihrer Sitzungen alle Volksgesellschaften aufzuheben befahl. Nach der Annahme der Constitution von 1791 ging unter den Pariser Jacobinern eine Trennung vor: ein Theil erklärte sich unbedingt für die nun eingeführte monarchisch-constitutionelle Regierungsverfassung; ein anderer drang zwar auch, dem äußern Vorgeben nach, auf die Aufrechthaltung der [253] Constitution, arbeitete aber in Geheim an dem Umsturze des Thrones, entweder um dem Herzog von Orleans die höchste Gewalt in die Hände zu spielen, oder eine republikanische Verfassung einzuführen. Jene wurden unter dem Namen der Feuillans, diese als Orleanisten und Brissotisten bekannt. Ueber die erstere Partei s. den Art. Feuillans. Die Jacobinergesellschaft, welche aus den beiden letzten Parteien bestand, vergrößerte sich unter der verwirrten Regierung der zweiten National-Versammlung ungemein, und gewann noch mehr an politischer Wichtigkeit, nachdem Kaiser Leopold II. in einem Manifeste vom Jahre 1792 einen persönlichen Angriff auf sie machen ließ. Nun sah das Volk in ihnen die einzigen Beschützer der Freiheit, und strömte so zahlreich nach dem Orte ihrer Sitzungen, daß die Versammlung in Paris zuweilen aus 2500 Menschen bestand. An 400 Societäten aus den Provinzen correspondirten regelmäßig mit der Muttergemeinde zu Paris; und man kann annehmen, daß die Zahl aller Jacobiner in Frankreich im Jahre 1792 ungefähr 400,000 Menschen ausmachte. Wie fürchterlich mußte nicht diese Verbindung der allgemeinen Ruhe und Ordnung werden, da zumahl ein Robespierre und Marat an ihrer Spitze standen? – Die Jacobiner hatten bei der Ausführung ihrer Entwürfe allemahl den Bürgerrath der Stadt Paris auf ihrer Seite, und konnten unter dessen Schutze dem National-Convent trotzen, abgleich die Majorität desselben nicht zu ihren Mitgliedern gehörte. Die Gesellschaft nahm seit dem Ende des Jahres 1792 mit jedem Tage an Bosheit und Unverschämtheit zu; und das zuhörende Publicum, welches aus dem verworfensten Pöbel bestand, wetteiferte an Schamlosigkeit mit den kreischenden Rednern der Jacobiner, einem Anacharsis Cloots, Chabot, Collot dʼHerbois und Andern. Ihr Zweck war seitdem kein andrer, als Mord, Plünderung und gänzlicher Umsturz aller bürgerlichen Verfassung. Aufwiegler, Spitzbuben und den Ketten entlaufene Verbrecher spielten darin die wichtigsten Rollen, und verfolgten jeden rechtschaffnen und wahren Patrioten mit der heimtückischsten Wuth. Die so genannten Reinigungen, wodurch in den Jahren 1793 und 1794 die verdächtigen Mitglieder [254] aus der Gesellschaft gestoßen wurden, klärten die strafbaren Absichten der Jacobiner hinlänglich auf. Das geringste Merkmahl von Rechtschaffenheit und Gefühl, das Einer und der Andre blicken ließ, war Ursache genug, um ihn auf die Liste der Verdächtigen zu setzen; und es war daher nicht zu verwundern, daß zuletzt ein Freron, Legendre und Andere aus dem Verzeichnisse der echten Brüder weggestrichen wurden. Wer in den ersten Jahren der Revolution als heftiger Jacobiner von den Royalisten war verabscheut worden, der wurde in den letzten Zeiten der Jacobiner-Herrschaft als Royalist oder Gemäßigter von den Jacobinern verschrien. So lange der Convent den blutdürstigen Befehlen des Robespierre mit sclavischer Furchtsamkeit gehorchte, und so lange der Pariser Gemeinderath aus Creaturen der Jacobiner bestand, so lange war auch nicht an die Unterdrückung ihrer Herrschaft zu denken; sobald aber Robespierre der Guillotine überliefert, und der schändliche Bürgerrath abgesetzt war, sobald verloren auch die Pariser Jacobiner ihren ehemahligen Einfluß. Anfänglich wollten sie gegen den Convent Partei nehmen: da sie aber sahen, daß dieser mit unerschütterlicher Standhaftigkeit die Gegner des Schreckenssystems verfolgte und die Beschützer der Tyrannei bekämpfte; so hielten sie es für das rathsamste, sich seinen Verfügungen zu unterwerfen, und so ihre Existenz durch eine kluge Nachgiebigkeit zu sichern. Vermöge eines Decrets wurde alle Einmischung der Volksgesellschaften in die Regierung verboten und ihre Verbrüderung unter einander und gegenseitige Correspondenz untersagt. Die Jacobiner fanden diese letzte Maßregel äußerst drückend, und drohten schon mit einer neuen Verschwörung. Die zahlreichen Freunde und Anhänger, welche sie noch in Paris und den Provinzen hatten, ließen eine Rückkehr ihres Regiments befürchten, und hätten gewiß noch den Sieg zu ihrem Vortheile entschieden, wenn nicht, durch einen glücklichen Zufall, der Prozeß gegen den schändlichen Carrier in dem nehmlichen Zeitpunkte wäre angefangen worden. Die Pariser Jacobiner erklärten laut, daß sie alles wagen würden, um diesen würdigen Mitgenossen dem Arm der drohenden Gerechtigkeit zu entziehen; die öffentliche Meinung war aber so entscheidend [255] wider ihn, und man verlangte so allgemein seine Bestrafung, daß jeder, der seine Vertheidigung übernehmen wollte, für einen Feind des allgemeinen Besten angesehen wurde. Indem sich die Jacobiner über die zweckmäßigsten Mittel berathschlagten, durch welche Carrier gerettet werden könnte, strömte das Volk am 11. November 1794 nach dem Ort ihrer Sitzung, und trieb sie unter dem allgemeinen Zuruf: es lebe der Convent! zum Saale hinaus. Sie wagten zwar einigen Widerstand; allein die Schläge und Stöße des auf sie zustürzenden Volks brächten sie bald zum Weichen. Der Deputirte Legendre, ehedem selbst heftiger Jacobiner und jetzt einer ihrer eifrigsten Gegner, bemächtigte sich ihrer Papiere, und überlieferte dem Convent die Schlüssel zu jenem gefährlichen Saal, in dessen Mitte die niedrigsten Leidenschaften Jahre lang gesiegt, und Bosheiten und Ränke die Stimme der Vernunft erstickt hatten. – Der Convent verbot hierauf die fernern Sitzungen der Jacobiner durch ein förmliches Decret; und die übrigen Städte Frankreichs folgten dem Beispiele der Hauptstadt. Ueberall verfolgte und beschimpfte man die Jacobiner als Blutmenschen und Tyrannen; sie mußten die sichtbaren Merkmahle ihres Sanscülottismus ablegen und ihrer schmutzigen Kleidung entsagen, wenn sie nicht in Lebensgefahr kommen wollten. Aber ungeachtet dieser Unterdrückung und ungeachtet des Hasses, womit sie sich überall gebrandmarkt sehen, würden sie sich doch zu neuen Schandthaten vereinigen, wenn die Regierung sie nicht immer mit einem wachsamen Auge beobachtete. Und was könnten sie dann für einen andern Zweck haben, als die Wiedereinführung des Schreckenssystems, den Mord und die Plünderung der begüterten Staatsbürger, die Erhebung des niedrigsten Pöbels zu den wichtigsten Aemtern, und die Verbauung aller menschlichen Tugenden und Gefühle?
Buchempfehlung
Im Jahre 1758 kämpft die Nonne Marguerite Delamarre in einem aufsehenerregenden Prozeß um die Aufhebung ihres Gelübdes. Diderot und sein Freund Friedrich Melchior Grimm sind von dem Vorgang fasziniert und fingieren einen Brief der vermeintlich geflohenen Nonne an ihren gemeinsamen Freund, den Marquis de Croismare, in dem sie ihn um Hilfe bittet. Aus dem makaberen Scherz entsteht 1760 Diderots Roman "La religieuse", den er zu Lebzeiten allerdings nicht veröffentlicht. Erst nach einer 1792 anonym erschienenen Übersetzung ins Deutsche erscheint 1796 der Text im französischen Original, zwölf Jahre nach Diderots Tod. Die zeitgenössische Rezeption war erwartungsgemäß turbulent. Noch in Meyers Konversations-Lexikon von 1906 wird der "Naturalismus" des Romans als "empörend" empfunden. Die Aufführung der weitgehend werkgetreuen Verfilmung von 1966 wurde zunächst verboten.
106 Seiten, 6.80 Euro
Buchempfehlung
Biedermeier - das klingt in heutigen Ohren nach langweiligem Spießertum, nach geschmacklosen rosa Teetässchen in Wohnzimmern, die aussehen wie Puppenstuben und in denen es irgendwie nach »Omma« riecht. Zu Recht. Aber nicht nur. Biedermeier ist auch die Zeit einer zarten Literatur der Flucht ins Idyll, des Rückzuges ins private Glück und der Tugenden. Die Menschen im Europa nach Napoleon hatten die Nase voll von großen neuen Ideen, das aufstrebende Bürgertum forderte und entwickelte eine eigene Kunst und Kultur für sich, die unabhängig von feudaler Großmannssucht bestehen sollte. Dass das gelungen ist, zeigt Michael Holzingers Auswahl von neun Meistererzählungen aus der sogenannten Biedermeierzeit.
434 Seiten, 19.80 Euro