Stiefmütterchen

[297] Stiefmütterchen, Freisamkraut, Dreifaltigkeitsblume (lat. Viola tricolor), das Vergißmeinnicht (pensée) der Franzosen, wird bei uns in Gärten in vielen Abänderungen gezogen, wächst aber auch in anspruchsloserer Färbung wild als Ackerveilchen. Das letztere wird, Blumen und Kraut, in der Medicin als blutreinigendes Mittel angewendet, besonders beim Milchschorf und Kopfgrind der Kinder, bei allen skrofulösen Ausschlägen, Flechten, Krätze, bei Drüsengeschwülsten, gichtischen und rheumatischen Beschwerden und dergl. Den Namen Stiefmütterchen hat das Blümchen von seiner eigenthümlichen Gestalt, welcher die Phantasie des Volkes eine märchenhafte Auslegung gegeben. Es besteht nämlich aus drei großen und zwei kleinen Blättchen, von denen das eine blaßgefärbte große auf zwei grünen Kelchblättern liegt und jedes der beiden gleichfalls blässern kleinen Blumenblätter auf einem Kelchblatte steht, während die beiden obern schöner gefärbten Blumenblätter zusammen nur ein grünes Kelchblättchen unter sich haben. Diese beiden Blätter heißen die Stiefkinder der auf sie neidischen Stiefmutter, das große fahle Blatt, welche sich selbst auf zwei Stühle setzt, während ihre beiden rechten Kinder, die kleinen fahlen Blätter, jedes einen eignen Stuhl einnehmen und sich die beiden Stiefkinder zusammen mit einem Stuhle begnügen müssen. Neid und Verdruß über das Gedeihen und die Schönheit der Stiefkinder sollen die Mutter mit ihren Kindern erbleichen gemacht haben.

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Brockhaus Bilder-Conversations-Lexikon, Band 4. Leipzig 1841., S. 297.
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