Bajaderen

[419] Bajaderen. Zu den oft wunderbaren Sitten der Völker Indiens gehört auch der Brauch, junge Mädchen aus allen Klassen, in einem Alter von 8 Jahren, dem Tempeldienste des Schiwa oder Wischnu zu widmen. Zu diesem Endzwecke werden die hiezu bestimmten in die Pagoden gesandt, wo aber nur gut gewachsene, hübsch aussehende und gesunde Mädchen angenommen werden. Dort angekommen, übergibt man sie ihren Gefährtinnen, badet sie in dem Teiche der Pagode, legt ihnen neue Gewänder an und schmückt sie mit Edelsteinen. Hierauf folgt die Einweihung durch den Oberpriester und das Aufdrücken des Siegels mit einem glühenden Eisen. Jetzt ist sie Bajadere. Eine solche Novize lernt schreiben, singen, besonders aber tanzen, und außerdem eine Menge von Toilettengeheimnissen und Künsten der Koketterie. Im 10. Jahre schon sind diese Mädchen zu Jungfrauen erwachsen und treten als eigentliche Tempeldienerinnen auf. Auf das Reizendste gekleidet, die schönen Formen nur leicht in eng anschließende Seide gehüllt, die Taille von einem silbernen Gürtel umschlossen, mit langen Ohrgehenken, silbernen und goldenen Schellen, welche nach dem Takte klingen, mit bloßen Füßen, tanzen sie vor den Altären der Götter, so unnachahmlich schön und reizend, und doch so lieblich und bescheiden, wie keine unserer Tänzerinnen in Paris und Wien. Manche dieser Mädchen sind ausschließlich dem Tempeldienste geweiht, andere genießen größere Freiheit und wuchern mit ihren[419] Reizen und Talenten bei den Festen der Reichen, zu deren Verherrlichung sie gerufen und dafür reichlich belohnt werden. Selbst gewöhnliche Privatgesellschaften sind durch ihre Gegenwart geschmückt, aber immer weiblich, jungfräulich und zart, kommt man bei ihnen in Versuchung, selbst das zu entschuldigen, was die dortige Landessitte gestattet, aber die strenge Moral des Europäers mißbilligen würde. Nicht selten haben Europäer solche Mädchen geheirathet und sind die glücklichsten Gatten geworden; denn von den Priestern in mancher Wissenschaft und in allen heitern Künsten unterrichtet, übertreffen sie an Bildung ihre Schwestern und haben doch nichts von deren Liebenswürdigkeit und deren Gemüth verloren. Ihr Name in Indien ist Dewedaschies (Dienerinnen Gottes); eine ähnliche Art der Bajaderen gibt es auch in Aegypten (s. d.). Mädchen, welche zu gleichen Zwecken, nicht in den Tempeln, sondern nur von alten Frauen erzogen werden, stehen weniger in Ansehen, und heißen Hatsches. Reiche Privatleute zahlen für eine Bajadere auf einen Abend, die sie zu ihren Festen kommen lassen, oft 2 auch 4000 Rupien (4000 Fl. nach unserem Gelde). Das Meiste davon erhalten die Braminen der Pagode, die Tänzerinnen bekommen aber in der Regel noch von den Gästen ein Geschenk. Im 16. Jahre werden die Mädchen aus den Pagoden entlassen; sie sind dann reich genug, um von dem Erworbenen zu leben und begabt mit einem fröhlichen, leichten Sinn, fehlt ihnen wenig oder nichts, um sich unter die Beneidenswerthen zu zählen.

V.

Quelle:
Damen Conversations Lexikon, Band 1. Leipzig 1834, S. 419-420.
Lizenz:
Faksimiles:
419 | 420
Kategorien: