Johann Adam Hiller

[204] Johann Adam Hiller, herzogl. Curländischer Kapellmeister, und seit 1789 Cantor an der Thomasschule und Musikdirector an den beiden Hauptkirchen zu Leipzig, geb. zu Wendischoßig bei Görlitz den 25. Dec. 1728, wurde schon im sechsten Jahre seines Vaters beraubt. Er genoß jedoch noch einige Zeit den Unterricht des dasigen Schulmeisters, des Nachfolgers seines Vaters, auf dem Clavier und der Violine, fand aber schon damahls seinen größten Zeitvertreib am Singen, und sang aus Mangel an andern Stücken immer die Passions- und Sterbelieder aus dem Gesangbuche am liebsten. Im zwölften Jahre kam er auf das Gymnasium nach Görlitz und wegen seiner guten Stimme unter das dasige Singechor, und übte sich unter Anführung einiger Mitschüler auf mehrern Instrumenten. Um an einer neu errichteten musikalischen Gesellschaft, wo noch ein Baßspieler fehlte, Theil zu nehmen, kaufte er sich eine alte Baßgeige für 18 Gr. auf welcher er seine Kräfte üben wollte. Nachdem er fünf Jahre auf dem Gymnasio zugebracht, und hierauf wegen seiner drückenden Umstände einige Zeit bei zwei Civilbeamten als Schreiber gewesen war, begab er sich 1747 auf die Kreuzschule nach Dresden, nahm bei Homilius Unterricht, und bildete sich vorzüglich durch das Anhören der damahls mit aller Pracht und Vollkommenheit aufgeführten Hassischen Opern und durch das Studiren der Partituren davon, die er sich größten Theils zur Nachtzeit abschrieb. Im J. 1751 kam er nach Leipzig, um die Rechte zu studiren, nahm als Baßsänger und Flötenist an dem dasigen öffentlichen Concerte Antheil, componirte hier schon mehreres, und widmete sich auch besonders dem theoretischen Studium der Musik, bis er 1754 als Hofmeister bei dem jüngern Grafen von Brühl Dresden wieder sah, und zugleich gute Gelegenheit bekam, seinen Hang zur Musik noch mehr zu[204] befriedigen. Als er Leipzig mit seinem Eleven 1758 zum zweiten Mahle bezog, hinderte ihn seine Hypochondrie außer Gellerts geistlichen Liedern, die er aus Gefälligkeit gegen den Dichter setzte, an sonstiges Componiren zu denken; ja er legte sogar 1760 seine Hofmeister-Stelle nieder, nachdem erschon einen Ruf als Professor nach Petersburg abgelehnt hatte, und erwarb sich seinen Unterhalt durch Uebersetzungen wichtiger Werke, gab den musikalischen Zeitvertreib – das erste practisch-periodische Werk der Art in Deutschland – heraus, und wurde endlich 1763 als Director des dasigen so genannten großen Concerts angestellt, das seine ganze Einrichtung und Ordnung vorzüglich ihm zu verdanken hat, und an welchem eine Dem. Schmehling (nachherige Mad. Mara) und Dem. Schröter als Sängerinnen Theil nahmen. Der wichtigste Dienst, den er damahls nicht bloß Leipzig, sondern auch vielleicht ganz Deutschland leistete, war, daß er auf Veranlassung des damahligen bekannten Theaterprincipals Koch Deutsche Operetten einführte, zu einer Zeit, wo man auf Deutschen Theatern noch keinen Deutschen Sänger gesehen hatte. Wer kennt nicht von dieser Seite das unendliche Verdienst des würdigen Hillers, dem man mit allem Recht die Verbesserung des Deutschen Geschmacks, den Vorzug der Deutschen vor der Italiänischen und Französischen Operette an richtiger Declamation, an Wahrheit im Ausdrucke und überhaupt an edlem Gesange ursprünglich zu verdanken hat? Noch vermehrte er seine Verdienste um Leipzig 1771 durch Errichtung einer Singschule für junge Frauenzimmer, in welcher manche treffliche Sängerinnen gezogen wurden. Bei seiner Reise nach Mietan, wohin er zwei seiner vorzüglichen Schülerinnen, Podleska, begleitete, erhielt er vom Herzoge von Curland sehr viele Ehrenbezeugungen und Geschenke und nachher (1784) den Charakter als Kapellmeister. Ihm verdankt man es auch, daß man sowohl zu Berlin bei seiner damahligen Anwesenheit 1786 als auch nachher 1787 und 1795 zu Leipzig das berühmte Händelsche Meisterstück, den Messias, unter seiner Anführung gehört hat (s. den Art. Händel). Im J. 1789 übertrug man ihm endlich zu Leipzig den Posten des mit Ehren alt gewordenen und in Ruhe versetzten (zu Anfange des J. 1797 verstorbenen) Cantors und Musikdirectors [205] Doles, wo er sich noch bis jetzt die stete Verbesserung des Chors mit unermüdetem Eifer angelegen sein läßt, so wie er auch vor einigen Jahren durch Einführung besserer Melodien für die Kirchengesänge noch in seinem Alter sich neue Verdienste erworben hat. Daß übrigens unter seinen theatralischen Compositionen die Jagd, Jubelhochzeit, Liebe auf dem Lande, der Erntekranz etc. so viele Volksgesänge hergegeben haben, ist eben so bekannt als es zugleich Beweis für die Trefflichkeit derselben ist, so wie denn alle seine Arbeiten ihn als den ersten Gesanglehrer Deutschlands bezeichnen.

Quelle:
Brockhaus Conversations-Lexikon Bd. 2. Amsterdam 1809, S. 204-206.
Lizenz:
Faksimiles:
204 | 205 | 206
Kategorien: