Natur

[370] Natur, Alles was ist, der Inbegriff aller sinnlichen Erscheinungen, ihrer Kräfte und Wirkungen; jede Eigenheit an dem Wahrnehmbaren, so weit sie sich offenbart; Natur: die Allmutter, aus deren Brüsten ewig frisches Leben quillt, die Ernährerin des Bestehenden und Werdenden, die Schöpferin des Gedeihens und Wachsens, das Universum, das unsichtbar-wirkende und Schaffende, der Lebensodem der Gottheit, der Pulsschlag des Alls, der Hebel tausendfältiger bekannter und unbekannter Kräfte. Wir sprechen von der Natur als einer den Weltraum erfüllenden, sich stets äußernden und ergänzenden Potenz, wir leihen ihr geheime Zauber, wir entziffern seit Jahrtausenden ihre Räthsel, wir haben Schleier um Schleier gelöst, und dennoch bleibt sie uns immer neu in ihrem Walten, in ihrem Wechsel, eine ewige Fata morgana, eine Wunderthäterin ohne Anfang und Ende. – Die Eigenheiten der Wesen, ihren Complex, ihre Wechselwirkung, ihren Zustand nennen wir Natur; daher eine Natur der Dinge, ein Zustand der Natur, daher thierische oder Pflanzennatur etc. Ihr, als Abstraktem entgegengesetzt ist das Uebernatürliche, das in seinen Ursachen nicht Erkennbare. Die Unnatur ist das rein Negative, ihr gänzlicher Mangel. Ueber ihre Principien, so weit sie erforscht sind, handelt die Naturlehre: die Gesetzsammlung ihrer Wesenheit, ihrer Ursachen und Wirkungen; ihre Erscheinungen berichtet, schildert, vergleicht und klassificirt die Naturgeschichte. – Wer ihrer Wahrheit und Einfachheit treu geblieben, ohne sich[370] durch Kultur von ihrer ursprünglichen Bahn entfernt zu haben, heißt ein Naturmensch. – In ähnlichem Sinne bezeichnen wir einen Dichter als Naturdichter (s. d.). Der Naturphilosoph abstrahirt von ihr; im Kunstleben ist ihr die Künstelei entgegengesetzt, in der conventionellen Bildung die Unnatur, die Afternatur, die Ziererei. »Das Natürliche ist das einzig Wahre!« Dieß Princip dürfen die Frauen nie außer Augen verlieren, es gilt in der Mode, in der Haltung, im Tanz und Spiele, in der Conversation, in der Art ihrer Erscheinung und deren vielfacher Repräsentation.

B.

Quelle:
Damen Conversations Lexikon, Band 7. [o.O.] 1836, S. 370-371.
Lizenz:
Faksimiles:
370 | 371
Kategorien: