Appetit

[252] Appetit ist das Verlangen nach irgend einem, den Gaumen reizenden Genusse, und in natürlicher Bedeutung, ein geringer Grad des Hungers, ist aber nicht das Gefühl, welches die Speise[252] zur Unterhaltung des Lebens, sondern mehr wegen des Vergnügens für den Geschmacksinn begehrt, und wird durch verfeinerte Kultur besonders genährt. Der Hunger (s. d. Art.) wird durch eine gewisse Menge von Nahrung gestillt, der Appetit aber ist gewöhnlich krankhafter Natur, kann nach gestilltem Hunger fortbestehen, und zwar durch den Genuß gestillt, in einzelnen Fällen aber nur durch den Widerwillen ganz aufgehoben werden. Der Appetit hat in den ältesten Zeiten seine Priester gehabt, und Tausende auf Irrwege geführt. Von den Agrigentinern sagt ein alter Schriftsteller, daß sie Häuser gebaut hätten, als wenn sie ewig leben wollten, und gegessen hätten, als wenn sie den folgenden Tag sterben wollten. Die üppigen römischen Kaiser fröhnten den sonderbarsten und köstlichsten Appetiten; Apicius aß Pasteten von Pfauenzungen und verpraßte sein ungeheures Vermögen durch die feinste und leckerhafteste Tafel von ganz Rom, so daß er sich vergiften mußte, um nicht Hungers zu sterben, und ein anderer römischer Feinschmecker ließ seine Seefische mit Menschenfleisch füttern. In neuerer Zeit erhob sich bei den Franzosen die Feinschmeckerei zu einer seltenen Höhe, und Grimod de la Requiere schrieb den witzigen Almanac des Gourmands und errichtete für die Wissenschaft des Gaumens eine Jury von Feinschmeckern, die bei üppigem Mahle unter schönen Damen mit feierlichem Ernste über eine Sauce richtet. – Der Appetit wird aber wirklich krankhaft, wenn eine Verwirrung des Geistes den Menschen zu unnatürlichen Genüssen treibt oder vorübergehende Verstimmung der Nerven eine Sehnsucht nach gewissen Speisen oder ungenießbaren Dingen erzeugt. Bei Krankheiten ist manchmal der Appetit ein Fingerzeig der Natur, den der Arzt zu beachten hat, öfter aber wird er auf verbotne, und für die Umstände wirklich schädliche Dinge gerichtet.

D.

Quelle:
Damen Conversations Lexikon, Band 1. Leipzig 1834, S. 252-253.
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