Maria Adele von Savoyen

[89] Maria Adele von Savoyen, eine der geistreichsten Frauen des 17. Jahrhunderts, begabt mit einem Zauber der Liebenswürdigkeit, der mächtiger als die vergänglichen Reize der Schönheit, seine Siege durch die Gewaltherrschaft des Geistes erkämpft. Unscheinbar von Gestalt, beinahe häßlich von Gesichtsbildung, fühlte sich doch jeder, der in ihre Nähe kam, durch das sanfte Feuer ihrer Augen, durch ihre Sprache, durch die Grazie, welche ihrem ganzen Wesen den Stempel der Vollendung aufdrückte, zur Bewunderung und Huldigung hingerissen. Maria war die Tochter Victor Amadeus 1J., und 1685 zu Turin geb. In ihrem 11. Jahre verlobt und in ihrem 12. vermählt mit dem Herzog von Bourgogne, dem nachmaligen Dauphin, ward sie das Mittel zum Frieden zwischen Frankreich und Italien, und das dankbare Volk, in ihr die Versöhnerin sehend, nannte sie mit Recht die Friedensfürstin. Durch ihre Heiterkeit, durch ihre geistige Anmuth ihren Gatten beglückend, bezauberte sie zugleich den König (Ludwig XIV.) und war die Seele, man könnte sagen, der Mittelpunkt im edelsten Sinne des Wortes an jenem intriguenvollen, verderbten Hofe. Als ihr Gemahl Kronprinz wurde, sagte sie zur Frau von Maintenon: »Je höher ich im Range steige, desto tiefer fühle ich mein Herz gedemüthigt!« denn die Zeitgeschichte kennt des Prinzen Hang zur Galanterie. Aber mitten unter Zwistigkeiten, Intriguen und Verläumdungen behauptete sie sich stets selbstständig, war unbefangen und heiter, und wurde von allen Parteien geliebt und geehrt. Nur Eins trübte ihren heitern Sinn: der Dauphin, ihr Gatte, zum Generalissimus ernannt, befehligte in Flandern und verlor eine Schlacht nach der andern. Der Volkswitz bespottete sein Mißgeschick und seinen Mangel an militairischer Bravour. Als dieß Maria vernahm, weinte sie heftig, und Frau von Maintenon sandte das Tuch, worin sie jener Thränen getrocknet, mit einigen ernsten Worten an den Dauphin. Dieß riß ihn aus seiner Lethargie, die Liebe zu der liebenswürdigsten Frau begeisterte ihn – er schlug die Schlacht bei Nimwegen[89] und siegte. – Maria gebar einen Sohn, den nachmaligen König, Ludwig XV., da der Dauphin nicht zur Regierung kam. Sie starb den 11. Februar 1712,8 Tage vor ihrem Gemahl, kaum 27 Jahr alt, in der Fülle der Jugend und Anmuth. Ganz Frankreich trauerte, denn sie hatte Niemanden gekränkt, Niemanden bedrückt, keinen Günstling erhoben, und man kann sagen: Sie wurde von Niemand gehaßt.

V.

Quelle:
Damen Conversations Lexikon, Band 7. [o.O.] 1836, S. 89-90.
Lizenz:
Faksimiles:
89 | 90
Kategorien: