[332] Charakteristik der Tonleitern der Tonleitern und Tonarten. Bereits im vorigen Jahrhunderte hat man angefangen, den einzelnen Tonarten Empfindung, Charakter u. s. w. beizulegen. Der[332] Dichter C. D. Schubart namentlich hat eine Charakteristik derselben geliefert, welche unläugbar viel Zartes und Poetisches enthält, jedenfalls aber über die Wahrscheinlichkeit hinausgeht. Er sagt z. B. C moll repräsentire ein weiß gekleidetes Mädchen mit einer Rosaschleife am Busen; G moll sei die Empfindung des Mißvergnügens, der Unbehaglichkeit, der Verstimmung. Vergleiche man nun die Mozart'sche G moll- Symphonie (diese griechisch-schwebende, wenn auch etwas blasse Grazie) oder das G moll-Conzert von Moscheles mit dieser Angabe, so ist das Unhaltbare derselben einleuchtend. Nicht zu läugnen ist, daß durch Versetzung der ursprünglichen Tonart einer Composition in eine andere, eine verschiedene Wirkung erreicht wird, und daß daraus eine Verschiedenheit des Charakters der Tonarten hervorgeht. Man spiele z. B. den »Sehnsuchtswalzer« in H dur oder den »Jungfernchor« im A dur, und man wird bald fühlen, daß sich die Töne gleichsam in einem fremden Kreise bewegen. Der Prozeß, welcher dem Tondichter diese oder jene Grundfarbe zur Aussprache seiner Empfindungen an die Hand gab, ist unerklärbar, wie der schaffende Genius selbst, der mit dem Gedanken zugleich die Form, das Gefäß gibt, das jenen sicher einschließt! Der wahre Componist trifft daher von selbst das Rechte, wie der wahre Maler seine Farben. Der Unterschied zwischen Dur und Moll muß unstreitbar zugegeben werden. Jenes ist das handelnde männliche Princip, dieses das Leidende, Weibliche. Einfachere Erfindungen haben einfachere Tonarten; zusammengesetzte bewegen sich lieber in einer fremden Region und sind deßhalb für Tonarten, welche das Ohr seltener vernommen hat.
R. S.