[452] Preußen, Königreich, der größte Staat des Deutschen Reichs [Karten und Tafeln: Deutsches Reich I u. II, Brandenburg etc. I u. II, Nordwestdeutschland I u. II, bei Hannover, Ostpreußen etc. I u. II, Mittleres Westdeutschland I u. II, bei Rheinprovinz, Mitteleuropa I u. II], fast den ganzen Norden Deutschlands umfassend, 348.607 qkm; zu zwei Drittel der Norddeutschen Tiefebene angehörig, mit abwechselnder Bodenbeschaffenheit, gutem Weizen- und Rübenboden bis zu ertraglosen Flugsandgebieten und ehemal., jetzt abgeleiteten Sumpfniederungen; im S. gebirgig (Sudeten, Thüringer Wald, Thüringer Bergland, Harz, Rhein. Schiefergebirge, Hess. Berg- und Hügelland). Die zahlreichen Gewässer gehören, außer denen der Hohenzollernschen Fürstentümer, der Ost- und Nordsee an; der erstern Memel, Pregel, Weichsel, Oder, Schlei, der letztern Eider, Elbe, Weser, Ems, Rhein, Vechte; außerdem ist ein gut entwickeltes Kanalnetz vorhanden.
Bevölkerung [Karten: Bevölkerung I, Deutschtum I u. II, 1] (einschließlich Helgoland) 1900: 34.472.509 (1905: 37.278.820) E., also 99 auf 1 qkm, jährl. Zunahme 1900-1905: 8,2 Proz. Religionsbekenntnis, Dichtigkeit und Bewegung der Bevölkerung s. Beilage: ⇒ Deutschland. Die Muttersprache war bei 30.383.089 deutsch, 164.221 deutsch und polnisch, 142.047 masurisch, 10.896 deutsch und masurisch, 100.212 kassubisch, 106.230 litauisch (Ostpreußen), 64.225 wendisch (Reg.-Bez. Frankfurt, Liegnitz), 64.242 mährisch, 24.940 tschechisch (Oppeln und Breslau), 136.793 dänisch (Schleswig). 20.640 friesisch, 77.413 holländisch (Düsseldorf und Aachen), 21.789 italienisch.
Landwirtschaft. Von der Gesamtfläche waren 1900: 50,7 Proz. Ackerland, 23,7 Forsten, 9,4 Wiesen, 5,91 Weiden und Hutungen, 0,06 Proz. Weinberge etc. [s. Beilage: ⇒ Deutschland]. Angebaut werden außer Getreide und Kartoffeln: Zuckerrüben, Wein (am Rhein und an der Mosel, Saale und Unstrut sowie in Schlesien) 18.208 ha (335.215 hl Weinmost) etc. Viehzucht bedeutend, doch nicht ausreichend, weshalb die Einfuhr überwiegt; wichtig die Pferdezucht, gefördert durch die 3 Hauptgestüte (Graditz, Trakehnen, Beberbeck) und 17 Landgestüte; Fischzucht neuerdings gehoben. 1. Dez. 1904 gezählt: 2.964.408 Pferde, 11.156.133 Stück Rindvieh, 5.660.529 Schafe und Lämmer, 12.563.899 Schweine, 2.116.360 Ziegen. Im Bergbau waren 1895: 5,86 Proz. der Bevölkerung beschäftigt; bedeutend die Gewinnung von Steinkohlen (1905: 113 Mill. t zu 961,6 Mill. M), Braunkohlen (52,5 Mill. t zu 120,8 Mill M), Steinsalz (436.921 t zu 2.186.000 M), Eisenerzen (16,85 Mill. t zu 68,6 Mill. M), Zinkerzen (727.104 t zu 47,5 Mill. M), Bleierzen (151.400 t zu 15 Mill. M), Kupfererzen (781.163 t zu 23,4 Mill. M), Manganerzen (51.048 t, 572.000 M), Schwefelkies (175.730 t, 1,4 Mill. M). Zahlreiche Mineralquellen, bes. in den Provinzen Hessen-Nassau, Rheinland und Schlesien.
Industrie. Baumwollspinnerei und -weberei in Rheinland und Schlesien, Wollindustrie in Aachen und der Niederlausitz, Leinenindustrie in Bielefeld und Schlesien, Seide in Krefeld und Elberfeld-Barmen, Eisenindustrie im Reg.-Bez. Arnsberg, Ton- und Porzellanwaren in Rheinland, Schlesien und Sachsen, Glasindustrie in Schlesien, Saarbezirk, Rheinland, Sachsen und Hannover, Papierindustrie in Schlesien, Sachsen, Rheinland und Hannover, Schiffswerften in Stettin, Danzig, Elbing, Kiel, Lokomotivfabriken in Berlin, Cassel, Linden bei Hannover, Bredow bei Stettin, Düsseldorf, Elbing, Königsberg, Waggonbauanstalten in Köln, Breslau, Görlitz, Düsseldorf, Königsberg etc. Handel. 1895 waren im Außen- und Binnenhandel 308.448 Hauptbetriebe mit 700.204 Personen tätig; Haupthandelsplätze Berlin, Königsberg, Danzig, Stettin, Posen, Breslau, Magdeburg, Hannover, Altona, Frankfurt a. M., Köln, Barmen, Elberfeld. [Karten: Handel etc. I u. II.] Verkehrswesen. Landstraßennetz, bes. im Westen und in Schlesien, gut ausgebaut, 1895: 84.958 km; Handelsflotte s. Beilage: ⇒ Deutschland; die Binnenschiffahrt wurde betrieben 1902 von 24.839 Schiffen (darunter 2604 Dampfer). 1903 sind in preuß. Seehäfen angekommen 76.716 Schiffe mit 9.481.575 Registertons, ausgelaufen 75.017 mit 8.996.803 Registertons. Eisenbahnen 1904 im Besitz des Staates 32.855 km, davon 20.310 Hauptbahnen, ferner zur preuß.-hess. Eisenbahngemeinschaft gehörig 1180 km hessische und 39 km badische, insgesamt 34.074 km, davon 251 km schmalspurig (preußisch).
Unterrichts- und Bildungswesen. Elementarunterricht obligatorisch und schulgeldfrei; Deckung der Kosten zu 71 Proz. durch die Gemeinden, 29 Proz. durch den Staat; Zahl der öffentlichen Volksschulen (1901) 36.756 (24.910 evang., 10.799 kath., 244 israelit. und 803 paritätische) mit 5.670.870 Schülern, 76.342 Lehrern, 13.866 Lehrerinnen und 33.193 Hilfskräften (davon 131 Lehrer), außerdem 669 öffentliche Mittelschulen, 315 Privatschulen mit Volksschulziel, 1107 Privatschulen mit Mittelschulziel, 121 (38 kath., 4 paritätische) Lehrer- und 12 Lehrerinnenseminare, 42 Präparandenanstalten, 11 Universitäten (Berlin, Bonn, Breslau, Göttingen, Greifswald, Halle, Kiel, Königsberg, Marburg, Münster, Lyzeum zu Braunsberg), 5 Technische Hochschulen (Aachen, Berlin, Hannover, Danzig, Breslau); 1905: 314 Gymnasien, 45 Progymnasien, 84 Realgymnasien, 29 Realprogymnasien, 40 Oberrealschulen, 144 Realschulen; ferner 2 Forstakademien (Eberswalde, Münden), 2 Bergakademien (Berlin, Clausthal), 1 Landw. Hochschule (Berlin), 1 Landw. Akademie (Poppelsdorf), 2. Tierärztliche Hochschulen (Berlin, Hannover), 5 landw. Institute (Königsberg, Breslau, Halle, Kiel, Göttingen), 1 tierärztliches Institut (Göttingen), 4 Kunstakademien (Berlin, Königsberg, Düsseldorf, Cassel), 1 Kunstschule (Berlin), 1 Kunst- und Gewerbeschule (Breslau) etc.; für Heer und Marine: je 1 Kriegsakademie (Berlin), Marineakademie (Düsternbrook bei Kiel), Vereinigte Artillerie- und Ingenieurschule, 10 [452] Kriegsschulen, 9 Kadettenanstalten etc.; wissenschaftliche Bestrebungen werden gefördert durch die Akademie der Wissenschaften zu Berlin, das Geodätische Institut (Berlin), das Astrophysikal. Observatorium (bei Potsdam), die Geolog. Landesanstalt (Berlin), das Aeronautische Observatorium (Lindenberg bei Beeskow) etc. Kirchenwesen. Alle Religionsgesellschaften unterstehen der staatlichen Oberaufsicht, die evang. Landeskirche der älteren Provinzen dem Oberkirchenrat zu Berlin und den diesem untergeordneten Generalsuperintendenten und Konsistorien, die der neuern Provinzen dem Kultusministerium; die kath. Kirche wird geleitet von 2 Erzbischöfen (Gnesen-Posen, Köln) und 6 Suffraganbischöfen (Fulda, Limburg, Culm, Trier, Münster, Paderborn); unmittelbar unter dem Papste stehen die fürst-bischöfl. Delegatur zu Berlin, der Fürstbischof zu Breslau und die Bischöfe von Ermland, Hildesheim und Osnabrück. Ordensniederlassungen (1900) 1535 mit 19.772 Ordensleuten. Die Altkatholiken haben einen eigenen Bischof in Bonn.
