Das Königreich Preußen

[287] * Das Königreich Preußen (dessen Bereicherungen bei Gelegenheit der Theilung von Pohlen, in dem Art. Pohlen i. d. Nachtr., näher aufgeführt worden) hat seit der Periode, in welcher der Hauptartikel [287] darüber abgefaßt wurde, wie bekannt, eine der erschütterndsten Veränderungen erlitten. Zwar verlor es schon bei seiner Theilnahme an dem französischen Revolut. Kriege, durch den mit Frankreich 1795 abgeschlossenen Separat-, so wie in der Folge durch den Lüneviller Frieden, seine Besitzungen jenseits des Rheins (Geldern, Moeurs, Cleve), zusammen 46 Quadrat-Meilen; dagegen erhielt es aber zur Entschädigung dafür 1802 einen Theil des Fürstenth, Münster, ferner Paderborn, Hildesheim, Eichsfeld, Erfurt, die Abteien Quedlinburg, Essen, Elten, Herforden, Werden und Koppenburg; endlich auch die Reichsstädte Mühlhausen, Nordhausen, Goslar – Besitzungen, die man zusammen auf 240 Quadrat-Meilen rechnet, und, ob zwar gleich verschiedentlich zerstreut, dennoch von beträchtlichem Einfluß auf die meisten Fürsten Deutschlands. Im Jahre 1804 erhielten die preußischen Lande 5562 Quadrat-Meilen, und über 9 Mill. Einwohner, oder, nach einer neuern Berechnung, auf 6181 Quadrat-Meilen, mit Inbegriff der hannöverischen Lande (570 Quadrat-Meilen) mit 10,500,000 Seelen. Allein nur zu schnell sank Preußen auf einmal von dieser Höhe herab. Der unglückliche Krieg mit Frankreich beugte es mit unglaublicher Schnelle darnieder. – Die Veranlassungen dieses Kriegs bestanden, laut des von Seiten Preußens erlassenen Manifests, unterm 9. October 1806, darin: daß Frankreich, seine Ehrsucht immer mehr befolgend, an keine Verträge sich bindend, und damit umgehend, auch die mächtigsten Staaten zu demüthigen, ja sogar die alte tausendjährige deutsche Verfassung mit Einem Federstriche zu vertilgen, nun auch Preußen, welches in jeder Hinsicht gegen Napoleon 6 Jahre lang als guter Nachbar sich gezeigt habe, zu unterdrücken strebe. Frankreich dagegen sagte (in der Erklärung vom 7. Oct.): Preußen habe keine Beschwerden geführt, keine Foderungen gemacht, eben so wenig habe Frankreich an Preußen Anfoderungen gemacht u. s. w. Kurz, nach mehreren Verhandlungen zwischen Lucchesini, Knobelsdorf und Talleyrand, und nachdem Preußen seine letzten Bedingungen dahin gestellt hatte, daß die französischen Truppen ungesäumt Deutschland räumen,[288] Frankreich der Bildung des nördlichen Bundes kein Hindernis mehr entgegensetzen, und endlich sofort nähere Unterhandlungen eröfnen sollte, denen die Zurückgabe der drei Abteien Elten, Essen und Hervorden, und die Trennung der Stadt Wesel vom französischen Reiche zu Präliminar-Artikeln dienen müßten – welche Bedingungen aber unbeantwortet blieben – brachen die Feindseligkeiten im October aus, nachdem schon ein oder zwei Monate vorher große Zurüstungen gemacht worden waren. Nachdem am 10. Oct. bei Saalfeld die ersten Angriffe mit dem Verlust des Prinzen Lonis Ferdinand von Preußen begonnen hatten, erfolgte schon den 14. die merkwürdige Schlacht bei Jena und Auerstädt, die sogleich dem Kriege die entscheidendste Richtung gab. Mit einer beispiellosen Schnelligkeit rückten die französischen Truppen in die preußischen Lande vor, und schon den 24. in Berlin ein, wo auch Napoleon den 27. seinen Einzug hielt. Eine Festung nach der andern (Küstrin, Stettin, Magdeburg etc.) gingen über; der unterm 17. Nov. zu Charlottenburg zwischen Lucchesini und Duroc abgeschlossene Waffenstillstand wurde vom Könige nicht genehmigt; Hannover wurde eben sowol als die Länder Minden, Ravensberg, Paderborn, Meklenburg-Schwerin etc. in Besitz genommen. Rußland trat auf Preußens Seite: mit seinem Alliirten, dem Kaiser von Rußland, wollte der König von Preußen, so hatte er sich erklärt, stehen und fallen; und der Krieg wurde nun eben desto nachdrücklicher geführt: die Schlacht bei Eylau (d. 7. und 8. Febr. 1807) und die bei Friedland (d. 14. Jun.) gaben die blutigsten und furchtbarsten Beweise davon, und die letztere entschied über Preußens Schicksal und über die Ehre des Kriegs, nachdem auch selbst Danzig schon vorher sich hatte ergeben müssen. Man machte jetzt den Antrag zum Waffenstillstand und zu Friedensunterhandlungen. Jener wurde zu Tilsit am 22. Juni zwischen Frankreich und Rußland, und am 26. zwischen Frankreich und Preußen abgeschlossen. Nachdem der Kaiser von Rußland zuerst mit Napoleon eine Zusammenkunft gehalten, ging die merkwürdige Versammlung der beiden Kaiser und des Königs v. Preußen auf dem Niemen vor sich, [289] und es wurde nun auch durch Talleyrand, Kurakin und Kalkreuth, die Bevollmächtigten jener drei Regenten, der Friede in dem kaiserlich franzosischen Hauptquartier, und zwar der mit Rußland am 8., der mit Preußen am 9. Juli abgeschlossen. Diesem zu Folge trat Preußen an die von Frankreich zu ernennenden Regenten alle zwischen der Elbe und dem Rhein besessenen Herzogthümer, so wie an Sachsen den Cothußer Kreis in der Niederlausitz ab; es that Verzicht auf alle Besitzungen des Königs von Sachsen und der Fürsten von Anhalt auf dem rechten Elbufer; entsagte dem Besitz aller als eigenthümliche Bestandtheile des Königreichs Pohlen nach dem 1. Jan. 1772 unter Preußens Herrschaft gekommener Provinzen, welche als Herzogthum Warschau an den König von Sachsen fallen, der Stadt Danzig und einem Umkreise von zwei Meilen (deren Unabhängigkeit es unter seinem und sächsischen Schutze anerkannte); mußte die Bildung eines neuen Königreichs aus den von ihm abgetretenen Provinzen etc., unter dem Namen Westphalen, bewilligen, und endlich versprechen, den Engländern in allen seinen Ländern, ohne Ausnahme, Schiffahrt und Handlung zu verbieten. – So verlor Preußen durch diesen Tilsiter Frieden im obersächsischen Kreise die Altmark, den Saalkreis, Erfurt, Mansfeld etc.; im niedersächsischen Kreise Magdeburg (westlichen Theils), Halberstadt, Hildesheim, die hannoverischen Lande etc.; im westphälischen Kreise Münster, Paderborn, Ostfriesland, die Grafschaft Mark etc.; im fränkischen Bayreuth; endlich im ehemaligen Pohlen den Netzdistrict, West-, Süd-, Neuostpreußen, Danzig – kurz, einen Umfang von 3237 Quadrat-Meilen, mit ungefähr 4,843,560 Seelen.

Die jetzigen Bestandtheile Preußens sind sonach:

1) die Mark Brandenburg, d. i. a) die-Kurmark mit dem Theile der Altmark aufm rechten Elbufer; b) die Neumark,

2) ein Theil des Herzogthums Magdeburg aufm rechten Elbufer,

3) Das Herzogthum Schlesien (jedoch mit Wegfall von Neuschlesien, welches noch durch den Tractat von [290] Elbing den 10. Nov. 1807 nebst dem michelanischen Kreis an das Herzogthum Warschau abgetreten wurde.

4) das Herzogthum Pommern,

5) das Königreich Preußen, und zwar: a) Ostpreußen, b) ein Theil von Westpreußen und dem Netzdistrict, welches zusammen die Große von 2825 Quadrat-Meilen mit 4,903,000 Einwohnern ausmacht. – Die Armee ist auf 42,000 Mann zuruckgebracht.

Uebrigens sind durchs Editt v. 9. Oct. 1807 alle Lehngerechtigkeiten, so wie auch in Schlesien die Leibeigenschaft und Erbunterthänigkeit aufgehoben. Eben so hören die Vorrechte und Ansprüche des Adels auf Officierstellen für immer auf. – Die Verfassung der obersten Staatsbehörden ist durch die Verordnung vom 16. Dec. 1808 folgende: Der Staatsrath steht unmittelbar unter Aufsicht des Staatsoberhauptes. Der Ministerien sind fünf: 1) das des Innern für die ganze innere Landesverwaltung, 2) das der Finanzen, 3) das der auswärtigen Angelegenheiten, 4) des Kriegs, 5) der Justiz. Provinzial-Landescollegien sind: 1) die Regierungen (sonst die Kriegs- und Domainenkammern), 2) die Oberlandsgerichte (sonst die Regierungen).

Quelle:
Brockhaus Conversations-Lexikon Bd. 8. Leipzig 1811, S. 287-291.
Lizenz:
Faksimiles:
287 | 288 | 289 | 290 | 291
Kategorien:

Buchempfehlung

Lewald, Fanny

Clementine

Clementine

In ihrem ersten Roman ergreift die Autorin das Wort für die jüdische Emanzipation und setzt sich mit dem Thema arrangierter Vernunftehen auseinander. Eine damals weit verbreitete Praxis, der Fanny Lewald selber nur knapp entgehen konnte.

82 Seiten, 5.80 Euro

Im Buch blättern
Ansehen bei Amazon

Buchempfehlung

Große Erzählungen der Frühromantik

Große Erzählungen der Frühromantik

1799 schreibt Novalis seinen Heinrich von Ofterdingen und schafft mit der blauen Blume, nach der der Jüngling sich sehnt, das Symbol einer der wirkungsmächtigsten Epochen unseres Kulturkreises. Ricarda Huch wird dazu viel später bemerken: »Die blaue Blume ist aber das, was jeder sucht, ohne es selbst zu wissen, nenne man es nun Gott, Ewigkeit oder Liebe.« Diese und fünf weitere große Erzählungen der Frühromantik hat Michael Holzinger für diese Leseausgabe ausgewählt.

396 Seiten, 19.80 Euro

Ansehen bei Amazon