Chemie

[347] Chemie, ein Zweig der Naturlehre, welcher sich damit beschäftigt, die in der Natur vorgefundenen Körper zu zerlegen, in einfachere Bestandtheile, und endlich in solche zu scheiden, (daher Chemie auch Scheidekunst übersetzt wird) welche sich entweder nicht mehr in einfachere Bestandtheile zerlegen lassen – wie die Gasarten, von denen man weiß, daß sie noch nicht einfache Körper sind – oder in solche, die man wirklich als einfache Körper zu betrachten hat, wie z. B. die Metalle, Phosphor, Schwefel u. s. w. In dem angeführten Sinne ist der Name Scheidekunst richtig, da aber dieses nicht die alleinige Aufgabe der Chemie ist, sondern sie sich auch mit der Verbindung, Zufammensetzung verschiedener, und der daraus[347] hervorgehenden Bildun gneuer Körper beschäftigt, so ist er nicht umfassend genug. Es zerfällt die Chemie in mehrere Zweige, zuerst ganz allgemeine, in analytische Chemie oder Scheidekunst, in synthetische oder zusammensetzende Chemie, ferner eben so allgemein in theoretische und praktische – endlich in eine Menge specieller Zweige, in Mineral-Chemie, Pflanzen- und Thier- (Phyto- und Zoo-Chemie) in Feuer- (Pyro-) Chemie, in technologische Chemie im weiter umfassenden Sinne, und in Unterabtheilungen, welche auch zur Technik gehören, doch einzelne Zweige besonders berücksichtigen, wie Färberei, Glas, Metall, Salz, Production und Gewinnung, dann in' agronomische, pharmaceutische und polytechnische Chemie etc. Den Damen ist ein bedeutender Zweig derselben übergeben, welche man Culinar-Chemie, (deutsch: Kochkunst) nennt, und welche zur Erhaltung des Wichtigsten, was der Mensch sein nennt, zur Erhaltung des Lebens und der Gesundheit, nicht wenig beiträgt. Von geringem Interesse wäre es für die Damen, hier die Geschichte der Chemie weitläufig entwickeln, ihre Operationen beschreiben zu wollen, nur im Allgemeinen sei es gesagt, daß sie aus dem Arabischen stammt, durch die Sucht, Gold zu machen, vervollkommnet, dann in mehrere Systeme gezwängt worden ist, wovon eines immer weniger taugte als das andere, bis durch Lavoisier, Bertholet, Humphry, Davy, und durch den großen Berzelius, der Augiasstall gereinigt, und sie in ihrer Würde als exacte Wissenschaft aufgestellt worden ist. Jene Männer beobachteten Kräfte, welche früher ganz außer Acht gelassen waren, Elektricität, Licht und Magnetismus, als von dem eingreifendsten Einfluß – sie entdeckten die merkwürdige Wahlverwandtschaft, die Kraft, vermöge deren zwei zusammengesetzte Körper, mit einander vermischt, ihre Verbindungen verlassen, und über's Kreuz andere eingehen. Wenn man z. B. Schwefelsäure auf Küchensalz gießt, (Schwefel und Sauerstoff – mit Natrum und Chlor, oder nach älterem Ausdruck, Natron und Salzsäure), so verbindet sich die Schwefelsäure mit dem Natron, und die Salzsäure[348] entweicht als Gas, Chlor. – Ferner wenn man die so entstandene Verbindung, – Glaubersalz wird sie genannt – mit salzsaurem Kalk vermischt, so entsteht abermals eine wechselseitige Trennung, und eine neue Verbindung tritt ein – die Salzsäure verläßt den Kalk, und geht zum Natron des Glaubersalzes, mit demselben Kochsalz bildend – die Schwefelsäure des Glaubersalzes verläßt den Natron, und geht zu dem verlassenen Kalk, mit ihm Gips bildend – d. h. wie sich die Chemie poetisch ausdrückt, die Salzsäure hat zum Natron eine größere Verwandtschaft als zum Kalk, und eine größere Verwandtschaft, als die Schwefelsäure zum Natron hat, wogegen diese letztere wieder eine größere Verwandtschaft zum Kalk als zum Natron zeigt, wodurch diese Wechselwirkung, Entmischung und neue Mischung eintritt. In dieser Erscheinung liegt das Hauptmittel zu allen Arbeiten der Chemie. Daher das Hauptaugenmerk der Chemiker auf gründliche Erforschung der Verhältnisse gerichtet ist, in denen sich die verschiedenen Körper mit einander verbinden, und in denen so und so verbundene Körper, die Bande anderer Vereinigungen lösen.

V.

Quelle:
Damen Conversations Lexikon, Band 2. Leipzig 1834, S. 347-349.
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