Verfassung und Verwaltung. P. ist nach der Verfassung vom 31. Jan. 1850 im Mannsstamme erbliche konstitutionelle Monarchie; mit der Krone ist seit dem 18. Jan. 1871 die Würde des Deutschen Kaisers verbunden. Der König besitzt die vollziehende Gewalt, bezieht eine Krondotation von 15.719.296 M und übt die gesetzgebende Gewalt mit dem Landtag gemeinschaftlich aus; dieser besteht aus dem Herrenhaus (die großjährigen Prinzen des königl. Hauses, Vertreter des Adels mit erblicher Berechtigung, Inhaber hoher preuß. Landesämter und aus besonderm Vertrauen, sowie infolge von Präsentation verschiedener Korporationen, Universitäten, Städte berufene Mitglieder) und dem Abgeordnetenhaus (433 indirekt durch Dreiklassenwahl auf 5 Jahre gewählte Mitglieder). An der Spitze der Verwaltung steht das Staatsministerium (Ministerpräsident und 9 Ressortminister); ihm beigeordnet die Oberrechnungskammer, der Oberkirchenrat und der Staatsrat. Einteilung für Verwaltungszwecke in 12 Provinzen (Ostpreußen, Westpreußen, Brandenburg, Pommern, Posen, Schlesien, Sachsen, Schleswig-Holstein, Hannover, Westfalen, Hessen-Nassau, Rheinland) und die beiden abgesonderten Bezirke Stadt Berlin und Fürstentümer Hohenzollern, weiterhin (1906) in 37 Regierungsbezirke, 572 Kreise und 4 Oberämter (Sigmaringen). Höchster Gerichtsbischof das Reichsgericht in Leipzig; unter ihm 14 Oberlandesgerichte (Königsberg i.P., Marienwerder, Berliner Kammergericht, Stettin, Posen, Breslau, Naumburg a. S., Kiel, Celle, Hamm, Cassel, Frankfurt a. M., Köln, Düsseldorf), die Land- und Amtsgerichte. Finanzen. Staatshaushalt für 1905/6 in Einnahme und Ausgabe: 2.718.281.607 M [s. Beilage: ⇒ Finanzen]; Staatsschuld, durch ein bedeutendes Vermögen an Dömanen, Forsten, Eisenbahnen etc. gedeckt, 7.208.953.093 M. Heerwesen s. Beilage: ⇒ Deutschland. Orden s. Beilage: ⇒ Orden. Das kleine Wappen enthält in Silber einen schwarzen gekrönten Adler mit Zepter und Reichsapfel; das mittlere [Abb. 1434] hat im Mittelschild das kleine Wappen und 11 Schilde mit Emblemen der Provinzen; das große hat 3 Mittelschilder (Preußen, Brandenburg, Nürnberg-Zollern) und 48 Felder mit den Zeichen der Provinzen und Landesteile. Landesfarben Schwarz und Weiß. Hauptstadt Berlin.
