[235] Nackte (das) heißt in der Bildhauer- und Malerkunst der unbekleidete menschliche Körper und bietet ganz eigenthümliche Schwierigkeiten für die künstlerische Darstellung, zu der überhaupt anatomische Kenntnisse vom menschlichen Körperbau erfodert werden. Hat der Bildhauer vorzugsweise die Lage und bei den verschiedenen Stellungen des Körpers wechselnde Spannung der Muskeln zu beachten, so kommt dazu beim Maler noch die Farbengebung oder das Colorit, welches in Beziehung auf das Nackte die Carnation genannt wird und an den verschiedenen Körpertheilen sehr mannichfaltige Farbentöne darbietet. Jeder Mensch hat schon an sich und abgesehen von Alter, Temperament, Vaterland und Geschlecht einen eigenthümlichen Ton der Hautfarbe, die ferner auf den Wangen oft geröthet, an Nacken, Brust und Oberarmen in der Regel weiß, am Unterleibe gelblicher, anders wieder an Händen und Füßen und an allen den Stellen erscheint, wo Blutgefäße durchschimmern. Alle diese Einzelnheiten soll der Maler mit dem Hauptcharakter der Hautfarbe übereinstimmend und lebensvoll dem Auge vergegenwärtigen. Des sinnlichen Reizes wegen, den die Farben den Gemälden verleihen und der den Stein-, Erz- und andern Gebilden der Bildhauerkunst in gleichem Grade abgeht, stellt die Malerkunst meist die Figuren in der Art verhüllt dar, daß sie nicht vorzugsweise zur Sinnlichkeit sprechen. Die künstlerische Vertrautheit mit dem Nackten spricht sich übrigens nicht blos in der Darstellung desselben, sondern auch in bekleideten Gestalten aus, indem Lage, Faltenwurf und andere Verhältnisse der Gewänder und Hüllen ebenfalls von den Hauptformen des menschlichen Körpers abhängig sind.