[220] Pisaroni, Karoline. In Italien, dem Lande des Gesanges, sind wohl die hohen Soprane, nicht aber die Altstimmen eine Seltenheit. Welch' eine Macht und Schönheit der Töne, welche[220] Kunstbildung gehört dazu, will eine Sängerin als Contraaltistin Beifall erwerben, und wie groß muß das Verdienst sein, wenn sie von den Ruhmesschwingen getragen, als die gefeierteste ihrer Zeitgenossinnen erscheint! Zudem ist es auch meistens die Schönheit der Erscheinung, die in den Augen der Masse die Leistungen einer Sängerin hebt. Aber davon besitzt die Pisaroni nichts; sie ist sogar häßlich, und es begegnete ihr mehrmals, daß sie bei ihrem ersten Auftreten vor einem fremden Publikum mit Gelächter empfangen wurde. Doch schon mit den ersten Tönen ihrer Wunderstimme nahm sie die allgemeinste Aufmerksamkeit gefangen, die in Bewunderung überging und sich bis zum Entzücken steigerte. Die häßliche Frau empfing nun die aufrichtigsten Huldigungen auf allen großen italienischen Theatern feierte sie Triumphe, in Paris erklärten sie die Dilletanti für eine Erscheinung ganz eigener Art, und selbst die britische Hauptstadt wand ihr reiche Lorbeerkränze. Castil Blaze sagt von ihr: »Wer die Pisaroni nie gehört hat, hat keine Altstimme gehört. Erst bei ihr lernt man den mächtigen Zauber, das Seelenvolle dieser Stimmlage kennen. Kein Sopran in der Welt ist eines solchen Ausdruckes, solcher Seele und Innigkeit fähig, in keinem Sopran kann das Gefühl, der Schmerz, die Wonne sich mit ähnlicher Wahrheit kund geben.« Mad. Pisaroni, geboren in Verona, wird gegenwärtig 30 Jahre alt sein, und scheint sich seit 1835 von der Bühne zurückgezogen zu haben.
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