[2] Rückert, Friedrich. In der unergründlichen Phantastik der Traumwelt geschieht es zuweilen, daß wir von unsichtbaren Schwingen fortgetragen werden in Gegenden, die wir nie gesehen in der Wirklichkeit. Dann besuchen wir die Quellen des heiligen Ganges, verkehren mit den Göttern, Mährchen tönen um uns in zaubergewaltigen Liedern, Glückseligkeit flüstern die Blätter der Terebinten, aus den Kronen der Palmen stürzt sich der Himmel herab an unser Herz. Wir fühlen die Erde nicht mehr unter unsern Füßen, wir trinken Aether, wir sättigen uns an dem Goldglanz der Sterne wir befinden uns in den Gärten der Hesperiden und leben ein seliges, heiteres Götterleben. Wer die Kraft besitzt, ein solches Leben einmal durchzufühlen in voller Nervenlust und mit frohem Bewußtsein, der muß sich untertauchen in die Poesie Fried- [2] rich Rückert's. Dieser Dichter, der leider noch lange nicht die Anerkennung gefunden, die ihm allgemein gebührt, hat als Lyriker in der neueren Zeit nächst Heine die originellste Bahn gebrochen, auf der kein früherer gewandelt. Ganz seiner Individualität hingegeben, dichtet er, wenn ihn der Gott berührt. Und seine Brust ist so liederreich, so frühlingslustig, daß er nie ermattet im Gesange. R. singt die Töne aller Völker und aller Länder in deutscher Sprache. Es gibt kein Versmaß, worin er nicht gedichtet, und leicht und graziös schmiegt sich der zarteste Gedanke dem stählernsten Kleid, ohne an Anmuth zu verlieren. Amoretten kosen um den Sänger und bringen ihm aus allen Himmelsgegenden die fertigen Formen auf sein Zimmer, und der lächelnde Zauberer sitzt still an seinem Pult und stellt die klingenden Gedanken in die dargereichten Formen. Und die seltsamen Figuren bewegen sich, süßes Leben regt sich in den Gliedern, der Dichter öffnet das Fenster und die fertigen Kinder seiner unerschöpflichen Muse beginnen mit ihren älteren Geschwistern den Reigen zu schlingen um die deutsche Erde. R. trat zuerst 1814 unter dem Namen Freimund Raimar auf mit »deutschen Gedichten,« darunter die geharnischten Sonette.« Später (1817) erschien als Fortsetzung »Kranz der Zeit,« zuerst mit seinem wahren Namen, dem bald darauf »die östlichen Rosen« folgten. Von seinen »gesammelten Gedichten« erschien die zweite Auflage 1836 in 2 Bänden, der dritte und vierte werden erwartet. Außer diesen, der eigensten Production angehörenden Leistungen übertrug er mit feinsinniger Gewandtheit Hariri's »Makamen« unter dem Titel »die Verwandlungen des Abu Seid,« gab das indische Gedicht »Nal und Damajanti« ebenfalls in einer treuen, dem Original nachgebildeten Uebersetzung heraus, und beschenkte uns im Musenalmanach für 1831 mit »sanskritischen Liebesliedchen.« Die Leichtigkeit, womit er die Sprache bemeistert, verführt ihn aber nicht selten zu Künsteleien und poetischem Getändel. Viele seiner leicht geschwungensten Lieder sind nur poetisch[3] in der Form, nicht dem Inhalte nach. Doch kann man diese Verirrungen der Virtuosität sprachlicher Gestaltung leicht vergessen über der unerschöpflichen Fülle eigener origineller Anschauungen, womit ihn fast täglich die Gunst der Muse beschenkt. Er ist der fruchtbarste, vielseitigste und originellste aller deutschen Lyriker, und verdiente es, bald auch der geliebteste, vornehmlich der deutschen Frauen, zu werden. Die seine Schalkhaftigkeit seiner Muse, welche die Sprache selbst neckt, wie eine schelmische Geliebte, und aus ihren Launen die sprühendsten Witzfunken sammelt zu buntfarbig brennenden Liedersträuschen, muß dem Gemüthe deutscher Frauen mehr zusagen, und es tiefer und bleibender berühren als Schiller's rhetorisirende Lyrik und die kaltgefügte Pracht seiner Sentenzen. R. ward 1789 zu Schweinfurt geb., und lebt seit 1826 in Erlangen als Professor der orientalischen Sprachen.
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