Bedürfniss

[479] Bedürfniss heißt im gewöhnlichen Leben der Zustand, worin man einer nützlichen Sache ermangelt, oder sie zu haben wünscht. Bedürfnisse des menschlichen und thierischen Körpers sind innere Empfindungen, die denselben zu Handlungen drängen, welche seine Erhaltung bedingen, wie z. B. Hunger, Durst, Bewegung, geistige und körperliche Thätigkeit. Nach der verschiedenen Beschaffenheit des Körpers und Geistes werden auch die Bedürfnisse verschieden und heißen demnach physische, moralische und natürliche oder erworbene. Nach einzelnen Fähigkeiten oder Eigenthümlichkeiten des Geistes, nach den Gefühlen werden sehr mannichfaltige[479] Bedürfnisse erzeugt. Der Drang nach Freundschaft, einem liebenden Herzen, Familienglück, Ruhm, Mittheilung und andere entstehen aus denselben. – Der Mensch hat im Naturzustande wenig Bedürfnisse, aber die Civilisation lehrt ihn viele Gewohnheiten, die alle Bedürfnisse werden. Schnee und Eis ist dem Neapolitaner ein größeres Bedürfniß als Brot, und selbst unnatürliche Schädlichkeiten werden aus Gewohnheit wichtige Bedürfnisse. So erhob sich z. B. der Schnürleib zu einem Bedürfnisse für das weibliche Geschlecht, obgleich die schädlichen Einwirkungen desselben deutlich hervorleuchten, und der Genuß von Wein, Leckereien, Opium und andern mehr oder weniger schädlichen Dingen können Bedürfnisse werden. – Der Mensch muß sich vor zu vielen Bedürfnissen hüten, weil es Schmerz bereitet, sie nicht stillen zu können. Kinder besonders müssen vor unnöthigen Bedürfnissen bewahrt werden, und Erwachsene müssen an sich arbeiten, um unnöthige Angewohnheiten und Genüsse zu vermindern oder die Neigung dazu zu bezähmen. Viel Bedürfnisse vermindern den Anspruch auf irdisches Glück und legen den Grund zur Unzufriedenheit mit dem Leben. (s. Entbehrungen).

D.

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Damen Conversations Lexikon, Band 1. Leipzig 1834, S. 479-480.
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