Geschichte. Die Grundlage der preuß. Monarchie bildet die Mark Brandenburg (s.d.), die Friedrich I. aus dem Hause Hohenzollern (s.d.) 1415 zugleich mit der Kurwürde zu Lehn erhielt; er erwarb die Uckermark, sein Nachfolger, Kurfürst Friedrich II. (1440-70), die Neumark, Kottbus und Lübben; ihm folgte Albrecht Achilles (1470-86); Johann Cicero (1486-99) erwarb Crossen und Züllichau sowie Sommerfeld, kaufte die Herrschaft Zossen. Joachim I. (1499-1535) gründete 1506 die Universität Frankfurt. Joachim II. (1535-71) führte 1539 die Reformation ein und erwarb 1537 das Anrecht auf Liegnitz, Brieg und Wohlau. Johann Georg (1571-98) zog die Bistumer Brandenburg, Havelberg und Lebus ein und vereinigte die Neumark wieder mit den Kurlanden; sein auf die Erwerbung des Herzogt. P. (s. Deutsche Ritter) sowie der Jülichschen Lande gerichteter Plan ward durch seinen Sohn, Joachim Friedrich (1598-1608), weiter verfolgt und durch dessen Sohn Johann Sigismund (1608-19), größtenteils erreicht; aus der jülichschen Erbschaft fiel diesem 1614 Cleve, Mark und Ravensberg zu, und 1618 vereinigte er das Hzgt. P. mit Brandenburg. Unter Georg Wilhelm (1619-40) litt das Land viel durch den Dreißigjähr. Krieg. Friedrich Wilhelm, der Große Kurfürst (1640-88), schuf eine Heeresmacht, erhielt im Westfäl. Frieden Hinterpommern, die Bistümer Halberstadt, Minden, Cammin und das Erzstift Magdeburg, beteiligte sich am Schwed.-Poln. Krieg (1655-60), erlangte 1660 die Souveränität im Hzgt. P., siegte über die Schweden bei Fehrbellin (1675), unterdrücke die Opposition der Landstände und ward der wahre Begründer des preuß. Staates.
Friedrich III. (1688-1713) erklärte sich als Friedrich I. (1701) zum König von P., förderte die geistige Bildung, stürzte aber den Staat in finanzielle Schwierigkeiten und vergrößerte P. durch einige kleinere Erwerbungen. Friedrich Wilhelm I. (1713-40) richtete die Verwaltung musterhaft ein, erwarb 1713 Obergeldern, 1720 Vorpommern bis zur Peene, Stettin, die Inseln Usedom und Wollin, hinterließ einen bedeutenden Schatz und ein schlagfertiges Heer. Friedrich II. (1740-86) erhob P. zur Großmacht; er gewann durch die Schlesischen Kriege (s.d.) und den Siebenjährigen Krieg (s.d.) fast ganz Schlesien, 1772 bei der ersten Teilung Polens fast ganz West-P. und den Netzedistrikt, 1774 Ostfriesland und 1780 einen Teil von Mansfeld, gründete 1785 den Fürstenbund (s.d.) und förderte das Wohl des Landes (bei seinem Tode 198.000 qkm mit 51/2 Mill. E.) durch gerechte und weise Regierung. Friedrich Wilhelm II. (1786-97) erwarb 1791 die fränk. Markgrafentümer Ansbach und Bayreuth und durch die zweite und dritte Teilung Polens Südpreußen, Neuostpreußen und Neuschlesien, dagegen schwächte er P. durch seine haltlose Politik Österreich gegenüber und in den franz. Revolutionskriegen und erschöpfte den Staatsschatz. Friedrich Wilhelms III. (1797-1840) schwächliche Neutralität anfangs in den Napoleonischen Kriegen führte zur tiefsten Erniedrigung, und durch die Schlachten bei Jena und Auerstädt (1806) erfolgte die Zertrümmerung des Staates; er verlor 1807 im Frieden von Tilsit die Hälfte seiner Länder, die er jedoch nach der glorreichen Erhebung P.s und seiner tatkräftigen Teilnahme am Russisch-Deutsch-Französischen Kriege (s.d.) 1815 durch den Wiener Kongreß großenteils zurückerhielt, dazu halb Sachsen und andere Gebiete. Er organisierte darauf die Verwaltung, förderte Handel und Gewerbe, bes. auch das Unterrichtswesen. Friedrich Wilhelm IV. (1840-61) gab, durch die Ereignisse von 1848 gedrängt, eine Verfassung, wies die ihm vom Frankfurter Parlament angetragene deutsche Kaiserkrone zurück, suchte erst die Bundesangelegenheiten durch Stiftung des Dreikönigsbündnisses (s.d.) zu ordnen, unterwarf sich aber Österreich durch die Olmützer Konvention (29. Nov. 1850). 1857 ging Neuenburg für P. verloren, doch erwarb es Hohenzollern und das Jadegebiet.
Wegen dauernder Krankheit des Königs erhielt sein Bruder, Prinz Wilhelm, 23. Okt. 1857 die Regentschaft, die er 7. Okt. 1858 definitiv antrat. Dieser entließ das reaktionäre Ministerium Manteuffel, berief ein liberales Ministerium (»Ministerium der neuen Ära«) unter dem Fürsten Karl Anton von Hohenzollern-Sigmaringen und nahm vor allem die Reorganisierung des Militärwesens (durch Roon, 1859 Kriegsminister) in Angriff, geriet aber darüber bald mit dem Abgeordnetenhause in Konflikt. Nach Friedrich Wilhelms IV. Tode (2. Jan. 1861) als Wilhelm I. König, 18. Okt. zu Königsberg gekrönt, berief er zur Durchführung der Heeresorganisation Okt. 1862 Bismarck an die Spitze eines konservativen Ministeriums. Der Streit über die Budgetfrage, insbes. die Wiederherstellung des durch das Abgeordnetenhaus verworfenen Regierungsetats, schärften den Konflikt aufs äußerste und führten 27. Mai 1863 den Schluß der Session herbei. Doch wurden die innern Fragen durch die schlesw.-holstein. Angelegenheiten einstweilen zurückgedrängt. P. führte 1864 mit Österreich die Okkupation des Festlandes von Dänemark durch (s. Deutsch-Dänischer Krieg von 1864) und veranlaßte den Frieden zu Wien (30. Okt. 1864). Da sich aber die beiden deutschen Großmächte über das Schicksal Schleswig-Holsteins nicht verständigen konnten, brach 1866 der Deutsche Krieg aus (s. Deutscher Krieg von 1866), durch den P. infolge der Annexion von Hannover, Kurhessen, Nassau, Frankfurt a. M. und Schleswig-Holstein erst einen geographisch wohlabgerundeten Staat bildete und [453] an die Spitze des Norddeutschen Bundes trat. Nun folgte auch die Lösung des innern Konfliktes durch Bewilligung der Indemnität seitens des Abgeordnetenhauses (3. Sept. 1866). Der Machtzuwachs P.s erregte indes die Eifersucht Frankreichs und führte zum Deutsch-Französischen Krieg von 1870-71 (s.d.), der P. als Präsidialmacht an die Spitze ganz Deutschlands stellte. 18. Jan. 1871 erfolgte die Proklamierung des Königs Wilhelm von P. als Deutscher Kaiser. Durch die Berufung des Kultusministers Falk (22. Jan. 1872) trat eine freisinnige Richtung ins Leben, welche in der Ausweisung der Jesuiten aus Deutschland und den neuen Kirchengesetzen (Maigesetzen) ihren Ausdruck fand, womit der sog. Kulturkampf begann. Die Attentate auf Kaiser Wilhelm vom 11. Mai und 2. Juni 1878 hatten strenge Maßregeln gegen die Sozialdemokraten zur Folge. Infolge der nachgiebigen Haltung Bismarcks der Kurie gegenüber, gab Falk 1879 seine Entlassung. Die eine Schutzzollpolitik einleitenden wirtschaftlichen Gesetze veranlaßten 1878 auch den Rücktritt anderer liberaler Minister. In den J. 1880-85 wurden sämtliche wichtige Privatbahnen P.s verstaatlicht, 17. Sept. 1880 der Volkswirtschaftsrat errichtet, 30. April 1884 der Staatsrat wieder ins Leben gerufen. Der fortschreitenden Polonisierung der östlichsten Provinzen trat die Regierung 1886 durch das Ansiedelungsgesetz (s.d.) entgegen. Nachdem