Vaterland

[559] Vaterland (das) eines Menschen ist, wo er geboren wurde oder der Staat, in welchem sein Vater zu jener Zeit seinen Wohnsitz hatte und dem er staatsbürgerlich angehörte. Auf dieses älterliche Bürgerthum haben daher die Kinder einen natürlichen und vom Staate auch willig anerkannten [559] Anspruch, ohne deshalb darin gebunden zu sein, ob sie auch beständig Mitglieder des Staats bleiben wollen, aus dem sie gebürtig sind. Vielmehr steht in dieser Beziehung mit erlangter Mündigkeit Jedem die Wahl frei, und sind sonst die Beweggründe dazu verständige, so kann Niemand deshalb ein Tadel treffen, weil er das ihm zufällig von der Geburt. angewiesene Vaterland verlassen und seinen bleibenden Wohnsitz in einem andern Staate genommen hat. Dieser wird aber dadurch durch Wahl sein zweites Vaterland und er hat gegen ihn und seine neuen Mitbürger dieselben Pflichten zu erfüllen, wie in den frühern Verhältnissen; kurz, er muß sein zweites Vaterland völlig wie sein erstes betrachten und durch alle ihm zu Gebote stehende rechtliche Mittel das allgemeine Beste zu befördern streben, was auch die Vertheidigung wider Feinde mit einschließt. Darauf beruht denn auch die echte Vaterlandsliebe, welche keineswegs auf bloße Anhänglichkeit für das Land beschränkt ist, wo wir geboren worden sind. Diese Anhänglichkeit ist zwar eine natürliche und ist instinctartig selbst den Thieren eigen, auch am vorherrschendsten bei ungebildeten und solchen Völkern, welche von den Ländern außer ihrer Heimat wenig oder nichts kennen. Ihren sittlichen Werth erhält jedoch die Vaterlandsliebe erst durch verständiges Wohlwollen gegen unsere Mitbürger und das vernünftige Bestreben, das allgemeine Beste fördern zu helfen. Das Vaterland der Geburt wie das der Wahl kann natürlich ebenso gut der Gegenstand einer solchen höhern Vaterlandsliebe, des echten Patriotismus (s.d.) sein. – Auch in Bezug auf Thiere, Pflanzen, Mineralien, ja selbst auf Künste, Gewerbe und ihre Erzeugnisse spricht man vom Vaterlande derselben und versteht darunter das Land, wo die erstern am häufigsten oder ursprünglich zu Hause sind und gefunden werden und die andern entstanden oder ihre umfänglichste und vollendetste Ausbildung erhalten haben. Deutschland ist z.B. in dieser Beziehung das Vaterland der Buchdruckerkunst, China das der Theepflanze, Arabien das der edlen Pferde. – Vaterländisch heißt, was sich auf das Vaterland, namentlich das der Geburt bezieht, in welcher Hinsicht man von vaterländischen Sitten und Gebräuchen, vaterländischem Rechte u.s.w. spricht.

Quelle:
Brockhaus Bilder-Conversations-Lexikon, Band 4. Leipzig 1841., S. 559-560.
Lizenz:
Faksimiles:
559 | 560
Kategorien: