Improvisatoren

[441] Improvisatōren heißen, ursprünglich in Italien, die Dichter, welche so große Gewandtheit in poetischer Auffassung und in Beherrschung der Sprache besitzen, daß sie jeden ihnen aufgegebenen Gegenstand sofort in einem Gedicht zu behandeln und darzustellen vermögen. Bei den noch auf einer geringen Stufe der Verstandesbildung stehenden Völkern pflegt im Allgemeinen poetischer Sinn und poetische Darstellung heimisch zu sein, und bei ihnen findet man daher auch vorzugsweise improvisirende Dichter. Von den neuern europ. Völkern sind es vorzüglich die Italiener, bei welchen bereits seit mehren Jahrhunderten ausgezeichnete Improvisatoren aufgetreten sind. Unter den übrigen europ. Völkern hat es verhältnißmäßig nur sehr wenige solcher Stegreifdichter gegeben. Man hat den Grund dieser Erscheinung zuweilen in dem Wohlklange und in der Biegsamkeit der ital. Sprache gesucht, allein die ältern ital. Improvisatoren bedienten sich sämmtlich nicht der ital., sondern der latein. Sprache, also einer Sprache, die sich durch Härte und Ungefügigkeit auszeichnet. Die Italiener haben, sowol die Gebildeten als die niedere Volksclasse, einen ungemein lebendigen Sinn für Poesie, und die Improvisatoren finden daher stets ein hörlustiges, sie durch Theilnahme und Bewunderung aufmunterndes Publicum und Gönner, welche ihr Talent reichlich belohnen. Hierin mag der Hauptgrund liegen, warum Italien so viele und ausgezeichnete Improvisatoren hervorgebracht hat. Unter den altern ital. Improvisatoren sind namentlich Bernardo Accolti, Christoforo, der Cardinal Silvio Antoniano, dann Perfetti (1680–1747), der auf dem Capitol zu Rom mit dem Lorber gekrönt wurde, und Andere. In der neuesten Zeit haben sich Tommaso Sgricci, Cicconi und Bindocci hervorgethan. In älterer und neuerer Zeit sind aber nicht nur Männer, sondern auch Frauen, sogenannte Improvisatricen, als Stegreifdichter in Italien aufgetreten. Maddalena Morelli Fernandez, genannt Corilla Olimpica, die 1776 zu Rom öffentlich gekrönt wurde, gelangte zu hohem Ruhme, und auch Teresa Bandettini, Mazzei geb. Lanti und Rosa Taddei haben sich ausgezeichnet. In neuerer Zeit sind auch außerhalb Italiens Improvisatoren öffentlich aufgetreten, in Deutschland O. L. B. Wolff, jetzt Professor in Jena, und Langenschwarz. – Die improvisirten Gedichte, welche zum Theil von bedeutender Länge sind, und nicht nur lyrische Ergüsse, sondern auch epische und dramatische Schilderungen enthalten, stehen natürlich den sorgfältig ausgearbeiteten und wohl überlegten Gedichten an Inhalt und Form nach, aber sie wirken mächtig auf die Zuhörer durch den eigenthümlichen Reiz der Ursprünglichkeit und durch das Leben, welches ihnen der mündliche Vortrag einhaucht. Manche Improvisatoren haben ihre Gedichte singend, zum Theil auch unter musikalischer Begleitung vorgetragen.

Quelle:
Brockhaus Bilder-Conversations-Lexikon, Band 2. Leipzig 1838., S. 441.
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