schon durch selbständiges Vorgehen der Regierung die Maigesetze in wesentlichen Stücken gemildert waren, wurde infolge direkter Verhandlungen mit der Kurie durch die kirchenpolit. Gesetze vom 21. Mai 1886 und 29. April 1887 der Kulturkampf beigelegt. Wilhelm I. starb 9. März 1888, ihm folgte sein Sohn Friedrich III., diesem 15. Juni 1888 sein Sohn Wilhelm II. Dieser entließ 20. März 1890 Bismarck und ernannte den General Graf Caprivi zu dessen Nachfolger. Der 1890 berufene Finanzminister Miquel führte die Steuerreform durch (progressive Einkommensteuer, Vermögenssteuer, Verzicht auf die Grund-, Gebäude-, Gewerbe- und Bergwerksteuer), dem Minister des Innern Herrfurth gelang das Gesetz der Landgemeindeordnung für die östl. Provinzen, dagegen scheiterte der vom Kultusminister Graf Zedlitz-Trützschler 1892 vorgelegte Volksschulgesetzentwurf und führte zur Entlassung Caprivis als preuß. Ministerpräsident. Ihm folgte Graf Eulenburg, der aber 1894 zurücktrat. Nunmehr wurde Fürst Chlodwig von Hohenlohe-Schillingsfürst Reichskanzler und preuß. Ministerpräsident. Die Vorlage über einen Mittellandkanal wurde vom Landtag zweimal abgelehnt und gelangte erst 1905 in stark veränderter Form zur Annahme. 1900 trat Fürst Hohenlohe zurück und ihm folgte Graf Bülow. Die Verschärfung der Polenfrage veranlaßte die Regierung 1902 den Ansiedelungsfonds zur Stärkung des Deutschtums in den östl. Provinzen zu erhöhen.
Literatur zur Geographie und Statistik: Meitzen, »Boden und landw. Verhältnisse«, Bd. 1-6 (1868-1901); »Statist. Handbuch für den preuß. Staat« (seit 1888); Brunckow (Wohnstätten, 3. Aufl. 1897). – Zur Verfassung und Verwaltung: Wiese, »Das höhere Schulwesen« (4 Bde., 1864-1902); von Rönne, »Staatsrecht« (5. Aufl., 4 Bde., 1898 fg.); Bornhak, »Verwaltungsrecht« (4 Bde., 1884-93); ders. »Preuß. Staats- und Rechtsgeschichte« (1903); Schneider und von Bremen, »Das Volksschulwesen« (3 Bde., 1886-87); Gritzner, »Landes- und Wappenkunde« (1894); Schwarz und Strutz, »Staatshaushalt und Finanzen« (2 Bde., 1901-2); Hue de Grais, »Handbuch der Verfassung und Verwaltung« (17. Aufl. 1906); »Handbuch über den preuß. Hof und Staat« (seit 1868). – Zur Geschichte: Stenzel (5 Bde., 1830-54), Ranke (5 Bde., neue Aufl. 1900), Droysen (5 Tle., 2. Aufl. 1855-86), Prutz (4 Bde., 1899-1902), Hahn (25. Aufl. 1895), Pierson (8. Aufl., 2 Bde., 1903) etc.
Brockhaus-1809: Das Königreich Preußen · Das Königreich Preußen
Brockhaus-1911: Preußen [3] · Preußen [2]
DamenConvLex-1834: Friedrich II., König von Preußen · Luise, Auguste Wilhelmine Amalia, Königin von Preußen · Elisabeth Ludovika, Kronprinzessin von Preußen · Auguste Friederike Christine, Prinzessin v. Preußen · Elisabeth Christine, Königin von Preußen
Meyers-1905: Preußen [3] · Prinz von Preußen · Preußen [1] · Preußen [2]
Pierer-1857: Preußen [2] · Preußen [3] · Preußen [1] · Alt-Preußen · Ost-Preußen
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