Gewohnheitsrecht

[217] Gewohnheitsrecht, das durch die Gewohnheit bei einem Volke eingeführte Recht, welches durch die folgerecht fortgesetzte Beobachtung Gesetzeskraft erlangt hat, d.h. für Alle verbindend geworden ist. Das Gewohnheitsrecht dient zur Ergänzung der von dem Staatsoberhaupte ausdrücklich gegebenen Gesetze. Da nun im Staate außer der eigens damit beauftragten öffentlichen Gewalt Niemand das Recht hat, Gesetze zu geben oder denen gleich geltende Rechte einzuführen, so bedarf das Gewohnheitsrecht, insofern seine Entstehung eine Ausnahme von dieser Regel macht, der stillschweigenden Genehmigung der Staatsregierung. Es versteht sich von selbst, daß ein Gewohnheitsrecht nur insoweit gültig sein und bleiben kann, als es einem bestehenden positiven Gesetze nicht widerspricht. Ursprünglich war alles Recht der Völker Gewohnheitsrecht. Erst in der Entwickelung des Volkslebens kommt es dahin, daß das Gewohnheitsrecht als positives Recht durch Gesetze ausgesprochen wird. Gegenwärtig, nachdem die Gesetzgebungen sich vollkommener ausgebildet haben, beschränken sich die Gewohnheitsrechte fast nur noch auf die Gestaltung örtlicher Einrichtungen und auf die Beobachtung gewisser Formen. Wer übrigens zu Darthuung seines Rechts sich auf ein Gewohnheitsrecht beruft, muß die Existenz und Gültigkeit desselben erweisen. Auch hierdurch unterscheiden sich die Gewohnheitsrechte wesentlich von den geschriebenen oder landesherrlichen Rechtsgesetzen, welche allgemein bekannt und anerkannt sind.

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Brockhaus Bilder-Conversations-Lexikon, Band 2. Leipzig 1838., S. 217.
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