Apperception, transcendentale

[62] Apperception, transcendentale, oder reine, ist ein durch KANT geprägter Terminus. Die empirische Apperception (s. d.) ist das in jedem Augenblick modificierte, die transcendentale Apperception aber das reine, constante, identische Selbstbewußtsein, die Ichheit, die in allen erkennenden Subjecten die gleiche ist. Diese transcendentale Apperception ist die ursprüngliche, einheitsetzende, synthetische Function des Bewußtseins, die formale Quelle alles Apriorischen in der Erkenntnis, die Bedingung derselben. Ohne die Constanz des reinen Ich gäbe es keine Einheit, keinen Zusammenhang in unseren Vorstellungen. »Nun können keine Erkenntnisse in uns stattfinden, keine Verknüpfung und Einheit derselben untereinander, ohne diejenige Einheit des Bewußtseins, welche vor allen Datis der Anschauungen vorhergeht, und worauf in Beziehung alle Vorstellung von Gegenständen möglich ist. Dieses reine, ursprüngliche, unwandelbare Bewußtsein will ich nun die transcendentale Apperception nennen« (Kr. d. r. V. S. 121). Die »Einheit der Apperception«, die eine Bedingung des Zusammenhangs unserer Vorstellungen, ihrer Aufbewahrung, ihrer Wiedererkennung ist, besteht in der (rein formalen, nicht substantiellen) Identität des Ich. »Wir sind uns a priori der durchgängigen Identität unser selbst in Ansehung aller Vorstellungen, die zu unserer Erkenntnis jemals gehören können, bewußt als einer notwendigen Bedingung der Möglichkeit aller Vorstellungen« (l.c. S. 172). Der Ausdruck der Einheit der Apperception ist das Bewußtsein des »Ich denke«, das alle meine Vorstellungen muß begleiten können. »Also hat alles Mannigfaltige der Anschauung eine notwendige Beziehung auf das Ich denke in demselben Subject, darin dieses Mannigfaltige angetroffen wird« (l.c. S. 659). Diese Apperception heißt auch »ursprüngliche« Apperception, »weil sie dasjenige Selbstbewußtsein ist, was, indem es die Vorstellung Ich denke hervorbringt, die alle andern muß begleiten können und in allem Bewußtsein ein und dasselbe ist, von keiner weiter begleitet werden kann« (ib.). Das »stehende und bleibende Ich« der »reinen« Apperception »macht das Correlatum aller unserer Vorstellungen aus, sofern es bloß möglich ist, sich ihrer bewußt zu werden, und alles Bewußtsein gehört ebensowohl zu einer allbefassenden reinen Apperception, wie alle sinnliche Anschauung als Vorstellung zu einer reinen inneren Anschauung, nämlich der Zeit« (l.c. S. 133). Die Einheit der Apperception bezieht sieh auf die »reine Synthesis« (s. d.) der »productiven Einbildungskraft« (s. d.) und ist insofern die allgemeinste Verstandesfunction (l.c. S. 129). Sie ist zugleich die Quelle der Kategorien (s. d.) und der Objectivität der Erscheinungen. »Eben diese transcendentale Einheit der Apperception macht aber aus allen möglichen Erscheinungen, die immer in einer Erfahrung beisammen sein können, einen Zusammenhang aller dieser Vorstellungen nach Gesetzen« (l.c. S. 121). Die reine Apperception gibt »ein Principium der synthetischen Einheit des Mannigfaltigen in aller möglichen Anschauung an die Hand« (l.c. S. 128).

FRIES versteht unter »reiner« Apperception die »eigene Spontaneität (Selbsttätigkeit) des Geistes«, das »reine Selbstbewußtsein« (Neue Krit. I, 120, II, 65; Syst. d. Log. S. 50), unter »transcendentaler« Apperception das »unmittelbare[62] Ganze der Erkenntnis« (Neue Kr. II, 65). J. G. FICHTE prägt den Begriff der transcendentalen Apperception zu dem des absoluten Ich (s. d.) um. Nach SCHOPENHAUER ist die Einheit der Apperception das »Subject des Erkennens, das Correlat aller Vorstellungen« (W. a. W. und V. Bd. I). RIEHL setzt die transcendentale Apperception der »synthetischen Identität« (s. d.) gleich, der Einheit-Einerleiheit des Bewußtseins, in welche alles sich einordnen muß, um Erfahrung zu werden (Phil. Krit. I, 2, S. 78; I, 1, S. 68). WUNDT versteht unter reiner Apperception (reinem Willen) eine wollende Tätigkeit, welche, »alle unsere inneren Wahrnehmungen zur Einheit verbindend, niemals getrennt von denselben und also niemals ohne einen Vorstellungsinhalt vorkommen kann, gleichwohl aber als die letzte Bedingung aller einzelnen Wahrnehmungen vorauszusetzen ist«. Die reine Apperception ergibt sich erst in der Metaphysik als Endpunkt des individuell-psychologischen Regresses, empirisch ist sie nirgends antreffbar; in der Psychologie und Logik kann nur eine empirische Apperception (s. d.) in Frage kommen (Syst. d. Phil.2, S. 278 ff.). Diese hat die Bedeutung einer Einheitsfunction (Grdz. d. ph. Psychol. II4, 499; Phil. Stud. X, 119). Vgl. Identität, Einheit.

Quelle:
Eisler, Rudolf: Wörterbuch der philosophischen Begriffe, Band 1. Berlin 1904, S. 62-63.
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